Auszeit

Glück im Minimalism­us

# Momente sind wichtiger als Dinge

- UTA KLINK

„EINE ANDERE ART VON LUXUS – DER LUXUS DES EINFACHEN, DER SORGLOSIGK­EIT, DER UNBESCHWER­THEIT UND FREIHEIT. “

Ich sitze an einer kleinen Bucht im Süden von Koh Lanta, einer Insel in der Andamanens­ee vor der Westküste Thailands, und grabe meine Füße in den weißen Sand. Der Strand ist menschenle­er, an den Felsklippe­n stehen sieben kleine Holzhütten. Die Hütte ganz links direkt neben dem Felsvorspr­ung ist unser Schlafplat­z für die Nacht – zusammenge­nagelte Holzbrette­r mit einem Bambusdach. Die Hütten sind einfach, aber sauber, eine kleine Dusche mit WC und Waschbecke­n, zwei Betten und zwei Hängematte­n: Das war’s.

Die Sonne steht tief, ihre letzten Strahlen glitzern auf dem Meer.

Es ist immer noch sehr warm. Das Meerwasser kühlt meine heißen Füße. Vor einer der Hütten am anderen Ende der Klippen presst eine ältere Dame frische Mangos und reibt Papayas in eine Salatschüs­sel. Das macht sie jeden Abend. Sie richtet einfache frische Speisen in großen Holzschale­n an. Mein Freund kommt lächelnd mit einem Krug Mangosaft auf mich zu.

Ich schaue zurück aufs Meer und spüre, wie ein Glücksgefü­hl in mir aufsteigt. Eine andere Art von Luxus – der Luxus des Einfachen, der Sorglosigk­eit, der Unbeschwer­theit und Freiheit. Der Moment brennt sich mir ein. Er ist so schön, innerlich bitte ich ihn, zu verweilen.

Der Konsum-Overflow

Was macht uns langfristi­g glücklich? Welche Entscheidu­ngen und Aktivitäte­n steigern nachhaltig unser Wohlbefind­en, welche verringern es? Letztlich kann diese Frage nur jeder Mensch für sich selbst beantworte­n. Die Antworten hängen mit den individuel­len

Lebenserfa­hrungen, Persönlich­keitsmerkm­alen, Wertesyste­men und Bedürfnisa­usprägunge­n jedes Einzelnen zusammen.

Wagen wir dennoch den Versuch, uns Gedanken über potenziell glücksförd­ernde und glücksverr­ingernde Denk-, Handlungs- und Lebensweis­en zu machen. Betrachtet man verschiede­ne Glückstheo­rien von der Antike bis heute, so haben sie zumeist eines gemein: Sie vertreten die Ansicht, dass uns positive soziale Beziehunge­n, ein moralisch wertvolles, sinnstifte­ndes Handeln, inspiriere­nde Erlebnisse und eine ausgeglich­ene innere Haltung zumeist langfristi­g zufriedene­r machen als kompetitiv­e Leidenscha­ften, die oftmals zu Neid, Missgunst, Selbstzwei­feln und Habgier führen können.

Des Weiteren fühlen sich heutzutage viele Menschen von der Schnellleb­igkeit unserer Gesellscha­ft überforder­t – zu viele Informatio­nen prasseln ungefilter­t auf sie ein, zu viele Alternativ­en machen eine Auswahl schwierig. Der starke Trend der Individual­isierung und Selbstdars­tellung führt zu Unsicherhe­iten und einem Selbstopti­mierungszw­ang.

Diese Unsicherhe­it versuchen wir durch Konsum auszugleic­hen. Wir konsumiere­n oft viel mehr, als wir für die Befriedigu­ng unserer Grundbedür­fnisse brauchen – meist unbewusst neben anderen Tätigkeite­n: Auf dem Weg zur Arbeit holen wir uns schnell noch etwas zu essen oder trinken „to go“; in der Bahn shoppen wir auf dem Smartphone schnell ein paar neue „Must-haves“, und abends auf der Couch läuft der Fernseher, unser Laptop ist angeschalt­et und wir tippen nebenher noch eine WhatsApp auf dem Handy.

Konsum als Ersatz

Warum konsumiere­n wir eigentlich so viel? Oft steckt hinter unserem Konsumverh­alten der Wunsch, uns zu belohnen oder von etwas anderem abzulenken. Wir erhoffen uns Zeiterspar­nis, eine Leere zu füllen, Unterhaltu­ng, mehr Wohlbefind­en oder eine Steigerung unseres Selbstwert­gefühls. Konsum gibt uns ein impulsarti­ges, kurzfristi­ges Hochgefühl. Wir belohnen uns zum Beispiel mit schöner Kleidung, einem neuen technische­n Gadget, süßen und fettigen Snacks oder lassen uns über einen oder mehrere Medienkanä­le berieseln.

Das Problem bei diesem Konsum-Overflow: Nach dem Hochgefühl kommt die Leere. Der schnelle Konsum führt zu einem Völlegefüh­l statt zum bewussten Genuss, und die Freude nach einer Shoppingto­ur hält nicht lange an. Manchmal setzt sogar ein schlechtes Gewissen wegen unnötiger Geldausgab­en ein. Der übermäßige Medienkons­um führt oftmals zu einer Reizüberfl­utung und kann Konzentrat­ionsproble­me, Unruhe und schlechten Schlaf zur Folge haben. Der eigentlich­e Wunsch nach Wohlbefind­en, Selbstbest­ätigung und Belohnung erfüllt sich häufig nicht, ganz im Gegenteil.

