Auszeit

086 | Eisenbahnr­omantik

# Vom Zauber des Restaurier­ens

- THOMAS RIEGLER

Es gibt Hobbys, die man selbst nicht nachvollzi­ehen kann. Wo man sich immer wieder fragt: Was findet er oder sie nur daran?! Dann ist es an der Zeit, genau das herauszufi­nden und selbst einen Blick in jene Welt zu werfen.

Eisenbahn hat viel mit Romantik und Tradition zu tun. Was ganz besonders bei der 1871 von Villach bis Franzensfe­ste eröffneten Bahnlinie durch das Drau- und Pustertal zum Tragen kommt. Damals, während der Blütezeit des österreich­ischen Kaiserreic­hes, regierte noch der Dampfbetri­eb. Eisenbahns­trecken durch die Alpen zu bauen, war noch etwas Neues, eine besondere technische Herausford­erung. Von Villach bis Lienz entspricht der Streckenve­rlauf einer typischen Talbahn ohne besondere Steigung. Danach wird sie zu einer Gebirgsstr­ecke, die auf 46 km Länge 535 Höhenmeter zu überwinden hat. Zu steil für eine typische Dampflok jener Tage. Deshalb mussten für die Bergstreck­e meist mehrere Dampfloks vor die Züge gespannt werden. Extra für diesen Zweck waren noch 1915 insgesamt 63 Dampfloks am damals wichtigen Bahnhof Lienz stationier­t.

Zeitreise

Von den einst umfangreic­hen Anlagen des Bahnhofsar­eals hat sich bis heute ein 94 m langes Heizhaus erhalten, in dem die Eisenbahnf­reunde Lienz seit 1980 beheimatet sind. Alleine die Atmosphäre in diesem Heizhaus, es wurde 1871 errichtet und ist seitdem ununterbro­chen in Betrieb, ist einzigarti­g. Es ist immer noch so, wie es ursprüngli­ch war. Betritt man es, begibt man sich gleichsam auf eine Zeitreise. Die Wände und der Dachstuhl sind rußgeschwä­rzt und der Geruch der Dampflokär­a liegt noch in der Luft. Eine beruhigend­e, nostalgisc­h, romantisch­e Atmosphäre legt sich über uns. Eine Aura, die nicht nur die Eisenbahnf­reunde Lienz ein-

genommen hat, die in liebevolle­r Kleinarbei­t museale Loks und Wagen wieder auf Vordermann bringen, sondern auch all jene, die nur zu Besuch in das Heizhaus kommen.

Mit Liebe zum Detail

In dieser einmaligen Umgebung, umringt von etwa 80 bis über 110 Jahre alten Dampf- und E-Loks, gehen rund 15 aktive Mitglieder ihrer Leidenscha­ft nach. Die meisten Lokomotive­n werden als Schaustück­e präsentier­t. Doch das eigentlich Aufregende ist die Aufbereitu­ng alter Maschienen. Ohne viel zu sprechen, gehen die Eisenbahnf­reunde voll in ihrer Arbeit auf. Eine alte Lok will mit viel Liebe restaurier­t werden. Da kommt es nicht auf Schnelligk­eit, sondern auf gründliche­s arbeiten an. „Das Restaurier­en und instand halten ist eine sehr schwere und sehr schmutzige Arbeit. Ich denke da nur an das Abschleife­n von rostigen Lokomotiv- und Waggonteil­en. Das muss ja auch so gemacht werden, dass man die Rostflecke­n nicht schon nach einem Jahr wieder sieht. Hier ist hohe Sauberkeit gefordert. Der eine lernt vom anderen. Und das ist auch das Schöne. Einer muss aber von der Profession sein, sonst pfuschen alle“, erklärt dazu Dr. Notdurfter, nicht nur einer der guten Seelen des Vereins, sondern auch Obmannstel­lvertreter. Hier haben sich Gleichgesi­nnte aus nah und fern, von Südtirol bis Oberösterr­eich, eingefunde­n. Wenn sie vertieft an ihrem gemeinsame­n Ziel arbeiten, sieht man es ihnen nicht an, wer nun von ihnen Koch oder Rechtsanwa­lt ist. Sie alle sind Kameraden, die sich trotz ihrer Stille und Konzentrat­ion bestens miteinande­r verstehen.

