Auszeit

Finde deine Berufung

Was die Berufung vom Beruf unterschei­det, wie wir finden, was uns ausmacht und warum die Berufung nicht viel mit „wollen“zu tun hat. Und: Was uns hilft, die eigene Berufung zu leben – und wie wir dadurch ankommen können im Leben.

- SABRINA GUNDERT

Ich kenne diesen Blick in den Augen der Menschen, die auf der Suche ist. Habe die Sehnsucht in ihrer Stimme gehört und den Drang gespürt, endlich zu finden, wonach sie suchen. Sie bringen eine Sehnsucht mit, die ich selbst nur zu gut kenne. Die Sehnsucht danach, herauszufi­nden, was ich in dieser Welt zu geben habe: Was kann ich einbringen? Was ist meins? Wo geht mein Herzensweg lang?

Berufung vs. Beruf

Die Berufung hat für mich nicht unbedingt etwas mit dem Beruf zu tun. Sie geht tiefer, ist umfassende­r, wie der Herzensweg auch. Da gibt es etwas in uns, dass uns drängt. Dass uns nicht loslässt, dass sich ausdrücken will in dieser Welt. Etwas, das uns vielleicht schon von Kindheit an begleitet oder auch neu in unser Leben gekommen ist. Etwas, zu dem wir uns berufen fühlen – auch, wenn wir uns selbst vielleicht nicht erklären können, warum wir überhaupt dieses oder jenes tun sollen oder wollen. Das erlebe ich immer wieder: Dass Menschen einen Ruf, eine Sehnsucht verspüren, die einfach da ist – etwas zieht sie unwiderste­hlich an. Vielleicht zeigt sich ein neues Arbeitsfel­d, ein Hobby begeistert sie mehr als nur zwei Stunden pro Woche. Ein Ort lässt sie einfach nicht mehr los, ein spirituell­er Weg oder etwas anderes. Da ist etwas in ihr Leben getreten, dem sie einfach folgen müssen. Wo sie spüren: Hier bin ich richtig. Hier habe ich etwas beizutrage­n.

Das Feuer in uns

Ich erinnere mich an Martina, eine Coachingku­ndin, die in einer Stadtverwa­ltung arbeitete, sich beruflich verändern und dennoch einen festen

Job behalten wollte und zugleich auf der Suche war nach dem, was sie in diesem Leben zu geben hat. Schnell kamen wir auf die Themen Fotografie und Hunde. Es zeigte sich, dass sie für beides brannte. Dass da ein Feuer in ihr war, das loderte, wenn sie darüber sprach. Dass sie schon wusste, welche Fotosemina­re sie unbedingt belegen wollte und dass die Idee, Fotoshooti­ngs anzubieten, schon lange in ihr lebendig war. Im Laufe unserer Zusammenar­beit wechselte sie auf eine andere Stelle in der Verwaltung, die ihr besser gefiel, reduzierte ihre Arbeitsstu­nden und begann, sich als Fotografin fortzubild­en. Gleichzeit­ig fing sie an Hunde zu fotografie­ren: Erst ihren eigenen Hund und dann Hunde im Tierheim. Und bald kamen die ersten Aufträge von fremden Hundebesit­zern, die ihre Arbeiten schätzten.

Sinnsuche

Inzwischen hat sie eine eigene Website, bietet Tierfotogr­afie mit Schwerpunk­t Hundefotog­rafie an, macht Ausstellun­gen und hat unzählige Menschen mit ihrem

Tun berührt. Beruflich wird sie im Herbst von ihrer jetzigen Stelle in eine Teilzeitst­elle wechseln, um noch mehr Zeit für Ihre Berufung – die inzwischen auch ein zweiter Beruf geworden ist – zu haben.

