AUF DER SUCHE NACH EINEM LÄCHELN
Deutschland ist alles mögliche – Exportweltmeister und ExFußballweltmeister, Land der Ingenieure und Land der Biertrinker, aber als eines kann man uns nicht bezeichnen – als Land des Lächelns. Klar, Soziologen könnten uns dafür geschäftsmäßig lächelnd viele Erklärungen liefern. Daraufhin gäbe es sicher den einen oder anderen, der überheblich lächelnd der
Welt verkündet, er hätte das schon immer gewusst. Oder andere, die schadenfroh oder gönnerhaft-nachsichtig lächelnd auf die armen, sauertöpfischen Deutschen herabblicken. Aber wo ist es eigentlich hin, das ehrliche, bedingungslose, einfach so von Herzen kommende Lächeln? Auf meinem täglichen Weg zur Arbeit begegne ich seit Jahren zum Teil immer den gleichen Menschen. In der Straßenbahn zum Beispiel weiß ich so langsam, wer an welcher Haltestelle zusteigt, welchen Platz er oder sie einnimmt, und ich kenne die Reaktionen – diese kurzen Momente der Irritation und Ratlosigkeit – wenn genau dieser Platz schon besetzt ist. Ganz selten gibt es mal so etwas wie eine Kommunikation zwischen uns, grad mal, wenn ich mir die Erlaubnis zum Fensteröffnen hole (ich bin ein notorischer Straßenbahnfensteröffner). Aber wirklich lächeln tun wir auch dabei nicht, zumindest nicht über den rein höflichen Mundwinkelzug hinaus. Warum eigentlich nicht? Haben wir Angst, aufdringlich zu wirken, anderen zu nahe zu treten, albern zu erscheinen? Oder haben wir dieses Lächeln gar nicht in uns drin, so dass eben nichts anderes dabei herauskommen kann als Mundwinkel-Etikette?
Wenn ich aus der Straßenbahn aussteige, habe ich noch einen langen Fußweg zum Verlag. Und wieder täglich die gleichen Leute, die einem entgegenkommen. Und wieder sicherlich hinter der Stirn ein kurzes Erkennen, aber kein offenes Lächeln. Bis auf eine Ausnahme. Ein junger Mann, augenscheinlich übrigens kein deutscher, hat irgendwann seinen Gedanken „Ach der schon wieder.“in ein grüßendes herzliches Lächeln umgesetzt. Einfach so. Inzwischen lächle ich auch zurück, einfach so, mein erstes offensives Lächeln des Tages. Aber nicht das letzte, denn eigentlich bin ich ein oft lächelnder und herzlicher Mensch. Allerdings passiert es mir in der letzten Zeit öfter, dass meine in mein Büro schauenden Kollegen ganz erschrocken fragen, warum ich denn so grimmig auf den Monitor starre. Dabei fühle ich mich eigentlich ganz gut. Und dann muss ich feststellen, dass aus rein physikalischen Gründen meine immer faltiger werdenden Mundwinkel der Schwerkraft folgend abwärts streben. Auch das noch. Ich hoffe, ich kann dem vielleicht mit ein paar Gesichtsmuskeltrainingseinheiten entgegenwirken, und dann ist es wieder zu sehen, mein Lächeln, und kann anstecken. Eine Ansteckungsgefahr, die wir viel öfter schaffen, der wir uns selbst viel öfter aussetzen sollten! <
Herzlichst, Uwe Funk, Chefredakteur