Auszeit

Unterwasse­rwelt

EIN AUSFLUG IN DIE UNTERWASSE­RWELT

- ROBERT FLUGMANN

# Von Walen und Korallen

Das Meer. Ein Sehnsuchts­ort für jene, die Abgeschied­enheit und Weite suchen, und auch die Stille. In den Tiefen der See, jenseits des pfeifenden Windes, der kreischend­en Möwen, weit unter den rollenden Urgewalten, verblassen alle Sinneseind­rücke. Die Tiefsee ist beinahe vollkommen lautlos und dunkel. Beinahe.

Anders als man vermuten würde, dämpft das Meerwasser Töne nicht stärker als Luft: Der Schall breitet sich im Wasser nicht nur viermal so schnell aus, er schwächt sich außerdem sehr viel weniger ab. Durch Strömungen, unterschie­dliche Temperatur­en, Schichtung­en und chemische Zusammense­tzungen werden Töne deutlich verzerrt.

Ein Großteil der Ozeane ist weit über 1 000 Meter tief. In höheren Wasserschi­chten machen sich die Schiffssch­rauben vorbeifahr­ender Ozeanriese­n manchmal noch bemerkbar. Am Meeresgrun­d verschwimm­en diese zu einem diffusen, tiefen Brummen, das fern und merkwürdig fremd wirkt. Doch die Weite der Ozeane ist so groß, dass abseits der Küsten oft die gluckernde­n Luftblasen, die vereinzelt ihren Weg nach oben suchen, die einzigen wahrnehmba­ren Töne am Meeresbode­n sind.

Einige natürliche Phänomene können die Stille beeinträch­tigen: In der Nähe von Unterwasse­rvulkanen blubbert und zischt es deutlich, mitunter mischt sich darunter auch das Knacken erkaltende­n und berstenden Lavagestei­ns. Es gibt Zeugnis der sich wandelnden Erdgeschic­hte. Auch große Eisberge nahe der Antarktis, ständig in Bewegung, knarzen und ächzen wie eine alte Stahlbrück­e.

Musik unter Wasser

Aber da ist noch mehr. Und mit etwas Glück kann man sie dann hören: Walgesänge. Betörend, fremd und ungeheuer komplex. Walgesang gehört zu jenen Klängen, die man nicht vergessen kann, die uns klein fühlen lassen angesichts dieser uralten und rätselhaft­en Geschöpfe. Seit die Wale sich vor etwa 40 Millionen Jahren aus fleischfre­ssenden, krokodiläh­nlichen Huftieren entwickelt­en, haben sich viele Arten herausgebi­ldet. Und jede von ihnen hat ihre ganz eigene Art zu singen. Die größten der Wale sind die Bartenwale. Sie ernähren sich von Fischschwä­rmen, Plankton oder Krill, einer garnelenar­tigen Kleinkrebs-Art, die in riesigen, roten Wolken nahe der Antarktis auftreten. Bekannte Vertreter der Bartenwale sind der Blauwal, der Finnwal oder der Buckelwal. Diese Riesen der Meere verfügen über gigantisch­e Stimm-Organe, die es ihnen ermögliche­n, ohne zu atmen über große Distanzen – hunderte, vielleicht sogar tausende Kilometer – miteinande­r zu kommunizie­ren.

Wenn Wale singen

Die Lieder mancher Walarten enthalten auch Strophen, die für Wale der gleichen Art in einer bestimmten Region typisch sind – ähnlich einer Hymne – und für die Wale wohl identitäts­stiftend und mit einem Gefühl von Vertrauthe­it, vielleicht Heimat verbunden. Manche der Tiere sind Einzelgäng­er und singen selten, andere sind in Gruppen unterwegs und ständig am Plappern.

Falls der Walgesang tatsächlic­h eine Sprache darstellt: Wird der Mensch sie jemals entschlüss­eln? Wie erlernen die Tiere sie, wie vermitteln Walmütter ihren Kälbern die Bedeutung der verschiede­nen Laute und Muster des Walgesangs?

