Weißes Gold
Zwischen heilender Kraft und besonderer Schönheit
# Salz und seine heilenden Kräfte
Salz ist für uns heute etwas völlig Banales: billig und auch in größeren Mengen jederzeit und überall zu haben. Dabei vergessen wir nur zu schnell, dass die kleinen weißen Kristalle für uns lebenswichtig sind – und dass sie einst so wertvoll waren wie pures Gold.
Hast du dir schon einmal ganz bewusst angeschaut, wie Salz eigentlich aussieht? Es in die Hand genommen, befühlt und seine Struktur studiert? Die Wenigsten von uns können diese Frage vermutlich mit „Ja“beantworten. Denn für die meisten Menschen ist Salz vollkommen belanglos. Ein Massenprodukt, überall schon für knapp 50 Cent pro Kilo zu haben und in jedem Haushalt anzutreffen. Ganz selbstverständlich werfen wir die kleinen Kristalle in den Kopchtopf oder zaubern daraus wohltuende Peelings für eine rosige Haut. Salz ist omnipräsent, immer verfügbar und damit ein ziemlich gewöhnliches Produkt, dem wir kaum Beachtung schenken. Und das, obwohl Salz nicht nur lebenswichtig für unseren Körper ist, sondern einst auch Macht und Reichtum verhieß.
Ohne geht es nicht
Im Bestreben nach einer gesünderen Ernährung nehmen wir uns zwar gern vor, unseren meist zu hohen Salz-Konsum zu reduzieren, gänzlich einstellen können wir ihn aber nicht. Denn unser Körper braucht die Kraft der im Salz enthaltenen Mineralien, um richtig arbeiten zu können. Ob in unseren Knochen, unserem Blut oder auch unseren Muskeln – überall sind die kleinen Kristalle in die komplexen Prozesse unseres Körpers eingebunden, die ihn zu den Leistungen befähigen, die er rund um die Uhr vollbringt. Und die sind erstaunlich. Um so wichtiger ist es daher, den täglichen Verlust durch Schweiß, Tränen oder auch den Gang zur Toilette wieder auszugleichen. Drei bis sechs Gramm sollten es sein, um den Salzgehalt im Körper auf dem richtigen Level zu halten, damit unser Wasserhaushalt funktioniert oder auch unser Blutkreislauf reibungslos arbeiten können.
Wie wichtig Salz für unsere Gesundheit und unser Wohlbefinden ist, war schon zahlreichen Zivilisationen der Antike bekannt.
Ägypter, Sumerer, Römer – sie alle wussten zu schätzen, was ihnen die kleinen Kristalle brachten. Dabei spielte damals vor allem auch das Konservieren von Speisen eine zentrale Rolle im Alltag der Menschen. Denn mit einer ordentlichen Schicht Salz ließen sich Fleisch oder auch Fisch haltbar machen. In Zeiten, in denen an einen Kühl- und Gefrierschank noch nicht einmal zu denken war, wurde Pökeln zu einem Mittel, die Lebensqualität vor allem der Unter- und Mittelschicht erheblich zu steigern. Kein Wunder also, dass beispielsweise die Römer auch von staatlicher Seite einen gewissen Antrieb entwickelten, die gesamte Bevölkerung mit Salz zu versorgen – und das zu Preisen, die sich auch die einfachen Menschen leisten konnten. So hielt schon der römische Gelehrte und Staatsmann Cassiodor vor über 1500 Jahren fest, dass der Mensch zwar ohne Gold, nicht aber ohne Salz leben könne.
Das weiße Gold
Das Gold war es aber am Ende, das dem Salz zu seiner hervorgehobenen Stellung in der Geschichte verholfen hat. Denn die ungeheure Nachfrage nach den kleinen weißen Kristallen machte Salz zu einem wertvollen Gut, das den Handel florieren und bei den beteiligten Akteuren die Kasse klingeln ließ. Sogenannte Salzstraßen entstanden, die die bedeutenden Städte Euroaps, Arabiens und des Fernen Ostens miteinander verbanden und dem regen Warenaustausch Auftrieb gaben. Und diejenigen reich machten, die diese Handelsrouten kontrollierten.
Die enormen Begehrlichkeiten, die das Salz weckte, machten es zu einem äußerst wertvollen Rohstoff, der schon bald als „weißes Gold“ bezeichnet wurde. Denn die kleinen Kristalle standen dem Edelmetall in ihrem Wert in nichts nach. So griffen die Römer beispielsweise zu der Taktik, ihre Soldaten oder auch Beamte mit Salz zu bezahlen, wenn nicht genug Geld in der Staatskasse dafür zur Verfügung stand. Daher stammt auch die teils heute noch gebräuchliche Bezeichnung „Salär“, wenn es um die Entlohnung von Arbeitsleistungen geht. Denn der Begriff leitet sich vom lateinischen „Salarium“(von „sal“= Salz) ab, womit einst Salzrationen bezeichnet wurden. Die Bezahlung in Naturalien gehört längst der Vergangenheit an, der Begriff aber hat bis heute überlebt.
Auch im Mittelalter und der Neuzeit behielt das Salz seinen Status als „weißes Gold“bei. Denn wer damit Geschäfte machen konnte, erhielt Reichtum und auch Macht. So profitierten vor allem der Adel und auch Klöster von der hohen Nachfrage und der stetig steigenden Produktion, an der sie durch Zölle und stattliche Steuern ordentlich verdienten. Kein Wunder also, dass gerade die vornehmen Herrschaften
„Schon Pythagoras schrieb, dass das Salz von den reinsten Eltern geboren wird, der Sonne und dem Meer.“
zu fast allem bereit waren, um diese Stellung zu behaupten oder zu erlangen. So soll Heinrich der Löwe eine Brücke über die Isar zerstört haben, um den einträglichen Salzhandel künftig über München zu schleusen und somit die Gelder in seine eigene Schatulle zu bringen. Und zerstörte Brücken waren dabei noch die kleinsten Verbrechen, die im Namen des „weißen Goldes“begangen wurden.
