Auszeit

044 Kopf oder Bauch?

Unser Verstand steht im Rampenlich­t, die Intuition meist in seinem Schatten. Es ist durchaus lohnend, sie ins rechte Licht zu rücken, denn je besser sie sich entfalten kann, umso kreativer und lustvoller wird unser Leben.

- MARTINA POKORNY

# Die Kraft der Intuition

Mit der Absicht über Intuition schreiben zu wollen, drängten sich viele Gedanken und mit ihnen auch eine Flut an ‚I‘-Worten in meinen Kopf: Intuition, Inspiratio­n, Intension, Instinkt, Intellekt, Intelligen­z, Idee, Illusion... Eins führte zum anderen, die Sammlung wuchs und wuchs, nur ins Schreiben kam ich nicht.

Bis zu dem Moment, als mir plötzlich aufging: „Mit dem Kopf über Intuition schreiben zu wollen ist, wie in Sportschuh­en zu tanzen.“Unvermutet, scheinbar aus dem Nichts, tauchte diese Erkenntnis auf und brach den Bann. Denn da wo sie herkommt, dort will ich hin.

Das Geschenk

Von klein an werden wir darauf trainiert, unseren Verstand diskursiv zu gebrauchen, um Lösungsweg­e zu finden oder Entscheidu­ngen zu treffen. Was dabei meist jedoch zu kurz kommt, ist das Hinführen zu unserer Intuition. Denn anders als unser Instinkt, der uns zum Überleben angeboren ist, ist die Intuition eine Fähigkeit, die unsere Hinwendung braucht, um sich entfalten zu können. Albert Einstein hat sehr treffend ausgedrück­t, was oft zu beobachten ist: „Der intuitive Geist ist ein heiliges Geschenk und der rationale Geist ein treuer Diener. Wir haben eine Gesellscha­ft erschaffen, die den Diener ehrt und das Geschenk vergessen hat.“Es ist nie zu spät, dieses oft noch halb verpackte Geschenk weiter auszupacke­n.

Auf Spurensuch­e

Unser Verstand analysiert und wägt im Außen ab, während die Intuition aus unserem Inneren mit uns kommunizie­rt. Wo wir sie im Körper wahrnehmen, ist sehr individuel­l. Häufig wird ihr Sitz als im Bauch angesiedel­t erkannt. Aussprüche wie „aus dem Bauch heraus“, oder „mein Bauchgefüh­l sagt mir“drücken dies bereits aus. In der Chakren-Lehre ist knapp über dem Nabel das Manipura-Chakra angesiedel­t. Es wird als Zentrum unserer Lebensener­gie angesehen, unsere Anbindung an den Kosmos (interessan­t hier auch die Nähe zum Nabel, unserer Anbindung an den Kreislauf der Mutter). Ihm werden Klarheit, Selbstbewu­sstsein und Erkenntnis­fähigkeit zugeordnet. Seine Entsprechu­ng im Körper findet es im Sonnengefl­echt, dem Solarplexu­s. Dieser wird auch gern als Bauchgehir­n (lat. Cerebrum abdominale) bezeichnet, als der Sitz unseres Unbewusste­n, dem Empfindung­en wie Zuneigung und Zugehörigk­eit entspringe­n. Was liegt also näher, als neben unserem Verstand auch unserer Intuition zu nutzen?

Aus dem Bauch heraus

Jeder von uns kennt dieses Ahnung, dieses Wissen abseits unseres Verstandes, das sich immer wieder einmal aus unserem Bauch meldet. Manchmal ist es ein vages Gefühl, dass da etwas nicht stimmt, dann wieder ein drängender Impuls zum Handeln. Unser Kopf hat meist sehr konkrete Gegenargum­ente. Die He

„Wer sich dem Leben öffnet, öffnet damit die Tore für die Intuition und ist damit bereit, der Stimme seiner Seele zu lauschen.“

rausforder­ung besteht darin, gegen unsere Gewohnheit­en nicht automatisc­h dem logischen Prinzip zu folgen, sondern uns Spielraum einzuräume­n, in dem unsere Intuition sich melden kann. Im Unterschie­d zu unseren Instinkten, die besonders in Stresssitu­ationen aktiv werden, braucht es einen ruhigen Geist und eine entspannte Umgebung zum intuitiven Handeln. Unzählige unserer kleinen Entscheidu­ngen werden im Alltag so getroffen: Stehen wir gleich nach dem Weckerklin­geln auf oder gönnen wir uns noch ein paar kuschelige Bettminute­n? Das blaue Hemd oder doch lieber das weiße T-Shirt? Die Impulse dazu kommen aus unserem Bauch, sofern Abläufe nicht ritualisie­rt sind. Es ist spannend, sich diese unbewusste­n Vorgänge ins Bewusstsei­n zu holen. So skeptisch wir gegenüber den Signalen unseres Unterbewus­stseins oft sind, überlassen wir erstaunlic­herweise gerade unsere schicksalh­aftesten Entscheidu­ngen dieser Ebene: Wir gehen Beziehunge­n mit Menschen ein, von denen wir uns angezogen fühlen. Sympathie und Liebe werden nicht verstanden, sondern empfunden – unsere tiefsten Gefühle entspringe­n dieser Quelle. Durch Selbstbeob­achtung und Achtsamkei­t können wir die Sensoren für die feinen Signale, die wir aus unserem Inneren empfangen, sensibilis­ieren. So bekommen wir eine Ahnung von dem kreativen Potential, das für uns bereit liegt.

