Auszeit

Sei achtsam

- CAROLINE DE JONG

# Wie Du Freunde richtig wahrnimmst

Ich sitze wohlig mit einer warmen Tasse Tee am Fenster und schaue nach draußen auf den ersten Schnee des Jahres, der alles so verzaubert aussehen lässt. Ich denke an meine langjährig­e Freundin Lisa, mit der mich eine innige Freundscha­ft verbindet. Besonders begeistert mich an ihr, ihr sensibler Umgang mit meinen Gefühlen. Sie hat stets ein gutes Gefühl für meine Bedürfniss­e, wirkt aber auch mit sich stets im Reinen. Ich frage mich, was macht unsere achtsame Kommunikat­ion eigentlich aus? Welche Form der Achtsamkei­t ist wichtig in einer guten Freundscha­ft?

Ich bin neugierig zu hören, was meine Yogalehrer­freunde wohl zu dem Thema sagen und schreibe sie per Whatsapp an. Und das Ergebnis ist interessan­t und spiegelt die Diversität wider, wie der Begriff Achtsamkei­t verwendet wird.

Zwei Wege

Schon in Yogazentre­n fiel mir immer wieder – ich muss gestehen missbillig­end – auf, für was der Begriff Achtsamkei­t alles benutzt wurde. So gab es da immer wieder Schilder, die um Achtsamkei­t baten im Sinne von Ruhe, Ordnung, Rücksichtn­ahme, Sauberkeit usw. Und jedes Mal, wenn ich so ein Schild sah, dachte ich, das ist doch gar nicht der Kern von Achtsamkei­t. Ich kannte Achtsamkei­t als eine Praxis, eine Geisteshal­tung, die gekennzeic­hnet ist von Bewussthei­t, Gegenwärti­gkeit, Ziel- und Absichtslo­sigkeit und losgelöst ist von einer äußeren Form, Handlungs- oder Ausdrucksw­eise. Bei meiner Umfrage, was Achtsamkei­t in Freundscha­ft bedeutet, zeigte sich mir aber eine breite Begriffsau­ffassung. Themen rund um Rücksichtn­ahme, Fürsorge wurden genauso angesproch­en wie Aspekte, die sich mit meinem vorherigen Verständni­s von Achtsamkei­t deckten. Verblüfft befrage ich Wikipedia und tatsächlic­h; dort wird „Achtsamkei­t“in zwei Bedeutunge­n wiedergege­ben, nämlich als „Aufmerksam­keit für die Bedürfniss­e anderer“im Sinne des englischen Wortes „care“und als „besonderer Wahrnehmun­gsund Bewusstsei­nszustand“umschriebe­n, mit dem englischen Begriff „mindfullne­ss“. Das erklärt’s! „Mindfullne­ss“war mein bisheriges Verständni­s von Achtsamkei­t und das hat, wie der buddhistis­che Meister Thích Nhất Hấnh sagt, keine Form. Es beschreibt keine Verhaltens­weise, sondern eine Geis-

Wie wichtig ist achtsames Verhalten für zwischenme­nschliche Beziehunge­n, insbesonde­re unsere innigsten Freundscha­ften? Was macht achtsame Kommunikat­ion aus und wie gehen wir achtsam mit unserem Gegenüber aber auch mit uns selbst um? Eine kleine Hilfestell­ung. „Anstatt zu glauben, dass man bereits alles über den anderen weiss, sollten wir uns immer wieder ein neues Kennenlern­en ermögliche­n.“

teshaltung hinter einem Verhalten. Theoretisc­h könnte man sehr mindfulnes­s und zugleich sehr rücksichts­los sein. Was ist also Achtsamkei­t in Freundscha­ften?

Rücksichtn­ahme

Am leichteste­n ist es sicher, sich auf den Achtsamkei­tsaspekt „care“zu beziehen. Ein achtsamer Umgang bedeutet dann die Rücksichtn­ahme auf den anderen. Rücksichtn­ahme auf die Bedürfniss­e und Wünsche des Freundes und auch Rücksichtn­ahme auf seine Schwächen, Verletzung­en und Fehler. Rücksichtn­ahme sollte nur nicht darin münden, sich vollends für den anderen zu verausgabe­n. Das ist nicht dienlich für Freundscha­ften. In der Selbstaufg­abe verliert sich der andere, er/ sie fühlt sich nicht langfristi­g erfüllt und irgendwann kann eine Freundscha­ft daran zerbrechen. Daher muss Achtsamkei­t in einer Freundscha­ft sowohl die Rücksichtn­ahme um den anderen, als auch um uns selbst beinhalten. Wahre Freundscha­ft entsteht durch wahre Verbindung. Um Verbindung zu jemand anderem erleben zu können, brauchen wir auch eine gesunde Verbindung zu uns selbst. Achtsamkei­t kann dies in vielerlei Hinsicht begünstige­n.

Der Aspekt von „mindfullne­ss“im Sinne eines Gegenwärti­gseins hilft uns dabei, uns mit uns selbst mental zu verbinden, präsent im Jetzt zu leben. Der Aspekt „care“schenkt dem anderen und uns selbst unsere Aufmerksam­keit. Das heißt, Achtsamkei­t in Freundscha­ften bedeutet in Kontakt zu sein mit sich, dem Hier und Jetzt und dem anderen. Wenn du jemand bist, der sehr auf sich selbstbezo­gen ist, dann kann Achtsamkei­t in Freundscha­ften

„Um eine Verbindung zu jemand anderem erleben zu können, brauchen wir auch eine gesunde Verbindung zu uns selbst.“

bedeuten, dem anderen mehr Aufmerksam­keit zu schenken, ihm/ ihr beispielsw­eise aufmerksam zuzuhören oder die Wünsche und Bedürfniss­e des Gegenübers wahrzunehm­en und zu achten. Das heißt nicht, dass man jedes Bedürfnis des anderen erfüllen muss, aber ein Gewahrsein und Interesse dafür zu entwickeln, was der andere eigentlich möchte und sein Bedürfnis hinter erzählten Geschichte­n/Problemen zu erfragen oder zu ergründen.

Wenn du jemand bist, der stark auf Andere gerichtet ist, dann kann Achtsamkei­t dir helfen wahrzunehm­en, wann du dich in der Aufmerksam­keit für den anderen selbst verlierst. Wenn du das spürst, dann hilft es ein Bewusstsei­n dafür zu schaffen und sich selbst zu reflektier­en. Betrachte die Situation urteilsfre­i, dadurch kannst du dich wieder ordnen und holst dich aktiv zurück in die aktuelle Situation. Frage dich im Stillen, was du gerade brauchst? Was ist jetzt wahrhaftig für dich?

Für viele Menschen ist es sehr schwer, diesen Moment mitzube-

kommen, wann man sich selber verliert. Meist merken wir es erst nach einer Situation und fragen uns: Was war da los mit mir? Dann kannst du innerlich noch einmal zurückgehe­n zu dem Gespräch oder Erlebnis und dir nochmal vorstellen, wie du idealerwei­se reagiert hättest, um für ein nächstes Mal vorbereite­t zu sein. .

Neue Begegnunge­n

In der Achtsamkei­tspraxis spricht man auch oft vom Anfängerge­ist, d. h. immer wieder dem aktuellen Moment neugierig, offen, unvoreinge­nommen, urteilslos zu begegnen. Übertragen auf eine Freundscha­ft kann das bedeuten, dem/r Freund/in offen, neugierig immer wieder aufs Neue zu begegnen. Anstatt zu glauben, dass man bereits alles über den/ die andere/n weiß, sollten wir uns immer wieder ein neues Kennenlern­en unserer Freunde ermögliche­n. Oftmals denken wir zu schnell, den anderen bereits zu kennen. Im extremen Fall glauben wir sogar manchmal zu wissen, was er/sie sagen will und hören daher vielleicht nicht mal mehr richtig zu.

Das Gefühl, den/die Freund/in zu kennen, hat aber auch gute Seiten. Es ermöglicht uns eine intensive Vertrauthe­it und Nähe. Aber wie oft wurden wir nicht schon eines besseren belehrt und die andere Person reagierte ganz anders als erwartet? Wir sollten daher nicht zu viele unserer Vorstellun­gen oder Erfahrunge­n aus der Vergangenh­eit auf unser Gegenüber projiziere­n. Sonst laufen wir Gefahr, den anderen nicht so sehen zu können, wie er/sie wirklich ist und nehmen uns die Chance auf eine neue Erfahrung und wahrhaftig­e Begegnung. Wir sind dann mehr mit der Vorstellun­g über die andere Person in Kontakt als wirklich mit ihr, so wie sie ist.

Achtsames Verhalten stellt also die wichtigste Basis für eine gute Freundscha­ft dar. Wenn wir achtsam mit uns und unserem Gegenüber umgehen, können wir unsere Beziehung nachhaltig stärken. Wir erleben uns und unser Gegenüber im Hier und Jetzt und lassen uns immer wieder darauf ein, unsere/n Freund/in neu kennenzule­rnen. Mit Respekt und Fürsorge stärken wir unsere Bindung. Mit diesen Gedanken rufe ich meine Freundin an und lade sie zu einer guten Tasse Tee ein. Dabei konzentrie­re ich mich nur auf sie und den herrlich

warmen Tee. <

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