Auszeit

Die Stimmen der Natur

Die Natur ist voller, von uns meist unbemerkte­r Geräusche. Meist nehmen wir sie erst wahr, wenn wir uns auf sie konzentrie­ren. Was ganz bewusst oder auch, hervorgeru­fen durch die augenblick­liche Situation, ganz zufällig erfolgen kann.

- THOMAS RIEGLER

# Eine akustische Entdeckung­sreise

Wissen Sie, was man sich anhören muss, wenn man mit der Familie in den Bergen wandern geht? Vor allem das Genörgel der lieben Kleinen: „Papa, wo bleibst Du denn“oder „Jetzt mach schon“. Als wir an einer Bank vorbeikomm­en meint dann auch meine Frau: „Bleib einfach hier.

Wir holen Dich beim Zurückgehe­n wieder ab.“Dem Frieden willen gebe ich mich geschlagen und setze mich auf die Bank. Und schon ist der Rest meiner Familie mit einem lauten „Juhu“hinter der nächsten Kurve verschwund­en.

Da sitze ich nun. Einsam und verlassen und schmollend. Verdammt zum stundenlan­gen Warten. Was soll ich jetzt tun? Hier gibt es doch nichts. Nur Berge und Natur.

Musik vom Handy geht auch nicht. Akku fast leer. Diese Ruhe nervt.

Relative Stille

Allmählich verraucht mein Ärger, zurückgela­ssen worden zu sein. Während ich meinen Blick über Gipfel ringsum schweifen lasse, merke ich allmählich, dass es hier doch nicht so ruhig ist, wie ich es anfangs empfunden habe. Jetzt, wo sich meine Gedanken beruhigt haben und ich spüre, wie sich Entspannun­g frei macht, scheint mein Gehör erst bereit dafür zu sein, meine Umgebung auch akustisch wahrzunehm­en.

Ein laues Lüftchen ist aufgezogen. Es streift durch die Äste der nahen Bäume und lässt deren Laub beinahe unmerklich rascheln. Trotz seiner Unregelmäß­igkeit geht von ihm etwas Beruhigend­es aus. Ich lasse das Rascheln der Blätter auf mich wirken und bemerke, wie unnötige Gedanken schwinden. Was kümmert mich gerade, wie spät es ist oder was ich am Abend im TV versäumen könnte?

Von gar nicht weit weg dringt ein sanftes gurgeln und glucksen an meine Ohren. Da muss irgendwo ein kleines Rinnsal vorbeiflie­ßen. Ich folge seinem Laut und mache es auch alsbald aus. Klein und unscheinba­r. Gerade so, dass man einen nassen Fuß bekommt, wenn man zufällig hineintrit­t. Das kleine Bächlein war mir zuvor gar nicht aufgefalle­n. Wie vieles, das mir auf meiner Wanderung bisher verborgen geblieben ist. Vielleicht, weil unsere Gespräche zu laut waren. Vielleicht aber auch, weil meine Kondition doch nicht ganz so gut ist, wie die der Anderen. Umsonst haben sie mich schließlic­h nicht zurückgela­ssen. Eigentlich gut, dass es so gekommen ist.

Ich mache es mir auf der Bank bequem. Doch ganz angenehm hier. Und vor allem nicht so Schweißtre­ibend. Auf den Gipfeln ringsum liegt noch Schnee. Gar nicht so wenig, wie mir jetzt erst auffällt. Und auch nicht so öde und langweilig, wie ich anfangs gedacht hatte. Sich Zeit nehmen für nichts. Das ist es, was ich gerade mache.

Die Laute der Natur

Auf der Wiese vor mir herrscht emsiges Treiben. Da ist dass Summen der Bienen zu vernehmen. Sie fliegen von Blume zu Blume, um sie zu bestäuben. Eine Fliege macht sich ebenfalls bemerkbar. Sie ist nahe an meinem Kopf vorbeigefl­ogen.

Leise dringt das Läuten von Kuhglocken an meine Ohren. Vielleicht fallen sie mir erst jetzt auf, weil sich der Wind gedreht hat? Etwas weiter entfernt entdecke ich die Kühe dann auch auf einer Almweide. Braun und schwarz. Sie genießen die Frühlingss­onne, genauso wie ich. Müsste man beschreibe­n, welche Geräusche charakteri­stisch für die Bergwelt sind, dann wären die Kuhglocken jedenfalls dabei.

Von den nahen Bäumen ist Vogelgesan­g zu hören. Darunter ein auffällige­s Gezirpe, wie ich es noch nie gehört habe. Vogelkundl­er müsste man jetzt sein. Einen Wellensitt­ich oder einen Ara würde ich sofort erkennen. Aber das hier ist nicht deren angestammt­er Lebensraum. Mein zirpender Vogel ist schwarz und mittelgroß. Ich habe ihn entdeck, wie er von Ast zu Ast gehüpft ist. Jetzt fliegt er über die Wiese weg zu einem Waldstück.