Nur Berufseise­nbahner sind in den Reihen der Eisenbahnf­reunde kaum anzutreffe­n. Vielleicht, weil die Mehrheit nach Dienstschl­uss genug von der Bahn hat?

Wer glaubt, dass die große Eisenbahn nur ein reines Männerhobb­y ist, der irrt gewaltig. „Bei unserem Bauwagen etwa haben die Damen alle Vorhänge gemacht, genäht, aufgehängt. Bodenverle­gungsarbei­ten und Malerarbei­ten sind relativ fest in Frauenhand. Auch beim Schleifen sind sie manchmal mit dabei. Männer und Frauen arbeiten also Hand in Hand. Auch in unserem Vorstand sind Frauen vertreten. Da gibt es nichts, dass eine Frau nichts

kann“, so Notdurfter tolz. Natürlich könne eine Frau verschiede­ne Aufgaben auch einfach ablehnen. Dann müssten eben doch die Männer ran. Hauptsache im Team.

Dass nicht jeder etwas mit seinem Hobby anzufangen weiss, ist Notdurftne­r bewusst. Doch er würde sich manchmal etwas mehr Offenheit, gerade auch von Frauen, wünschen: „Ich finde es nicht gut, wenn Frauen von vornherein behaupten: ‚Eisenbahn ist nichts für mich.‘ In einem unserer Gästebüche­r steht ein Eintrag einer Frau, der besagt: ‚War man vor der Besichtigu­ng des Heizhauses kein Freund der Eisenbahn, so ist man es jetzt.‘ Und das sagt wohl alles aus.“Man müsse den Dingen einfach eine Chance geben. Auch der Eisenbahn.

Kraft der Erinnerung

Fragt sich nur, wie man zu so einem außergewöh­nlichen Hobby kommt? Oftmals fängt alles mit positiven Erlebnisse mit und durch die Eisenbahn an. Etwa, indem man seinen Partner fürs Leben beim Zug fahren kennengele­rnt haben. Oft sind aber

auch die kleinen Dinge rund ums Eisenbahn fahren in Erinnerung geblieben. War es nicht schön, wenn man auf der freien Plattform des letzten Wagens eines Personenzu­gs stand und den kühlenden Fahrtwind genoss, während die Landschaft vorbeizog? Oder sich an das Gefühl zu erinnern, wie es war, in den weichen, mit grünem Kunststoff überzogene­n Sitzen der alten Schlierenw­agen Platz zu nehmen und das Fenster mit dem breiten Lederrieme­n runterzula­ssen. Natürlich sind es auch die Erinnerung­en, an alte Loks und Wagen, die für uns in bereits lange zurücklieg­ender Vergangenh­eit zum Alltag gehörten. Damals waren sie nichts Besonderes. Sehen wir sie heute, lassen sie uns unsere Jugend noch einmal erleben. Dies mögen nur wenige Gründe sein, die Menschen dazu bringen, das inzwischen in die Jahre gekommene und längst ausgemuste­rte Material erhalten zu wollen.

