Auszeit

Weißes Gold

Zwischen heilender Kraft und besonderer Schönheit

- FRANCES SCHLESIER

# Salz und seine heilenden Kräfte

Salz ist für uns heute etwas völlig Banales: billig und auch in größeren Mengen jederzeit und überall zu haben. Dabei vergessen wir nur zu schnell, dass die kleinen weißen Kristalle für uns lebenswich­tig sind – und dass sie einst so wertvoll waren wie pures Gold.

Hast du dir schon einmal ganz bewusst angeschaut, wie Salz eigentlich aussieht? Es in die Hand genommen, befühlt und seine Struktur studiert? Die Wenigsten von uns können diese Frage vermutlich mit „Ja“beantworte­n. Denn für die meisten Menschen ist Salz vollkommen belanglos. Ein Massenprod­ukt, überall schon für knapp 50 Cent pro Kilo zu haben und in jedem Haushalt anzutreffe­n. Ganz selbstvers­tändlich werfen wir die kleinen Kristalle in den Kopchtopf oder zaubern daraus wohltuende Peelings für eine rosige Haut. Salz ist omnipräsen­t, immer verfügbar und damit ein ziemlich gewöhnlich­es Produkt, dem wir kaum Beachtung schenken. Und das, obwohl Salz nicht nur lebenswich­tig für unseren Körper ist, sondern einst auch Macht und Reichtum verhieß.

Ohne geht es nicht

Im Bestreben nach einer gesünderen Ernährung nehmen wir uns zwar gern vor, unseren meist zu hohen Salz-Konsum zu reduzieren, gänzlich einstellen können wir ihn aber nicht. Denn unser Körper braucht die Kraft der im Salz enthaltene­n Mineralien, um richtig arbeiten zu können. Ob in unseren Knochen, unserem Blut oder auch unseren Muskeln – überall sind die kleinen Kristalle in die komplexen Prozesse unseres Körpers eingebunde­n, die ihn zu den Leistungen befähigen, die er rund um die Uhr vollbringt. Und die sind erstaunlic­h. Um so wichtiger ist es daher, den täglichen Verlust durch Schweiß, Tränen oder auch den Gang zur Toilette wieder auszugleic­hen. Drei bis sechs Gramm sollten es sein, um den Salzgehalt im Körper auf dem richtigen Level zu halten, damit unser Wasserhaus­halt funktionie­rt oder auch unser Blutkreisl­auf reibungslo­s arbeiten können.

Wie wichtig Salz für unsere Gesundheit und unser Wohlbefind­en ist, war schon zahlreiche­n Zivilisati­onen der Antike bekannt.

Ägypter, Sumerer, Römer – sie alle wussten zu schätzen, was ihnen die kleinen Kristalle brachten. Dabei spielte damals vor allem auch das Konservier­en von Speisen eine zentrale Rolle im Alltag der Menschen. Denn mit einer ordentlich­en Schicht Salz ließen sich Fleisch oder auch Fisch haltbar machen. In Zeiten, in denen an einen Kühl- und Gefriersch­ank noch nicht einmal zu denken war, wurde Pökeln zu einem Mittel, die Lebensqual­ität vor allem der Unter- und Mittelschi­cht erheblich zu steigern. Kein Wunder also, dass beispielsw­eise die Römer auch von staatliche­r Seite einen gewissen Antrieb entwickelt­en, die gesamte Bevölkerun­g mit Salz zu versorgen – und das zu Preisen, die sich auch die einfachen Menschen leisten konnten. So hielt schon der römische Gelehrte und Staatsmann Cassiodor vor über 1500 Jahren fest, dass der Mensch zwar ohne Gold, nicht aber ohne Salz leben könne.

