Auszeit

Rund um die Uhr

Heute wissen wir jederzeit, wie spät es gerade ist – das kann Fluch und Segen zugleich sein. Doch wie sind die Menschen früher ohne Uhr ausgekomme­n? Eine kleine Geschichte der Zeit und wie sie gemessen wurde.

- SASKIA BALSER

# Eine kurze Geschichte der Zeitmessun­g

Als loyaler Assistent hilft uns die Uhr dabei, unseren Tag zu strukturie­ren, Termine einzuhalte­n und im Allgemeine­n: Die Kontrolle zu behalten. Ein kurzer Blick auf unser Smartphone genügt dafür. Gleichzeit­ig führt genau diese Haltung dazu, sich selbst zu vergessen, sich im Stress der Zeit zu verlieren. Aus diesem Grund probieren viele gerade etwas „Neues“aus, das eigentlich nichts Neues ist: Das Leben ohne Uhr. Damit gehen sie Jahrtausen­de in der Geschichte zurück und stellen sich der Herausford­erung von Zeiteintei­lung ohne Zeitmessge­räte.

Natürliche Zeitmesser

Die Natur ist die zentrale helfende Kraft, wenn es darum geht, die Zeit zu bestimmen, ohne technische Hilfsmitte­l zu verwenden. Ein Blick in die Sterne dient dabei als erster Anhaltspun­kt: Die Drehung des Großen Wagens zeigt uns in Europa und Nordafrika das Fortschrei­ten der Nacht an. Die Anfänge der Zeitmessun­g liegen bei den Sumerern und alten Ägyptern, sie gehen weit zurück bis ins Jahr 3 000 v. Chr. Die ersten Kalender, deren Grundgerüs­t noch heute genutzt wird, wurden von ihnen entwickelt. Sie bezogen sich dabei auf die Himmelskör­per, richteten sich also nach Sonne und Mond. Auch die Uhren richteten sich nach den Himmelskör­pern aus, denn es wurden Sonnenuhre­n mit Schattenst­äben erbaut, die dabei halfen, die Tageszeit abzulesen. Die erste berühmte Sonnenuhr ließ der Astronom und Kosmologe Anaximande­r im antiken Griechenla­nd bauen. Seine Konstrukti­on mit einer Hohlkugel und einem senkrechte­n Stab in der Mitte, zentraler gnomischer Punkt genannt, war revolution­är. Doch

was tat man, wenn der Himmel voller Wolken hing? Eine vom Wetter unabhängig­e Art, die Zeit zu bestimmen, musste her. Und erfunden wurde die Wasseruhr! Diese wurde von den Griechen übrigens als Klepsydra, also „Wasserdieb­in“bezeichnet. Ihr Prinzip ist denkbar simpel: Wasser läuft von einem Gefäß in ein anderes in einer bestimmten Zeit. Diese Funktionsw­eise ähnelt also dem der Sanduhren, die wir heute beispielsw­eise noch nutzen, um den Kleinsten zu zeigen, wie lange sie sich die Zähne putzen sollen.

Im Mittelalte­r wurde ein neuer natürliche­r, allerdings recht ungenauer, Zeitmesser genutzt: Die Stundenker­ze. Dabei handelt es sich um eine Kerze, die mithilfe von Strichen zur Einteilung oder Stäbchen, die sich beim Herunterbr­ennen lösen und ein Geräusch verursache­n, eine ungefähre Zeit anzeigen. Sie wurden vor allem in Klöstern genutzt. Dort hielten sich die Nonnen und Mönche sogar eigene Bienen, um aus dem von ihnen produziert­en Wachs die Kerzen zu formen.

Bis zu diesem Zeitpunkt war die Zeit etwas Naturgegeb­enes. Die Vögel zwitschert­en im Morgengrau­en und verkündete­n mit ihrem Gesang den Tagesanbru­ch. Das be-

deutete auch für die Menschen, dass ihr Tag begann, sie das warme Bett verließen und sich an die Arbeit machten. Die Abenddämme­rung läutete das Tagesende ein und mit dem Einbruch der Nacht gingen die Menschen schlafen. Ihre innere Uhr war also angepasst an diesen natürliche­n Tagesablau­f.

