Routinen hinterfragen
# Interview mit Thorsten Bracher
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Wer loslassen kann, der kommt unbeschwerter durchs Leben. Doch meist ist das leichter gesagt als getan. Weshalb wir so schlecht loslassen können und wie uns das künftig besser gelingen sollte, erläutert Dr. Thorsten Bracher. Herr Dr.Bracher, das Loslassen ist ein genauso wichtiger, wie vielschichtiger und facettenreicher Prozess. Wie erkenne ich eigentlich, dass ich zu wenig loslasse?
Loslassen zu können ist wichtig für unser körperliches und psychisches Wohlbefinden in der Gegenwart. Gelingt uns das nicht, so bekommen wir das körperlich und seelisch zu spüren. Denn je mehr wir uns auf etwas versteifen, desto angespannter und nervöser werden wir. Mit dem zunehmenden Druck, den wir auch selbst entwickeln, wachsen die inneren Widerstände. Von Gelassenheit keine Spur mehr. Dem kurzen Moment einer verbalen Verletzung folgen permanentes Grübeln und Selbstzweifel, schließlich oft Verbitterung und Frustration. Neben Kopf- und Magenschmerzen sind Schlafstörungen sowie Burnouts und Depressionen nicht selten Folge eines permanenten oder mangelhaften Nicht-Loslassen-Könnens. Für unsere psychische Gesundheit sind Auszeiten und Freiräume und somit eine gesunde Work-Life-Balance von größter Bedeutung.
Inwieweit stellt wirkliches Loslassen auch unsere Routinen in Frage und wie genau kann ich sie hinterfragen?
Routine im Alltag ist wichtig. Sie ist das Ergebnis lebenslanger Lernprozesse und erleichtert uns das Leben. Sie sorgt dafür, dass unser Gehirn nicht überfordert wird, gibt uns Ruhe und das Gefühl relativer Sicherheit. Zudem ist Gewohnheit ein Gegenpol zu den ständigen Veränderungen und Risiken des Lebens. Doch zu viel davon kann uns auch in unserer Entwicklung behindern und Stillstand bedeuten. Natürlich gibt es viele bewährte Automatismen, die alltägliche Aufgaben vereinfachen und uns ständig neue Entscheidungen ersparen. Andererseits ist beispielsweise das tägliche Glas Rotwein zum abendlichen Entspannen eine Gewohnheit, die wir überdenken sollten. Und auch
jeden Abend den Fernseher einzuschalten, ist alles andere als anregend. Deshalb ist es gut, tägliche Routinen hin und wieder zu hinterfragen und Gewohnheiten, die wir eigentlich ablehnen, zu modifizieren.
Schon kleine Änderungen des täglichen Rituals können spürbar Abwechslung und Höhepunkte ins Leben bringen. Wir machen neue Erfahrungen, für die wir mit zunehmenden Jahren immer weniger offen sind. Dass unser Gehirn, dem an festen Abläufen gelegen ist, sich energisch sträubt, feste Gewohnheiten zu ändern, überrascht kaum. Mit dem Willen alleine ist es da oft nicht getan. Unterstützung beim Überwinden hartnäckiger Gewohnheiten erfahren wir durch spezielle Coaching-Programme.
Auch seelische Verletzungen oder Trennungssituationen werden sehr nachhaltig verinnerlicht. Wie funktioniert das Loslassen in diesem Fall?
Insbesondere bei langjährigen Beziehungen fällt es uns in der Regel schwer, loszulassen und den anderen gehen zu lassen. Trennen wir uns von einem engen Partner, so fühlen wir uns nicht nur einsam, sondern vielfach auch haltlos. Nicht selten leidet auch das Selbstwertgefühl erheblich. Dass eine Trennung nicht einfach ist, wissen alle Eltern, deren Kinder flügge werden und das Haus verlassen. Dabei sind es aber längst nicht nur gravierende Lebenseinschnitte, wie der Abschied von einem geliebten Menschen, die uns mental regelrecht erstarren lassen: Oft genügt auch schon eine unberechtigte Kritik vom Chef, eine unüberlegte Kränkung vom Kollegen oder eine „schwer verdauliche“Beleidigung durch einen guten Freund, um uns in eine „Grübelschleife“zu manövrieren.
Um neue Herausforderungen annehmen und Veränderungen zulassen zu können, ist es wichtig, das Geschehene zu akzeptieren. Zwar lässt sich eine vorausgegangene seelische Verletzung nicht rückgängig machen, aber wir können lernen, damit distanzierter umzugehen. Neben einer positiveren Lebenseinstellung, dem „Positiven Mindset“, ist Entspannung der Schlüssel zu weniger Stress bei anstehenden Veränderungen: Achten Sie bei Ihrer täglichen Zeiteinteilung stets darauf, dass Sie neben den beruflichen Anforderungen und Belastungen auch regelmäßig angenehme Tagespunkte bewusst einplanen. Dazu zählen beispielsweise Treffen mit Freunden, Hobbies und Sport.
In welchen Situationen und wie können mich Experten beim Loslassen unterstützen?
Fühlen wir uns häufig verletzt, missverstanden und können mental über Tage und Wochen nicht loslassen, so ist professionelle Hilfe überlegenswert. Oftmals sind es Ängste aus der Kindheit oder Jugend, die uns an der Realisierung oder Aufgabe lang gehegter Wünsche hindern. Diese selbst sollte man jedoch noch einmal in Ruhe hinterfragen. Denn vielfach sind diese Lebensträume gar nicht unsere eigenen, sondern vielmehr die unserer Eltern oder anderer Bezugspersonen. <
Dass unser Gehirn, dem an festen Abläufen gelegen ist, sich energisch sträubt, feste Gewohnheiten zu ändern, überrascht kaum.