Hand aufs Herz
Oft wissen wir ganz genau, was wir tun wollen, finden aber immer wieder Gründe, warum es nicht geht: Keine Zeit, kein Geld, nicht gut genug. Wie ist es möglich ist, trotz dieser Gründe dem eigenen Weg zu folgen? Ein Erfahrungsbericht.
Herzenswege # Mein Weg zur Achtsamkeit Fragen an mich # Ich bastle mich selbst
Es war jener Moment in einem Forschungsinstitut, in dem ich ein dreimonatiges Praktikum machte und so deutlich spürte: Das ist es nicht. Dabei hatte ich mir alles so genau ausgemalt: Erst das Studium, dann der Doktortitel, anschließend die feste Stelle in einem Forschungsinstitut. Alles hatte so perfekt gewirkt, so absolut stimmig – bis zu jenem Moment, in dem ich mittendrin war und merkte: Das ist es nicht.
Damals stand ich gerade auf der Schwelle zwischen Bachelor- und Masterstudium, hatte mir ein halbes Jahr Zeit genommen für Praktika und Auslandsaufenthalte, ehe ich mit dem Masterstudium starten wollte. Ich hatte Geographie studiert und studienbegleitend die Ausbildung zur Journalistin gemacht. Eigentlich hatte ich immer schreiben wollen, doch in mir war ein lautes „Ich will niemals selbständig tätig sein!“, so dass ich mich statt für den Weg als freie Journalistin schließlich für die Sicherheit und eine feste Stelle in der Geographie entschieden hatte.
Was tue ich hier?
Und jetzt saß ich hier, in meinem Praktikum an dem Ort, an dem ich später unbedingt hatte arbeiten wollen und sah Kollegen feiern, wenn sie gekündigt wurden und meine tägliche Arbeit in mehrere hundert Seiten langen Berichten verschwinden – Berichte, die, wie man mir sagte, extra so geschrieben waren, dass sie kein normaler Mensch verstand.
Ich hatte gedacht, hier etwas beitragen zu können – mit meinem Wissen, meinem Können. Hatte mir vorgestellt, jeden Tag nach draußen zu gehen, zu forschen, die Welt zu verändern, mich einzubringen. Jetzt hier, zwischen meterhohen Akten in einem Bürohaus, das früher mal eine Kaserne gewesen war, fragte ich mich, was ich hier eigentlich tat. Dabei hatte ich wirklich gedacht, an diesem Ort glücklich zu sein. Wie hatte ich mich so irren können?
War es nicht die Sicherheit, die ich gewollt hatte? Warum war ich trotzdem nicht zufrieden? Sollte ich mich nicht mit dem, was ich hatte, zufrieden geben und die Suche nach einer Arbeit mit Sinn, die sich in jener Zeit so stark aufdrängte, einfach abschreiben? In jenem Moment, in dem meine gesamte bisherige Planung zusammenbrach, spürte ich ganz deutlich: Mein Weg geht woanders weiter. Ich will etwas anderes tun. Auch, wenn ich keine Ahnung hatte, was genau das sein und wie es aussehen konnte.
Erst viel später sollten mir zwei Dinge klar werden: Erstens, dass sich die Sehnsucht nach einem Platz, an dem ich mich wohlfühlte und einer Arbeit, die Sinn für mich machte, nicht so einfach verdrängen ließen. Und zweitens, dass ich mich in einem Lebensentwurf bewegte, der nicht der meine war.
Die Bilder der anderen
Ganz selbstverständlich hatte ich bis zu jenem Moment vor sieben Jahren gedacht, ich wollte all das: Bachelor- und Masterstudium, Doktortitel – vielleicht sogar noch eine Professur. Hatte gedacht mit einer sicheren Stelle, der Aussicht auf Mann, zwei Kinder und das Häuschen im Grünen das Glück zu finden, nachdem auch ich auf der Suche war. Denn in dem Bild, dass die Menschen um mich herum von einem glücklichen Leben entworfen hatten, waren dies die entscheidenden Elemente.
Erst nach und nach begann ich zu
Dabei hatte ich wirklich gedacht, an diesem Ort glücklich zu sein. Wie hatte ich mich so irren können?
erkennen: Das sind gar nicht meine Bilder. Das ist gar nicht das, was mich erfüllt. Bei der Suche, die sich an die Zeit im Forschungsinstitut anschloss – Auszeiten in der Natur, in Meditationszentren, weitere Praktika und Auslandsaufenthalte – wurde vielmehr ganz deutlich: Ich wollte nicht weiterstudieren und sah mich auch nicht in einer festen Anstellung.
Sätze, die prägen
Heute, aus der Rückschau, sehe ich, wie sehr ich damals in meinen Entscheidungen geprägt war von den Bildern und Sätzen, mit denen ich aufgewachsen bin. Davon, was in einem Leben drin sein muss, damit es einen glücklich macht. Und davon, was im Leben wichtig ist, was funktioniert und was nicht.
