Sei achtsam
# Wie Du Freunde richtig wahrnimmst
Ich sitze wohlig mit einer warmen Tasse Tee am Fenster und schaue nach draußen auf den ersten Schnee des Jahres, der alles so verzaubert aussehen lässt. Ich denke an meine langjährige Freundin Lisa, mit der mich eine innige Freundschaft verbindet. Besonders begeistert mich an ihr, ihr sensibler Umgang mit meinen Gefühlen. Sie hat stets ein gutes Gefühl für meine Bedürfnisse, wirkt aber auch mit sich stets im Reinen. Ich frage mich, was macht unsere achtsame Kommunikation eigentlich aus? Welche Form der Achtsamkeit ist wichtig in einer guten Freundschaft?
Ich bin neugierig zu hören, was meine Yogalehrerfreunde wohl zu dem Thema sagen und schreibe sie per Whatsapp an. Und das Ergebnis ist interessant und spiegelt die Diversität wider, wie der Begriff Achtsamkeit verwendet wird.
Zwei Wege
Schon in Yogazentren fiel mir immer wieder – ich muss gestehen missbilligend – auf, für was der Begriff Achtsamkeit alles benutzt wurde. So gab es da immer wieder Schilder, die um Achtsamkeit baten im Sinne von Ruhe, Ordnung, Rücksichtnahme, Sauberkeit usw. Und jedes Mal, wenn ich so ein Schild sah, dachte ich, das ist doch gar nicht der Kern von Achtsamkeit. Ich kannte Achtsamkeit als eine Praxis, eine Geisteshaltung, die gekennzeichnet ist von Bewusstheit, Gegenwärtigkeit, Ziel- und Absichtslosigkeit und losgelöst ist von einer äußeren Form, Handlungs- oder Ausdrucksweise. Bei meiner Umfrage, was Achtsamkeit in Freundschaft bedeutet, zeigte sich mir aber eine breite Begriffsauffassung. Themen rund um Rücksichtnahme, Fürsorge wurden genauso angesprochen wie Aspekte, die sich mit meinem vorherigen Verständnis von Achtsamkeit deckten. Verblüfft befrage ich Wikipedia und tatsächlich; dort wird „Achtsamkeit“in zwei Bedeutungen wiedergegeben, nämlich als „Aufmerksamkeit für die Bedürfnisse anderer“im Sinne des englischen Wortes „care“und als „besonderer Wahrnehmungsund Bewusstseinszustand“umschrieben, mit dem englischen Begriff „mindfullness“. Das erklärt’s! „Mindfullness“war mein bisheriges Verständnis von Achtsamkeit und das hat, wie der buddhistische Meister Thích Nhất Hấnh sagt, keine Form. Es beschreibt keine Verhaltensweise, sondern eine Geis-
Wie wichtig ist achtsames Verhalten für zwischenmenschliche Beziehungen, insbesondere unsere innigsten Freundschaften? Was macht achtsame Kommunikation aus und wie gehen wir achtsam mit unserem Gegenüber aber auch mit uns selbst um? Eine kleine Hilfestellung. „Anstatt zu glauben, dass man bereits alles über den anderen weiss, sollten wir uns immer wieder ein neues Kennenlernen ermöglichen.“
teshaltung hinter einem Verhalten. Theoretisch könnte man sehr mindfulness und zugleich sehr rücksichtslos sein. Was ist also Achtsamkeit in Freundschaften?
Rücksichtnahme
Am leichtesten ist es sicher, sich auf den Achtsamkeitsaspekt „care“zu beziehen. Ein achtsamer Umgang bedeutet dann die Rücksichtnahme auf den anderen. Rücksichtnahme auf die Bedürfnisse und Wünsche des Freundes und auch Rücksichtnahme auf seine Schwächen, Verletzungen und Fehler. Rücksichtnahme sollte nur nicht darin münden, sich vollends für den anderen zu verausgaben. Das ist nicht dienlich für Freundschaften. In der Selbstaufgabe verliert sich der andere, er/ sie fühlt sich nicht langfristig erfüllt und irgendwann kann eine Freundschaft daran zerbrechen. Daher muss Achtsamkeit in einer Freundschaft sowohl die Rücksichtnahme um den anderen, als auch um uns selbst beinhalten. Wahre Freundschaft entsteht durch wahre Verbindung. Um Verbindung zu jemand anderem erleben zu können, brauchen wir auch eine gesunde Verbindung zu uns selbst. Achtsamkeit kann dies in vielerlei Hinsicht begünstigen.
Der Aspekt von „mindfullness“im Sinne eines Gegenwärtigseins hilft uns dabei, uns mit uns selbst mental zu verbinden, präsent im Jetzt zu leben. Der Aspekt „care“schenkt dem anderen und uns selbst unsere Aufmerksamkeit. Das heißt, Achtsamkeit in Freundschaften bedeutet in Kontakt zu sein mit sich, dem Hier und Jetzt und dem anderen. Wenn du jemand bist, der sehr auf sich selbstbezogen ist, dann kann Achtsamkeit in Freundschaften
„Um eine Verbindung zu jemand anderem erleben zu können, brauchen wir auch eine gesunde Verbindung zu uns selbst.“
bedeuten, dem anderen mehr Aufmerksamkeit zu schenken, ihm/ ihr beispielsweise aufmerksam zuzuhören oder die Wünsche und Bedürfnisse des Gegenübers wahrzunehmen und zu achten. Das heißt nicht, dass man jedes Bedürfnis des anderen erfüllen muss, aber ein Gewahrsein und Interesse dafür zu entwickeln, was der andere eigentlich möchte und sein Bedürfnis hinter erzählten Geschichten/Problemen zu erfragen oder zu ergründen.
Wenn du jemand bist, der stark auf Andere gerichtet ist, dann kann Achtsamkeit dir helfen wahrzunehmen, wann du dich in der Aufmerksamkeit für den anderen selbst verlierst. Wenn du das spürst, dann hilft es ein Bewusstsein dafür zu schaffen und sich selbst zu reflektieren. Betrachte die Situation urteilsfrei, dadurch kannst du dich wieder ordnen und holst dich aktiv zurück in die aktuelle Situation. Frage dich im Stillen, was du gerade brauchst? Was ist jetzt wahrhaftig für dich?
Für viele Menschen ist es sehr schwer, diesen Moment mitzube-
kommen, wann man sich selber verliert. Meist merken wir es erst nach einer Situation und fragen uns: Was war da los mit mir? Dann kannst du innerlich noch einmal zurückgehen zu dem Gespräch oder Erlebnis und dir nochmal vorstellen, wie du idealerweise reagiert hättest, um für ein nächstes Mal vorbereitet zu sein. .
Neue Begegnungen
In der Achtsamkeitspraxis spricht man auch oft vom Anfängergeist, d. h. immer wieder dem aktuellen Moment neugierig, offen, unvoreingenommen, urteilslos zu begegnen. Übertragen auf eine Freundschaft kann das bedeuten, dem/r Freund/in offen, neugierig immer wieder aufs Neue zu begegnen. Anstatt zu glauben, dass man bereits alles über den/ die andere/n weiß, sollten wir uns immer wieder ein neues Kennenlernen unserer Freunde ermöglichen. Oftmals denken wir zu schnell, den anderen bereits zu kennen. Im extremen Fall glauben wir sogar manchmal zu wissen, was er/sie sagen will und hören daher vielleicht nicht mal mehr richtig zu.
Das Gefühl, den/die Freund/in zu kennen, hat aber auch gute Seiten. Es ermöglicht uns eine intensive Vertrautheit und Nähe. Aber wie oft wurden wir nicht schon eines besseren belehrt und die andere Person reagierte ganz anders als erwartet? Wir sollten daher nicht zu viele unserer Vorstellungen oder Erfahrungen aus der Vergangenheit auf unser Gegenüber projizieren. Sonst laufen wir Gefahr, den anderen nicht so sehen zu können, wie er/sie wirklich ist und nehmen uns die Chance auf eine neue Erfahrung und wahrhaftige Begegnung. Wir sind dann mehr mit der Vorstellung über die andere Person in Kontakt als wirklich mit ihr, so wie sie ist.
Achtsames Verhalten stellt also die wichtigste Basis für eine gute Freundschaft dar. Wenn wir achtsam mit uns und unserem Gegenüber umgehen, können wir unsere Beziehung nachhaltig stärken. Wir erleben uns und unser Gegenüber im Hier und Jetzt und lassen uns immer wieder darauf ein, unsere/n Freund/in neu kennenzulernen. Mit Respekt und Fürsorge stärken wir unsere Bindung. Mit diesen Gedanken rufe ich meine Freundin an und lade sie zu einer guten Tasse Tee ein. Dabei konzentriere ich mich nur auf sie und den herrlich
warmen Tee. <