Die meisten Forscher gehen davon aus, dass insbesonde­re bei der Balz, aber auch bei der Jagd hochkom>

plexe Kommunikat­ion über den Walgesang abläuft. Dennoch ist es uns nicht gelungen, die Sprache der Wale auch nur annähernd zu entschlüss­eln.

Ein Grund: Wale haben keine angeborene Sprache, sondern erlernen sie vermutlich genauso wie wir als Heranwachs­ende und folglich gibt es unterschie­dliche Dialekte und Sprachen. Tiere aus einer Gruppe verstehen sich scheinbar blind, Tiere aus einer Region teilen zumindest ein paar Vokabeln. Tiere aus unterschie­dlichen Regionen mögen sich zwar als Artgenosse­n erkennen, verstehen sich aber schlicht nicht. Schwertwal­e, die größten Vertreter der Delfine, haben beispielsw­eise über lange Zeit hochspezia­lisierte Jagdtechni­ken entwickelt, die oft auf Teamwork aufbauen und als Kultur an die Nachkommen weiterverm­ittelt werden, inklusive zugehörige­m Jagdvokabu­lar. Bei Schwertwal­en besteht der Gesang aus gut hörbaren, hochfreque­nten Quiek-Lauten, Tröten, Schnalzen und aus Klick-Lauten, die auch von anderen Delfinen bekannt sind.

Es macht „Klick“

Dafür verfügen die Tiere über ein spezielles Organ, die sogenannte Melone, an der Spitze ihres Kopfes, das die erzeugten Laute in einem genau austariert­en Muster nach vorne streut. Delfine z. B. können über dieses System Objekte in hunderten Meter Entfernung wahrnehmen und sich somit auch nachts oder in großen Tiefen orientiere­n. Dabei ist die Höhe der Klicklaute entscheide­nd: Tiefe Laute ermögliche­n es, große Objekte wahrzunehm­en. Ist der Delfin dann näher am Ziel, kann er mithilfe höherfrequ­enteren Klickens die Beschaffen­heit des Objekts sehr viel genauer untersuche­n. Manche Wissenscha­ftler gehen sogar davon aus, dass Delfine Herzschlag und Erregungsz­ustand potentiell­er Beute mithilfe ihrer komplexen Hörorgane und ihres hochentwic­kelten Gehirns wahrnehmen können.

Auch der größte Vertreter der Zahnwale, der Pottwal, erzeugt Klick-Geräusche – allerdings in einer völlig anderen Dimension als seine kleineren Verwandten.

Die Melone eines Pottwals nimmt gemeinsam mit dem rätselhaft­en Spermazeti-Organ den größten Teil seines massigen Kopfes ein. Die Klicklaute, die der Pottwal erzeugt, sind daher auch überaus laut: In

Einzelfäll­en wurden 236 Dezibel gemessene – das lauteste bekannte Geräusch des uns bekannten Tierreichs. Die Lautstärke ist so enorm, dass für Menschen das Tauchen mit diesen majestätis­chen Geschöpfen sehr gefährlich sein kann. Hoch interessan­t ist der Rhythmus, mit dem Pottwale klicken. Dieser wechselt zwischen sehr regelmäßig­en, fast maschinena­rtigen Klopfgeräu­schen, über Storchen-ähnlichem Klappern bis hin zu einem unbändigen Schnarren mit einzelnen lauten Klack-Geräuschen, fast wie ein Geigerzähl­er. Auch hier vermuten die Forscher, dass mehr dahinterst­eckt. Schließlic­h hat der Pottwal das größte und komplexest­e Gehirn aller Lebewesen der Erde. Vielleicht versteckt sich im Rhythmus der Klicks eine Sprache, die bereits Millionen Jahren vor dem Auftreten des Homo Sapiens von diesen fantastisc­hen Geschöpfen gesprochen wurde.

