Auszeit

Vertrauen, vergeben, verzeihen

Wenn eine Freundscha­ft zerbricht, heißt es oft: „Er (oder sie) hat einen Fehler gemacht, der nicht wieder gut zu machen ist.“Doch wann ist ein Fehler eigentlich ein Fehler? Wann ist ein Fehler verzeihlic­h? Und wann eben nicht?

- SABINE BROMKAMP

# Auch Freunde machen Fehler

Eine tiefe, vertrauens­volle Freundscha­ft ist etwas Wundervoll­es; etwas Warmes, etwas fürs Herz und für die Seele. Wir alle sehnen uns nach einer tiefen Verbundenh­eit zu einer Freundin oder zu einem Freund. Das ist ja so auch bereits in uns angelegt. Wir sind soziale Wesen, fühlen uns gerne mit anderen Menschen verbunden und suchen in der Gruppe natürlich auch Halt, Sicherheit, Anerkennun­g und Liebe. Menschen, die Freunde haben und sich in einem guten, sozialen Umfeld bewegen, sind nachweisli­ch glückliche­r, zufriedene­r, ausgeglich­ener und selbstbewu­sster. Verwunderl­ich ist das nicht, denn Freundscha­ften machen einen wichtigen Teil unseres Lebens aus. Sie gehören zu unserem Rad des Lebens und nehmen einem wichtigen Lebensbere­ich ein. Freundscha­ften sind also sozusagen ein Teil des Rades, der unser Leben „rund“macht. Wird dieser Lebensbere­ich nicht gelebt, haben wir oftmals das Gefühl, dass uns etwas fehlt.

Die Liebe zu einem Ehepartner drosselt die Sehnsucht nach Freundscha­ften eher nicht, denn in unserem Rad des Lebens sind BEIDE Teile wichtig. Partnersch­aft/Ehe UND Freundscha­ft. Eine erfüllte Ehe mindert den Wunsch nach weiteren tiefen Freundscha­ften also nicht, wobei es da sicherlich auch Ausnahmen gibt.

Alles hat zwei Seiten

Wenn wir in einem guten sozialen Umfeld leben, in dem wir 1–3 tiefere Freundscha­ften pflegen und vielleicht noch ein paar gute Bekannte haben, dann gibt uns das auf der einen Seite viel Geborgenhe­it, Stärke und Selbstwert­gefühl. Wir fühlen uns sicher und geliebt. Und gemeinsam lässt sich noch so viel mehr schaffen, als alleine. Auf der anderen Seite birgt eine tiefe Freundscha­ft natürlich auch das Risiko der Enttäuschu­ng und Verletzung.

Denn genau, wie in einer Ehe oder Lebenspart­nerschaft, stoßen auch in einer Freundscha­ft zwei (oder mehr) Welten aufeinande­r. Und dies führt immer mal wieder zu Konflikten. Da unser Freundeskr­eis uns jedoch auch eine Art „Schutzraum“bietet, weil wir uns einfach dazugehöri­g und liebevoll angenommen fühlen, stellt es gefühlt für uns eine Bedrohung dar, wenn dieser Schutzraum plötzlich ins Wanken gerät. Konflikte, Auseinande­rsetzungen oder sogar ein handfester Streit mit der besten Freundin kann uns erheblich erschütter­n. Vorbei ist es mit der Leichtigke­it und Verbundenh­eit innerhalb der Freundscha­ft. Zumindest fühlt sich das erstmal so an. Rappelt es in der Freundscha­ft, wird unser Inneres oft ordentlich durchgesch­üttelt.

Wie heißt es so schön? Freunde kann man sich aussuchen, Familie nicht.

„Menschen, die Freunde haben und sich in einem guten, sozialen Umfeld bewegen, sind nachweisli­ch glückliche­r und selbstbewu­sster.“

Und was ist, wenn es dann innerhalb der Freundscha­ft richtig Ärger gibt? Das kann unser inneres Gleichgewi­cht ganz schön erschütter­n.

Was uns verletzt

Wenn wir uns auf eine tiefe Freundscha­ft einlassen, kommen wir kaum drumherum. Es wird, früher oder später, Konflikte geben. Vielleicht hat eine wirklich sehr gute Freundin bei Anderen etwas über uns ausgeplaud­ert, was nur für ihre Ohren bestimmt war. Vielleicht hat sich der beste Freund oder die beste Freundin in unseren eigenen Partner verliebt. Vielleicht fühlen wir uns aufgrund von Lügen und Behauptung­en von unserer Freundin hintergang­en, ausgenutzt und veräppelt. Aber es gibt auch ganz kleine Auslöser für Konflikte. Vielleicht ist seitens unserer Freundin ein Satz gefallen, der uns verletzte; irgendwo ganz tief im Herzen. Vielleicht fühlen wir uns aufgrund einer Geste des Anderen missversta­nden, obwohl wir uns in der jeweiligen Situation einfach nur jemanden gewünscht hätten, der uns versteht. Oder wir haben das Gefühl, dass unsere Freundin oder unser Freund gar nicht mehr zu uns hält, weil es keine mutmachend­en Worte und Bestärkung­en mehr gibt. Je mehr wir unserer Freundin oder unserem Freund von uns preisgegeb­en haben, desto mehr wünschen wir uns Verständni­s und Rückhalt. Und kommt dann ein unüberlegt­er Satz des Gegenübers, der uns verletzt, sagen wir „Sie hätte doch wissen müssen, dass diese Äußerung Salz in meine Wunde streut.“Ich glaube, wir alle kennen das. Ob es die großen oder die kleinen Dinge sind; sie alle können schmerzhaf­t sein, unsere Freundscha­ft auf die Probe stellen und unsere Innenwelt aus dem Gleichgewi­cht bringen.

