100 | Gefährliche Schönheiten
# Raubkatzen auf der Spur
Warum ziehen uns Raubkatzen eigentlich so sehr in ihren Bann? Liegt die Antwort tief in unseren Genen? Hat es einfach damit zu tun, dass unsere Urahnen beim Anblick von Raubkatzen einen gehörigen Adrenalinschub verspürten? Wohl kaum. Raubkatzen sind beinahe perfekte Jäger und verfügen über eine vielsagende Mimik, eine offensichtliche Intelligenz.
Aber auch ihre Leidenschaft, ihre Gier, all das wirkt auf verblüffende Weise geradezu menschlich – doch eine Katze wäre kein langweiliger Workaholic, keine Couchkartoffel. Eine Katze als Mensch wäre schlank und sportiv, verlangend, besitzergreifend, gierig und hungrig. Sie verführt und umgarnt, sie gewinnt immer und nimmt sich ganz selbstverständlich, was sie will. Man denke an den brüllenden Löwen, den sündigen Leopard oder den Panther mit seinem perfekten schwarzen Fell, der gerne als Werbefigur herhält. Ja, wer kann sich schon der Schönheit und der Aura der eleganten Großkatzen entziehen?
Flexibel und klug
Katzen sind unheimlich erfolgreich: Von der Tundra Sibiriens zu den Dschungeln Südamerikas oder Südostasiens, in den Savannen Afrikas und den Wüsten Zentralasiens: Fast überall sind Katzen in gleich mehreren Formen vertreten. Sie stellen die schnellsten Landbewohner überhaupt, sie besetzen die Spitze der Nahrungskette in großen Teilen der naturbelassenen Welt. Doch was ist ihr Erfolgsgeheimnis?
Ein Grund dafür ist ihre Intelligenz und Anpassungsfähigkeit: Raubkatzen planen. Sie versetzen sich in ihre Opfer hinein, schleichen sich unerkannt an. Sie kennen das Terrain, denn sie jagen in ihrem Revier. Sie sind einfach gedanklich schon >
immer einen Schritt weiter als die Antilope, der Hase oder die Maus. Und sie lassen nicht locker. Je nach Umgebung entwickeln Katzen auch ganz eigene, angepasste Jagdstrategien, lernen durch Versuch und Irrtum und gehen Risiken nur dann ein, wenn es nicht anders geht.
Gefährliche Jäger
Schon ihr Körperbau macht Katzen zu perfekten Jägern: Ihre flexible Wirbelsäule erlaubt ihnen rasante Sprints und eine extreme Beweglichkeit, ob kletternd oder im Sprung. Selbst die größten Raubkatzen haben den sogenannten Stellreflex, das heißt die Fähigkeit, im Fallen ihren Körper so auszurichten, dass sie mit allen vier Pfoten landen und die Landung perfekt abfedern können, selbst wenn sie aus großer Höhe fallen.
Katzen sehen zudem nachts sechsmal so gut wie Menschen, können auch bei fast völliger Dunkelheit noch sehr gut potentielle Beute ausmachen. Ihr Gehör ist geradezu überirdisch gut. Manche Katzenarten haben 27 Muskeln in ihren spitzen Ohren und können sie schwenken, um selbst kaum hörbares Geraschel in weiter Entfernung zu lokalisieren. Ihre Schnurhaare sind extrem empfindlich. Eine Katze weiß daher immer, woher der
Wind weht. Selbst ihr Geruchssinn ist deutlich besser als der des Menschen, auch wenn ihr hier der Hund den Rang abläuft.
Die Muskeln von Raubkatzen bestehen fast ausschließlich aus schnellem Muskelgewebe – ganz im Gegenteil zum Beispiel zu uns Menschen. Das erlaubt ihnen blitzschnelle Bewegungen und beeindruckende Sprünge. Raubtiergebiss, ausfahrbare Krallen, ein langer Schwanz zum Balancieren – die Liste geht endlos weiter. Sie sind einfach perfekt an das Leben als Räuber angepasst. Selbst für den Menschen sind sie nach wie vor gefährlich, auch wenn sie meist eher scheu sind und die Zahl der Vorfälle gering ist.
Ein besonderes Muster
Leoparden sind in Afrika und
Asien weit verbreitet und haben für sich eine besondere Nische gefunden: Kräftig und schnell genug, um mittelgroße Beutetiere wie Antilopen zu jagen. Im Gegensatz zu Löwe und Tiger sind sie in der Lage, auf Bäume zu klettern – und zwar mitsamt ihrer Beute. Dort ist sie sicher vor anderen Fressfeinden wie Löwen oder Hyänen, sodass die Leoparden sich die Mahlzeit über mehrere Tage aufteilen können.
Der Panther übrigens ist keine eigene Art von Katze, sondern meist ein Leopard mit einem seltenen Gendefekt, der für die fast schwarze Fellfärbung sorgt. Gleiches existiert auch beim südamerikanischen Jaguar: Auch diese nennt man Panther, wenn sie diese Fellfarbe aufweisen. Dem Leoparden wurde sein charakteristisch gepunktetes Fell (spätestens als es Anfang des 20. Jahrhunderts weltweit in Mode kam) zum Verhängnis. Er wurde stark bejagt. Die kurzhaarigen Leopardenfelle waren nicht nur sehr begehrt, sie ließen sich mit der Technik der
Zeit auch sehr gut zu eleganten Jacken und Mänteln verarbeiten. Insbesondere Frauen gefiel die mit den Leopardenmustern verbundene Geschmeidigkeit und Exotik. Heutzutage sind Leopardenmuster aus der Mode und wenn dann synthetisch, denn das Tier steht schon lange unter Schutz. Sich mit Leopardenfellen zu schmücken, hat jedoch eine Tradition, die bis in die Steinzeit zurückreicht.