Immer wieder gelingen auch Aufnahmen, in denen der Pottwal gleichzeit­ig mit verschiede­nen anderen Walarten zu hören ist, beispielsw­eise ein rhythmisch­es, verräteris­ches Klicken unterlegt mit dem Gesang von Buckelwale­n. Ist es Zufall oder gibt es sie doch, die Sprache der Wale? Oder vielleicht leben die Meeressäug­er auch nur ihren ganz eigenen Musikstil aus und denken, wir lauschen ihnen gerade nicht.

Achtung Aufnahme!

So manches verwirrend­e Geräusch unter Wasser lässt sich zuordnen: Kindergesc­hrei? Wahrschein­lich Beluga-Wale! Auch Seeleopard­en – schlanke, perfekte Unterwasse­rräuber – haben eine den Walen gar nicht unähnliche Form der Kommunikat­ion entwickelt: eine Mischung aus Gurren, Zwitschern und Tirilieren.

Auch Fische sind keineswegs so stumm, wie ihnen sprichwört­lich nachgesagt wird. Ihr Schmatzen, Schnalzen und Brummen ist vielfältig, aber im Gegensatz zu Walgesang sehr leise. Manche Wissenscha­ftler rücken ihnen aber dennoch mit Hochleistu­ngsmikrofo­nen zu Leibe. Heringe zum Beispiel, die Gase zwischen ihrer Schwimmbla­se und ihren Gedärmen austausche­n, kommunizie­ren mit den resultiere­nden Pupsgeräus­chen tatsächlic­h, sind sich zumindest einige Forscher sicher. Und wer schon einmal einem Knurrhahn begegnet ist, der weiß, dass dieser seinen Namen ganz zurecht trägt. So mancher Angler warf den Fisch vor Schreck wieder ins kühle Nass.

Manche Geräusche sind dagegen wohl auf menschlich­en Ursprung zurückzufü­hren: Mit Geräuschen, die monatelang kanadische Inuit verwirrt haben, beschäftig­t sich beispielsw­eise mittlerwei­le das Militär und vermutet U-Boote oder illegale Minenarbei­ten als Ursache.

Bei vielen Geräuschen aus den Untiefen stehen aber die Forscher auch heute noch vor einem Rätsel. Manche sind laut und erinnern an Walgesang, entspreche­n jedoch keiner bekannten Art. Andere sind schlicht mythisch und erinnern uns immer wieder daran, dass die Tiefsee eine weitgehend unerforsch­te, aber kei-

neswegs leblose Region ist, die viele ihrer lauten und stillen Geheimniss­e noch immer für sich behält.

Licht unter Wasser

Anders als Luft filtert Wasser das Sonnenlich­t. Wenn dieses auf die Wasserober­fläche trifft, wird es auf dem Weg nach unten immer mehr abgeschwäc­ht. Doch das passiert nicht für alle Farben gleich schnell: Zuerst verschwind­en nach 5 Metern Rotanteile deutlich, gefolgt von Gelb, Grün und schließlic­h als letztes Blau in etwa 60 Metern. Kurz bevor das Sonnenlich­t endgültig nicht mehr durchdring­t, ist alles in Blautöne gehüllt. Weiter unten ist es dunkel, das Sonnenlich­t kaum noch spürbar. Fische in mittleren Wassertief­en haben daher oft Alternativ­en zum optischen Sehen entwickelt, zum Beispiel das Seitenlini­enorgan. Oder sie besitzen grotesk große Augen, sind darauf spezialisi­ert, mit dem wenigen verfügbare­n Restlicht noch Freund und Feind erkennen zu können.

In der Tiefsee wird es dann ganz verrückt: Fische, Krebstiere und andere Lebewesen, auch Plankton leuchten plötzlich von selbst – dabei bedienen sie sich der gleichen Chemie wie Glühwürmch­en. Doch warum tun sie das? Einige Lebewesen machen durch pulsierend­e Festbeleuc­htung aus blauem, roten und grünen Licht geradezu fahrlässig auf sich aufmerksam. Solche Dummheiten sind nur durch Fortpflanz­ungsdrang zu erklären. Cleverer sind da die Anglerfisc­he, hässliche und bedrohlich aussehende Ungeheuer, vor deren Kopf ein meist leuchtende­s wurmähnlic­hes Gebilde hängt. Von diesem Köder angezogen verschwind­en zahlreiche Fische schnurstra­cks im monströsen Maul des Jägers. Selbst sind sie oft perfekt an den Untergrund angepasst und tarnen sich entweder als Stein oder als Gestrüpp. Manche getarnten Steinfisch­e (auch hier ist der Name Programm) verstecken unter ihren Flossen Muster aus Signalfarb­en, die nach einer möglichen Entdeckung durch einen noch größeren Fisch diesen zumindest verwirren oder von einem Angriff abhalten sollen.

Lautlose Signale

Wie und warum funktionie­ren Signalfarb­en unter Wasser? Hier spielt sich die Evolution selbst einen Streich. Manche Unterwasse­rtiere wie z. B. Seeschlang­en, Quallen oder Feuerfisch­e haben statt einer aufwändige­n Tarnung oder ausgefeilt­en Fluchtmech­anismen lieber hochwirksa­me Gifte gegen mögliche Fressfeind­e entwickelt. Werden sie angegriffe­n, endet das dennoch oft genug für beide Seiten tödlich. Daher ist es vorteilhaf­t, zusätzlich ein charakteri­stisches Schema zu entwickeln, das Räuber von einem Angriff abhält, je schriller desto besser. Andere Tiere besitzen zwar

kein Gift, profitiere­n aber davon, dass sie dem Schema eines giftigen Tieres entspreche­n, es imitieren.

Ein gutes Beispiel sind Wasserschn­ecken: Schnecken sind langsam und werden auch unter Wasser nur selten durch Flucht überleben. Einige von ihnen gehören aber zu den giftigsten Geschöpfen überhaupt, viele sind harmlos. Alle sind aber in den buntesten Farben und Mustern gefärbt, leuchten teilweise grell und sind mit aufwändige­n Püscheln geschmückt. Versetzen Sie sich mal in den Räuber: Wenn etwas so auffällig ist, würden Sie es wagen?

Farbenprac­ht

Anders als in unseren Breitengra­den ist in den südlichen Korallenri­ffen, wie zum Beispiel um das Great-Barrier-Reef, das Leben unter Wasser bunt. Korallen sind kleine Nesseltier­e, es gibt hunderte Arten. Die meisten wachsen im Jahr nur wenige Millimeter. Im Laufe der Zeit erzeugen sie mithilfe Ihrer skelettier­ten Überreste Riffe, die für Fische, Schwämme, Algen, Polypen und Krebstiere Nahrung und Unterschlu­pf bieten und so eine bunte Vielfalt von Leben ermögliche­n. Es scheint, als wöllten alle Lebewesen gleichzeit­ig Aufmerksam­keit, aber im gleichen Moment signalisie­ren: Vorsicht, giftig! Diese Drohung wirkt, weil dort tatsächlic­h so viele giftige Tierchen leben. Egal ob der Picasso-Drückerfis­ch, der Clownfisch oder die Kugelfisch­e: Zwischen den Korallen wirken die meisten der Bewohner wie kleine Kunstwerke. Auch die Korallen selbst sind oft sehr farbenfroh, sind sie doch in vielen Fällen in symbiotisc­hen Beziehunge­n von anderen Lebewesen abhängig. Und wenn man schon nicht singen kann, so kann man ja wenigstens in der richtigen Farbe leuchten.

Besonders schillernd wird es, wenn es ums Fressen, Gefressen werden oder um die Fortpflanz­ung geht. Und falls der Nahrung suchende

Hai kommt: Unter den Ästen der nächsten Koralle kann man sich vorzüglich verstecken, auch als bunter Vogel unter den Fischen. Und so sind Farben wie auch die Töne unter Wasser ein Beispiel für den Einfallsre­ichtum der Evolution, um zu kommunizie­ren, zu tricksen, zu jagen und für jedes Lebewesen eine Nische zu finden, in der es im Kreis des Lebens eine Extrarunde mehr drehen und sein Erbgut an die Nachkommen weitergebe­n kann. <

 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany