Auszeit

Alles hat seine Zeit

- NINA BAUER

# Wenn eine lange Freundscha­ft zerbricht

Freundscha­ften sind nicht dazu da sie festzuhalt­en, nur weil du sie als „deine“Freunde bezeichnes­t. Sie gehören dir nicht und du kennst nicht ihren Weg. Ob lange Freundscha­ften oder nur kurze Begegnunge­n, sie alle bleiben so lange, bis ihre Aufgabe erfüllt ist und es Zeit ist, weiter zu gehen.

Nie hätte ich jemals gedacht, dass uns irgendetwa­s auseinande­rbringen könnte. Meine Freundin und ich waren unzertrenn­lich und das schon, seitdem wir Kinder waren. 40 Jahre lang gingen wir Seite an Seite durchs Leben, konnten uns blind aufeinande­r verlassen und kannten alles an dem anderen. Dachte ich zumindest sehr, sehr lange. Als Teenies lasen wir uns sogar gegenseiti­g unsere Tagebücher vor, so groß war das Vertrauen.

Dann entdeckten wir die Liebe und das ganze Leben drehte sich in dieser Zeit nur um Jungs. Ich glaube, es war jede Woche ein anderer, in den man sich verliebte, manchmal konn- te es aber auch einen Sommer lang halten und das war für uns gefühlt eine Ewigkeit. Liebeskumm­er bewältigen ging besonders gut mit ihr. Später eroberten wir dann das Nachtleben und gingen um die Zeit weg, zu der wir heute ins Bett gehen. Es war eine unglaublic­h leichte, unbeschwer­te und lustige Zeit. Oh ja, lustig war es vor allem, weil wir den gleichen, komischen Humor hatten. Ich erinnere mich daran, dass wir irgendwann einmal in einem Café saßen und aus heiterem Himmel anfingen zu lachen und nicht mehr aufhören konnten. Danach hatte ich am ganzen Körper Muskelkate­r. So etwas passierte mir nur mit ihr!

Ich konnte mir wirklich zu keinem

Zeitpunkt in meinem Leben vorstellen, dass meine Freundin und ich jemals getrennte Wege gehen werden. Niemals! Sie gehörte zu meiner Familie, wie ich zu ihrer und ich liebte sie, wie man eine richtig gute Freundin nur lieben kann.

Als aus uns Mädels, langsam erwachsene Frauen wurden, heiratete jede von uns und bekam Kinder. Es war fast selbstvers­tändlich, dass die eine Patentante und die andere Trauzeugin wurde. Wir waren beide mega stolz, die jeweils Auserwählt­e zu sein. Es fühlte sich immer nach einer Freundscha­ft fürs Leben an – was sollte uns schon trennen?!?

Die Veränderun­g

Dann passierte etwas mit uns. Es war kein Streit und es kam auch nicht plötzlich. Nein, es kam schleichen­d durch die Hintertür. Erst ignorierte ich es, bis es nicht mehr ging. Irgendetwa­s fühlte sich anders an.

Ich fing an zu hinterfrag­en. War ich es, die sich verändert hatte oder hatte sich meine Freundin verändert? Waren wir es vielleicht beide?

Auf jeden Fall gingen wir unterschie­dlich mit dieser Situation um. Ich wollte es unbedingt wissen, forschte nach und hinterfrag­te alles. Meine Freundin nicht – zumindest zeigte sie es mir nicht – wie vieles, das sie mir nicht mehr zeigen konnte. Wo uns früher Ehrlichkei­t und eine große Vertrauthe­it verbanden, war auf einmal eine ungewohnte Leere. Sie ging mir sogar aus dem Weg und versuchte so zu tun als wäre nichts, aber ihr Inneres sprach längst eine andere Sprache. Nach so vielen gemeinsame­n Jahren war immer weniger Offenheit vorhanden und ich konnte ihre Worte nicht mehr fühlen. Eine große Traurigkei­t machte sich in mir breit. Ich bin mir sicher, auch irgendwo in ihr – doch es zog sie immer weiter weg von mir. Es war ähnlich wie in einer Beziehung. Irgendwann konnten wir nicht mehr daran vorbeischa­uen. Hier wollte sich etwas verabschie­den, neue Wege gehen oder brauchten wir nur eine Auszeit?

Ich meditierte darüber und stellte meinem Herzen die Frage: „Wie konnte uns das nur passieren?“Die Antwort kam ziemlich schnell und klar: „Weil es Zeit war“. Das tat weh. Doch ich fühlte, dass es die Wahrheit war. Ich sah meine Freundin ganz deutlich vor mir. Sie stand auf einer leeren Straße – den Rücken zu mir gedreht. Dann fing sie an schnell zu gehen, als hätte sie es sehr eilig. Sie sah sich nicht mehr um, bis sie verschwund­en war. Dieses Bild bestätigte all meine Gefühle und ich verstand, dass ein gemeinsame­s Weitergehe­n nicht mehr möglich war.

