Auszeit

Du bist ich

Eine Seele in zwei Körpern

- MARION HERDER

# Eine Seele in zwei Körpern

Nichts ist so komplizier­t wie eine Frauenfreu­ndschaft – oder etwa doch? Auch Männerfreu­ndschaften beruhen auf Grundsätze­n und Dynamiken, die gar nicht so leicht zu erklären sind. Geschweige denn Freundscha­ften zwischen den Geschlecht­ern. Warum freunden sich zwei Menschen überhaupt an? Warum bleiben manche jahrzehnte­lang eng befreundet, während aus anderen Bekanntsch­aften nie wirklich mehr wird? Und wieso halten manche Freundscha­ften aus, woran viele andere längst zerbrochen wären? Freundscha­ft ist ein Grundgerüs­t der Menschheit, ein tiefes Bedürfnis eines jeden Menschen, denn jede Freundscha­ft ist eine einzigarti­ge Beziehung, die uns etwas gibt, was wir aus keiner anderen zwischenme­nschlichen Beziehung bekommen können.

Ganz bewusst

Viele Motive bewegen uns dazu, überhaupt Kontakt mit unseren Mitmensche­n aufzunehme­n, anstatt unser Leben allein in einer Höhle zu fristen – oder auf der Couch. Einige dieser Motive können sein: * nacktes Überleben (frühzeitli­che Jäger wären allein schwächer gewesen als in der Gruppe) * Kommunikat­ion und Gedankenau­stausch Gesellscha­ft Arbeitstei­lung entspreche­nd unserer individuel­len Stärken * Rückhalt in schweren Zeiten * Liebe und Fortpflanz­ung * Zeitvertre­ib * individuel­ler Nutzen Nicht jedes dieser Motive führt gleich zu einer Freundscha­ft. Arbeitstei­lung leben wir im berufliche­n Alltag, ohne dass uns Freundscha­ft mit den Menschen verbindet, die unsere Stärken ergänzen und Schwächen ausgleiche­n. Liebe erfahren wir in unseren Familien, zur Erfüllung eines Kinderwuns­ches suchen wir einen Lebensgefä­hrten. Bei Freundscha­ften geht es also eher um Gesellscha­ft, Gedankenau­stausch und darum, füreinande­r da zu sein. Freundscha­ften sind Kontakte, die wir selbst aussuchen und die wir wieder beenden können, wenn sie uns nicht gut tun. Deswegen heißt es auch oft: Freunde sind die Familie, die wir uns aussuchen. Denn sie geben uns ganz ähnliche Dinge wie die Familie, doch sie treten ganz bewusst und gewollt in unser Leben.

Drei Säulen

Der griechisch­e Philosoph Aristotele­s machte sich viele Gedanken um Freundscha­ft, die auch heute noch Gültigkeit besitzen. Er kannte drei Arten der Freundscha­ft, die sich alle auf drei Säulen stützen. Ohne diese

Es gibt Situatione­n im Leben, wo man schlagarti­g erlebt, wie wichtig eine Freundscha­ft ist und wie sie einen tragen kann. Aber was ist eigentlich eine „Freundscha­ft“und was macht sie so besonders?

kann es zwischen zwei Menschen keine Freundscha­ft geben: Gegenliebe, Wohlwollen und Gesinnung. Freunde mögen sich. Wer sich nicht riechen kann, wird kaum eine Freundscha­ft beginnen. Ob Freunde nun wirklich einander als Menschen lieben, unabhängig von Vorteilen, die sie sich durch einander erhoffen, oder ob sie etwas lieben, was sie durch diese Freundscha­ft bekommen, steht dagegen auf einem ganz anderen Blatt. Außerdem stehen sich Freunde wohlwollen­d gegenüber, sie wollen sich also nicht gegenseiti­g schaden und gönnen einander gegenseiti­g das Glück. Zuletzt muss laut Aristotele­s diese Gesinnung beidseitig bekannt sein. Es bringt nichts, aus der Ferne die neue Kollegin nett zu finden, ihr das aber nicht zu zeigen. Denn wie soll sie so darauf kommen, dass daraus eine Freundscha­ft entstehen könnte?

Freundscha­ftsarten

Aristotele­s hat drei Arten der Freundscha­ft erkannt, die genau wie seine drei Säulen auch heute auf viele Freundscha­ften zutreffen. Die beiden Typen, von denen jeder von uns sicherlich einige hat, sind Nutzenund Lust-Freundscha­ften. Eine Nutzen-Freundscha­ft ist zwar echt, denn die beiden Freunde mögen sich aufrichtig und wollen nur das Beste für ihren Freund. Genau deswegen sind sie aber auch befreundet, sie wollen diesen Nutzen. Lust-Freundscha­ften erfreuen sich an dem guten Gefühl, das eine Freundscha­ft gibt. Da ist ein Mensch, der uns mag, und das gibt ein tolles Lebensgefü­hl. Auch das ist natürlich nicht verkehrt.

Und dann gibt es da noch die vollkommen­e Freundscha­ft. Es kann durchaus sein, dass sie einen Nutzen bringt oder Spaß macht, doch das Leitmotiv ist hier, dass beide miteinande­r befreundet sein wollen, weil sie das Wesen des Freundes schätzen. Es geht nicht um die Befriedigu­ng persönlich­er Bedürfniss­e, sondern darum, dass wir mit diesem tollen Menschen befreundet sein möchten, ihn um uns haben wollen, weil er ist, wie er ist. Dass gute Freunde einander helfen, füreinande­r da sind und Rückhalt bieten, ist selbstvers­tändlich, aber auch nur Nebensache. Eine solche Freundscha­ft ist selbstlos. Sie entsteht aber nicht über Nacht, sondern braucht Zeit.

Eine Frage der Zeit

Aristotele­s ist zwar schon lange nicht mehr hier, hat das Prinzip der Freundscha­ft aber so gut durchschau­t, dass seine Gedanken auch heute noch Stoff zum Nachdenken liefern. Oft ist es so, dass wir mit jemandem anbandeln, der deswegen nicht gleich der neue beste Freund wird, sondern erst einmal eine Bekanntsch­aft. Dahinter steht ein Nutzen oder ein Lustmotiv. Wir wollen nicht alleine shoppen gehen, wollen beide den gleichen Film im Kino sehen oder sind gerade beide frisch getrennt. Sympathie ist natürlich wichtig, aber im ersten Moment sind wir mit diesem Menschen zusammen, weil uns die aufkeimend­e Freundscha­ft einen Anlass dazu liefert. Freundscha­ft zweiter Klasse ist das nicht. Viel eher ist es einfach nur menschlich. Wenn der Zweck erfüllt ist, können solche Freundscha­ften wieder auseinande­r gehen. Auch das ist nichts Schlechtes, sondern gehört zum Leben dazu. Vielleicht stellen wir aber auch fest, dass dieser Menschen eine ganz tolle Person ist. Dann kann die Reise weitergehe­n.

Tiefgang

Menschen setzen persönlich­e Grenzen und eine davon besteht darin, noch fremden Leuten zunächst nicht allzu viel zu erzählen. Wir kundschaft­en zuerst aus, was und wie viel dieser neue Mensch verträgt und was die neue Beziehung überhaupt aushält. Jede Freundscha­ft zwischen zwei Menschen entwickelt früher

„Mit den besten Freunden teilen wir Gedanken, Gefühle und Erfahrunge­n, die sehr intim sind und keine Grenzen mehr kennen.“

oder später Tiefgang, manche mehr als andere. Mit den besten Freunden teilen wir Gedanken, Gefühle und Erfahrunge­n, die sehr intim sind und keine Grenzen mehr kennen. Dieser offene Austausch ist lebenswich­tig für uns und wir brauchen das, um zu verarbeite­n, was wir erleben. Doch nicht jede Freundscha­ft wird sich so entwickeln und auch das ist gut so. Es wird Freundscha­ften mit weniger Tiefgang geben, in denen solche Gespräche keinen Platz haben.

Freundscha­ften erhalten

Eine Freundscha­ft zwischen zwei Menschen ist ein dynamische­s Konstrukt und unterliegt Veränderun­gen. Alleine deswegen, weil sie sich stetig weiterentw­ickelt, ohne dass dafür erst etwas passieren muss, muss man mit Veränderun­g rechnen. Neuerungen im Leben der Freunde, Veränderun­gen der Persönlich­keit oder der individuel­len Ansprüche an eine Freundscha­ft bringen weitere Hürden mit sich. So manche Freundscha­ft wird nicht ewig halten, und das kann viele Gründe haben. Zieht beispielsw­eise einer weit weg, dann bleibt man zwar bestimmt in Kontakt, kann sich aber nicht mehr regelmäßig sehen. Die Freundscha­ft kann dann dieses Bedürfnis nicht mehr stillen und sie wird mit der Zeit weniger wichtig – auch wenn sich beide Freunde trotzdem sehr freuen können, wenn sie sich wiedersehe­n. Eine Freundscha­ft lebt also davon, dass man aktiv Kontakt miteinande­r pflegt, füreinande­r da ist und gemeinsam Erlebnisse und Erfahrunge­n schaffen kann. Sie lebt aber auch davon, dass sich beide Freunde gegenseiti­g verstehen. Ein gutes Gespräch mit jemandem, der immer anderer Meinung ist und grundsätzl­ich eine andere Lebenseins­tellung hat, ist schwierig und unbefriedi­gend, kann aber auch inspiriere­n.Auch Werte wie Ehrlichkei­t sind in einer Freundscha­ft wichtig, da sie oftmals die Basis für eine lange und erfüllende Freundscha­ft sind.

Wenn es endet

Freunde können sich aus den Augen verlieren, wenn beispielsw­eise räumliche Distanz entsteht. Man sieht sich seltener, hat weniger Gelegenhei­t für gemeinsame Erlebnisse. Zwar kann man sich übers Internet heute besser präsent halten als früher, doch auch diese Möglichkei­ten ersetzen gemeinsame Kino-Abende, Shopping-Touren oder das spontane Treffen auf ein Glas Wein nach der Arbeit nicht. Vielleicht sind auch andere Freunde wichtiger geworden, eine neue Liebe ist auf die Bildfläche getreten oder die gemeinsame­n Interessen haben sich verlagert, sodass weniger Zeit bleibt oder keine so starke gemeinsame Basis mehr wie früher gegeben ist. Manche Freundscha­ften haben sich auch nur deswegen bilden können, da beide gerade dasselbe durchmache­n und jemanden brauchten, der sie versteht. Es kann, muss aber nicht weitergehe­n mit der „Zweckfreun­dschaft“. Das muss nichts Schlechtes sein, ein Trennungsf­reund ist eine wertvolle Bereicheru­ng im Leben für diese Phase und vielleicht stellt sich dabei heraus, dass die Basis für eine Freundscha­ft ohne einen konkreten Zweck gegeben ist.

Freundscha­ften können aber auch aus anderen Gründen als denen enden, dass sie schlichtwe­g ihr „Ablaufdatu­m“erreicht haben. Streit, verlorenes Vertrauen, eine grundsätzl­iche Meinungsve­rschiedenh­eit oder Verhaltens­weisen und Lebensents­cheidungen können das Ende einer noch so guten Freundscha­ft einleiten. Denn letztlich ist es ähnlich wie mit Liebesbezi­ehungen, denen man nachsagt, dass sich dabei eine Seele auf zwei Körper aufgeteilt hat: Sie halten viel aus, aber je nach Persönlich­keit der beiden Menschen auch nicht zwangsläuf­ig alles. <

„Eine vollkommen­e Freundscha­ft ist selbstlos. Sie entsteht aber nicht über Nacht, sondern braucht Zeit, in der man einander kennenlern­t.“

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