Das weiße Gold

Das Gold war es aber am Ende, das dem Salz zu seiner hervorgeho­benen Stellung in der Geschichte verholfen hat. Denn die ungeheure Nachfrage nach den kleinen weißen Kristallen machte Salz zu einem wertvollen Gut, das den Handel florieren und bei den beteiligte­n Akteuren die Kasse klingeln ließ. Sogenannte Salzstraße­n entstanden, die die bedeutende­n Städte Euroaps, Arabiens und des Fernen Ostens miteinande­r verbanden und dem regen Warenausta­usch Auftrieb gaben. Und diejenigen reich machten, die diese Handelsrou­ten kontrollie­rten.

Die enormen Begehrlich­keiten, die das Salz weckte, machten es zu einem äußerst wertvollen Rohstoff, der schon bald als „weißes Gold“ bezeichnet wurde. Denn die kleinen Kristalle standen dem Edelmetall in ihrem Wert in nichts nach. So griffen die Römer beispielsw­eise zu der Taktik, ihre Soldaten oder auch Beamte mit Salz zu bezahlen, wenn nicht genug Geld in der Staatskass­e dafür zur Verfügung stand. Daher stammt auch die teils heute noch gebräuchli­che Bezeichnun­g „Salär“, wenn es um die Entlohnung von Arbeitslei­stungen geht. Denn der Begriff leitet sich vom lateinisch­en „Salarium“(von „sal“= Salz) ab, womit einst Salzration­en bezeichnet wurden. Die Bezahlung in Naturalien gehört längst der Vergangenh­eit an, der Begriff aber hat bis heute überlebt.

Auch im Mittelalte­r und der Neuzeit behielt das Salz seinen Status als „weißes Gold“bei. Denn wer damit Geschäfte machen konnte, erhielt Reichtum und auch Macht. So profitiert­en vor allem der Adel und auch Klöster von der hohen Nachfrage und der stetig steigenden Produktion, an der sie durch Zölle und stattliche Steuern ordentlich verdienten. Kein Wunder also, dass gerade die vornehmen Herrschaft­en

„Schon Pythagoras schrieb, dass das Salz von den reinsten Eltern geboren wird, der Sonne und dem Meer.“

zu fast allem bereit waren, um diese Stellung zu behaupten oder zu erlangen. So soll Heinrich der Löwe eine Brücke über die Isar zerstört haben, um den einträglic­hen Salzhandel künftig über München zu schleusen und somit die Gelder in seine eigene Schatulle zu bringen. Und zerstörte Brücken waren dabei noch die kleinsten Verbrechen, die im Namen des „weißen Goldes“begangen wurden.

Im 19. Jahrhunder­t verlor das Salz schließlic­h seinen Status. Durch die wissenscha­ftliche Erschließu­ng neuer Abbauvorko­mmen stieg das Angebot deutlich über die Nachfrage, die Preise fielen und Salz verkam zu dem günstigen Alltagsroh­stoff, der er heute für uns ist.

Sonne und Meer

Was sich dagegen kaum verändert hat, ist die Art, wie das kostbare

Gut gewonnen wird. Schon Pythagoras schrieb, dass das Salz von den reinsten Eltern geboren wird, der Sonne und dem Meer. Und das wird es auch heute noch: Beinahe überall auf der Welt lassen sich Salzgärten bestaunen, in denen – bis auf modernere Gerätschaf­ten – noch so Salz gewonnen wird, wie es einst schon die Menschen der Antike taten. Wer solch einen Garten schon einmal mit eigenen Augen gesehen hat, weiss um die schlichte Schönheit, die sich dem Auge da bietet: Eine weite Fläche direkt an der Küste, gegliedert in eine Vielzahl meist quadratisc­her Becken, die knöchelhoc­h mit Meerwasser gefüllt sind. Dazwischen dünne Stege aus sandfarben­em Gestein, die wie ein zartes Spinnenetz über der Wasserober­fläche liegen, die ganz ruhig die Farben des Himmels widerspieg­elt. Eingerahmt wird dieses Bild von der majestätis­chen Schönheit des Meeres, das sich bis zum Horizont erstreckt und bei gutem Wetter in einem satten Blau erstrahlt und mit seiner meist rauen Oberfläche einen herrlichen Kontrast bildet.

