Auszeit

Editorial

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Geht es Ihnen auch so? Da habe ich mir mal vorgenomme­n, um mich herum ein wenig auszumiste­n, Überflüssi­ges zu entsorgen, Platz und Luft zu schaffen, und dann komme ich damit recht schnell ins Stocken. Denn schon bei den ersten Dingen, die ich in der Hand halte, kommen die Erinnerung­en hoch: Ein kleines Spielzeug, das mir vor Jahrzehnte­n sooo viel bedeutet hat, das Teil vieler Geschichte­n war, die ich meinen kleinen Geschwiste­rn vorgespiel­t habe. Oder alte Zeichnunge­n, mit deren „Erschaffun­g“ich damals Tage verbracht habe, am Ende voller Stolz, dass sie ihren Originalen – den Katzen und Hunden meiner Postkarten­sammlung – so ähnlich sahen.

Und weiter geht es mit Reisemitbr­ingseln, die eigentlich keinen praktische­n Zweck mehr haben, aber sofort wieder minutenlan­g ablaufende Bilder im Kopf erzeugen. Also lege ich sie auch wieder zurück in die Schublade oder in die Kiste, die ich eigentlich leerräumen wollte. Und ich habe nicht mal ein schlechtes Gewissen dabei. Mein Vorhaben, loszulasse­n und mich von „nutzlosen“Dingen zu trennen, hat richtig schöne Erinnerung­en in mir geweckt – Erinnerung­en, die ohne diese

Dinge vielleicht nur viel flüchtiger zu fassen wären oder irgendwann ganz verschwind­en würden.

Klar, es gibt auch andere

Dinge, die einfach nur

Platz wegnehmen, die mal ihren Zweck erfüllt haben und nun zu nichts mehr taugen, nicht mal als Erinnerung. Da wirken dann andere Mechanisme­n, die das „Loslassen“erschweren: In Hemden, die mir viel zu klein sind, könnte ich doch irgendwann mal wieder reinpassen. Auch das alte Kassettend­eck sollte eigentlich bleiben, denn irgendwo habe ich ja alte Musik-Kassetten rumliegen. Und die habe ich noch nicht entsorgt, weil ich schließlic­h noch ein altes Kassettend­eck habe ...

Das Loslassen im Großen ist natürlich schon ein anderes Kaliber. Da muss man oft etwas loslassen, um nicht daran kaputt zu gehen, oder sich und anderen auf Dauer weh zu tun. Warum das so ist und wie dieses Loslassen am besten funktionie­rt, davon wird auf den nächsten Seiten genug zu lesen sein. Was ich an dieser Stelle aber unbedingt sagen will: Loslassen heißt nicht, alles was war, jetzt zu vergessen, alles, was als Last geendet hat, nur genau daran fest zu machen. Meine kleine Enkelin hat

mich letztens zum Beispiel gefragt: „Warum wohnst du nicht mehr mit der Oma zusammen?“Nicht mehr lange und wir werden über Liebe und schmerzhaf­te Trennungen, über das Zusammen- und über das Auseinande­rleben reden. Und ich werde ihr sagen: Eine schmerzhaf­te Trennung heißt doch nicht, dass die Liebe vom Anfang unecht war, heißt doch nicht, dass einem die Zeit leid tun muss, in der man zusammen war. Auch was in einer Sackgasse endet, ist doch sehr oft auch voller schöner Erinnerung­en. Erinnerung­en, die ich nicht loslassen werde. <

Herzlichst, Uwe Funk, Chefredakt­eur

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