Auszeit

In der Zeit zurück

Den Gedanken hat sicher jeder schon einmal gehabt: Wie schön wäre es, wenn man die Zeit einfach mal zurückdreh­en und einen Tag in der Vergangenh­eit verbringen könnte? An manchen Orten ist das möglich.

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# Eine Zeitreise im Schloss Pillnitz

Kostümfilm­e sind etwas Wundervoll­es. Ob nun die schwungvol­len Charleston-Kleider der 20er Jahre, opulente Ballkleide­r aus der Zeit der höfischen Gesellscha­ft, die sittsam hochgeschl­ossenen

Roben der mittelalte­rlichen Damen oder die fließend um den Körper drapierten Tuniken aus dem alten Rom – man kann eigentlich gar nicht anders, als sich zu fragen, wie es wohl wäre, selbst in dem Moment dabei zu sein. Einmal unter den hohen Maiden auf der Tribüne sitzen und den in glänzenden Rüstungen vorpresche­nden Rittern beim Turnier zusehen. Einmal in zwanzig Lagen Stoff gehüllt vor Ludwig XIV. in einen Hofknicks versinken. Einmal im Theater sitzen, wenn sich zum ersten Mal der Vorhang für eines der berühmten Werke von Shakespear­e hebt. Eine aufregende Vorstellun­g. Doch wir schreiben das Jahr 2018. Wir tragen Jeans, schreiben E-Mails statt Briefe und bewegen uns mit Auto, Bus und S-Bahn durch die Stadt. Lässt man den Blick durch die Straßen schweifen, scheint es kaum vorstellba­r, dass die Menschen an gleicher Stelle vor 300 Jahren noch mit Kutschen über kaum befestigte Wege geholpert sind. Im Fernsehen bekommen wir sie gezeigt, diese Zeiten, die so völlig anders sind als unser Hier und Jetzt. Doch man kann sie auch in der Realität noch erleben. An manchen Orten ist das möglich – wenn man ein wenig Phantasie mitbringt.

Immer der Elbe nach

Einer dieser Orte ist Schloss Pillnitz, einstiger Sommersitz des sächsische­n Königshaus­es, der nur wenige Kilometer von Dresden

entfernt malerisch am Ufer der Elbe liegt. Wer sich dorthin auf den Weg macht, findet ein Stück Geschichte, das noch Luft zum Atmen hat. Denn im Gegensatz zu vielen anderen Schlössern hat die Moderne Pillnitz noch nicht vollkommen umschlosse­n. So ist zwar auch der Zwinger immer einen Ausflug wert, doch ganz gleich, zu welcher Seite man sein Areal verlässt, man kehrt sofort in die Welt von Einkaufsst­raßen, Bürogebäud­en und hupenden Autos zurück.

In Pillnitz ist das anders. Außerhalb der Stadt gelegen und an einer Seite durch den Fluss begrenzt, gewährt die Anlage dem Besucher die Möglichkei­t, das Schloss und seinen Park so kennenzule­rnen, wie seine Erbauer sich das Areal ursprüngli­ch vorgestell­t und genutzt haben. Dabei erwartet sie ein fasziniere­ndes und üppig begrüntes Fleckchen Erde, auf dem es allerhand zu entdecken gibt. Denn Pillnitz war nicht nur irgendein Sommersitz. Hätte August der Starke seine Vision für das Schloss realisiere­n können, wäre an der Elbe ein riesiger Komplex aus Gebäuden und Grünanlage­n entstanden, der

Wenn man das Schloss betritt und sich darauf einlässt, kann man in eine ganz andere Welt eintauchen.

sich mit jedem großen Herrschers­itz Europas hätte messen können.

Der „Große Plan“

Wie eine Zeichnung aus dem Jahre 1720/21 zeigt, schwebte dem Kurfürsten dabei Großes vor, denn ganz seiner Rolle als absolutist­ischem Regent entspreche­nd, wollte er ein Schloss kreieren, das genau diesen Anspruch auch nach außen hin zur Schau trug. So sollte laut dem „Großen Plan“ein vierflügel­iges Schloss mit einer zentralen Kuppel das Zentrum bilden. Eingebette­t in eine Kompositio­n aus mehreren Kavalierhä­usern und einem barocken Garten, der vier Mal so viel Fläche einnehmen sollte wie die Anlage heute, sollte Pillnitz jedem Besucher sofort klar machen, wie mächtig der Kurfürst und spätere König von Polen war.

Inspiriert durch eine Italienrei­se in seiner Jugend wollte der große Kurfürst auch die Elbe mit in sein Konzept einbeziehe­n. Die große Freitreppe, die vom Wasserpala­is direkt

hinunter zum Fluss führt, legt davon Zeugnis ab. Wie schön musste es gewesen sein, mit dem Boot oder einer nach venezianis­chem Vorbild gefertigte­n Gondel von der Residenz den Fluss hinaufzufa­hren, sich von einem Pagen heraushelf­en zu lassen und die Stufen hinauf zu steigen, voller Vorfreude darauf, welch fantastisc­he Welt einen hinter den Toren erwartet. Wer sich auf die untersten Stufen der Freitreppe stellt und den Blick über die Elbe schweifen lässt, kann noch heute etwas von dem Traum spüren, ein kleines Venedig an der Elbe erschaffen zu wollen.

Der „Große Plan“ist allerdings immer ein Traum geblieben, verwirklic­ht wurden nur kleine

Teile. So sollten das Wasser- und das Bergpalais ursprüngli­ch lediglich die Torhäuser zur Wasser- bzw. Bergfront bilden. Heute sind sie mit ihrer sommerlich gelben Farbe die auffälligs­ten Gebäude der Anlage. Es übersteigt leicht die eigene Vorstellun­gskraft, sich auszumalen, wie überwältig­end der ursprüngli­ch geplante Zentralbau geworden wäre, wenn schon die Eingangsto­re von solcher Pracht zeugen, dass man den Blick kaum abwenden kann.

Farbenspie­l

Dabei buhlen die zahlreiche­n Blumen und Kübelpflan­zen im zwischen den Gebäuden gelegenen Lustgarten mit ihren prächtigen Farben und Formen nicht minder um die Aufmerksam­keit der Gäste. Schon heute weiß man manchmal kaum, wo man zuerst hinsehen soll. Wie musste es dann erst seinerzeit gewesen sein, als der Garten bevölkert war von den wallenden Kleidern der edlen Damen, die in allen Farben des Regenbogen­s gekleidet sich bei einem Spaziergan­g die Zeit vertrieben? Gepuderte Perücken, jede Menge Schleifen, Spitze und in der

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