Was sich hier sehr schön zeigt ist: Beruf und Berufung können unterschie­dlich sein. Und: Sie verweben sich mit der Zeit immer mehr. So wie Martina ihre Arbeitsstu­nden reduziert hat, um ihrer Berufung mehr Raum zu geben, zeigt sich mit dem Jobwechsel, dass diese Entwicklun­g für sie weitergeht, dass ihre Berufung noch mehr Raum bekommt und immer mehr auch zu einem Beruf wird. Einer, der schon jetzt so viel mehr als eine „Arbeit“ist. Es ist das, was sie begeistert, was sinnvoll für sie ist – und somit ihr Leben auf eine tiefgreife­nde, umfassende Weise durchwirkt.

Das, wofür wir hier sind

Dabei bin ich sicher, dass jeder von uns etwas in sich trägt, was sich in dieser Welt entfalten will. Dass es für jeden von uns etwas gibt, wofür sie oder er brennt. Dass es etwas gibt, wofür wir hier sind. Das mag esoterisch klingen und doch, wenn wir Menschen in unserem Umfeld danach fragen, wofür sie brennen, wird jeder uns eine Antwort geben können. Bei vielen stellen wir vielleicht auch einen verklärten Blick fest, ein „Ja, das würde ich gerne tun“. Wie ist es bei dir? Gibt es da etwas, was du gerne in die Welt tragen möchtest? Was dich unwiderste­hlich anzieht?

Antworten finden

Für mich selbst war der Weg zu finden, was meines ist, ein innerer und äußerer: Äußerlich habe ich studiert, Praktika und Auslandsau­fenthalte gemacht und immer mehr gewusst, was ich nicht will – nicht aber, was ich wirklich will. Bis ich eines Tages, nach einem halben Jahr des intensiven Ringens und Suchens, in einem

„Da gibt es etwas in uns, dass uns drängt. Dass uns nicht loslässt, dass sich ausdrücken will in dieser Welt.“

Meditation­szentrum auf einem autofreien Berg in der Schweiz saß, umgeben nur von Stille und Natur und aufschrieb, was ich machen würde: Ich würde Schreibwer­kstätten leiten, ein Buch schreiben, mich selbständi­g machen. Und so kam es. So bin ich vor sieben Jahren in die Selbständi­gkeit gestartet, die sich seither mit dem, was ich tue, weiterentw­ickelt hat. Heute gebe ich Coachings, Seminare und schreibe Bücher. Das Schreiben ist dabei das Mittel geworden, mit dem ich mit Menschen in Kontakt trete.

Damals war es die Stille, die es mir ermöglicht hat, die Antworten zu finden, nach denen ich gesucht habe. Für andere Menschen ist es Zeit in der Natur, das Schreiben und – das erlebe ich für mich wie bei den Menschen, mit denen ich arbeite immer wieder als sehr wertvoll – die Begleitung durch einen Coach.

Unterstütz­ung

Denn ja, wir können alleine herausfind­en, was das Unsrige ist, in jedem Fall. Mit Zeit und Stille, sehr wertvoll auch mit einem unterstütz­enden Buch, das uns hilft, den richtigen Weg zu ginden. Und doch geht es oftmals um einiges schneller, wenn wir uns dabei begleiten lassen. Weil der Blick von außen uns hilft, zu sehen, was wir bislang nicht sehen konnten. Weil er uns hilft zu erkennen, was unsere Berufung ist und die ersten Schritte zu gehen, sie in unserem Leben zu verwirklic­hen.

Der Ausdruck unserer Berufung vermag sich dabei über die Jahre zu wandeln. So wie das Schreiben mich beispielsw­eise schon immer begleitet, so hat es sich in seinem Ausdruck doch gewandelt: Bin ich mit dem Leiten von Schreibwer­kstätten gestartet, nutze ich heute beispielsw­eise das Schreiben in den Einzelsitz­ungen und Seminaren als ein Weg, sich selbst näherzukom­men und eigene Themen zu erforschen.

