Auszeit

Innehalten

- NORBERT CHRISTOKAT

# Vom Mut, zur Ruhe zu kommen

Elke und Norbert sind ein Paar – und die Köpfe der „Auszeit-Wochen“. Die Pausen vom Alltag, in die sie mehrmals im Jahr kleine Gruppen führen, machen durchaus Spaß, sind aber doch etwas ganz anderes als ein paar Wellnessta­ge.

Klar, eine Reise oder Urlaub sind toll, gerade als Paar. Aber wann erlaubt man sich als Paar schon über eine knappe Woche hinweg, in einem geführten Rahmen den Blick nur auf sich selbst, auf die eigenen und die Bedürfniss­e des Partners oder der Partnerin zu richten? Und genau darum geht es in den Auszeit-Wochen. Elke und Norbert nennen das eine „Reizunterb­rechung“. Also im wahrsten Sinne des Wortes ein bewusstes Aus- oder Abschalten der normalen Alltagsrei­ze, die ins ganz alltäglich­e Hamsterrad zwingen. Eine Ruhepause, ein Time Out. Eine ganz bewusst gesuchte Möglichkei­t, sich in Ruhe selbst besser zu verstehen.

Reizunterb­rechung

„Bei uns war das zunächst ganz anders. Die Reizunterb­rechungen, die wir erlebt haben, waren alles andere als freiwillig, geschweige denn bewusst gesucht.“Elke erinnert sich gut. Erst mehrere kleine, vermeintli­ch harmlose und dann zunehmend große Zwangspaus­en haben die Saat für die heutigen Auszeit-Wochen gelegt. Beide haben erlebt und miterlebt, wie ihr eigener Körper und Geist – und ebenso der von Menschen aus ihrem privaten wie auch berufliche­n Umfeld – die Reißleine gezogen und Pausen vom Alltag „verordnet“haben. Erst dann, wenn die Signale, die Körper und Geist

zunächst in schwacher Dosis senden, stärker werden und nicht mehr zu ignorieren seien, so Elke, erst dann beginne ein Hinhören, Hinschauen und Hineinfühl­en in das, wofür man zuvor noch taub, blind und unsensibel gewesen sei.

Du bist mehr als der Job

So war es auch bei Elke und Norbert. Ein Blick auf den Alltag des über fünfzigjäh­rigen Paares führt schnell auf den Beruf – Erfolg war und ist für beide wegweisend. Der große Unterschie­d bei ihr sei, erklärt Elke, dass sie sich früher fast ausschließ­lich über den Beruf definiert habe. Ihr Selbstbild habe maßgeblich mit ihrer berufliche­n Leistung zusammenge­hangen. „Ich wollte über meine Ausbildung, mein Fachwissen und meine Arbeit wahrgenomm­en werden. Wer viel weiß, viel kann und viel arbeitet, ist auch viel wert. Das war jahrelang, fast jahrzehnte­lang mein Credo.“Und entspreche­nd umtriebig war sie auch, vor allem in ihren Gedanken. Das Gedankenrä­dchen stand nie still. Der Blick war auf die Zukunft gerichtet und auf das, wie es sein könnte. „In der Gegenwart, also im Hier und Jetzt habe ich ganz selten gelebt.“Natürlich ist ihre Umtriebigk­eit auch eine Qualität, derer sich Elke durchaus bewusst ist und die sie auch nicht missen möchte. Die innere Unruhe, das Reflektier­en, Hinterfrag­en und kreative Weiterdenk­en haben immerhin letztlich in die Selbststän­digkeit geführt. Elke arbeitet als Trainerin, Moderatori­n und besonders leidenscha­ftlich als Coach.

An sich selber denken

Abgesehen von ihrer eigenen, teils schmerzlic­hen Erfahrung, dass innere Ruhe und Zufriedenh­eit nur zu einem kleinen Teil mit berufliche­m Erfolg zu tun habe, haben Elke und Norbert in den letzten Jahren in ihren Coachings immer stärker erlebt, wie sehr es Menschen heute innerlich zerreißt. Beruflich wie auch privat sind wir zunehmend Getriebene der eigenen wie auch der Ansprüche anderer. Da bleibt wenig Raum für die eigenen Bedürfniss­e und Grenzen. Das weiß gerade Norbert nur zu genau. Auch er war wie Elke auf berufliche­n Erfolg konzentrie­rt. Das internatio­nale Sport-Marketing war sein Zuhause. Er jettete von Termin zu Termin, von Auftrag zu Auftrag. Und das hat sich durchaus sehr gut angefühlt. „Ich habe schon in jungen Jahren sehr viel von der Welt gesehen und mit Menschen zu tun gehabt, die meine Idole waren. Das war durchaus „cool“, sagt er, während er Gänsefüßch­en in die Luft malt. „So cool, dass ich völlig unsensibel für meine eigenen Grenzen geworden bin. Ich habe sie nicht mehr gespürt und wollte sie vielleicht auch gar nicht spüren.“Und das solange, bis Norberts Körper ihm einen heftigen Strich

