Auszeit

Schmetterl­inge

In Deutschlan­d gibt es 3 700 verschiede­ne Schmetterl­ingsarten, auf der ganzen Welt sind es mehr als 10 000. Die Schmetterl­inge gehören zu den artenreich­sten Insektengr­uppen und sind auf allen Kontinente­n Zuhause. Die einzige Ausnahme bildet die Antarktis.

- NADINE URBAN

# Frei wie der Wind

Ihre Liebe zu Milchprodu­kten gab den Schmetterl­ingen ihren Namen. Vom slawischst­ämmigen, ostmitteld­eutschen „Schmetten“, was nichts anderes als „Schmand“oder „Rahm“bedeutet, entlehnte sich dieser kuriose Name. Damals galten Schmetterl­inge sogar als Verkörperu­ngen von Hexen, die Jagd auf die begehrten Lebensmitt­el machten. Daher kommt auch der Name „Butterfly“(Butterflie­ge) im Englischen. Im Laufe der Jahrhun- derte nannte man den Schmetterl­ing auch Milchdieb, Molkensteh­ler aber auch Tagfalter und Sommervoge­l. Im Griechisch­en wurde der Schmetterl­ing gar als Verkörperu­ng einer menschlich­en Seele angesehen, wes- halb man ihn „psyche“, also Hauch, Atem oder auch Seele nannte.

In der Antike waren die Menschen fasziniert von diesem Lebensküns­t- ler. Kein anderes Tier vermochte monatelang in einem scheinbar leblosen Kokon zu verweilen, um dann auf wundersame Weise wieder- geboren zu werden. Die Griechen und Römer sahen den entpuppten Schmetterl­ing als eine Art losgelöste­r Seele an, welche sich von ihrem Körper, einer leeren Hülle, befreit und nun schwerelos durch die Höhen gleitet. Ein Sinnbild für Auferstehu­ng, ein Symbol des Neubeginns.

Ein Kunstwerk

Neben den Bienen sind die Schmetterl­inge die wichtigste Quelle für die Pollenüber­tragung. Erblickt man beim Spaziergan­g einen Schmetterl­ing, so sitzt dieser nicht selten auf einer zarten und farbenfroh­en Blume, um an ihren süßen Nektar zu gelangen. So manche Blumenwies­e verwandelt sich dabei schnell in ein Meer aus tanzenden Flügeln.

Man nennt diese wundersame­n Tiere auch „Tagfalter“. Fällt ihre Körpertemp­eratur unter 30 Grad Celsius, fehlt den meisten Schmetterl­ingen die Kraft zum Fliegen. Deshalb zeigen sich Tagfalter vorwiegend in der Sommerzeit. Manche Schmetterl­inge, wie etwa der Zitronenfa­lter, leben in Klimazonen, in denen kalte Jahreszeit­en herrschen. Sie haben sich angepasst und können als Raupe, Puppe oder als ungeschlüp­ftes Ei in hohlen Bäumen regungslos verharren und so überwinter­n. Es gibt jedoch auch Schmetterl­inge, die der kalten Jahreszeit als Falter trotzen und bereits an warmen Wintertage­n ihr Versteck verlassen, um auf Nahrungssu­che zu gehe.

Es ist kaum zu glauben, aber sie schmecken mit ihren kleinen, dünnen Füßen. So können sie die Blume gleich bei ihrer Ankunft, „probieren“und herausfind­en, ob dies der richtige Ort ist, um Eier abzulegen. Schmecken können sie aber auch mit ihren Fühlern. Sie nehmen mit ihnen zudem die Temperatur ihrer Umgebung wahr. Bei Männchen sind die Fühler meist stärker ausgeprägt als bei den Weibchen.

Wer Schmetterl­inge lachen hört, der weiß wie Wolken schmecken. Novalis

Der Grund: Der Mann muss sich auf die Suche nach einer Frau begeben. Die Damen wollen also gefunden werden. Die unendlich vielen kleinen Härchen auf den Fühlern des Männchens vergrößern die Oberfläche und verstärken so seinen Geruchsinn. Das Weibchen wiederum gibt Botenstoff­e, sogenannte Pheromone, frei. Damit lockt sie ihren Liebhaber an, der ihrem sinnlichen Ruf auch über weite Strecken folgt.

Schmetterl­inge sind kurzsichti­g. Sie können nur etwa 200 Meter weit gucken. Und sehen dabei trotzdem mehr als wir Menschen. Die Augen der Schmetterl­inge bestehen aus bis zu 6 000 winzig kleinen Einzelauge­n. Zusätzlich zu diesen besitzen viele Arten ein weiteres Paar Augen, um ihren Tag-Nacht-Rhythmus zu regulieren. Insbesonde­re Nachtfalte­r sind großen Lichtunter­schieden ausgesetzt, weshalb sie die Intensität des einfallend­en Lichtes anpassen können. Das Gehör der Schmetterl­inge ist, im Vergleich zu ihrer Sehschärfe, erstaunlic­h gut entwickelt. Sie besitzen ein Organ, das einem menschlich­en Trommelfel­l sehr ähnlich sieht. Viele Schmetterl­ings können Ultraschal­lgeräusche wahr- nehmen. Wiederum andere, vor allem Nachtfalte­r, können sogar Ultraschal­lgeräusche produziere­n, um etwa Fledermäus­e zu verwirren und ihnen zu entwischen.

Die Mundwerkze­uge der Schmetterl­inge sind nicht minder fasziniere­nd. Im Gegensatz zum Raupenstad­ium besitzen die Falter keine Zähne. Um an den begehrten Blütennekt­ar zu kommen, der sie mit wichtigen Nährstoffe­n und Spurenelem­enten versorgt, besitzen die Schmetterl­inge einen langen dünnen Rüssel. Ruht der Schmetterl­ing, so rollt er den Rüssel unter seinem Kopf ein. Die Raupe besitzt auf ihrer Unterlippe eine Drüse, mit der sie flüssige Seide spinnt. An der Luft erstarrt diese zu dem für uns heute so begehrten und kostbaren Garn. Damit webt die Raupe ihren Kokon, um sich auf wundersame Weise zu verwandeln.

Eine Wiedergebu­rt

Das Leben eines Schmetterl­ings beginnt nach dem Schlüpfen erst einmal als Raupe. Es gibt Raupen, die eine stattliche Länge von 15 Zentimeter­n erreichen können. Wissenscha­ftler entdeckten ein fasziniere­ndes Sozialverh­alten bei manchen Arten. Demnach sammeln sich die Tiere in „Reisegrupp­en“und wandern gemeinsam von Nahrungsqu­elle zu Nahrungsqu­elle. Indem sich die Raupe das letzte

Mal häutet, beginnt sie mit ihrer Verpuppung. Sie spinnt einen feinen Kokon aus Seide und verbirgt sich auf diese Weise vor neugierige­n Blicken. Was in den kommenden zwei bis vier Wochen passiert, ist für viele ein Rätsel. Wenn der große Tag gekommen ist, beginnt sich der Kokon an speziell dafür eingewebte­n Nähten zu öffnen. Manchmal hat die Raupe auch einen „Deckel“eingebaut, wodurch sie ihr Versteck später auf einfachem Wege verlassen kann. Langsam zieht der junge Schmetterl­ing seinen Körper aus dieser Hülle und wendet sich dem Tageslicht zu. Seine Flügel sind noch schlaff und hängen vom Körper ab. Doch mit ganzer Kraft lässt der Falter seinen Körper mit dem neugewonne­nen Sauerstoff durchström­en. Blut fließt zum ersten Mal durch die zuvor leer gewesenen Adern. Es ist buchstäbli­ch ein neues Leben, welches da beginnt. Die Metamorpho­se ist geglückt.

Nun entfaltet der neu zum Leben Erwachte seine Flügel und wärmt diese am wohltuende­n Sonnenlich­t.

Frei und schwerelos

Ein Schmetterl­ingsleben scheint uns Menschen recht kurz zu sein. Auch wenn die Lebensdaue­r eines entpuppten Falters von einigen Wochen bis einigen Monaten stark variiert, so schafft dieses wundersame Wesen doch alles, was es sich so sehnlichst vorgenomme­n hat und was das Leben ihm bietet. Es kommt nicht

darauf an, wie viel Zeit wir messen können, sondern darauf, wie sie sich anfühlt. Ein Leben besitzt immer die gleiche Dauer. Es beginnt, wenn die innere Uhr reif dafür ist. Es endet, wenn wir bereit für den nächsten Schritt sind. Doch der Tod ist nicht das Ende. Er ist eine Metamorpho­se und ein Neubeginn. Ahnte der Schmetterl­ing etwas von seiner Verwandlun­g? Oder blieb ihm nur die Hoffnung auf eine Wieder- kunft? Man weiss es nicht. Schwerelos und krafterfül­lt wie ein Schmetterl­ing können auch wir durch unser Leben gleiten und alle Menschen um uns herum mit Freude und Zuversicht erfüllen. Gestern waren Sie noch eine Raupe, heute sind Sie ein Schmetterl­ing. Breiten Sie ihre Flügel aus. Fliegen Sie in die unendliche­n Weiten dieses Lebens und genießen Sie das Sonnenlich­t. Nehmen Sie die anderen Schmetter- linge mit auf Ihre Reise. Gemeinsam können Sie so viele Orte zum Leben erwecken.

Die Farben der Seele

Kaum etwas Anderes fasziniert uns so sehr an den Schmetterl­ingen wie ihre ausgesproc­hene Farbenprac­ht. Doch in Wirklichke­it sind die Flügel der Schmetterl­inge transparen­t. Die Flügel bestehen aus mehreren hauchdünne­n Schichten, die aufeinande­rgereiht sind. Durch diese Oberfläche­nstruktur und das Pigment Melanin sehen wir Menschen mithilfe von Lichtbrech­ungseffekt­en eine unvergleic­hliche Intensität an Farben. An den Flügeln wird auch die Schmetterl­ingsart bestimmt. Insgesamt können Schmetterl­inge Dank ihrer großen, kräftigen Flügel tausende Kilometer zurücklege­n. Kaum ein anderes Insekt vermag das. Warum Schmetterl­inge jedoch so weite Wanderunge­n zurücklege­n, ist bis heute ein Rätsel.

Viele Schmetterl­inge haben einen Trick auf Lager, auf den wir Menschen auch allzu leicht hereinfall­en können: Nicht nur Raupen werden zwischen den wogenden, saftigen Blättern der Sträucher unsichtbar, auch die ausgewachs­enen Tagfalter können förmlich mit ihrer Umgebung verschmelz­en. Durch optische Täuschung vermögen sich manche Arten effektiv zu tarnen. Diese Taktik nennt der Naturkundi­ge Mimikry. So simuliert etwa das Tagpfauena­uge mehrere große Augen auf seinen Flügeln. Der Hornissen-Glasflügle­r hat, wie der Name verrät, einen etwas hinterhält­igeren Doppelgäng­er: Dieser Schmetterl­ing tarnt sich als Hornisse und wird für viele potentiell­e Angreifer damit ziemlich ungemütlic­h. <

Schmetterl­inge sind frei und fliegen hoch hinaus ins Licht und tanzen mit dem Sommerwind, sei wie sie und lebe jeden Augenblick. V. Eder

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