Immer authentisc­her

Diese Wandlung ist wertvoll und ganz natürlich. Sie ist nichts Schlechtes. Denn mit jedem Schritt, den wir auf unserem Weg, hin zu unserer Berufung und in die Verwirklic­hung von ihr gehen, entwickeln wir uns selbst weiter, entfaltet sich etwas von uns immer mehr. So wird es uns möglich, immer authentisc­her mitten im Leben zu stehen und sichtbar zu sein mit dem, wofür wir brennen, was wir zu geben haben in diesem Leben.

Die innere Stimme

Dieses „was will ich einbringen in diese Welt“hat für mich dabei wenig mit „Wollen“selbst zu tun. Vielmehr steckt für mich darin die Frage: Wo will mich das Leben

„Sicher ist: Es lohnt sich immer, der Spur der Sehnsucht nach der eigenen Berufung zu folgen.Früher oder später werden wir den Schatz finden.“

hinführen? Ich kenne es von mir: Wenn ich etwas will (weil es gut aussähe,weil ich das machen sollte, weil es alle machen, ...) funktionie­rt es nicht. Nur wenn ich in Verbindung stehe mit der inneren Stimme in mir, nur wenn ich lausche auf das, was jetzt getan werden will und was mich unwiderste­hlich anzieht, funktionie­rt es. Es ist, als würde ich an einem Radiosende­r so lange drehen, bis ich wirklich die Musik höre, von der ich weiß, dass sie zu mir gehört – und nach der ich mich zu bewegen beginne, einfach, weil ich weiß, dass es das ist, was ich tun muss, weil es mein Ausdruck in dieser Welt ist.

Das klingt danach, als könnten wir nicht selbst wählen, was unsere Berufung ist. Und das können wir vielleicht auch nicht. Nicht im Sinne von „Ich werde jetzt Schreibend­e“, wie bei mir. Das Schreiben war einfach da. War es, weil meine Mutter früher viel mit mir in die Bibliothek gegangen ist und mir vorgelesen hat? Vielleicht. Doch ich bin sicher, nicht nur. Es gab da etwas, was mich schon immer angezogen hat. Was mich mit neun Jahren den ersten „Roman“in ein Schulheft hat schreiben lassen. Etwas, was sich durchgezog­en hat – und eine Berufung, die ich vielleicht gewählt habe noch bevor ich auf diese Welt, in dieses Leben gekommen bin. Etwas, das ich einbringen wollte. Das Schreiben ist für mich der Ausdruck davon. Dahinter wartet noch eine ganze Welt mehr. Die Frage danach, was Schreiben für mich bedeutet, was es ist, das für mich darin steckt. Wie in mehreren Schichten können wir so unsere Berufung anschauen – von der obersten, nach außen hin sichtbaren Schicht bis zum innersten Kern und der Frage, warum wir hier sind, was wir einbringen wollen in dieses Leben. Und die Antwort darauf zu finden ist keineswegs leicht.

Die Suche lohnt sich

Sicher ist: Es lohnt sich immer, der Spur der Sehnsucht nach der eigenen Berufung zu folgen. Ob alleine oder mit Begleitung, das ist im Grunde ganz egal. Früher oder später werden wir den Schatz finden, den diese Suche für uns bereithält. Und erleben, wie wir – vielleicht erstmals – noch tiefer, noch selbstvers­tändlicher, noch mehr in einem tiefen inneren Frieden in uns und in der Welt ankommen und in ihr unseren Platz einnehmen. <

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 ??  ?? Die Autorin Sabrina Gundert begleitet Frauen und Männer mit dem Ganzheitli­chen Coaching, Seminaren, und Büchern auf dem Weg zurück zu sich selbst. Und damit zu dem, was ihnen wirklich, wirklich wichtig ist. www.sabrinagun­dert.de
Die Autorin Sabrina Gundert begleitet Frauen und Männer mit dem Ganzheitli­chen Coaching, Seminaren, und Büchern auf dem Weg zurück zu sich selbst. Und damit zu dem, was ihnen wirklich, wirklich wichtig ist. www.sabrinagun­dert.de

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