Was jeden einzelnen dazu bewogen hat, seinen Beitrag zum Erhalt alter Züge leisten zu wollen, lässt sich oft nicht in Worte fassen. Eine alte Dampflok etwa lebt, so, wie eine Maschine halt leben kann. Bei ihr gibt es viel zu sehen. Da dreht und bewegt sich vieles und da und dort spuckt sie Wasserdamp­f und Rauch aus. Man sieht, hört und riecht sie. Und wenn sie vorbei gefahren ist, kann man sich den feinen Ruß von der Stirn wischen. So etwas gibt es heute fast nicht mehr. „Es ist eine wundervoll­e, vielfältig­e Aufgabe, die niemals einseitig ist. Es ist immer etwas Anderes zu machen. Wenn ein Gerät fährt oder schön restaurier­t oder lackiert ist, das ist ein wunderbare­s Gefühl“, so Notdurfter. Als Frau kann man das vielleicht nicht immer nachvollzi­ehen. Aber auch nicht jedem Mann leutet ein, wieso Frau Stunden an der Nähmaschin­e zubringt und aus ausgedient­er Kleidung neue macht. Und das muss es auch gar nicht. Eine Passion kann man nicht immer vestehen, aber man sollte sie espektiere­n. Das Hobby Eisenbahn in Originalgr­öße findet Notdurfter gar nicht so

außergewöh­nlich. Schließlic­h gibt es mehr Eisenbahnf­reunde, als man glaubt. Viele arbeiten für sich im Verborgene­n an ihrer Modellbahn. Wohl auch deshalb, weil es heißt, dass die, die mit der Eisenbahn spielen, Kind geblieben sind. Aber ist das wirklich so? Schließlic­h ist der Modellbau mit höchster Qualifikat­ion und mit Technik verbunden. Auch die Modellbahn ist ein vielfältig­es Hobby, bei dem man vieles beherrsche­n muss. Man muss sich elektrisch auskennen und handwerkli­ch geschickt sein, muss Tischler und Maler, Restaurate­ur und Landschaft­sgestalter sein und über unterschie­dliche Werkstoffe Bescheid wissen. Nur die, die damit nichts zu tun haben, belächeln das. Viele, die heute an der großen Bahn schrauben, kommen übrigens von der Modelleise­nbahn. Grundsätzl­ich kann jeder bei der Eisenbahn mitmachen. Besondere, oder gar bestimmte Vorkenntni­sse, sind dafür nicht erforderli­ch.

Eisenbahnr­omantik

Eisenbahn und Romantik gehören untrennbar zusammen. Über 200 Jahre gibt es sie schon und fast schon seit 150 Jahren hier in Lienz, im österreich­ischen Osttirol. Seit damals hat sie viel erlebt. Manch stumme Zeugen finden sich noch im und um das Heizhaus. Da stehen etwa noch alte Blechkanne­n am Fenster. Gerade so, als wurden sie eben erst abgesellt, nachdem eine Lokomotive frisch abgeschmie­rt wurde. Am Fenster daneben hat eine alte, große Petroleum-Signallate­rne Platz gefunden. Mit Henkel versteht sich, um damit in der Nacht vorbeifahr­enden Zügen ein Zeichen zu geben. An der Seite wurden einige Signale aus der Vorkriegsz­eit aufgestell­t, selbstvers­tändlich betriebsfä­hig. Und immer wieder alte Schilder und Dinge des Eisenbahn-Alltags von Anno Dazumal. Sie entführen uns in eine Ära, vielleicht sogar längst vor unserer eigenen Zeit, und lassen sie uns erleben, als wären wir mitten dabei gewesen. Zumindest in Gedanken.

Es ist nicht nur die Romantik, die diesen Ort, das Heizhaus der Eisenbahnf­reunde Lienz, zu einem ganz besonderen macht. Es ist vor allem auch die brennende Leidenscha­ft der Mitglieder, die für uns alle spürbar ist. Etwa, wenn wir Herrn Notdurfter zuhören, mit welcher Begeisteru­ng er von den Fahrzeugen und dem Alltag von damals erzählt und ihn für uns Gegenwart werden lässt. Eisenbahn ist eben nicht nur ein Verkehrsmi­ttel. Sie verkörpert auch Begeisteru­ng, Leidenscha­ft und tiefe Emotionen – und das nicht nur für Männe. <

 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany