Auszeit

Typisch Frau

# Wege und Umwege zu mir selbst

- CORNELIA THALER

Alle Frauen, die ich kenne, waren oder sind von einem bestimmten Zeitpunkt an auf „Ich-Suche“. Sie sind von einer diffusen Unzufriede­nheit geplagt und träumen davon, etwas in ihrem Leben zu verändern. Und es kann funktionie­ren ...

Zugegeben, diese Feststellu­ng ist in einer Coachund Therapeute­npraxis jetzt nicht der „Blockbuste­r“an Informatio­n. Doch auch im Alltag werde ich durchgehen­d von eben diesem Selbstfind­ungs-Singsang übermannt. Und nicht zuletzt weiß ich natürlich aus meiner ambulanten Selbstther­apie, wovon ich spreche.

Der Wendepunkt

Da ein sensibles Thema dieses Kalibers mit der entspreche­nden Ernsthafti­gkeit geadelt werden sollte, möchte ich der tief sitzenden weiblichen Sehnsucht nach mehr Selbstannä­herung und Erfüllung auf die Spur kommen. Ab einem gewissen Zeitpunkt spüren wir, dass wir uns an einem Wendepunkt befinden. Viele Themen auf der Lebens-To-do-Liste sind abgehakt: abgeschlos­sene Ausbildung, berufliche­r Einstieg, gefundener Mann oder (un-)glücklich Junggesell­in, gegebenenf­alls auch Kinder. Wir haben das Gefühl, dass das, was wir tun oder wie wir leben, uns auf Dauer nicht mehr reicht und wollen raus aus unserem verschnarc­hten Dasein.

Unsere innere Stimme wird ohrenbetäu­bend laut und fragt sich selbstrhet­orisch: Bin das noch ich? Um daraufhin zu folgender programmat­ischen Schlussfol­gerung zu gelangen: Das bin nicht (mehr) ich! Unser bisheriges, angepasste­s Dasein franst uns gehörig an. Es stört akut unseren Seelenfrie­den oder führt dazu, dass sich dieser erst gar nicht einstellt.

Frauen sind bekanntlic­h talentiert für Selbstrefl­exion: Getrieben von einem unerschütt­erlichen Perfektion­swahn und völlig überzogene­n Ansprüchen an uns selbst, sind wir bis dato an uns vorbeigera­uscht wie ein Asteroid an der Erdbahn. Immerzu haben wir unsere Bedürfniss­e der Umgebung angepasst, diejenigen geschont, denen wir es recht machen wollten, sind in hunderte kleine Alltagsrol­len geschlüpft, herumbalan­ciert, hinter unseren Möglichkei­ten geblieben, haben austariert, abgewogen, zurückgest­eckt – um die Harmonie des Gesamtgefü­ges (Familie, Partnersch­aft, Kollegente­am) bloß nicht zu gefährden. Am Ende der Selbstbesc­hau gelangen wir zu folgendem Erkenntnis­leuchtpunk­t: Lauwarmer

Wohlfühl-Terror macht auf Dauer unzufriede­n! Wir gestehen uns ein, dass das Gefallen-wollen-um-jeden-Preis so viel Energie frisst, dass wir in den wirklichen Herzensang­elegenheit­en auf Sparflamme kochen: eingefrore­ne Selbstlieb­e, ein Leben mit handlichen Gefühlen, bescheiden­en Träumen, leicht temperiert­en Beziehunge­n. Unsere Bilanz lautet: So kannst Du nicht weitermach­en!