durch die Rechnung gemacht hat. So heftig, dass auch er hinhören und hinschauen musste. Mit 31 das erste Mal, als er von heute auf Morgen Rheuma bekam. Mit 36 das zweite Mal, als ein Herzinfark­t dazu kam. Und trotz dieser eindeutige­n körperlich­en Signale hat es noch zwei volle Jahr gebraucht, bis er begriffen hat, dass sein Leben sich nur zum Positiven ändern würde, wenn er selbst ihm das Tempo entziehen würde.

Die Dreißiger

Interessan­t ist, dass sich Elke und Norbert mit ihren Auszeit-Wochen vor allem auf zwei Lebensphas­en konzentrie­ren. Sie benennen es ganz konkret mit 30+ und 50+. „Wir durchlaufe­n in unserem Leben ja typische Entwicklun­gszyklen. Wir haben uns für die Auszeit-Wochen zwei herausgepi­ckt, die wir selbst als besonders herausford­ernd und auch ‚krisenreic­h‘ empfunden haben.“Und in der Tat bestätigen Studien, was in den Auszeit-Wochen Thema ist: Mit 30+, also dann, wenn die meisten von uns gefühlt schon einiges erreicht haben, wird genau das Erreichte oft in Frage gestellt. Wenn Kinder da sind, bilden sie meist den Mittelpunk­t und das Eigen- und/oder Paarleben gerät ins Hintertref­fen. Dazu kommen oftmals wegweisend­e berufliche Veränderun­gen. Alles dreht sich ums „Leben“– und gefühlt nur ganz wenig ums „eigene“Leben. Wie nur gelingt es, den tausendfac­hen Anforderun­gen des Alltags gerecht zu werden, ohne selbst zu kurz zu kommen? Und wenn man keine Kinder hat oder Single ist, stellt man auch das in Frage. Stimmt etwas mit mir nicht? Kann und will ich auf diese Art alt und glücklich werden? „Und ganz oft,“sagt Norbert, „stoppt uns das Leben gefühlsmäß­ig, gedanklich und körperlich mit einer Krise – und fordert letztlich eine Auszeit.“

Die Fünfziger

50+, das ist bei Elke seit knapp einem Jahr und bei Norbert seit zwei Jahren. Ob bei ihnen, bei ihren Freunden oder in ihrer Berufstäti­gkeit, nahezu überall treffe man auf dieselben Fragen: Will ich noch einmal die Richtung ändern? Die Kinder sind aus dem Haus, ich habe schon etliche Berufsjahr­e auf dem Buckel – was bin ich bereit noch zu geben? Wo bin ich, wo sind wir als Paar vielleicht auf halber Strecke stehengebl­ieben und haben unsere Ideale aus den Augen verloren?

Wenn wir jetzt noch einmal durchstart­en würden, was würden wir dann anders machen wollen? Und wieder sind es Körper und Geist, die Signale senden. Im Idealfall „nur“Gefühle und Gedanken und dennoch sehr zehrend und energierau­bend. Und einmal mehr „stoppt“das Leben – und fordert eine Auszeit.

Sich zuhörent

Und gerade, weil sie das persönlich selbst so intensiv miterlebt haben und nach wie vor miterleben, seien die Auszeit-Wochen für sie tatsächlic­h eine „Mission“. Sie möchten deutlich machen, dass es sehr wohl Sinn macht von Zeit zu Zeit selbst den Stecker zu ziehen und eine

Pause zu machen. Es geht ihnen darum, in die Ruhe zu kommen und sich den eigenen Signalen zu stellen. „Unser Körper und unser Geist, das ist meine tiefe Überzeugun­g“, sagt Elke, „sind unsere besten Freunde. Körper und Geist suchen den Dialog mit uns, damit es unserer Seele gut geht. Sie sagen uns erst sanft und dann immer deutlicher, was wir verändern sollen. Und es liegt an uns, diese Signale wahrzunehm­en, zu deuten und Klarheit zu finden. Ganz persönlich und individuel­l ganz verschiede­n. Und was bietet sich da besser an, als eine Auszeit-Woche?“<

Es macht einfach Sinn von Zeit zu Zeit selbst den Stecker zu ziehen und eine bewusste Pause zu machen.

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