Sätze, wie: Mach eine anständige Ausbildung. Hauptsache, du hast eine sichere Stelle. Sei zufrieden mit dem, was du hast. Das kann doch nicht gut gehen. Du wirst bestimmt scheitern. Bleib mal auf dem Boden. Sätze, die mir – und uns allen – von den Menschen um uns mit auf den Weg gegeben wurden. Sätze, die uns vermeintlich Sicherheit bieten sollten – uns als Erwachsene jedoch vor allem lähmen.
Denn sie hindern uns daran, überhaupt zu beginnen. Ja, überhaupt erst einmal den Raum in uns so zu weiten, dass wir die Möglichkeiten wieder sehen, die alle da sind. In meinem Fall: Dass es noch andere Wege geben konnte, schreibend tätig zu sein als nur den, als freie Journalistin zu arbeiten. Dass Arbeit gleichermaßen Spaß machen, sinnvoll sein und Geld einbringen konnte. Dass es andere Werte waren, die mir wichtig waren und die ich leben wollte, als die, die für die Menschen um mich herum wesentlich waren.
Mut haben
Bei diesem Rückblick auf meinen Weg, muss ich zugleich an eine 51-jährige Frau denken, mit der ich vor einiger Zeit ein telefonisches Vorgespräch für ein Coaching hatte. Sie, die mir erzählte, dass sie sich so gerne mit ihrer Gesundheitspraxis selbständig machen wollte. Dabei sah sie alles schon genau vor sich, spürte die innere Freude – und wagte den Schritt doch nicht. Es war nicht so, dass sie das Einkommen aus der Praxis zum Leben gebraucht hätte. Nicht so, dass irgendetwas Schlimmes passiert wäre, wenn sie ihren sicheren Job in der Verwaltung, der sie körperlich krank und innerlich leer machte, aufgegeben hätte.
Doch jeweils kurz nachdem sie die innere Freude über ihre Praxis gespürt hatte, tauchten stets all die Bilder und lähmenden Sätze auf, warum ihre Praxis niemals laufen würde: Sie war zu alt. Für solch einen Schritt nicht mutig genug. Würde ohnehin scheitern. Und als arbeitslose Über-50-Jährige enden. Kurz nach unserem Vorgespräch schrieb sie mir eine E-Mail und teilte mir mit, dass sie das mit der Praxis doch erst einmal lassen wollte und in der Verwaltung bleiben würde.
Ihre Geschichte – mit all der Freude und Sehnsucht, ebenso wie mit all den Ängsten und Zweifeln – kann ich zutiefst mitempfinden. Ich kenne von mir, von meinem Weg und meiner Situation damals, jene enge Sicht in mir, die es mir verunmöglichte, die Dinge und Möglichkeiten zu sehen, wie sie wirklich waren.
Wie will ich leben?
Zugleich bin ich heute überzeugt, dass meist so viel mehr möglich ist,
Zugleich bin ich heute überzeugt, dass meist so viel mehr möglich ist, als wir zunächst denken.
als wir zunächst denken. Manchmal erkennen wir es einzig deshalb nicht, weil es nicht in unserem Weltbild vorkommt. Weil wir uns all die Möglichkeiten, die eigentlich noch möglich wären, gar nicht vorstellen können. Weil wir jene Sätze und Gründe, warum etwas nicht geht, für so real halten, dass sie eine Kraft und Macht bekommen, die uns zutiefst lähmt.
Uns diese Sätze, die da in uns wirken, bewusst zu machen, lässt uns eine gesunde, wichtige Distanz zu ihnen gewinnen. Denn so erfahren wir: Ich bin nicht diese Sätze.
Und wir können uns fragen: Entsprechen diese Sätze wirklich mir? Dem, wie ich leben und mein Leben gestalten will? Tun sie mir gut? Und will ich sie mitnehmen auf meinen weiteren Weg?
Freiheit zurückgewinnen
Das habe ich mich damals, vor sieben Jahren, auch gefragt. Und ordentlich ausgemistet. Seitdem ist vieles leichter geworden. Mein Blick hat sich geweitet. Die Möglichkeiten sind möglicher geworden. Natürlich gibt es heute noch Zeiten, wo ich wieder in solchen Sätzen feststecke. Wo ich erneut in eine Lähmung reinkomme. Doch mir ist heute bewusst, dass ich nicht jene Sätze bin und ich weiß, was ich tun kann, wenn sie auftauchen (siehe Kasten).
Das macht einen enormen Unterschied. Schenkt mir innere wie äußere Freiheit. Bringt mich zurück in meine Handlungsmöglichkeit. Und lässt auf einmal das Leben möglich werden, von dem ich niemals gedacht hätte, dass es möglich sein könnte. <