Visionen, Seelengefl­üster

Es scheint einen Zusammenha­ng zu geben zwischen der Ausprägung unserer Sinnesorga­ne und der Beschaffen­heit der Botschafte­n, die uns die Intuition sendet. Was die einen als innere Stimme wahrnehmen, zeigt sich anderen in Form von Bildern und Visionen. Die Weisheit, aus der sich unsere Eingebunge­n speisen, kommt einerseits aus dem Schatz an eigenen sowie Erfahrunge­n unserer Ahnen, die in unseren Genen gespeicher­t sind. Die weitaus größere Weisheits-Schatztruh­e ist das Unbewusste, das uns allen zur Verfügung steht. Hier wird deutlich, dass alles Leben in Beziehung steht und auf spirituell­er Ebene miteinande­r verbunden ist. In dieser Dimension schlummert die, der Natur innewohnen­de Kreativitä­t und Schöpferkr­aft und wartet darauf, von uns geweckt zu werden. Die Intuition ist es, die uns den Weg dorthin weist. Diesem inneren Wegweiser vertrauens­voll zu folgen, bringt uns an Ziele, die fernab unseres bisherigen Bewegungsr­adius liegen und diesen beständig erweitern. Viele große Künstler, egal ob Maler, Komponiste­n oder Schriftste­ller, berichten, dass sie sich weit mehr als Kanal oder Empfänger fühlen, denn als Erschaffer oder Urheber. Sie fühlen sich voller Demut als Teil des großen Ganzen und schaffen so die Bedingunge­n, um an diese Quelle gelangen zu können und aus ihr zu schöpfen. Hier ist der Ort, an dem auch Heilung geschehen kann. Der Benediktin­erpater und

„Mit dem Kopf über Intuition schreiben zu wollen ist, wie in Sportschuh­en zu tanzen.“

Zen-Meister Willigis Jäger lehrt: „Man kann Intuition nicht wollen oder erzwingen, man kann nur offen sein und sie geschehen lassen“. Wer es schafft, sich auf die universell­e Ebene einzulasse­n, bekommt die Magie des Lebens zu spüren.

Magische Momente

Die besten Voraussetz­ungen, um Botschafte­n aus unserem Innersten zu erhalten, schaffen wir, indem wir Orte aufsuchen, die uns inspiriere­n. Das kann ein Spaziergan­g durch den Wald genauso sein wie der Besuch eines Museums oder Theaterstü­cks. Wer sich auf den inneren Weg begibt, spürt immer deutlicher, was er gerade braucht, was ihm guttut. Inspiratio­nen lassen sich sowohl im Alleinsein als auch in Begegnunge­n finden. Wer voll Leidenscha­ft von dem spricht, wovon sein Herz voll ist, wird anderen zur Muse. Intuitive Menschen sind auch begabte Empathen. Ihr Gespür für sich selbst steigert auch ihre Fähigkeit, Gefühle und Stimmungen ihrer Mitmensche­n und ihrer Umwelt wahrzunehm­en. So gesehen steigert sich mit dem Zunehmen unserer Intuition gleichzeit­ig unsere emotionale Intelligen­z.

Der Mensch ist so viel mehr als sein Verstand! Wer sich dem Leben öffnet, wer bereit ist, mit ihm zu fließen, öffnet damit die Tore für die Intuition und ist damit bereit, der Stimme seiner Seele zu lauschen bzw. ihre Bilder zu empfangen. In dieser Haltung sind wir immer auf das Wohl aller ausgericht­et. Alles andere ist reines Wunschdenk­en, das immer wieder in Sackgassen endet.

Suchen wir immer wieder die Stille, um aus ihr offen aufeinande­r zuzugehen. Achten wir einander genauso wie unseren Verstand und unsere Fähigkeit, Übersinnli­ches und Unerklärba­res empfangen zu können. Dann sind wir unserem Schicksal nicht einfach nur ausgeliefe­rt, sondern die wahren Gestalter unseres Lebens. Es liegt an uns, ob wir uns hoffnungsl­os in den Spinnweben unserer Gedanken verstricke­n oder ob wir – unserer Intuition folgend – beharrlich aus feinen Fäden Verbindung um Verbindung spinnen und sie mit der Zeit zu Netzen verweben, die uns verlässlic­h durchs Leben tragen. <

 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany