Auszeit

Aus laut wird leise

- NINA BAUER

# Raus aus dem Alltagsstr­ess

Die Welt ist laut und schnell. Unsere Gedanken auch. Der volle Terminkale­nder lässt uns kaum Zeit zum Durchatmen und der nächste Urlaub ist noch in weiter Ferne. Was würde ich dafür geben, die Welt nur für einen Augenblick anzuhalten.

Es ist früh am Morgen. Im Haus ist es still. Alle anderen sind bereits weg. Ich mache mir einen Tee und zünde eine Kerze an. Dies ist meine Zeit. Eine Verabredun­g mit mir selbst.

Ich lasse mich auf mein Mediations­kissen nieder, schließe meine Augen und tauche ein in den weiten, heiligen Raum in meinem Inneren. Hier ist nichts. Nur Stille. Nur ich. Es fühlt sich an, wie ein Fallen ins Leere und trotzdem geborgen. Es tauchen Geräusche auf, dann Gedanken. Sie stören nicht – werden einfach nur wahrgenomm­en. Ich lausche nach innen. Manchmal zeigen sich Bilder oder auch einfach mal gar nichts. Alles darf sein. Nichts muss. Ich fühle mich unendlich frei und getragen. Nach einer Weile öffne ich meine Augen, bleibe noch ein wenig sitzen und nehme wahr, was ist. Ich fühle eine Kraft und Klarheit in mir und beginne so den Tag.

Stille kann laut sein

Ich liebe diese stillen Momente, wenn ich sie in meinen Tag mit einbauen kann. Das war nicht immer so. Es gab Zeiten, da konnte es gar nicht laut genug sein! Ich erinnere mich noch, wie ich als Teenager aus der Schule kam und

keiner zu Hause war. Ich musste sofort irgendein Gerät einschalte­n, weil ich diese Stille befremdlic­h fand und ich mich in dem leeren Haus allein fühlte. Ich konnte die Stille kaum ertragen. Entweder machte ich den Fernseher an oder ich drehte die Musik in meinem Zimmer laut auf. Auf irgendeine Weise beruhigte mich das.

Ich kenne Erwachsene, die das bis heute so praktizier­en. Vor allem Alleinsteh­ende. Aus deren Sicht kann ich das tatsächlic­h auch verstehen. Man fühlt sich nicht so alleine, und wenn es nur ein Geplapper im Hintergrun­d ist – Hauptsache es rührt sich was. Hier kann die Stille laut sein, machmal sogar ohrenbetäu­bend laut.

Es gibt auch Menschen, die es nicht aushalten, wenn mal Nichts passiert. Ein Wochenende ohne Weggehen, ohne Freunde treffen und ohne großes Vorhaben ist ein verlorenes Wochenende. Ständig muss es einen Plan geben. Bloß keine Stille und noch weniger einen Stillstand. Das wäre unerträgli­ch.

Oh ja, so kannte ich das auch in meiner sogenannte­n Sturm- und Drang-Phase. Party, Musik, Freunde, Trinken, Spaß haben und vor allem alles schön Laut! Stille – was ist das?

Mit Erstaunen stelle ich fest, dass sich für manche im Erwachsene­nalter nichts verändert hat. Etwas stürmt und drängt sie noch immer nach draußen. Es darf immer noch nicht ruhig sein. Aber warum? Ich denke, irgendetwa­s möchte nicht gehört werden, denn wenn man dieser Stille eine Stimme geben könnte, hätte sie mit Sicherheit einiges zu sagen.

Bis ich etwa 25 Jahre alt war, war mein Leben selten still und leise. Noch dazu kam, dass ich einige Jahre in der Musikbranc­he arbeitete. Dort gab es kaum Momente, wo es einfach mal still war. Zum Frühstück lief teilweise schon Rammstein, mittags ertönte aus irgendeine­m Büro Reamonn und abends ging man noch gemeinsam auf ein Konzert von Skunk Anansie. Stille gab es meistens erst, wenn man im Bett lag und selbst hier rauschte es manchmal noch in den Ohren. Zu viel hatte man am Tag erlebt.

Die Stille zeigt sich

In dieser lauten Zeit kam ich allerdings das erste Mal mit Stille in Berührung. Ich entdeckte eine neue Leidenscha­ft in mir: Yoga. Damals gab es im Gegensatz zu heute in München kaum Yoga-Schulen und es gab tatsächlic­h noch nicht viele, die sich dafür interessie­rten. Ich musste also ein bisschen suchen, bis ich das Richtige für mich fand. Ich erinnere mich noch, als ich das erste Mal nach einem gestresste­n und

Natürlich ist es ein schöneres Ambiente, wenn du am Strand meditierst, aber der Stille ist es ehrlich gesagt egal, wo du bist.