Lebendiger Mythos
Rund um die Welt entwickelte sich schon seit Urzeiten an vielen Orten ein Kult um die mächtigen Raubkatzen. In Ägypten gilt die Katze seit jeher als heiliges Tier. Bastet, die Göttin der Fruchtbarkeit, wurde als Katzengöttin dargestellt, Osiris, Gott der Wiedergeburt und des Jenseits, mit Leoparden-Lendenschurz. Hieroglyphen zeigen Pharaonen mit Leopardenmuster. Es fanden sich sogar einbalsamierte Katzen. Es war wohl kaum jemand so katzenvernarrt wie die antiken Ägypter.
Doch auch Krieger und Priester in ganz Afrika kleideten sich gerne in Raubtierfellen, erhofften sie sich doch die magische Kraft und Schnelligkeit des Tieres. Gleichzeitig war ein Tiger- oder Leopardenfell damals noch mehr als heute eine Trophäe, die oft als Teil einer gewaltigen Mutprobe erworben
wurde, bei der das Raubtier nicht immer den Kürzeren zog.
Doch der Mythos ist keinesfalls auf Afrika begrenzt: In Mittel- und Südamerika waren die Jaguarkrieger, bekleidet ebenfalls mit Raubtierfellen, die absolute Elite des aztekischen Heeres. Sie mussten große und oft auch grausame Taten vollbringen.
Und im fernöstlichen China ist es der Tiger, der den Gegenpol zum Drachen im ewigen Kreislauf des Yin und Yang bildet. Die Verehrung der Großkatzen ist fast überall anzutreffen, wo Menschen auf sie stoßen. Schlussendlich sind Raubkatzen aller Art auch sehr beliebte Wappentiere auf der ganzen Welt. Doch es gab auch andere Meinungen. Christliche Überlieferungen dichten dem Leoparden teuflische Attribute an, selbst im neuen Testament wird ein mehrköpfiger Panther als Inkarnation des Bösen beschrieben. Die Flecken des Leoparden als Befleckung durch sündhaftes Verhalten? Im alten Griechenland eine gängige Ansicht. Das Leopardenfell hatte schon früh etwas Verruchtes, im Negativen wie im Positiven. Es war Provokation und Symbol sündiger Ausschweifungen und – für die Männer der Zunft – bald auch überdurchschnittlicher Männlichkeit und Potenz.
Mutter aus Leidenschaft
Leoparden, Geparden und auch Jaguare gelten als extrem fürsorgliche Elterntiere. In seltenen Fällen bleibt sogar das Männchen noch einige Monate bei seinem Nachwuchs und unterstützt die Mutter bei der Erziehung. Doch das ist die Ausnahme – im Normalfall stemmt das Muttertier die Erziehung allein. In den ersten 3 Monaten müssen die Jungen noch gesäugt werden. Anschließend fressen die Jungen auch Fleisch. Für die Mutter ist dies eine sehr kritische Phase, denn der Appetit der zwei bis vier Jungtiere ist beinahe grenzenlos. Sie selbst tollen – vergleichbar mit jungen Hauskatzen – anfangs nur neugierig herum, balgen sich und sind im Grunde zu nichts zu gebrauchen. Erst langsam kann sie die Mutter spielerisch an einige Lektionen zur Jagd heranführen. Oft gehen Muttertiere in dieser Phase auch Risiken
ein, um mehr oder größere Beutetiere zu erlegen. Verletzt sich die Mutter dabei, ist oft nicht nur ihr, sondern auch das Überleben ihres Nachwuchses bedroht. Das gleiche gilt, wenn Raubtiere oder erwachsene Artgenossen dem Nachwuchs nachsetzen. Die Vehemenz, mit der das vergleichsweise kleine Muttertier ihren Nachwuchs gegen einfach jeden Feind verteidigt, verdient zweifellos Anerkennung – und ist zudem meist erfolgreich.
Doch wenn alles gutgeht, lernen die Jungtiere irgendwann nicht nur, wann sie besser auf den Baum klettern oder anderweitig das Weite suchen, sondern auch die grundlegenden Jagdtechniken. Diese ahmen sie nach und üben sie an von der Mutter oft lebendig herbeigebrachten Beutetieren. Das ist zwar grausam, aber erst wenn die Jungtiere sämtliche zum Überleben notwendigen Techniken beherrschen, können sie etwa im Alter von eineinhalb Jahren ihre eigenen Wege gehen – und das ist bei aller Mutterliebe irgendwann auch im Katzenreich im beiderseitigen Interesse.
Was können wir lernen?
Ein Katzenleben ist mit Sicherheit nicht immer einfach. Doch der Leopard jagt und frisst, wenn er Hunger hat. Was ihm wichtig und teuer ist, das verteidigt er mit großer Leidenschaft, wenn es sein muss. Er ist clever. Ansonsten steht er über den Dingen und genießt die schönen Momenten des Lebens, schärft die Krallen, beobachtet seine Beute, widmet sich der Schönheitspflege seines Fells. Er erklimmt Hindernisse und Bäume stets mit größter vorstellbarer Eleganz und Selbstsicherheit. Sind das nicht Charakterzüge, die auch jedem Menschen gut zu Gesicht stünden?
Es braucht keinen Leopardenpelz, um sich ein paar dieser Eigenheiten als gute Vorsätze anzueignen. Nur für die Sache mit dem Stellreflex fehlen uns dann doch die wichtigen Katzengene: Nachahmung nicht empfohlen! <