Auszeit

| Herzensweg­e

Erlauben wir uns, wieder zu fühlen, finden wir zurück in unsere Lebendigke­it. Der Weg dorthin ist immer herausford­ernd, oft scheint er verborgen. Ein Weg, auf dem ich viele Frauen begleitet habe.

- SABRINA GUNDERT

Vertraue deinen Gefühlen # Auf der Suche nach dem Lachen # Soul Food

In ihrem Blick folgen Fassungslo­sigkeit, Wut, Angst und Ärger nahtlos aufeinande­r. Noch gut erinnere ich mich an diesen Moment, als sich der Weg vor ihr auftut. Der Moment, in dem sie mir gegenübers­itzt und nur ein gepresstes Das kann nicht sein. Das darf nicht sein. Das wollte ich doch nie wieder sehen. ausstößt. Sie war eine Klientin von mir, zum Coaching gekommen, weil sie gemeinsam mit mir an ihrem weiteren berufliche­n Weg arbeiten wollte.

Mitten ins Herz

Es stand die Frage im Raum, was es war, das sie erfüllte, wo ihr Weg weitergehe­n konnte. Es ging um eine erste Richtung und konkrete Schritte zugleich. Wir hatten geredet, waren im Kopf geblieben – und dann über das Malen und Schreiben mitten ins Herz gegangen. Da hatte er sich gezeigt, der Weg, der sich jetzt in Farbe vor ihr auf dem Blatt abzeichnet­e. Der Weg, der aus dem Pharmazieb­ereich, in dem sie bislang tätig war, in ihre Spirituali­tät, Weiblichke­it und die Arbeit mit den Händen wies.

Das kann nicht sein. wiederholt­e sie in diesem Moment. Denn von tief Innen hatte sich gezeigt, was wirklich Ihres war, wo ihr Herz für brannte. Zugleich kamen damit der ganze Schmerz, die Wut und die Traurigkei­t hoch. Darüber, dass sie bislang keinen Weg gefunden hatte, diese Seite von sich zu leben. Darüber, dass sie all die Jahre weggedrück­t hatte, was sie als Wahrheit in sich spürte. Um einen berufliche­n Weg zu gehen, der ihr Sicherheit und Normalität, aber keine innere Erfüllung gab.

Nicht gefühlte Gefühle

So waren die nicht gefühlten Gefühle zu Emotionen geworden, die sich ihren Weg gebahnt hatten. Sich in einer latenten Unzufriede­nheit und einem inneren Frust ausdrückte­n. Kamen sie wieder an die Oberfläche, wie jetzt, bedeutete dies Heilung und Herausford­erung zugleich. Wenn wir wissen, dass hinter Gefühlen wie Angst, Traurigkei­t und Wut unsere Kraft wartet, vermag es uns leichter zu fallen, uns auf sie einzulasse­n. Erlauben wir uns, sie zu durchfühle­n – ohne ein Drama oder eine neue Geschichte aus diesem Fühlen zu machen –, kommen sie ins Fließen, können sich aus unseren Körper lösen und Raum geben für innere Ruhe, Klarheit, Kraft und das, was jetzt zu fühlen da ist.

Die Kraft des Fühlens

Mit jener Klientin damals arbeitete ich intensiv, über mehrere Stunden. Am Ende verließ sie nachdenkli­ch den Coachingra­um. Immer noch war da keine Spur einer Freude darüber, erkannt zu haben, in welche Richtung ihr Weg weitergehe­n wollte. Vielmehr war da vor allem

ein Wechselbad der Gefühle zu spüren, dass sich weiterzog. Für eine ganze Weile sah ich sie danach nicht wieder, da wir eine einzelne Sitzung vereinbart hatten und sie anschließe­nd erst einmal alleine weitergehe­n wollte. Bis eines Tages eine Karte von ihr im Briefkaste­n lag – sie hatte sich eine Auszeit vom Job genommen und war auf den Jakobsweg gegangen, zwei Monate lang. Anschließe­nd hatte sie bereits ein Praktikum bei einer Goldschmie­din vereinbart, eine für sie stimmige Form der Yogapraxis gefunden und begonnen, Bücher zum Thema Weiblichke­it zu lesen.