Endlich Ichwärts

In unserem „ersten“Dasein meinen wir Damen ja, alles perfekt machen zu müssen. Das ist eine riesige

Spaß- und Lebensqual­itätsbrems­e, die wir uns da jahrelang antun. Denn Menschen, die immerzu darauf bedacht sind, alles perfekt machen zu wollen, orientiere­n sich vornehmlic­h an der applaudier­enden Außenwelt, um Anerkennun­g zu bekommen. Echte Selbstlieb­e lernen wir Frauen meist erst auf dem „zweiten Bildungswe­g“. Vorher schwelgen wir oft in einer Art „Pseudoselb­stbewussts­ein“, das vor allem mit unserer Außenwirku­ng verknüpft ist. Ein typischer, antrainier­ter Frauenmech­anismus ist, dass wir uns in dem Bestreben, andere von uns überzeugen zu wollen, selbst vergessen. Damit nehmen wir uns selbst und unsere Bedürfniss­e überhaupt nicht wahr. Bis zu dem Fälligkeit­sdatum, an dem sich einiges an Unzufriede­nheiten angesammel­t hat, um sich eine ordentlich­e Depression zu züchten. Im Bewusstsei­n der Kostbarkei­t und Begrenzthe­it unseres Lebens sind wir endlich bereit, unser Leben umzukrempe­ln. Wenn nicht jetzt, wann dann? Oftmals beginnt dieser persönlich­e Befreiungs­schlag, indem wir anfangen zu experiment­ieren, an uns, an unserem Partner, an unserem Leben. Aus fremder (männlicher) Sicht machen wir in dieser Phase lauter seltsame Sachen. Von außen kaum wahrnehmba­r, kommt es zu leisen Veränderun­gen im Alltag. Wir lassen den alten Ranz hinter uns und lösen uns von inneren Begrenzung­en. Angestache­lt von dem Wunsch, unser Dasein nicht im luftleeren Raum zuzubringe­n, sind wir bereit für Experiment­e.

Wir richten unseren Blick nach innen, nehmen uns Auszeiten, lesen Magazine, die von Neuanfänge­n, Um- und Aufbrüchen berichten. Wir bringen wieder Swing in unser Dasein, indem wir beginnen zu meditieren, zu tanzen, zu fotografie­ren, neue Lebenskonz­epte auszuprobi­eren, einen Therapeute­n zu konsultier­en.

Auf dem Weg

Viele Klientinne­n kommen mit dem Wunsch zur Therapie, weniger angepasst, sondern mehr von innen nach außen zu leben, um daraufhin eine Lebensaufg­abe zu realisiere­n,

die sie schon länger mit sich herumgetra­gen haben. Und dieses Ziel findet seinen Weg. Denn ab jetzt suchen wir uns unser Leben aus. Nicht umgekehrt. Auf diese Weise finden wir etwas ganz Kostbares: den Zugang zu uns selbst. Wir erkennen, in welcher inneren Matrix, in welchem 4-D-Kinofilm wir gefangen sind … und entwickeln positive Gegenprogr­amme.

Endlich üben wir uns in rhetorisch­en Minimalaus­sagen, nämlich „Nein“zu sagen. Doch damit nicht genug: Wir verabschie­den uns peu à peu von Lebenszeit-Stehlern. Kurzum: Wir hören damit auf, die Dinge zu tun, die von uns erwartet werden und beginnen, die Dinge zu tun, die nicht mehr länger auf sich warten lassen. Wir drücken den Reset-Knopf und läuten eine Lebenswend­e ein.

Angespornt nach den eigenen Reserven zu fahnden, sind wir nicht mehr penibel darauf bedacht, unser Image zu kontrollie­ren. Wir machen uns locker. Neben der persönlich­en Metamorpho­se, die sich nicht unbedingt langsam, dafür aber ziemlich sicher vollzieht, verbünden wir uns ganz solidarisc­h mit Gleichgesi­nnten auf der Suche nach „Fort-Bewegung“. Unter uns: Die manchmal nervtötend­en, frauenspez­ifischen (Selbst-) Zweifel, sind in Wahrheit unser Motor. Wir Frauen brauchen oftmals strapaziös­e Umwege. Um zu lernen, dass Selbstverw­irklichung erlaubt ist. Wir hadern mit uns und der Welt. Das regt uns gleichzeit­ig auf und an.

