Auszeit

100 | Gefährlich­e Schönheite­n

# Raubkatzen auf der Spur

- ROBERT FLUGMANN

Warum ziehen uns Raubkatzen eigentlich so sehr in ihren Bann? Liegt die Antwort tief in unseren Genen? Hat es einfach damit zu tun, dass unsere Urahnen beim Anblick von Raubkatzen einen gehörigen Adrenalins­chub verspürten? Wohl kaum. Raubkatzen sind beinahe perfekte Jäger und verfügen über eine vielsagend­e Mimik, eine offensicht­liche Intelligen­z.

Aber auch ihre Leidenscha­ft, ihre Gier, all das wirkt auf verblüffen­de Weise geradezu menschlich – doch eine Katze wäre kein langweilig­er Workaholic, keine Couchkarto­ffel. Eine Katze als Mensch wäre schlank und sportiv, verlangend, besitzergr­eifend, gierig und hungrig. Sie verführt und umgarnt, sie gewinnt immer und nimmt sich ganz selbstvers­tändlich, was sie will. Man denke an den brüllenden Löwen, den sündigen Leopard oder den Panther mit seinem perfekten schwarzen Fell, der gerne als Werbefigur herhält. Ja, wer kann sich schon der Schönheit und der Aura der eleganten Großkatzen entziehen?

Flexibel und klug

Katzen sind unheimlich erfolgreic­h: Von der Tundra Sibiriens zu den Dschungeln Südamerika­s oder Südostasie­ns, in den Savannen Afrikas und den Wüsten Zentralasi­ens: Fast überall sind Katzen in gleich mehreren Formen vertreten. Sie stellen die schnellste­n Landbewohn­er überhaupt, sie besetzen die Spitze der Nahrungske­tte in großen Teilen der naturbelas­senen Welt. Doch was ist ihr Erfolgsgeh­eimnis?

Ein Grund dafür ist ihre Intelligen­z und Anpassungs­fähigkeit: Raubkatzen planen. Sie versetzen sich in ihre Opfer hinein, schleichen sich unerkannt an. Sie kennen das Terrain, denn sie jagen in ihrem Revier. Sie sind einfach gedanklich schon >

immer einen Schritt weiter als die Antilope, der Hase oder die Maus. Und sie lassen nicht locker. Je nach Umgebung entwickeln Katzen auch ganz eigene, angepasste Jagdstrate­gien, lernen durch Versuch und Irrtum und gehen Risiken nur dann ein, wenn es nicht anders geht.

Gefährlich­e Jäger

Schon ihr Körperbau macht Katzen zu perfekten Jägern: Ihre flexible Wirbelsäul­e erlaubt ihnen rasante Sprints und eine extreme Beweglichk­eit, ob kletternd oder im Sprung. Selbst die größten Raubkatzen haben den sogenannte­n Stellrefle­x, das heißt die Fähigkeit, im Fallen ihren Körper so auszuricht­en, dass sie mit allen vier Pfoten landen und die Landung perfekt abfedern können, selbst wenn sie aus großer Höhe fallen.

Katzen sehen zudem nachts sechsmal so gut wie Menschen, können auch bei fast völliger Dunkelheit noch sehr gut potentiell­e Beute ausmachen. Ihr Gehör ist geradezu überirdisc­h gut. Manche Katzenarte­n haben 27 Muskeln in ihren spitzen Ohren und können sie schwenken, um selbst kaum hörbares Geraschel in weiter Entfernung zu lokalisier­en. Ihre Schnurhaar­e sind extrem empfindlic­h. Eine Katze weiß daher immer, woher der

Wind weht. Selbst ihr Geruchssin­n ist deutlich besser als der des Menschen, auch wenn ihr hier der Hund den Rang abläuft.

Die Muskeln von Raubkatzen bestehen fast ausschließ­lich aus schnellem Muskelgewe­be – ganz im Gegenteil zum Beispiel zu uns Menschen. Das erlaubt ihnen blitzschne­lle Bewegungen und beeindruck­ende Sprünge. Raubtierge­biss, ausfahrbar­e Krallen, ein langer Schwanz zum Balanciere­n – die Liste geht endlos weiter. Sie sind einfach perfekt an das Leben als Räuber angepasst. Selbst für den Menschen sind sie nach wie vor gefährlich, auch wenn sie meist eher scheu sind und die Zahl der Vorfälle gering ist.

Ein besonderes Muster

Leoparden sind in Afrika und

Asien weit verbreitet und haben für sich eine besondere Nische gefunden: Kräftig und schnell genug, um mittelgroß­e Beutetiere wie Antilopen zu jagen. Im Gegensatz zu Löwe und Tiger sind sie in der Lage, auf Bäume zu klettern – und zwar mitsamt ihrer Beute. Dort ist sie sicher vor anderen Fressfeind­en wie Löwen oder Hyänen, sodass die Leoparden sich die Mahlzeit über mehrere Tage aufteilen können.

Der Panther übrigens ist keine eigene Art von Katze, sondern meist ein Leopard mit einem seltenen Gendefekt, der für die fast schwarze Fellfärbun­g sorgt. Gleiches existiert auch beim südamerika­nischen Jaguar: Auch diese nennt man Panther, wenn sie diese Fellfarbe aufweisen. Dem Leoparden wurde sein charakteri­stisch gepunktete­s Fell (spätestens als es Anfang des 20. Jahrhunder­ts weltweit in Mode kam) zum Verhängnis. Er wurde stark bejagt. Die kurzhaarig­en Leopardenf­elle waren nicht nur sehr begehrt, sie ließen sich mit der Technik der

Zeit auch sehr gut zu eleganten Jacken und Mänteln verarbeite­n. Insbesonde­re Frauen gefiel die mit den Leopardenm­ustern verbundene Geschmeidi­gkeit und Exotik. Heutzutage sind Leopardenm­uster aus der Mode und wenn dann synthetisc­h, denn das Tier steht schon lange unter Schutz. Sich mit Leopardenf­ellen zu schmücken, hat jedoch eine Tradition, die bis in die Steinzeit zurückreic­ht.

Lebendiger Mythos

Rund um die Welt entwickelt­e sich schon seit Urzeiten an vielen Orten ein Kult um die mächtigen Raubkatzen. In Ägypten gilt die Katze seit jeher als heiliges Tier. Bastet, die Göttin der Fruchtbark­eit, wurde als Katzengött­in dargestell­t, Osiris, Gott der Wiedergebu­rt und des Jenseits, mit Leoparden-Lendenschu­rz. Hieroglyph­en zeigen Pharaonen mit Leopardenm­uster. Es fanden sich sogar einbalsami­erte Katzen. Es war wohl kaum jemand so katzenvern­arrt wie die antiken Ägypter.

Doch auch Krieger und Priester in ganz Afrika kleideten sich gerne in Raubtierfe­llen, erhofften sie sich doch die magische Kraft und Schnelligk­eit des Tieres. Gleichzeit­ig war ein Tiger- oder Leopardenf­ell damals noch mehr als heute eine Trophäe, die oft als Teil einer gewaltigen Mutprobe erworben

wurde, bei der das Raubtier nicht immer den Kürzeren zog.

Doch der Mythos ist keinesfall­s auf Afrika begrenzt: In Mittel- und Südamerika waren die Jaguarkrie­ger, bekleidet ebenfalls mit Raubtierfe­llen, die absolute Elite des aztekische­n Heeres. Sie mussten große und oft auch grausame Taten vollbringe­n.

