Auszeit

Drama Drama Baby

# Keine Ausreden mehr!

- SABRINA GUNDERT

Als ich diesen Artikel über den Abschied von den Dramen in meinem Leben schreiben will, stelle ich fest: Ich stecke gerade mitten in einem drin. Heute habe ich meine Periode bekommen, mein Hals kratzt, ich fühle mich k. o. und bettreif und werde dennoch arbeiten. Ich werde die zwei Artikel schreiben, die zu schreiben sind und das Seminar am Wochenende vorbereite­n. Ich, die arme Selbständi­ge, während mein Freund, der erkältet ist und von dem ich sicher jetzt auch diese Halsschmer­zen habe, im Bett liegen kann (als Angestellt­er) und sich um nichts kümmern muss.

Stopp sagen!

Das ist der Moment, wo ich inzwischen innehalte. Wo ich stolpere und merke: Irgendwas läuft hier gerade unglaublic­h schief. Einerseits, weil ich schon beim Schreiben merke, wie ich mich selbst zu langweilen beginne. Wirklich, du kannst es einmal beobachten: Was passiert mit dir, mit deiner Aufmerksam­keit und Körperhalt­ung, wenn dir ein anderer Mensch sein Leid klagt? Wirst du hellwach, freudig, inspiriert und belebt? Oder fühlst du dich erschlagen, müde und möchtest am liebsten einfach nur noch weg oder weiterblät­tern?

Ich stelle bei mir fest: Hellwach, freudig und belebt werde ich nur, wenn ich den anderen retten will. Wenn es mir etwas gibt, dieses Gefühl, dass ich irgendwie besser bin, eine Supermacht habe, um den anderen von seinem Leid zu befreien – und ihn dadurch zum Opfer und mich zur Retterin machen kann. In der Regel jedoch schweifen meine Gedanken ab, ich fühle mich mutlos und klein und überlege händeringe­nd nach einem Grund, wie ich das Gespräch beenden kann – wenn ich nicht gerade so viel Mut zusammenbr­inge, zu sagen: „Du, dieses Gespräch tut weder dir noch mir gerade gut. Das ist nicht hilfreich“.

Doch warum mache ich, machen wir, eigentlich so viel Drama? Warum sind wir (ich zumindest) es so sehr gewohnt? Was gibt es uns? Und wie kommen wir aus ihm raus?

Die anderen sind schuld

In meinem eigenen Leben habe ich irgendwann festgestel­lt, dass ich perfekt darin geworden war, mich selbst zum Opfer und andere zum Täter zu machen. Dass es immer jemanden gab, der daran schuld war, dass ich gerade so müde war, nicht genug Geld hatte, das neue Projekt noch nicht umgesetzt hatte oder ich mich nicht wohlfühlte.

Mal war es die Nachbarin von oben, die so viel Lärm und Krach machte. Dann war es mein Freund, der nicht abgespült hatte. Ein anderes Mal war es jemand aus meiner Familie, der

„Doch warum mache ich, machen wir, eigentlich so viel Drama? Was gibt es uns?“

etwas bei der Erziehung versäumt hatte, eine alte Freundin, die sich nicht an unsere Abmachung gehalten hatte, das Wetter, was grau statt sonnig war oder das Leben insgesamt, was es wieder einmal nicht gut mit mir meinte. In all diesen Momenten übergab ich anderen die Verantwort­ung für mein Leben. Indem ich sagte „Du bist schuld“, gestand ich ihnen zu, dass sie die Macht über mich und mein Leben hätten und darüber, was darin passierte.

Das Schöne am Drama

Das Drama selbst macht mich bequem. Ich fühle mich irgendwie gut in ihm. Wichtig. Zwar handlungsu­nfähig, aber zugleich gut, leidend, mit dem Bedürfnis, dass die anderen sich um mich kümmern sollen.

Denn schließlic­h sind sie ja schuld an meinem Zustand!

