086 | Eisenbahnromantik
# Vom Zauber des Restaurierens
Es gibt Hobbys, die man selbst nicht nachvollziehen kann. Wo man sich immer wieder fragt: Was findet er oder sie nur daran?! Dann ist es an der Zeit, genau das herauszufinden und selbst einen Blick in jene Welt zu werfen.
Eisenbahn hat viel mit Romantik und Tradition zu tun. Was ganz besonders bei der 1871 von Villach bis Franzensfeste eröffneten Bahnlinie durch das Drau- und Pustertal zum Tragen kommt. Damals, während der Blütezeit des österreichischen Kaiserreiches, regierte noch der Dampfbetrieb. Eisenbahnstrecken durch die Alpen zu bauen, war noch etwas Neues, eine besondere technische Herausforderung. Von Villach bis Lienz entspricht der Streckenverlauf einer typischen Talbahn ohne besondere Steigung. Danach wird sie zu einer Gebirgsstrecke, die auf 46 km Länge 535 Höhenmeter zu überwinden hat. Zu steil für eine typische Dampflok jener Tage. Deshalb mussten für die Bergstrecke meist mehrere Dampfloks vor die Züge gespannt werden. Extra für diesen Zweck waren noch 1915 insgesamt 63 Dampfloks am damals wichtigen Bahnhof Lienz stationiert.
Zeitreise
Von den einst umfangreichen Anlagen des Bahnhofsareals hat sich bis heute ein 94 m langes Heizhaus erhalten, in dem die Eisenbahnfreunde Lienz seit 1980 beheimatet sind. Alleine die Atmosphäre in diesem Heizhaus, es wurde 1871 errichtet und ist seitdem ununterbrochen in Betrieb, ist einzigartig. Es ist immer noch so, wie es ursprünglich war. Betritt man es, begibt man sich gleichsam auf eine Zeitreise. Die Wände und der Dachstuhl sind rußgeschwärzt und der Geruch der Dampflokära liegt noch in der Luft. Eine beruhigende, nostalgisch, romantische Atmosphäre legt sich über uns. Eine Aura, die nicht nur die Eisenbahnfreunde Lienz ein-
genommen hat, die in liebevoller Kleinarbeit museale Loks und Wagen wieder auf Vordermann bringen, sondern auch all jene, die nur zu Besuch in das Heizhaus kommen.
Mit Liebe zum Detail
In dieser einmaligen Umgebung, umringt von etwa 80 bis über 110 Jahre alten Dampf- und E-Loks, gehen rund 15 aktive Mitglieder ihrer Leidenschaft nach. Die meisten Lokomotiven werden als Schaustücke präsentiert. Doch das eigentlich Aufregende ist die Aufbereitung alter Maschienen. Ohne viel zu sprechen, gehen die Eisenbahnfreunde voll in ihrer Arbeit auf. Eine alte Lok will mit viel Liebe restauriert werden. Da kommt es nicht auf Schnelligkeit, sondern auf gründliches arbeiten an. „Das Restaurieren und instand halten ist eine sehr schwere und sehr schmutzige Arbeit. Ich denke da nur an das Abschleifen von rostigen Lokomotiv- und Waggonteilen. Das muss ja auch so gemacht werden, dass man die Rostflecken nicht schon nach einem Jahr wieder sieht. Hier ist hohe Sauberkeit gefordert. Der eine lernt vom anderen. Und das ist auch das Schöne. Einer muss aber von der Profession sein, sonst pfuschen alle“, erklärt dazu Dr. Notdurfter, nicht nur einer der guten Seelen des Vereins, sondern auch Obmannstellvertreter. Hier haben sich Gleichgesinnte aus nah und fern, von Südtirol bis Oberösterreich, eingefunden. Wenn sie vertieft an ihrem gemeinsamen Ziel arbeiten, sieht man es ihnen nicht an, wer nun von ihnen Koch oder Rechtsanwalt ist. Sie alle sind Kameraden, die sich trotz ihrer Stille und Konzentration bestens miteinander verstehen.
Nur Berufseisenbahner sind in den Reihen der Eisenbahnfreunde kaum anzutreffen. Vielleicht, weil die Mehrheit nach Dienstschluss genug von der Bahn hat?
Wer glaubt, dass die große Eisenbahn nur ein reines Männerhobby ist, der irrt gewaltig. „Bei unserem Bauwagen etwa haben die Damen alle Vorhänge gemacht, genäht, aufgehängt. Bodenverlegungsarbeiten und Malerarbeiten sind relativ fest in Frauenhand. Auch beim Schleifen sind sie manchmal mit dabei. Männer und Frauen arbeiten also Hand in Hand. Auch in unserem Vorstand sind Frauen vertreten. Da gibt es nichts, dass eine Frau nichts
kann“, so Notdurfter tolz. Natürlich könne eine Frau verschiedene Aufgaben auch einfach ablehnen. Dann müssten eben doch die Männer ran. Hauptsache im Team.
Dass nicht jeder etwas mit seinem Hobby anzufangen weiss, ist Notdurftner bewusst. Doch er würde sich manchmal etwas mehr Offenheit, gerade auch von Frauen, wünschen: „Ich finde es nicht gut, wenn Frauen von vornherein behaupten: ‚Eisenbahn ist nichts für mich.‘ In einem unserer Gästebücher steht ein Eintrag einer Frau, der besagt: ‚War man vor der Besichtigung des Heizhauses kein Freund der Eisenbahn, so ist man es jetzt.‘ Und das sagt wohl alles aus.“Man müsse den Dingen einfach eine Chance geben. Auch der Eisenbahn.
