Unter Brüdern
Geborgenheit: hinter diesem kleinen Wort verbirgt sich eine ganze Welt: Wohlgefühl, Sicherheit, Schutz, aber auch Nähe, Wärme und Vertrauen.
# Liebe unter Geschwistern
„Selbst wenn ich mich mit meinen brüdern stritt, verlor ich nie das Gefühl des Beschütztwerdens.“
Als Kind brauchen wir Geborgenheit, um zu einer stabilen Persönlichkeit heranzuwachsen. Als Erwachsener hilft sie uns, in Ruhe und in Einklang mit uns selbst und anderen zu leben. In einer komplizierten Welt, die immer mehr von uns fordert, verspricht Geborgenheit den Schutzraum, den wir benötigen, um uns sicher zu fühlen. Sie erfüllt die Sehnsucht nach dem Vertrauten, nach dem Schutz der Kindheit, nach Liebe.
Unter Brüdern
Wenn ich zurückdenke, dann liegen meine ältesten, liebevollen Erinnerungen an das Geborgensein in meiner Kindheit. Ich bin auf dem Land in einer Großfamilie mit fünf Brüdern aufgewachsen, die zwischen fünf und elf Jahre älter waren. Zunächst waren sie nicht davon begeistert, eine Schwester an die Seite gestellt zu bekommen, denn sie hofften auf Verstärkung für ihre Fußballmannschaft. Stattdessen mussten sie, zu ihrem Leidwesen, oft auf mich aufpassen. Im Winter bauten sie mit mir Schneemänner – und Burgen. Übermütig flitzten sie mit mir auf dem Schlitten die wildesten Berge hinunter, auf einem Parcours aus selbst gebauten Sprungschanzen.
Die Mutter hätte mit Sicherheit vor Schreck die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen, wenn sie davon gewusst hätte. Ich jedoch kannte, im Beisein meiner Brüder, keine Angst. Nur als ich einmal verbotenerweise allein auf den größten Kirschbaum im Obstgarten kletterte, mich schon mit vollem Bauch im Wipfel befand und unter mir ein Ast wegbrach, bekam ich einen Riesenschreck und traute mich kaum mehr, mich zu bewegen. Aber meine Hilferufe wurden prompt erhört. Schon eilte ein Bruder herbei und brachte mich unversehrt zu Boden.
Ich war immer stolz auf meine Brüder. Sie waren meine Helden und meine großen Vorbilder. Selbst wenn ich mich mit ihnen zankte, verlor ich nie das Gefühl des Beschütztwerdens, der innigen Verbundenheit und der geschwisterlichen Liebe. Natürlich verstanden sie nicht, wie man mit Puppen spielen konnte, aber sie haben mich trotzdem in ihre Herzen geschlossen. Noch heute, mit 51 Jahren, stellen sie mich als „kleine Schwester“oder „Schwesterlein“vor.
Ganz in Familie
Auch von meinen Eltern durfte ich Geborgenheit erfahren. Das größte Glück war es, wenn ich mich zu
meiner Mama ins Bett kuscheln durfte und sie mir Märchen vorlas oder Geschichten erzählte. Eine Prägung, die mich später auch zu meinem Beruf als Autorin führte. Oder ich saß auf Papas Schoß und schaute mir Bücher an. Manchmal durfte ich auch auf seinem Traktor mitfahren. Später bekam ich von ihm Hammer und Nägel, und ich konnte mit meiner Freundin im Wald ein Baumhaus bauen, als kindlichen Rückzugsort. In meinen Erinnerungen wird mir bewusst, dass es damals in meiner Familie viele „Rituale“gab, die mir das Gefühl von Geborgenheit vermittelten. Ich war nie in einem Kindergarten. Dafür durfte ich jeden Tag bei und mit meiner Mama in der Küche verbringen. So lernte ich schon früh die Kunst des Kochens – bis heute eine meiner ganz besonderen Leidenschaften. Am allerschönsten war für mich das gemeinsame Essen mit der Familie. Ich erinnere mich an den Duft der Plätzchen zu Weihnachten, an den heißen Tee, den Lieblingsteddy, der immer noch in meinem Bücherregal sitzt. Und ganz besonders gerne an meine geliebten Nudeln mit Tomatensoße, die ebenso das Lieblingsessen meiner Töchter wurden. Auch alte Lieder und Filme schenken mir das Gefühl von Geborgenheit, das man als Kind so genossen hat. So liebe ich es bis heute, an Weihnachten alle drei Teile der Sissi-Reihe anzuschauen – und das, obwohl ich sonst nur selten fernsehe.
Geborgenheit tut gut
Geborgenheit ist ein Lebensgefühl, das durch nichts ersetzt werden kann. Um ein weinendes Kind, das im Kaufhaus seine Mutter verloren hat, können sich noch so viele fremde Menschen kümmern und ihm gut zureden. Geborgen fühlt es sich erst dann wieder, wenn es in den Armen seiner Mutter ankommt.
Dennoch erlebe ich es oft, dass viele Mütter und Väter aus Zeitmangel, beruflicher Überforderung, Stress sowie privater Probleme die für Kinder so wichtige Vermittlung von Geborgenheit sekundär werden lassen. Viele Stunden werden sie vor dem Fernseher oder dem Computer „geparkt“, wo sie den modernsten Spielen aus der digitalen Welt ausgesetzt sind – eine bequeme und gefährliche Form der Unterhaltung mit den bekannten negativen Auswirkungen. Ich bin davon überzeugt, dass die kindliche Urerfahrung von Geborgenheit – wenn wir sie erleben durften – es uns leichter macht, sich vom Leben getragen zu fühlen. Emotionale Zuwendung und Unterstützung sind die beste Basis für die Entwicklung hin zu einer stabilen Persönlichkeit. Doch abgesehen davon kann sich jeder kleine Inseln der Geborgenheit selbst schaffen – ob im Freundeskreis, in der Partnerschaft oder auch ganz allein in unserem gemütlich eingerichteten Zuhause. Doch wie gemütlich man sich auch einrichtet in seiner Wohlfühlecke: Letztlich kommt es darauf an, nach innen zu schauen, seinen eigenen Wert zu erkennen und an sich zu glauben. Dann finden wir auch zu innerer Ruhe – eine wundervolle Basis, um im Leben stark zu sein und die Geborgenheit auch in sich selbst zu fühlen. <