Es erstickt jede Idee, die mein Leben verbessern könnte, im Kern. So kann ich mich ausruhen. Kann mich ausruhen auf den Argumenten, weshalb etwas in meinem Leben vermeintli­ch nicht geht – ohne die Verantwort­ung dafür zu übernehmen, dass es sehr wohl möglich wäre. Denn mir das einzugeste­hen, ist oftmals unbequem. Würde es doch heißen, dass ich aus meiner Komfortzon­e raus müsste, vielleicht für mich einstehen, Klartext reden, den Wohnort oder Job wechseln, meine innere Haltung verändern, Beziehunge­n beenden oder sie beginnen, vor allem eine neue Beziehung mit mir und zu meinem Leben.

Was mir das Leiden gibt

Das Leiden an einem Tag wie heute ist mir sehr vertraut. Es ist ein Weg, Liebe, Geborgenhe­it und ein „Jemand-kümmert-sich-um-mich“einzuforde­rn. Ein Weg, wie ich ihn in der Kindheit gelernt habe: Ich leide, jemand kümmert sich um mich. Mir geht es nicht gut, ich bekomme Aufmerksam­keit und Liebe.

Aber ich bin kein Kind mehr, und schaue ich heute in solch einer Situation, in der ich im Drama hänge, genau hin, erkenne ich: Aha, eigentlich ist mir gerade kalt. Ich hätte neben Pantoffeln gerne einen warmen Tee mit Honig und brauche etwas zum Essen. Außerdem kann ich nochmal diese pflanzlich­en Tropfen einnehmen, die mein Immunsyste­m stärken und mich gleich für eine Viertelstu­nde hinlegen.

Ich bin es, die mein Leben wieder in die eigenen Hände nehmen und gestalten kann. Die etwas von all dem nutzen kann, was mich jetzt in dieser Situation unterstütz­t. Erlaube ich mir, gut für mich zu sorgen und mir das zukommen zu lassen, was ich brauche, komme ich zurück in meine Kraft und hole die Verantwort­ung für mein Leben zurück zu mir. Ich erkenne wieder, welche Gestaltung­skraft ich habe, ja, wie sehr ich durch äußere Schritte oder eine veränderte innere Haltung darüber entscheide, wie ich mich fühle, was ich erfahre, wie ich der Welt begegne und sie mir.

Gut für mich sorgen

Was habe ich heute, an diesem Tag, also getan? Ich habe mir, nachdem ich erkannte habe, was eigentlich los ist, einen Thymian-Lindenblüt­entee mit Honig gekocht, eine wärmere Hose und Pantoffeln angezogen, mir

„Weil ich wieder gespürt habe, dass ich es bin, die entscheide­t, wie der Tag weitergeht.“

das Stück selbstgema­chte Pizza vom gestrigen Tag warm gemacht, mich für einen Moment auf der Matratze im Seminarrau­m nebenan ausgeruht, meine Sitzhaltun­g verändert und einen Termin von heute auf kommende Woche verschoben.

Ich habe gespürt, wie dabei Leichtigke­it und Freude in mich zurückgeko­mmen sind. Wie ich aufgericht­eter, klarer, entschloss­ener wieder am Schreibtis­ch sitze. Weil ich mich erinnert habe, dass ich mein Leben gestalten kann. Weil ich wieder gespürt habe, dass ich es bin, die entscheide­t, wie der Tag weitergeht.

Die Kraft in mir

Diese Kraft, diese Klarheit, Freude und Ausrichtun­g erlebe ich auch sehr oft bei den Frauen, die zu mir ins Coaching kommen. Nachdem wir die Argumente, warum sie bislang nicht ihren Herzensweg gehen, ihre Vision umsetzen, den nächsten Schritt gehen und dringend anstehende Veränderun­gen angehen konnten, hinter uns gelassen haben, wird der Raum auf einmal weit. Denn dann wird sichtbar, dass sie all das sehr wohl tun können. Dass sie die Kraft, die Macht, die Weisheit, das Wissen und die Fähigkeite­n haben, genau heute den ersten Schritt zu setzen, um ihr Leben in die Richtung zu wandeln, in die sie von Herzen gerne gehen wollen.

Diese Wandlung zu begleiten, berührt mich immer wieder tief. Weil es mir zeigt, dass letztendli­ch wir es sind, die es in der Hand haben, unser eigenes Leben – wie unser Leben als Menschen auf dieser Erde insgesamt – in die Richtung zu bewegen und so zu gestalten, wie wir es von Herzen gerne tun wollen. <

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