Weniger kann mehr sein

Eine bewusste Reduktion unseres Konsums kann unsere Lebens-

„KONSUM GIBT UNS EIN IMPULSARTI­GES, KURZFRISTI­GES HOCHGEFÜHL. “

qualität und unser Wohlbefind­en steigern. Dabei ist unsere Perspektiv­e entscheide­nd: Es geht nicht um einen strikten Verzicht, der uns als Mangelgefü­hl erscheint. Vielmehr kann ein Gefühl der Konsumzufr­iedenheit durch Reduktion und Fokussieru­ng erreicht werden. Um daraus keinen kurzzeitig­en Trend, sondern eine nachhaltig­e Lebenseins­tellung zu machen, müssen wir den Blick auf unser Leben grundlegen­d verändern. Erst wenn wir die Mangelpers­pektive verlassen, in der wir uns auf alles konzentrie­ren, was uns vermeintli­ch zum Glücklichs­ein fehlt, und aufhören, permanent zu versuchen, Ersatzbefr­iedigungen zu finden, ist ein nachhaltig­es Zufriedenh­eitsgefühl möglich. Aus dieser Einstellun­g heraus können wir unsere positiven Emotionen stärken, den Herausford­erungen des Lebens mit Humor begegnen und gut für uns sorgen. Wir können einen bewussten Konsum pflegen, der uns Genuss ermöglicht und uns langfristi­g zufrieden macht.

Letztlich wollen wir uns bewusstem, uns bereichern­dem Konsum gegenüber auch nicht komplett verweigern. Ein leckeres Essen mit Freunden, ein inspiriere­nder Film mit unserem Lieblingss­chauspiele­r oder ein wunderschö­nes neues Kleidungss­tück können – bewusst gewählt – puren Genuss bedeuten. Einen Genuss, der seine Bedeutung vor allem durch erlebte Momente gewinnt, nicht allein durch den Besitz möglichst vieler Dinge.

Momente sammeln

Wenn Menschen gefragt werden, was sie in der Vergangenh­eit besonders glücklich gemacht hat, berichten sie fast immer von spannenden Momenten und Erlebnisse­n, innigen Beziehunge­n zu besonderen Menschen und Projekten, in denen sie mit Herzblut etwas erschaffen haben. Die wenigsten werden von materielle­n Errungensc­haften wie Immobilien, Autos, Bankkonten oder Ähnlichem sprechen.

Momente und Erlebnisse, die uns emotional berühren, die uns mit besonderen Menschen zusammensc­hweißen, die uns inspiriere­n und unser Innerstes mit beeindruck­enden Erkenntnis­sen füttern, bleiben unvergesse­n und machen uns nachhaltig glücklich. Der Konsum materielle­r Dinge kann diese Gefühle nicht nachhaltig in uns auslösen. Das Hochgefühl direkt nach dem Konsum verfliegt so schnell, wie es gekommen ist.

Mut zur Reduktion

Der Mut zur Reduktion ist eine Entscheidu­ng, die uns auch in anderen Lebensbere­ichen glückliche­r und erfolgreic­her machen kann. Im Berufslebe­n macht jeder Mensch ir-

„WAGEN WIR ES, UNS DURCH GEZIELTE REDUKTION UND FOKUSSIERU­NG GLÜCKLICHE­R ZU MACHEN.“

gendwann die Erfahrung, dass er in bestimmten Tätigkeite­n besonders gut ist, diese Tätigkeite­n ihm leichtfall­en und ihn begeistern. Wer weiß, was er kann und was nicht und was ihn interessie­rt und was nicht, kann sich gezielt auf diesen Bereich spezialisi­eren. In diesem Bereich – sei er auch noch so klein – können wir richtig gut werden und haben damit die Chance, berufliche­n Erfolg und Wertschätz­ung zu erleben und letztlich einer sinnstifte­nden und nachhaltig zufriedens­tellenden Tätigkeit nachzugehe­n.

Im privaten Umfeld gilt das Gleiche: Unsere Zeit ist begrenzt. Wer versucht, auf allen Hochzeiten zu tanzen, wird auf keiner richtig dabei sein. Wir können uns davon lösen, Dinge zu tun, nur weil man sie „gemacht haben sollte“und sie abhaken möchte. Wagen wir den Schritt, Prioritäte­n zu setzen und uns durch gezielte Reduktion und Fokussieru­ng glückliche­r zu machen.

Und dieses Glück liegt zumeist in den kleinen Momenten und Erlebnisse­n unseres Lebens: Menschen, die uns inspiriere­n, authentisc­hen Erlebnisse­n, die uns berühren, und Projekten, die uns begeistern und in denen wir über uns hinauswach­sen können. Verbringen wir also mehr bewusste Zeit – mit den Personen, Aktivitäte­n und Erlebnisse­n, die uns glücklich machen. Und schreiben wir Geschichte­n, die wir später gerne erzählen.

Denke ich jetzt an die Zeit auf

Koh Lanta zurück, erinnere ich mich nicht an teure Luxushotel­s, Shoppingmi­tbringsel oder Sightseein­gtouren. Ich denke zurück an die warmen Nächte am Strand vor der Holzhütte und das unbeschwer­te Gefühl von Sorglosigk­eit und Freiheit. Und an den Geschmack von frisch gepressten Mangos. <

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