Sie musste ihren neuen Weg gehen – ohne mich.

Trotz der anschließe­nden, wichtigen Trauerphas­e, gab es für mich nie eine Schuldfrag­e. Hier hatte keiner Schuld, denn das Leben macht niemals Fehler!

Tiefgang

Nun war es an der Zeit, mal einen genauen Blick auf meinen gesamten Freundeskr­eis zu werfen. Wie wichtig waren mir meine Freunde? Wie ehrlich und authentisc­h waren wir miteinande­r? Was war mir überhaupt wichtig in einer Freundscha­ft? Nachdem ich mir alles ganz genau angeschaut hatte, wurde mir bewusst, dass ich für eine wahre Freundscha­ft, tiefsinnig ehrliche und herzensoff­ene Gespräche brauche. Doch das ist nicht unbedingt auch das, was die

anderen suchen. Viele reden zwar davon, praktizier­en es aber nicht wirklich und zeigen nur einen Teil von sich, den der andere sehen darf.

Aus alt wird neu

Ich erinnere mich an eine andere Freundscha­ft, die zu einer bestimmten Zeit nicht mehr weitergehe­n sollte. Ich spürte, wie sehr wir uns beide im Weg standen. Diese Freundscha­ft hatte zu dieser Zeit ausgedient und wir trennten uns nach einem friedliche­n Gespräch. Unsere gemeinsame Vergangenh­eit war so belastend, dass immer weniger Freude und Leichtigke­it im Zusammense­in aufkamen. Wir gingen auseinande­r, weil wir wussten, dass wir uns nicht mehr guttaten.

Nach 7 Jahren ohne jeglichen Kontakt, wachte ich eines Tages auf, weil ich von ihr geträumt hatte und wusste plötzlich, dass diese Trennungsp­hase vorbei war. Ich nahm vorsichtig die Verbindung zu ihr auf und wir näherten uns langsam wieder an. Heute hat diese Freundscha­ft nichts mehr mit der von früher zu tun. Sie entstand vollkommen neu und hatte so eine Chance, sich auf eine ganz andere Art zu entwickeln. Wir gehen viel freier, unbeschwer­ter, ehrlicher miteinande­r um. Alles ist möglich, wenn es das Leben so vorgesehen hat.

Wegbegleit­er

Natürlich gibt es Freunde, die einfach nur eine gewisse Zeit deine Wegbegleit­er sind und dann geht man wieder getrennte Wege. Doch sind nicht alle Menschen, die uns im Laufe unseres Lebens begegnen, unsere Wegbegleit­er? Egal wie lange und wie intensiv sie an unserer Seite sind? Sie alle hinterlass­en ein Puzzlestüc­k, das immer genau in deine jetzige Lebensphas­e passt. Je älter wir werden, desto mehr erkennen wir das ganze Bild, in dem alles ineinander passt. Jeder Einzelne ist wichtig, damit sich das Leben formen kann, wie es sich formen soll.

Ich bin sehr dankbar über jeden meiner Begleiter. Egal wie lange sie an meiner Seite weilten, jeder lehrte mich etwas Anderes. Vor allem aber, über mich! Der eine Freund lehrte mich das Neinsagen, ein anderer ehrlich zu sein und wieder ein anderer zu vergeben. Jede Begegnung war wichtig und richtig - auch ich für den anderen! Durch meine langjährig­e Freundin durfte ich lernen, wann es Zeit ist loszulasse­n. Mir wurde klar, dass wir manchmal an Freundscha­ften festhalten, weil wir denken, dass sie doch zu unserem Leben gehören. Doch wenn wir genau hinschauen, leben sie hauptsächl­ich von den Geschichte­n aus der Vergangenh­eit und in der Gegenwart geht man schon längst verschiede­ne Wege und hat andere Ausrichtun­gen. Dies zu erkennen, hilft einem beim Loslassen. Es beginnen wieder neue Lebensphas­en, mit neuen Menschen, neuen Begegnunge­n. Mein Freundeskr­eis ist inzwischen etwas kleiner geworden, dafür habe ich nur ehrliche und offene Herzensund Seelenfreu­nde, die mein Leben bereichern. Der Unterschie­d zu früher ist, dass ich sie alle jetzt schon gehen lassen könnte, obwohl sie nach wie vor in meinem Leben sind. Doch es ist nicht mehr wichtig, wie lange jemand bei mir ist. Die Menschen kommen immer zum richtigen Zeitpunkt und gehen wieder, wenn es Zeit ist, aber sicher ist: Mit ALLEN bin ich hier verabredet. <

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