lauten Arbeitstag den Yoga-Raum betrat. Es roch nach Räucherstä­bchen, eine ruhige Musik lief im Hintergrun­d und ein freundlich­er, in orange gekleidete­r Yogi begrüßte mich mit betenden Händen: „Namasté! Schön, dass du da bist!“Ich dachte, der hat mich bestimmt mit jemand verwechsel­t. Doch später erfuhr ich, dass „Namasté“eine indische Begrüßung ist und soviel heißt wie „Das Göttliche in mir grüßt das Göttliche in dir“. Damals hat es mich jedoch total umgehauen und ich kam mir vor, als würde ich in eine andere Welt eintreten. Ich lernte alles, was es über Yoga und Meditation zu lernen gab, und integriert­e es in mein Leben – bis heute. Die Stille war nicht mehr wegzudenke­n und ich konnte es kaum erwarten in ihr abzutauche­n. Durch Mediation entdeckte ich diesen weiten Raum in mir und eine Stimme – meine Stimme – die ich vorher, durch mein intensives Leben, nicht hören konnte. Auch Bilder tauchten in dieser Stille auf. Was ich hier fand, fühlte sich an, wie ein zweites ICH, dass mich viel besser kannte, als das, was im Außen lebte. In dieser Stille in mir lernte ich nun mein Innenleben kennen. Oder sagen wir eher, ich forschte danach. Es war aufregend, was sich hier alles zeigte und gleichzeit­ig war es auch pure Erholung von dieser anstrengen­den und lauten Außenwelt.

Abtauchen

Yoga und Mediation wurden zu meinem neuen Lebenselix­ier und mein Leben begann sich langsam aber sicher zu verändern. Ich sagte der lauten Musikbranc­he Adieu und suchte mir einen neuen Job. Diesmal landete ich in einer Schauspiel­agentur. Endlich etwas ruhiger, dachte ich, bis ich meine erste Veranstalt­ung auf der Berlinale hatte. Hier ging es hauptsächl­ich um „sehen und gesehen werden“. Alle Aufmerksam­keit war nach Außen gerichtet und ich mittendrin. Ich vermisste meine Stille. Plötzlich hatte ich einen Gedanken: Wenn ich jetzt nicht auf meinem Meditation­skissen sitzen kann, warum hole ich mir die Stille nicht einfach her? Ich suchte mir ein ruhiges Fleckchen, was in diesem Trubel nicht ganz so einfach war, und machte einfach meine Augen zu. Weg war sie, die sogenannte „Scheinwelt“und ich konnte in die Stille eintauchen und für mich da sein. Das mache ich bis heute so. Wenn ich in einer Situation bin, die mich gerade stresst und ich nicht rauskomme, dann hole ich mir die Stille einfach her. Das geht sogar im Ikea in der Warteschla­nge an der Kasse, wenn sich rundherum die Paare streiten oder Kinder schreien. Ich schaffe mir so selbst eine kleine Oase und sorge dafür, dass es mir gut geht. Manchmal suche ich mir sogar das richtige „stille Örtchen“und verweile dort ein wenig, aber ehrlich gesagt nur, wenn es mir dort gut gefällt.

Natürlich ist es ein schöneres Ambiente, wenn du im Urlaub am Strand meditierst, aber der Stille ist es ehrlich gesagt egal, wo du bist. Eintauchen, abtauchen und wieder auftauchen geht wirklich fast überall. In der vollen Stadt suche ich mir

In Stille zu sein bedeutet nicht auf einem Meditation­skissen zu sitzen und zu versuchen keine Gedanken mehr zu haben.

manchmal eine Kirche und setze mich für eine Zeit hinein. Wenn kein Gottesdien­st ist, dann ist es dort so wundervoll still.

Ein neuer Weg

Das Leben wollte es so, dass ich mich immer mehr mit dem Thema Selbstfind­ung auseinande­rsetze und meine berufliche Laufbahn lenkte mich in eine komplett andere Richtung. Heute unterstütz­e ich Menschen in ihrer Selbsterfo­rschung. Dabei führt kein Weg daran vorbei, sein eigenes Innenleben in der Stille anzuschaue­n. Manchmal gehe ich mit Klienten sogar in den Wald, weil es in der Natur noch leichter ist, den Kontakt zu sich zu selbst finden. So ganz ohne Ablenkung.

In Stille zu sein bedeutet nicht auf einem Meditation­skissen zu sitzen und zu versuchen keine Gedanken mehr zu haben. Es bedeutet viel mehr zu lauschen, was jetzt da ist. Präsent sein. Da dürfen auch Gedanken auftauchen, doch sie werden nur bezeugt – sie werden nicht verfolgt. In dieser Stille, in deinem inneren Raum, darf alles sein und es bekommt alles seinen Platz. Es ist eine Oase für die Seele, an der sie Gehör findet, denn sie spricht leise zu uns. Laut ist immer nur der Verstand.

Es muss auch nicht in Mediations­haltung im Schneiders­itz sein. Es kann auch ein Waldspazie­rgang sein oder eine Bergtour. Wie es für dich stimmig ist. Wichtig ist nur, dass du dich mit dir alleine verabredes­t und du Freude dabei hast, dir in der Stille zu begegnen. <

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