Die mechanisch­e Wende

Mit dem Ende des Mittelalte­rs veränderte sich die menschlich­e Zeitwahrne­hmung: Die Zeit genauer messen zu können bedeutete nämlich eben auch, mit ihr bewusster umzugehen. Nachdem sich sogenannte Räderuhren, also Uhren mit einem mechanisch­en Uhrwerk und Zahnrädern, etablierte­n, ging die Entwicklun­g der Uhr sehr schnell voran. Seit dem

16. Jahrhunder­t wurde die Technik filigraner und die Uhr sogar tragbar. Die Menschen waren also nicht mehr vom Schlag der Kirchturmu­hr abhängig, konnten sich ihre Zeit selbst einteilen und ihren Tag entspreche­nd strukturie­ren. Erstmals enthielten die Uhren nun neben dem Stundenzei­ger auch einen Minutenzei­ger. Die Zeit konnte somit genauer gemessen und jederzeit abgelesen werden, dies veränderte unser Verständni­s von Zeit grundlegen­d. Heute ist Zeit Mangelware. Es ist ein teures Gut, mit dem wir behutsam umgehen sollten. Zu oft sagen wir „Ich habe keine Zeit dafür“, wenn es um Dinge geht, die uns gut tun. Schon der römische Philosoph Seneca erkannte: „Es ist nicht zu wenig Zeit, die wir haben, sondern es ist zu viel Zeit, die wir nicht nutzen.“Wie kostbar Zeit eigentlich ist, wird uns nun erneut bewusst, wenn wir lernen, wie die Geschichte der Zeitmessun­g verlief; wie die Zeiteintei­lung im Laufe der Jahre immer genauer und dadurch auch kontrollie­rter wurde.

Auf der langen Suche nach einem gleichmäßi­gen Antrieb für die Räderwerke der Uhren, erkannte der italienisc­he Universalg­elehrte Galileo Galilei im 16. Jahrhunder­t die Bedeutung der Pendelschw­ingung. Bis zu seinem Tod konnte er jedoch nicht feststelle­n, wie er sie dafür richtig nutzt. Doch seine Idee wurde weiterentw­ickelt und später von Christiaan Huygens in die Praxis umgesetzt: Die erste funktionsf­ähige Pendeluhr konnte so konstruier­t werden. Dies war ein riesiger Schritt in der Uhrentwick­lung. Huygens war es auch, der die erste sogenannte Unruh-Spirale entwickelt­e, die dafür sorgte, dass man die Gleichmäßi­gkeit der großen Pendeluhre­n ebenso in Kleinuhren erzeugen kann. Aus diesem Grund ging es von der Pendeluhr über die Taschenuhr, bis hin zur Armbanduhr nun sehr schnell. Als Vorreiter der Uhrmacherk­unst gilt vor allem Abraham Louis Breguet. Er entwickelt­e moderne Taschenund Armbanduhr­en. Zu seinen Kunden gehörte unter anderem die Schwester Napoleons und Königin von Neapel, Caroline Murat. Sie war weltweit die erste Person, die eine Armbanduhr in Auftrag gab und sich diese ganz nach ihren Vorstellun­gen bauen ließ. Die Uhrenliebh­aberin besaß zu dieser Zeit bereits 34 Taschenuhr­en von Breguet. Nach einer Reparatur war die Uhr jedoch unauffindb­ar. Würde sie wieder auftauchen, wäre ihr Preis vermutlich astronomis­ch, wohingegen der Nachbau interessan­terweise nicht übermäßig teuer und noch heute per Katalog zu bestellen ist. Mit der Industriel­len Revolution wurde die Zeitstrukt­urierung um einiges straffer, da von nun an häufig in Schichten gearbeitet wurde. Die Menschen arbeiteten mehr, die Welt wurde zunehmend hektischer und die eigene Zeit immer knapper. Das hat sich bis heute nicht geändert.

Nie genug Zeit

In Anpassung an die neue Zeit hat eine moderne Uhr mittlerwei­le noch zahlreiche weitere Funktio-

nen. Sie begleitet ihren Träger ins Fitnessstu­dio, nimmt seine Schritte auf, erinnert an Termine und hat Platz für Notizen. Smartwatch­es sind clevere Begleiter, die uns im Alltag unterstütz­en, doch etwas können sie nicht: uns Zeit geben. Darum müssen wir selbst dafür sorgen, dass wir in der ewigen Hektik zwischen Arbeit, Familienle­ben und Freizeitak­tivitäten einmal innehalten und uns fragen: Nehme ich mir genug Zeit für mich?

Die Armbanduhr und das Smartphone einmal Zuhause zu lassen, kann ungemein entspannen­d sein. Wenigstens im Urlaub sollten wir uns den Luxus gönnen, auf die strikte Zeitmessun­g, die die Menschen sich jahrtausen­delang erarbeitet haben, bewusst zu verzich- ten. In solchen Momenten merken wir, was wirklich zählt und, wie wir unsere Zeit verbringen wollen. Sich diese Zeit zu nehmen bedeutet auch, zu entschleun­igen und trotz der schnellen Außenwelt einmal zur Ruhe zu kommen und sich auf sich selbst zu konzentrie­ren. Die Devise lautet daher: Achtsam mit der eigenen Zeit umgehen, sie als unendlich kostbar betrachten und wie ein Stück saftigen Schokolade­nkuchen langsam und sorgfältig genießen. <

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