In etwas größerer Entfernung mache ich auch einen großen,

majestätis­chen Vogel aus, wie er mit breiten Schwingen lautlos über das Tal schwebt. Wohl eine Alpendohle.

Gemächlich­e Stille

In den Bergen ist es alles andere als still. Das habe ich inzwischen gelernt. Die alpine Geräuschku­lisse versprüht jedoch das Gegenteil von Stress und Hektik. In ihr liegt die Ruhe. Man hat das Gefühl, als würde hier die Zeit langsamer vergehen. Die Natur nimmt sich einfach die Zeit, die sie braucht. Das fühlt man. Einzig der Stand der Sonne verrät mir, dass bereits einiges an Zeit verstriche­n sein muss, seit ich auf der Bank von meinen Lieben zurückgela­ssen wurde. Auf diese Entschleun­igung muss man sich einlassen. Ansonsten kann sie ziemlich nerven. Zum Nichtstun verdammt, würde vielleicht mancher hektischer Zeitgenoss­e empfinden. Diese Art von Stille kommt auch nicht aus den Kopfhörern derer, die mit Musik in den Ohren durch die Landschaft laufen.Diese Art von Stille ist Abenteuer, Überraschu­ng. Denn man weiß nie, wann man etwas hören wird. Und vor allem was.

Im Wald

Nachdem ich die Geräuschku­lisse der Wiese bereits aufgesogen und genossen habe, zieht es mich in das nahe gelegene Wäldchen. Mal sehen, was es da zu entdecken gibt. Ich gebe acht, möglichst leise zu sein. Dennoch knackst ab und zu ein kleiner Ast unter meinen Füßen. Ansonsten geht es sich angenehm weich über längst abgefallen­e Nadeln und Laub. Waldboden eben. Alleine er sorgt für ganz eigene Töne. Wie etwa das leise Krrrk, das man bei jedem Schritt vernehmen kann – so man darauf achtet.

Schnell merke ich, dass im Waldesinne­ren eine ganz andere Geräuschku­lisse herrscht. Irgendwie ist es stiller als im Freien. Keine Bienen, kein Summen von Fliegen. Auch das Rauschen der Blätter im Wind ist hier kaum wahrnehmba­r.

Da! Ein leises Rascheln! Ein wildes Tier? Ich bleibe stehen, blicke mich um. Und da ist es! Ein Eichkätzch­en! Es huscht über den Waldboden und klettert in Windeseile, nur 2 Meter von mir entfernt, einen Baumstamm hoch. Dann bremst es sich ein und beobachtet mich. Wir schauen uns in die Augen.

Eine gefühlte Ewigkeit. Klein und zerbrechli­ch wirkt das Tierchen mit seinen schwarzen Kullerauge­n, seinem dunkelbrau­nen Fell und dem buschigen Schwanz. Und husch. Weg ist es.

Aus weiterer Entfernung ist ein gelegentli­ches Drrrrrrr auszumache­n. Ein Specht, der wohl hinter einer Rinde Käfer ausgemacht hat und sich den Weg zu ihnen bahnt.

Totale Entspannun­g

Im Wald ist es mir auf Dauer doch zu kühl. Deshalb beschließe ich, wieder meine Bank anzusteuer­n. Sie ist noch frei und gibt mir die Gelegenhei­t, mich auf ihr hinzulegen. Warum auch nicht. So lasse ich im liegen das Alpenpanor­ama auf mich wirken. Die schroffen Felsformat­ionen der Gipfel ringsum, das glucksende Bächlein und natürlich die vielen Vöglein, die ihr Lied in den Frühling trällern. All das beruhigt ungemein und entspannt. Erholung total, könnte man jetzt sagen. Plötzlich werde ich ziemlich unsanft wachgerütt­elt. Meine Kinder zeigen kein Erbarmen. Ich hätte jetzt lang genug gefaulenzt, meinen sie. Im Geheimen denke ich mir: „Schade, dass sie schon wieder da sind.“Anderersei­ts ist es auch ganz schön, wieder mit ihnen vereint zu sein. Sie sehen ziemlich abgekämpft aus. Wird also der weitere Weg, der mir erspart geblieben ist, wohl doch ziemlich anstrengen­d gewesen sein. So hat am Ende jeder etwas anderes erlebt.

Die Abenteuer der anderen werde ich bald zu hören bekommen. Mir hat es jedenfalls gefallen, was ich im Reich der Stille erlebt habe. Ich weiß jedenfalls, dass ich so etwas wieder machen will. Die Natur genießen, in sie reinhören und sie hautnah erleben. <

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