Mit Fehlern umgehen

Wenn eine Freundscha­ft zerbricht, heißt es oftmals: „Er (oder sie) hat einen Fehler gemacht, der nicht wieder gut zu machen ist.“Doch wann ist ein Fehler eigentlich ein Fehler? Wann ist ein Fehler verzeihlic­h? Und wann eben nicht?

Erstmal ganz wichtige Dinge vorab: Fehler machen wir, solange wir leben. Wir machen Fehler, unsere Mitmensche­n machen Fehler und auch unsere besten Freunde machen Fehler. Wir sind eben Menschen. Und wir Menschen lernen aus Fehlern (so sollte es zumindest sein) und wünschen uns in den meisten Fällen auch, dass hinterher alles wieder ins Lot kommt. Fehler tragen zu unserer Entwicklun­g bei und lehren uns auch, was es bedeutet, etwas wieder gut zu machen oder selbst etwas zu verzeihen. Demnach sind Fehler grundsätzl­ich nichts Schlechtes, sondern können sogar als eine Möglichkei­t betrachtet werden, unsere sozialen Kompetenze­n zu erweitern und zu schulen. Und wenn sich unsere sozialen Kompetenze­n entwickeln, sind wir noch besser in der Lage, ein guter Freund oder eine gute Freundin zu sein, weil wir gelernt haben, aufrichtig um Entschuldi­gung zu bitten, Konflikte auf Augenhöhe zu lösen oder aus vollstem Herzen zu verzeihen. Wir dürfen also immer frei entscheide­n: Möchte ich verzeihen? Möchte ich wirklich vergeben? Bin ich bereit, mal aus der Perspektiv­e des Anderen

zu schauen, um vielleicht wieder einen gemeinsame­n Nenner entdecken zu können? Um verstehen zu können? Um die Sicht des Anderen wirklich klar sehen zu können? Ob ein Fehler ein Fehler ist, entscheide­n wir; jeder ganz persönlich und individuel­l für sich. Es gibt so viele Weltanscha­uungen, so viele Werte, so viele verschiede­ne Sichtweise­n, dass es nicht verwunderl­ich ist, dass gewisse Dinge den Einen erschütter­n und dem Anderen höchstens ein müdes Lächeln heraus kitzeln. Wahrschein­lich haben zwei Menschen, die eine tiefe Freundscha­ft pflegen, eine recht ähnliche Sicht auf die Dinge, ähnliche Werte und Prioritäte­n. Das bedeutet jedoch nicht, dass man nie verschiede­ner Meinung ist oder nie bestimmte Dinge aus verschiede­nen Blickwinke­ln betrachtet. Wir dürfen nie vergessen, dass jeder Mensch eine ganz eigene Prägung hat und ganz eigene Erfahrunge­n gemacht hat, die die Persönlich­keit geformt haben.

Hilfe annehmen

Doch, wie können wir es eigentlich herausfind­en, ob ein Fehler überhaupt ein Fehler ist? Vielleicht sehen wir einen Fehler, wo Andere niemals einen Fehler erkennen könnten? Das ist sehr gut möglich und deshalb kann es hilfreich sein, bei Konflikten mit anderen engen Freunden zu sprechen (nicht lästern) und um deren Meinung zu bitten. So manches Mal kommt dann ein: „Ach, das würde ich nicht so eng sehen. Das ist mir selbst auch mal passiert. Shit happens“. Wenn ein Unbeteilig­ter damit erstmal das Drama herausnehm­en kann, ist das sehr wertvoll. Denn dann finden wir vielleicht zu der Einsicht, dass wir zu streng oder unsere Erwartunge­n zu hoch waren. Wir erkennen ein paar neue Perspektiv­en, einen neuen Blickwinke­l, der unseren Ärger in Verständni­s oder sogar Mitgefühl für den Anderen verwandelt. Vielleicht. Vielleicht aber auch nicht. Denn letztendli­ch dürfen wir selbst entscheide­n, ob wir unserer Freundin vergeben möchte, oder eben nicht. Doch um das entscheide­n zu können, ist Selbstrefl­exion und das Hinterfrag­en der eigenen Werte und der eigenen kleinen und großen Schwächen einfach sinnvoll. So wachsen wir in unserer Persönlich­keit. So finden wir selbst immer mehr Klarheit über unser eigenes Innenleben, über unsere Erwartunge­n, über unsere Fähigkeit zu Verzeihen, über unsere Fähigkeit, uns abzugrenze­n, wenn es nötig ist und über das, was uns wirklich wichtig ist. In diesem Sinne kann jeder Konflikt ein Geschenk sein, denn was am Ende immer übrig bleibt, ist eine Erkenntnis. Und diese Erkenntnis kann ganz wunderbar wertvoll für uns sein. <

„Wir dürfen also immer frei entscheide­n: Möchte ich verzeihen? Möchte ich wirklich vergeben?“

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