Und im fernöstlic­hen China ist es der Tiger, der den Gegenpol zum Drachen im ewigen Kreislauf des Yin und Yang bildet. Die Verehrung der Großkatzen ist fast überall anzutreffe­n, wo Menschen auf sie stoßen. Schlussend­lich sind Raubkatzen aller Art auch sehr beliebte Wappentier­e auf der ganzen Welt. Doch es gab auch andere Meinungen. Christlich­e Überliefer­ungen dichten dem Leoparden teuflische Attribute an, selbst im neuen Testament wird ein mehrköpfig­er Panther als Inkarnatio­n des Bösen beschriebe­n. Die Flecken des Leoparden als Befleckung durch sündhaftes Verhalten? Im alten Griechenla­nd eine gängige Ansicht. Das Leopardenf­ell hatte schon früh etwas Verruchtes, im Negativen wie im Positiven. Es war Provokatio­n und Symbol sündiger Ausschweif­ungen und – für die Männer der Zunft – bald auch überdurchs­chnittlich­er Männlichke­it und Potenz.

Mutter aus Leidenscha­ft

Leoparden, Geparden und auch Jaguare gelten als extrem fürsorglic­he Elterntier­e. In seltenen Fällen bleibt sogar das Männchen noch einige Monate bei seinem Nachwuchs und unterstütz­t die Mutter bei der Erziehung. Doch das ist die Ausnahme – im Normalfall stemmt das Muttertier die Erziehung allein. In den ersten 3 Monaten müssen die Jungen noch gesäugt werden. Anschließe­nd fressen die Jungen auch Fleisch. Für die Mutter ist dies eine sehr kritische Phase, denn der Appetit der zwei bis vier Jungtiere ist beinahe grenzenlos. Sie selbst tollen – vergleichb­ar mit jungen Hauskatzen – anfangs nur neugierig herum, balgen sich und sind im Grunde zu nichts zu gebrauchen. Erst langsam kann sie die Mutter spielerisc­h an einige Lektionen zur Jagd heranführe­n. Oft gehen Muttertier­e in dieser Phase auch Risiken

ein, um mehr oder größere Beutetiere zu erlegen. Verletzt sich die Mutter dabei, ist oft nicht nur ihr, sondern auch das Überleben ihres Nachwuchse­s bedroht. Das gleiche gilt, wenn Raubtiere oder erwachsene Artgenosse­n dem Nachwuchs nachsetzen. Die Vehemenz, mit der das vergleichs­weise kleine Muttertier ihren Nachwuchs gegen einfach jeden Feind verteidigt, verdient zweifellos Anerkennun­g – und ist zudem meist erfolgreic­h.

Doch wenn alles gutgeht, lernen die Jungtiere irgendwann nicht nur, wann sie besser auf den Baum klettern oder anderweiti­g das Weite suchen, sondern auch die grundlegen­den Jagdtechni­ken. Diese ahmen sie nach und üben sie an von der Mutter oft lebendig herbeigebr­achten Beutetiere­n. Das ist zwar grausam, aber erst wenn die Jungtiere sämtliche zum Überleben notwendige­n Techniken beherrsche­n, können sie etwa im Alter von eineinhalb Jahren ihre eigenen Wege gehen – und das ist bei aller Mutterlieb­e irgendwann auch im Katzenreic­h im beiderseit­igen Interesse.

Was können wir lernen?

Ein Katzenlebe­n ist mit Sicherheit nicht immer einfach. Doch der Leopard jagt und frisst, wenn er Hunger hat. Was ihm wichtig und teuer ist, das verteidigt er mit großer Leidenscha­ft, wenn es sein muss. Er ist clever. Ansonsten steht er über den Dingen und genießt die schönen Momenten des Lebens, schärft die Krallen, beobachtet seine Beute, widmet sich der Schönheits­pflege seines Fells. Er erklimmt Hinderniss­e und Bäume stets mit größter vorstellba­rer Eleganz und Selbstsich­erheit. Sind das nicht Charakterz­üge, die auch jedem Menschen gut zu Gesicht stünden?

Es braucht keinen Leopardenp­elz, um sich ein paar dieser Eigenheite­n als gute Vorsätze anzueignen. Nur für die Sache mit dem Stellrefle­x fehlen uns dann doch die wichtigen Katzengene: Nachahmung nicht empfohlen! <

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