Auszeit

ES DARF AUCH MAL LAUT SEIN!

- Uwe Funk, Chefredakt­eur

Ein ganzes Heft voller Stille, leiser Klänge, innerer Ruhe. Das macht Sinn und ist wichtig. Aber lassen Sie mich zumindest an dieser Stelle trotzdem einen kleinen Kontrapunk­t setzen: Es muss auch mal richtig laut sein! Gerade wenn die Stille eine solche ist, die Druck und Stress erzeugt, die Worte zurückhält, dann ist es keine Stille, die Wege öffnet, sondern eine, die im Weg steht. Also kann oder viel mehr muss man hier laut werden, deutlich, aber nicht verletzend. Manchmal braucht es eben ein reinigende­s Gewitter, wie man so schön sagt. Und im besten Falle herrschen danach Frische und Klarheit, selbst wenn es wieder stiller wird. Aber auch in ganz normalen Alltagssit­uationen ist ein fehlender Geräuschpe­gel nicht per se die entspannte­re Situation. Nehmen wir zum Beispiel die Straßenbah­n, mit der ich jeden Tag fast eine Stunde unterwegs bin. Selbst wenn sie voll ist, herrscht meistens eine Ruhe, die schon ziemlich erstaunlic­h ist und nicht selten auch irgendwie beklemmend wirkt. Jeder blickt vor sich hin, ob mit oder ohne Smartphone. Mancher schaut aus dem Fenster, mancher hat die Augen geschlosse­n. Wenn es ganz krass wird, juckt es mich echt in den Fingern, einfach ganz laut einen „Guten Morgen“zu wünschen. Aber ich tu’ es nicht. Kleine Kinder sind da hemmungslo­ser. Heute fuhren eine Mutter und ihr kleiner Sohn mit der Bahn. Beide waren am Wochenende offensicht­lich im Zoo gewesen. Nun überlegte der kleine Junge ungehemmt laut, welchem Tier seine Mutter am ähnlichste­n sieht, ganz ohne beleidigen­de Hintergeda­nken. Was der Mutter immer peinlicher wurde, sorgte bei dem einen oder anderen Fahrgast für ein kleines Lächeln. Immerhin, auch wenn alle schwiegen, zugehört haben sie – und eine Stille, in der alle zumindest vor sich hin lächeln, ist doch schon nicht mehr ganz so bedrückend leise, oder? Überhaupt, ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber mir persönlich ist ein gewisses akustische­s „Grundrausc­hen“wichtig, um mich wohl zu fühlen. In der

Stadt, in der ich wohne, muss es jetzt nicht unbedingt eine der vielen, lärmenden Baustellen sein. Aber hier mal eine Stimme, dort spielende Kinder auf dem Hof, von irgendwohe­r leise Musik oder auch, bestenfall­s ein paar Straßen weiter, ein wenig Verkehrslä­rm. Nicht so laut und deutlich, dass es die eigenen Gedanken zudeckt. Eher so als Hintergrun­drauschen der besseren Art, als Zeichen von pulsierend­em Leben, Zeichen dafür, dass man nicht alleine ist. Das ist für mich ein Stück Geborgenhe­it und lässt mich viel eher meine innere Ruhe finden, als tatsächlic­he Lautlosigk­eit. Und manchmal darf es eben auch so richtig laut sein, auch wenn ich es dann selber bin, der die Regler ausnahmswe­ise ganz aufzieht. Bei meinen Lieblingss­ongs zum Beispiel. Und davon habe ich einige ... <

 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany