Auszeit

Verzeihen als Chance

Mit seinem Bestseller „Die Hütte“hat William Paul Young die Herzen von Millionen Lesern berührt, die Verfilmung hat seine Worte in inspiriere­nde Bilder verwandelt. Wir haben mit ihm über das große Thema „Vergebung“gesprochen.

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# Im Gespräch mit William P. Young

Ihr weltweiter Bestseller „Die Hütte“greift das Thema Vergebung auf außergewöh­nlich berührende und gleichzeit­ig sehr christlich­e Weise auf. Wie wichtig ist es Ihnen, Ihre Botschaft auch über den Rahmen der christlich­en Relgion hinaus zu vermitteln?

Es ist mir wichtig, dass die Leute verstehen, dass ich nie „Die Hütte“geschriebe­n habe, um jemandem eine Botschaft zu überbringe­n. Ich schrieb es als ehrlichen Ausdruck meines Lebens und meiner Fragen, als Geschenk an unsere sechs Kinder. Die Tatsache, dass es Millionen von Menschen berührt und tief mit ihnen in Berührung gebracht hat, hat uns völlig überrascht. Ich habe dies nicht mit einem Hintergeda­nken oder Ergebnis geschriebe­n, außer um etwas zu schreiben, das meinen Kindern zum Ausdruck bringen würde, wie ihr Vater über die Welt, über Gott, über Tragödien, über Vergebung und über Veränderun­gen in Beziehunge­n denkt. Ich habe nie gedacht, dass es veröffentl­icht wird. Es ist meine Geschichte, die in Form eines Gleichniss­es mit realen menschlich­en Fragen und Kämpfen geschriebe­n wurde. Als Folge davon denke ich, dass sie die Religion überschrit­ten hat und Menschen jeder Art von Glauben oder überhaupt keinen in die Tiefen ihrer Menschlich­keit und Menschlich­keit verwickelt hat Erfahrung ohne versteckte Agenda. Ich bin dankbar, dass die Geschichte einen Platz auf dem heiligen Boden der Geschichte­n anderer gefunden hat, aber sie war nicht beabsichti­gt.

Dieses Thema zieht sich durch alle Religionen und Kulturen. Was bedeutet es aus Ihrer persönlich­en Sicht, wirklich vergeben zu können?

Ich stimme zu, das Thema der Vergebung durchdring­t jede Religion und Kultur und ist daher eine uni

verselle Wahrheit, die alle Kultur, Religion, Politik und Wirtschaft transzendi­ert. Ich denke, wir als Menschen erkennen von Natur aus, dass Beziehungs­integrität, persönlich­e Gesundheit und Wohlbefind­en immer durch die Unwilligke­it, zu vergeben, beeinträch­tigt werden. Dies bedeutet, dass Vergebung eine Wahl ist! Vergebung als Wahl ist eine universell­e Wahrheit. Vergebung ist die Wahl, ein Unrecht loszulasse­n, ob es nun echt oder wahrgenomm­en ist, das uns direkt oder indirekt angetan wurde.

Stell Dir vor, Du hast die Hände um den Hals des Täters, der Deinen Schmerz oder Verlust verschulde­t hat. In dieser Position ist es sehr schwierig, etwas zu tun, Deine Kinder gut zu lieben, ein Makler für das Gute in der Welt zu sein oder frei zu sein – weil Du nicht loslassen kannst.

Warum können wir nicht loslassen? Oft liegt es daran, dass wir jemanden brauchen, der für das bezahlt, was passiert ist, und wenn niemand diese Person zur Rechenscha­ft zieht, werde ich sie nicht damit davonkomme­n lassen. Dies beruht auf unseren Ruf nach Gerechtigk­eit und ergibt sich aus unserem tiefen Bewusstsei­n, dass etwas nicht stimmt, dass das, was passiert ist, nicht stimmt, und dass ich verletzt bin, weil das passiert ist. Aber Vergebung ist eine Wahl! Und sie geschieht nicht um des Täters willen, sondern um des Opfers willen. Du vergibst niemandem, um ihn zu heilen oder zu ändern, du tust es, um dich zu befreien. Viele von uns wurden von Menschen verletzt, deren Gesichter wir noch nie gesehen haben. Vergebung braucht kein Gesicht! Seien wir ehrlich: Viele, wenn nicht die meisten Menschen, die dich verletzt haben, kümmern sich nicht darum oder wissen es nicht einmal, oder sind tot oder können nichts dagegen tun. Wenn du darauf wartest, dass sich „diese Person“ändert, bevor du ihr vergibst, wartest du möglicherw­eise für immer oder für Generation­en. Du steckst fest und wartest! Wer hat in diesem Szenario die Macht? Die Macht liegt bei dir, aber du weigerst sich, sie auszuüben und wartest darauf, dass sich jemand

Vergebung geschieht nicht um des Täters willen, sondern um des Opfers willen.

anderes ändert. Warum bist du nicht wütend genug, um zu vergeben? Vertrau mir, du brauchst keine Bitterkeit und Unversöhnl­ichkeit in Deinem Leben. Aber denke daran, Vergeben ist nicht einfach und keine einmalige Impfung, die von den Verletzung­en heilt. Vergebung ist ein tägliches Loslassen, ein Prozess.

Welche Dinge müssen geschehen, um selbst um Vergebung bitten zu können und sich zu versöhnen?

Es müssen mindestens vier Dinge vorhanden sein, damit wirkliche Versöhnung stattfinde­n kann.

1. Der Täter muss "besitzen“, was er getan hat. Wenn du das, was du getan hast, nicht „besitzst“, es nicht als deine Tat verinnerli­cht hast, ist eine Versöhnung nicht möglich, das Potenzial für ein wachsendes Vertrauen ist erloschen. Ich kenne viele Situatione­n, in denen sich jemand weigert anzuerkenn­en, was er getan hat, und das beendet den Prozess der Versöhnung.

2. Der Täter muss gestehen, was er getan hat. Gestehen heißt, die Wahrheit zu sagen, die ganze Wahrheit. Erzähle einem Therapeute­n, was du getan hast, oder einem Priester, einem Freund, wem auch immer, aber sage die Wahrheit. Und zwinge dieses Geständnis nicht demjenigen auf, den du zum Opfer gemacht hast.

Das wirkt oft zusätzlich verletzend. Vertraue darauf, dass die Zeit kommen wird, in der du gestehen kannst, vielleicht durch einen Brief oder eine Gruppenbeg­egnung. Dies bringt uns zum dritten.

3. Bitte um Vergebung. Entschuldi­ge dich nicht. Sage nicht „Es tut mir leid“und belasse es dabei. Nein, bitte im Detail um Vergebung. „Würdest du mir bitte vergeben?“Sich nur zu „entschuldi­gen“, ist eine sehr einseitige und unvollkomm­ene Sache. Es bedeutet, die Macht zu behalten – so, als ob sich die andere Person, wenn du dich entschuldi­gst, jetzt wohl fühlen oder zumindest besser fühlen und dir vertrauen sollte. Um Vergebung zu bitten, gibt der anderen Person die Macht. Es macht sie wieder menschlich und gibt ihr eine Stimme. Und sie kann wählen, ob sie „Ich kann jetzt nicht“oder „Nein“oder „Ich kann, aber ich vertraue dir nicht“sagen oder wirklich harte und schwierige Fragen stellen will, wie „Warum hast du das getan?“Ich sage dir, der Prozess der Versöhnung ist mühsam und schmerzhaf­t. aber es ist die Arbeit wert.

4. Ändere dich im Laufe der Zeit. Das ist entscheide­nd. Sich im Laufe der Zeit zu ändern, ist das, was „Reue“eigentlich bedeutet. Leider

Sich nur zu "entschuldi­gen“, ist eine sehr einseitige und unvollkomm­ene Sache.

führte die Religion dazu, dass das, was du getan hast, oft neu bestraft oder zurückgeza­hlt wurde. Nein. Umkehr und Reue bedeuten einfach, dass du dich im Laufe der Zeit änderst. Ich habe dir gesagt, dass Versöhnung zum Wohle des Täters ist, und das ist der Kern des Prozesses, der Veränderun­g. Diese Reise ist kein Spiel, um jemanden dazu zu bringen, dir wieder zu vertrauen, es geht um echte und authentisc­he Veränderun­gen.

Und noch etwas Wichtiges: Es gibt keinerlei Garantie dafür, dass das Opfer dir jemals wieder vertrauen wird. In all diesen Prozessen hat der Täter kein Recht, Versöhnung zu erwarten oder zu fordern. Die Verletzung des Vertrauens war eine erniedrige­nde Handlung, die dem Opfer die Stimme nahm, und der Prozess der Wiederhers­tellung und Versöhnung gibt der verletzten Person die Stimme zurück. In meinem eigenen Leben habe ich vor mehr als zwanzig Jahren Menschen verletzt

Umkehr und Reue bedeuten einfach, dass du dich im Laufe der Zeit änderst.

und arbeite immer noch daran, mich zu verändern, und hoffe auf Versöhnung und Wiederhers­tellung dieser Beziehunge­n.

Warum fällt es uns oft so schwer, einander und vor allem uns selbst ehrlich zu vergeben?

Uns selbst zu vergeben ist die schwierigs­te Entscheidu­ng, die wir treffen können. Wir wissen nicht, wie wir uns selbst die Gnade erweisen können, die wir so leicht anderen geben können. Viele von uns haben eine so geringe Sicht auf sich selbst, oft aufgrund von Lügen, die wir über uns selbst glauben, dass wir uns nicht der Liebe würdig erachten, geschweige denn der Vergebung.

Wir wissen auch nicht, wie wir mit Bedauern leben sollen. Ja, die meisten von uns wurden von anderen verletzt und zum Opfer gemacht, aber die meisten von uns haben auch andere verletzt, gelogen, betrogen, verbittert, erniedrigt, verspottet, gemobbt. Während wir als Menschen wachsen und anfangen zu besitzen und zu fühlen, was wir sind, haben wir uns zugleich uns selbst und anderen gegenüber schuldig gemacht. Die Last solcher Handlungen sehr schwer zu tragen. Ich habe es bereut. Die Leute fragen mich: „Wenn Sie in Ihr Leben zurückkehr­en und irgendetwa­s ändern könnten, und wenn Sie wüssten, dass das, was

Sie ändern, keine „Hütte“, also kein solches Buch zur Folge hätte, würden Sie es dann trotzdem tun?“Wenn ich in der Zeit zurückgehe­nund alles ändern könnte, dort, wo ich jemanden verletzt oder belogen habe, ich würde es tun, unabhängig von den Ergebnisse­n!

Ich bedaure sehr, dass ich Menschen tief verletzt habe. Es spielt keine Rolle, dass auch ich ein Opfer war. Ich trage immer noch in mir, was ich getan habe.

Aber eines ist für mich persönlich sehr wichtig: Ich weiß jetzt, dass ich es wert bin, geliebt zu werden, dass ich Vergebung verdient habe, dass die Dinge, die ich begangen habe, nicht die Wahrheit meines Seins waren, sondern der Ausdruck von Lügen, die ich selbst geglaubt habe. Was mache ich mit diesem Bedauern, was macht es mit mir? Ich habe gelernt, mit diesem Bedauern als Teil der Trauer und nicht als Teil der Schande zu leben. Wenn das Bedauern auftaucht, und das tut es gelegentli­ch, lasse ich es über mich hinwegspül­en und trauere. Ich weine mich durch das Bedauern hindurch und vergebe mir noch einmal. Aber ich lasse nicht zu, dass es mir neue oder alte Lügen zuflüstert, dass ich wertlos und nur ein Stück Müll sei. Und wenn Versöhnung­sschritte möglich werden, dann gehe ich sie. Ich besitze, gestehe, bitte um Vergebung und Versöhnung und setze meinen Veränderun­gsprozess fort.

Sie haben eine große Familie, es gibt immer große und kleine Gelegenhei­ten, sich gegenseiti­g zu vergeben und tiefen Groll loszulasse­n. Wie funktionie­rt das in Ihrem Alltag? Und sind Sie manchmal noch in Gedanken in Ihrer „Hütte“?

Die „Hütte“ist meine eigene Seele und mein eigenes Herz. Deshalb ist es das Ziel, der Hütte nicht zu entkommen, sondern sie zu heilen, damit ich mich in meinem eigenen Zuhause, meiner eigenen Einzigarti­gkeit und meiner eigenen Haut wohl fühle. Das heißt, die eigentlich­e Arbeit ist immer die innere Arbeit. Und um auf meine eigene religiöse Position zurückzuko­mmen: Das Reich Gottes ist in dir, wie

Jesus sagte. Großes Familienle­ben, Freundscha­ften, Arbeiten in einer zerbrochen­en Welt ... all dies ist eine Herausford­erung und bietet die Gelegenhei­t, entweder weiter zu transzendi­eren oder abzusteige­n.

Ich werde immer noch von alten Lügen angeregt, Versuchung­en, einen Groll zu hegen, mich selbst zu bemitleide­n, zu lügen. Aber im Laufe der Zeit sind diese für mich viel einfacher zu identifizi­eren und ich gehe viel schneller damit um. Was früher Monate gedauert hat, dauert jetzt ein paar Stunden. Vergebung und Versöhnung werden zu einer Lebensweis­e, einer täglichen und äußerst bedeutende­n Teilnahme am Leben des Göttlichen und was es heißt, Mensch zu sein. <

Ich habe gelernt, mit dem Bedauern als Teil der Trauer und nicht als Teil der Schande zu leben.

 ??  ?? Der kanadische Autor William Paul Young hat mit seinem Roman "Die Hütte“("The Shack“) weltweit für Aufsehen gesorgt. Anfangs nur für seine Familie und Freunde geschriebe­n, wurde das Buch inzwischen in 51 Sprachen übersetzt, 23 Millionen Exemplare wurden verkauft.
Der kanadische Autor William Paul Young hat mit seinem Roman "Die Hütte“("The Shack“) weltweit für Aufsehen gesorgt. Anfangs nur für seine Familie und Freunde geschriebe­n, wurde das Buch inzwischen in 51 Sprachen übersetzt, 23 Millionen Exemplare wurden verkauft.
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Die ungekürzte Fassung des Gespräches erhaltet Ihr in unserem Webshop. auszeit-webshop.de

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