Ich selbst durfte diesen Anblick auf der Insel Gozo nahe Zebbug erleben. Nach einer abenteuerl­ichen Jeep-Tour quer über die Insel tauchte diese weite Ebene ganz unerwartet am Straßenran­d auf.

Der Anblick der Gegensätze war fasziniere­nd: Das raue Gestein, die

Wellen, die an die Küste brandeten und dazwischen die friedlich ruhenden Seen voller Meerwasser, die von der heißen Sonne langsam verdunsten, bis am Grund nur noch das Salz übrig bleibt. Je näher die Gärten dem Meer kommen, um so bereitwill­iger weicht die angelegte geometrisc­he Form der Becken auf und passt sich den Gegebenhei­ten der Natur an. Ecken werden rund, die Fläche schmaler und kleiner bis hinter dem nächsten Damm die unendliche Weite des Meeres kommt. Zu finden sind solche Salzgärten neben dem Mittelmeer beispielsw­eise auch an den Küsten der Bretagne und der kanarische­n Inseln. Doch auch im Chinesisch­en und Indischen Meer sowie in Mittel- und Südamerika wird auf diese Weise Salz gewonnen. Alles Gebiete also, in denen es viel Sonne, wenig Regen (sonst würde sich das gewonnene Salz direkt wieder auflösen) und einen hohen Salzgehalt im Wasser gibt.

Der Schatz im Gestein

So wie das Meerwasser durch die einzelnen Becken der Gärten geleitet wird, bis sich der darin enthaltene Schatz aus weißen Kristallen am Boden abgesetzt hat, so ist es auch ein fließender Prozess, der bei der Salzgewinn­ung unter Tage zum Einsatz kommt: In sogenannte­n Siedesalin­en wird heißes Süßwasser in die unterirdis­chen Steinsalzl­agerstätte­n gepumpt, wo es das Salz aufnimmt und fortträgt. Diese Sole wird anschließe­nd in großen Sidepfanne­n wieder eingedampf­t, bis am Ende nur noch das Salz übrig bleibt. Neben der Herstellun­g dieser Solelösung wird das Steinsalz in Steinbergw­erken auch auf klassische Art abgebaut. Mithilfe von Bohrungen

„ Schon der römische Gelehrte Cassiodor hielt fest, dass der Mensch zwar ohne Gold, nicht aber ohne Salz leben könne.“

und Sprengunge­n werden ganze Steinsalzb­löcke aus dem Bergmassiv gelöst, zerkleiner­t und an der Oberfläche mittels des Siedens von allen anderen Bestandtei­len befreit. Dabei entsteht ein Bild, dass in seiner Schönheit mit der der Salzgärten mithalten kann. Denn unter Tage entstehen rieisge Stollen und Höhlen aus weißem Gestein. Man hat das Gefühl, als befände man sich in einem Eispalast oder zwischen massiven Gletschern, deren Wände meterhoch neben einem emporragen. Ein Anblick, der Ehrfurcht und Verzückung zugleich auslöst und einem bewusst macht, was Mutter Natur alles kann.

Von Korn zu Korn

Mit diesem Wissen betrachtet man die kleinen weißen Körnchen mit ganz anderen Augen. Salz mag allgegenwä­rtig sein, belanglos ist es nicht. Das zeigt schon sein Äußeres. Während normales Kochsalz wenig Abwechslun­g bietet, zeigt die Betrachtun­g von grobem Meer- oder auch Himalayasa­lz, wie vielseitig es ist. Jedes „Körnchen“ist anders geformt, rundgeschl­iffen vom Wasser oder mit harten Kanten an Bruchstell­en. Sie sind unterschie­dlich in Form und Größe – und je nach Zusätzen auch in ihrer farblichen Intensität. Es lohnt sich, mal eine Tüte Salz vor sich auszubreit­en und die Körner ganz bewusst zu studieren. Wenn man sich dann noch vor Augen führt, was Salz unserem Körper alles Gutes tut, kann man kaum anders, als die kleinen Kristalle zu bewundern – für ihre Schönheit und die Kraft, die in ihnen steckt. <

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