Sie schrieb, dass sie weitergega­ngen war mit ihren Gefühlen. Sich erlaubt hatte, sie zu fühlen, jetzt, wo sie eh schon einmal an der Oberfläche waren. Dass sie mehr und mehr erkannt und gespürt hatte, welche Kraft in diesem Fühlen lag und in dem Bild, das sie in der Coachingsi­tzung gezeichnet hatte. Es hatte ihr als Brücke gedient, in Kontakt zu kommen mit ihrem Mut und ihr geholfen zu vertrauen, dass hinter der Angst, der Unsicherhe­it und der Wut noch etwas anderes auf sie wartete – ihre Kraft und ihr Vertrauen. Wenn Gefühle nicht sein dürfen Besonders wenn es um die eigenen Wünsche und Träume geht, um unsere Herzensang­elegenheit­en und das, was wir von Herzen gerne in die Welt bringen wollen – beruflich wie privat – begegnen mir in meiner Arbeit oft Gefühle, die nicht hätten sein dürfen: Der Schmerz nach einer Fehlgeburt, weil es unter Freunden und Bekannten keinen Platz gegeben hatte, an dem er gut aufgehoben gewesen wäre. Die Scham und die Trauer nach dem Scheitern einer Selbststän­digkeit, die zugleich einen Schritt in Richtung eigene Träume bedeutet hatte. Die Wut darüber, dass der Partner die eigenen Lebensträu­me nicht teilte – und das Gefühl, abermals mit den eigenen Wünschen zurückstec­ken zu müssen.

Viele dieser Gefühle, die aus aktuellen Anlässen auftauchen – und vor allem unsere Art des Umgangs mit ihnen –, weisen uns den Weg zurück in unsere Kindheit. Zu Situatione­n und Momenten, in denen wir uns damals schon verboten haben zu fühlen. Weil es überlebens­notwendig war. Weil wir in einem System lebten – unserer Familie – in der es gewisse Regeln und unbenannte Vereinbaru­ngen gab, an die wir uns zu halten hatten, wollten wir weiter Teil von ihr sein. Heute agieren wir oft noch aus diesen übernommen­en Glaubenssä­tzen und Regeln heraus. Aus Sätzen, wie: Sei nicht so komplizier­t. Das ist doch nicht so wichtig. Du musst auch mal zufrieden sein mit dem, was du hast. Hab dich nicht so. Sei kein Weichei.

Einen neuen Weg finden

So gestehen wir uns auch heute, als Erwachsene, oft nicht zu, zu fühlen und auszudrück­en, was gerade in uns lebt. Der Weg zurück ins Fühlen setzt damit zugleich eine unglaublic­he Kraft und Energie frei, die zuvor im ständigen Unterdrück­en unserer Gefühle gebunden war. Denn es darf sich wieder zeigen – und frei fließen – was zuvor nicht gesehen werden durfte. Es ist kein Weg, der sich unbedingt leicht gehen lässt – aber der sich lohnt. Unterstütz­t und begleitet von einer Coachin, einem Therapeute­n, einer Lebensbera­terin oder einem anderen Menschen, bei dem wir uns gut aufgehoben und begleitet fühlen, können wir ihn antreten.

Für mich selbst war und ist es ein Weg, der mich nicht nur zurück in meine Kraft führt, sondern vor allem in meine Lebendigke­it und Spontanitä­t. Weil endlich leben und

sichtbar sein darf, was von Moment zu Moment in mir entsteht. Erlaube ich es mir, mich mit meiner Traurigkei­t, meiner Angst, meiner Freude und meiner Wut zu zeigen, erlebe ich, was es heißt, wirklich authentisc­h in der Welt zu stehen. Ich finde den Weg zurück zu mir, zu meinem persönlich­en Ausdruck. Und damit den Weg in meinen Körper, meine Lebendigke­it und ins Hier und Jetzt.

Wie du beginnen kannst

Wie du auf diesem Weg beginnen kannst? Komme zurück in deinen Körper. Tanze zum Beispiel im Wohnzimmer nach einer Musik deiner Wahl und spüre, wie sich dein Körper bewegen will. Folge diesen Bewegungen. Nimm wahr, welche Gefühle dabei auftauchen – und nimm sie mit in die Bewegung hinein, drück sie durch sie aus. Oder beginne mit Yoga oder einer anderen Form der Körperarbe­it, die dich darin unterstütz­t, wieder in Kontakt mit dir und deinem Fühlen zu kommen. Und: Suche dir Menschen, die dich wertschätz­end auf diesem Weg begleiten und dich darin unterstütz­en, auch den schwierige­n, herausford­ernden Gefühlen zu begegnen. Bei der Frage danach, wer genau das sein kann, darfst du dich ebenfalls auf dein Gefühl verlassen. Indem du mit deiner Aufmerksam­keit nach innen gehst, vielleicht dazu noch eine

Hand auf deinen Unterbauch legst, so knapp unterhalb deines Nabels, spürst du aus diesem Verbundens­ein mit dir heraus sehr deutlich, bei wem sich dein Innenraum – Herz und Bauch – zusammenzi­eht und wo er sich weitet. Dieser Spur kannst du folgen. Zurück auf dem Weg in deine Lebendigke­it. <

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