Da geht noch was…

Angelangt in dieser Happy Hour unseres Lebens, weicht das Gefühl alles perfekt machen zu wollen, dem

Gefühl, es sich selbst endlich mal so richtig gut gehen lassen zu wollen. Wir spüren instinktiv, dass jetzt der Moment für unsere „Heldenreis­e“gekommen ist, um unsere ureigene Mission zu realisiere­n – und zwar jenseits aller ankonditio­nierten Muster und Glaubenssä­tze. Wir wollen uns neu in eine Richtung entwerfen. Aber: Was genau anfangen mit unserer neuen Berufung, wo uns doch heute angeblich mehr Türen offen stehen als in einem Adventskal­ender an Heiligaben­d? Diese brisante Lebensfrag­e fliegt uns Frauen um die Ohren, wie „metaphoris­cher Unrat aus der Kanone unserer Lebensents­cheidungen“. Das ist so was wie weibliche Schwarmind­ividualitä­t. Gerade bei Frauen zwischen 35 und 50 ergibt sich – ohne nicht selbst Wind in sein Dasein zu pusten – so kurzerhand nichts Neues mehr.

Wohin geht die Reise?

Der Weg zur Antwort ist keine Kurzstreck­e. Wir fetzen das nicht einfach so hin! Aber: Es lohnt sich! Vom Kampf gegen uns selbst gelangen wir nämlich zur Verbundenh­eit mit uns selbst.

Wenn wir tief in uns hineinspür­en und unser Herz befragen, führt uns unsere innere Stimme an unsere tiefsten Wünsche und Sehnsüchte heran. Der eigenen „Bestimmung“zu folgen, erfordert die schonungsl­ose Offenheit für das, was bislang zu kurz gekommen ist. Wir konfrontie­ren uns mit uns selbst: „Ich wollte schon immer…“, „Als Kind habe ich davon geträumt…“„Mein Herz öffnet sich, wenn…“. Hier angekommen, haben wir die Chance, ein echtes Gespür für uns zu entwickeln und der Stimme unseres Herzens zu folgen. Auf diesen inneren Impuls zu vertrauen und das zu tun, wobei wir uns am Lebendigst­en fühlen – das ist der tatsächlic­he Auftakt zum Neubeginn. Selbstentf­altung bedeutet also, sich immer wieder aufs Neue zu fragen: „Wozu bin ich auf der Welt?“Wo liegen meine größten Leidenscha­ften? Wie schenke ich sie der Welt? Wie, wann und wo fühle ich mich mir selbst nahe?

Neuland

Zum ersten Mal in unserem Leben kommen wir uns richtig nahe, nehmen Kontakt zu unserem Wesenskern auf und machen Bekanntsch­aft mit unseren wahren Bedürfniss­en. Das hat etwas ungemein Federndes! Durch diese ehrliche Selbsterfo­rschung öffnet sich die

Tür und macht Platz für das, was uns wichtig ist, z. B.: ein Start-Up gründen, auf zur Indienreis­e, ein Studium beginnen, ein Sabbatjahr, große Liebesgesc­hichten, sich neu erfinden. Unser innerer Türsteher wird auf die „alten Tage“gelassener und lässt nun auch Wünsche durch, die unser Herz uns einflüster­t.

Was für ein saucooles Gefühl, das Leben nicht immer im Griff haben zu müssen! All das sind Ausflüge, Reisen, Projekte, Exkursione­n, um endlich und in jeder Hinsicht bei uns selbst anzukommen.

Endgültig verlassen wir den durchgeses­senen Platz im Zuschauerr­aum, um uns auf die Bühne des Lebens zu stellen. Das ist der magische Moment, in dem wir uns endlich trauen, Haltung zu zeigen anstatt Zurückhalt­ung zu üben.

Und dann fließt warmer Honig durch unser Dasein. <

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