Kraft der Erinnerung
Fragt sich nur, wie man zu so einem außergewöhnlichen Hobby kommt? Oftmals fängt alles mit positiven Erlebnisse mit und durch die Eisenbahn an. Etwa, indem man seinen Partner fürs Leben beim Zug fahren kennengelernt haben. Oft sind aber
auch die kleinen Dinge rund ums Eisenbahn fahren in Erinnerung geblieben. War es nicht schön, wenn man auf der freien Plattform des letzten Wagens eines Personenzugs stand und den kühlenden Fahrtwind genoss, während die Landschaft vorbeizog? Oder sich an das Gefühl zu erinnern, wie es war, in den weichen, mit grünem Kunststoff überzogenen Sitzen der alten Schlierenwagen Platz zu nehmen und das Fenster mit dem breiten Lederriemen runterzulassen. Natürlich sind es auch die Erinnerungen, an alte Loks und Wagen, die für uns in bereits lange zurückliegender Vergangenheit zum Alltag gehörten. Damals waren sie nichts Besonderes. Sehen wir sie heute, lassen sie uns unsere Jugend noch einmal erleben. Dies mögen nur wenige Gründe sein, die Menschen dazu bringen, das inzwischen in die Jahre gekommene und längst ausgemusterte Material erhalten zu wollen.
Was jeden einzelnen dazu bewogen hat, seinen Beitrag zum Erhalt alter Züge leisten zu wollen, lässt sich oft nicht in Worte fassen. Eine alte Dampflok etwa lebt, so, wie eine Maschine halt leben kann. Bei ihr gibt es viel zu sehen. Da dreht und bewegt sich vieles und da und dort spuckt sie Wasserdampf und Rauch aus. Man sieht, hört und riecht sie. Und wenn sie vorbei gefahren ist, kann man sich den feinen Ruß von der Stirn wischen. So etwas gibt es heute fast nicht mehr. „Es ist eine wundervolle, vielfältige Aufgabe, die niemals einseitig ist. Es ist immer etwas Anderes zu machen. Wenn ein Gerät fährt oder schön restauriert oder lackiert ist, das ist ein wunderbares Gefühl“, so Notdurfter. Als Frau kann man das vielleicht nicht immer nachvollziehen. Aber auch nicht jedem Mann leutet ein, wieso Frau Stunden an der Nähmaschine zubringt und aus ausgedienter Kleidung neue macht. Und das muss es auch gar nicht. Eine Passion kann man nicht immer vestehen, aber man sollte sie espektieren. Das Hobby Eisenbahn in Originalgröße findet Notdurfter gar nicht so
außergewöhnlich. Schließlich gibt es mehr Eisenbahnfreunde, als man glaubt. Viele arbeiten für sich im Verborgenen an ihrer Modellbahn. Wohl auch deshalb, weil es heißt, dass die, die mit der Eisenbahn spielen, Kind geblieben sind. Aber ist das wirklich so? Schließlich ist der Modellbau mit höchster Qualifikation und mit Technik verbunden. Auch die Modellbahn ist ein vielfältiges Hobby, bei dem man vieles beherrschen muss. Man muss sich elektrisch auskennen und handwerklich geschickt sein, muss Tischler und Maler, Restaurateur und Landschaftsgestalter sein und über unterschiedliche Werkstoffe Bescheid wissen. Nur die, die damit nichts zu tun haben, belächeln das. Viele, die heute an der großen Bahn schrauben, kommen übrigens von der Modelleisenbahn. Grundsätzlich kann jeder bei der Eisenbahn mitmachen. Besondere, oder gar bestimmte Vorkenntnisse, sind dafür nicht erforderlich.
Eisenbahnromantik
Eisenbahn und Romantik gehören untrennbar zusammen. Über 200 Jahre gibt es sie schon und fast schon seit 150 Jahren hier in Lienz, im österreichischen Osttirol. Seit damals hat sie viel erlebt. Manch stumme Zeugen finden sich noch im und um das Heizhaus. Da stehen etwa noch alte Blechkannen am Fenster. Gerade so, als wurden sie eben erst abgesellt, nachdem eine Lokomotive frisch abgeschmiert wurde. Am Fenster daneben hat eine alte, große Petroleum-Signallaterne Platz gefunden. Mit Henkel versteht sich, um damit in der Nacht vorbeifahrenden Zügen ein Zeichen zu geben. An der Seite wurden einige Signale aus der Vorkriegszeit aufgestellt, selbstverständlich betriebsfähig. Und immer wieder alte Schilder und Dinge des Eisenbahn-Alltags von Anno Dazumal. Sie entführen uns in eine Ära, vielleicht sogar längst vor unserer eigenen Zeit, und lassen sie uns erleben, als wären wir mitten dabei gewesen. Zumindest in Gedanken.
Es ist nicht nur die Romantik, die diesen Ort, das Heizhaus der Eisenbahnfreunde Lienz, zu einem ganz besonderen macht. Es ist vor allem auch die brennende Leidenschaft der Mitglieder, die für uns alle spürbar ist. Etwa, wenn wir Herrn Notdurfter zuhören, mit welcher Begeisterung er von den Fahrzeugen und dem Alltag von damals erzählt und ihn für uns Gegenwart werden lässt. Eisenbahn ist eben nicht nur ein Verkehrsmittel. Sie verkörpert auch Begeisterung, Leidenschaft und tiefe Emotionen – und das nicht nur für Männe. <