Im 19. Jahrhundert verlor das Salz schließlich seinen Status. Durch die wissenschaftliche Erschließung neuer Abbauvorkommen stieg das Angebot deutlich über die Nachfrage, die Preise fielen und Salz verkam zu dem günstigen Alltagsrohstoff, der er heute für uns ist.
Sonne und Meer
Was sich dagegen kaum verändert hat, ist die Art, wie das kostbare
Gut gewonnen wird. Schon Pythagoras schrieb, dass das Salz von den reinsten Eltern geboren wird, der Sonne und dem Meer. Und das wird es auch heute noch: Beinahe überall auf der Welt lassen sich Salzgärten bestaunen, in denen – bis auf modernere Gerätschaften – noch so Salz gewonnen wird, wie es einst schon die Menschen der Antike taten. Wer solch einen Garten schon einmal mit eigenen Augen gesehen hat, weiss um die schlichte Schönheit, die sich dem Auge da bietet: Eine weite Fläche direkt an der Küste, gegliedert in eine Vielzahl meist quadratischer Becken, die knöchelhoch mit Meerwasser gefüllt sind. Dazwischen dünne Stege aus sandfarbenem Gestein, die wie ein zartes Spinnenetz über der Wasseroberfläche liegen, die ganz ruhig die Farben des Himmels widerspiegelt. Eingerahmt wird dieses Bild von der majestätischen Schönheit des Meeres, das sich bis zum Horizont erstreckt und bei gutem Wetter in einem satten Blau erstrahlt und mit seiner meist rauen Oberfläche einen herrlichen Kontrast bildet.
Ich selbst durfte diesen Anblick auf der Insel Gozo nahe Zebbug erleben. Nach einer abenteuerlichen Jeep-Tour quer über die Insel tauchte diese weite Ebene ganz unerwartet am Straßenrand auf.
Der Anblick der Gegensätze war faszinierend: Das raue Gestein, die
Wellen, die an die Küste brandeten und dazwischen die friedlich ruhenden Seen voller Meerwasser, die von der heißen Sonne langsam verdunsten, bis am Grund nur noch das Salz übrig bleibt. Je näher die Gärten dem Meer kommen, um so bereitwilliger weicht die angelegte geometrische Form der Becken auf und passt sich den Gegebenheiten der Natur an. Ecken werden rund, die Fläche schmaler und kleiner bis hinter dem nächsten Damm die unendliche Weite des Meeres kommt. Zu finden sind solche Salzgärten neben dem Mittelmeer beispielsweise auch an den Küsten der Bretagne und der kanarischen Inseln. Doch auch im Chinesischen und Indischen Meer sowie in Mittel- und Südamerika wird auf diese Weise Salz gewonnen. Alles Gebiete also, in denen es viel Sonne, wenig Regen (sonst würde sich das gewonnene Salz direkt wieder auflösen) und einen hohen Salzgehalt im Wasser gibt.
Der Schatz im Gestein
So wie das Meerwasser durch die einzelnen Becken der Gärten geleitet wird, bis sich der darin enthaltene Schatz aus weißen Kristallen am Boden abgesetzt hat, so ist es auch ein fließender Prozess, der bei der Salzgewinnung unter Tage zum Einsatz kommt: In sogenannten Siedesalinen wird heißes Süßwasser in die unterirdischen Steinsalzlagerstätten gepumpt, wo es das Salz aufnimmt und fortträgt. Diese Sole wird anschließend in großen Sidepfannen wieder eingedampft, bis am Ende nur noch das Salz übrig bleibt. Neben der Herstellung dieser Solelösung wird das Steinsalz in Steinbergwerken auch auf klassische Art abgebaut. Mithilfe von Bohrungen
„ Schon der römische Gelehrte Cassiodor hielt fest, dass der Mensch zwar ohne Gold, nicht aber ohne Salz leben könne.“
und Sprengungen werden ganze Steinsalzblöcke aus dem Bergmassiv gelöst, zerkleinert und an der Oberfläche mittels des Siedens von allen anderen Bestandteilen befreit. Dabei entsteht ein Bild, dass in seiner Schönheit mit der der Salzgärten mithalten kann. Denn unter Tage entstehen rieisge Stollen und Höhlen aus weißem Gestein. Man hat das Gefühl, als befände man sich in einem Eispalast oder zwischen massiven Gletschern, deren Wände meterhoch neben einem emporragen. Ein Anblick, der Ehrfurcht und Verzückung zugleich auslöst und einem bewusst macht, was Mutter Natur alles kann.
Von Korn zu Korn
Mit diesem Wissen betrachtet man die kleinen weißen Körnchen mit ganz anderen Augen. Salz mag allgegenwärtig sein, belanglos ist es nicht. Das zeigt schon sein Äußeres. Während normales Kochsalz wenig Abwechslung bietet, zeigt die Betrachtung von grobem Meer- oder auch Himalayasalz, wie vielseitig es ist. Jedes „Körnchen“ist anders geformt, rundgeschliffen vom Wasser oder mit harten Kanten an Bruchstellen. Sie sind unterschiedlich in Form und Größe – und je nach Zusätzen auch in ihrer farblichen Intensität. Es lohnt sich, mal eine Tüte Salz vor sich auszubreiten und die Körner ganz bewusst zu studieren. Wenn man sich dann noch vor Augen führt, was Salz unserem Körper alles Gutes tut, kann man kaum anders, als die kleinen Kristalle zu bewundern – für ihre Schönheit und die Kraft, die in ihnen steckt. <