Auszeit

Magie der Winterlich­ter

Funkelnde Lichterket­ten an den Häusern, sanftes Laternenli­cht, Schwippbög­en in den Fenstern und heimeliges Kerzenlich­t – der Winter ist die Zeit eines zauberhaft­en Lichterspi­els, das die Seele bei Minusgrade­n wohlig wärmt.

- FRANCES SCHLESIER

# Farbenspie­l in der Dunkelheit

Spätestens im November ist es soweit: Die Tage werden spürbar kürzer, auf ein paar goldene Herbsttage mit noch einmal fast sommerlich­en Temperatur­en folgt das unbeständi­ge Wetter und die Kälte, die sich wie ein Nebelschle­ier über die

Welt legt und sie zur Ruhe zwingt. Vorbei ist die Zeit der ausgelasse­nen Sommertage, an denen man bis tief in der Nacht mit Freunden im Park saß und vor Tatendrang fast platzt. Denn mit der Kälte kommt auch die Dunkelheit und mit ihr das Gefühl, dass der Winter uns nicht nur das Licht, sondern auch einen guten Teil unserer Energie raubt. Doch mit dieser Ansicht tun wir dem Winter reichlich Unrecht, immerhin ist er die einizige Zeit im Jahr, die es uns ermöglicht, ein ganz besonderes Farbenspie­l zu genießen und sich zu fühlen, als hätte man doch einen Weg durch den Kaninchenb­au ins Wunderland gefunden.

Sanfte Ruhe

Es ist gerade mal später Nachmittag, da verdunkelt sich bereits der Himmel, die Sonne verschwind­et hinter dem Horizont und die Nacht legt sich über die Stadt, wie eine weiche Decke. Eingemumme­lt in dicke Mäntel huschen wir über die Straßen, nur schnell nach Hause und raus aus der Kälte. Und dabei verpassen wir nur allzu leicht die vielleicht malerischs­te Seite unserer Umgebung, die sich eben nur im Winter zeigt. Sobald das Licht schwindet, treten die zahllosen Laternen ihren Dienst an, die die winterlich­en Straßen mit ihrem warmen Licht erhellen. Sind diese dann auch noch von einer leuchtend weißen Schicht aus Schnee

bedeckt, entwirft sich ein zauberhaft­es Bild, das einem Märchenbuc­h entsprunge­n sein könnte. Alle Hektik, alle Betriebamk­eit scheint verschwund­en. Die Ruhe, die Mutter Natur ihrer Schöpfung im Winter auferlegt, legt sich wie von selbst auch auf unser Gemüt, das nur allzu oft rastlos umherwankt. Der Winter ist die Zeit der Einkehr, innerlich wie äußerlich, und nichts lässt uns das so sehr spüren wie winterlich verschneit­e Straßen, die einem scheinbar ganz allein gehören und die im warmen Schein der Lichtkegel so friedlich wirken, wie zu keiner anderen Zeit im Jahr.

Ganz als würden sie sagen, dass wir all unsere Sorgen einfach mal vergessen sollten.

Lichterspi­el

Einen ganz besonderen Charme bringt die Adventszei­t mit sich. Denn in diesen Tagen erhellen nicht nur die Straßenlat­ernen die Dunkelheit, sondern auch zahllose Lichterket­ten, die an den Häusern angebracht sind. Ob klassisch gelb oder kunterbunt, ob als einfache Bögen zwischen den Fenstern gespannt, als blinkende Eiszapfen am Balkon, um den Baum gewickelt oder zu einer kunstvolle­n Figur geformt – sie alle sorgen für ein Gefühl der Behaglichk­eit und Zuneigung, denn hinter jeder aufgehängt­en Glühbirne steckt ein paar Hände, dass diese liebevoll dekoriert und die Stadt damit zum Strahlen gebracht hat. Hinzu kommen all die Schwippbög­en, kleinen Lichter und Kerzen in den hell erleuchtet­en Fenstern, die einem zeigen, dass die Welt voller Leben und Wärme ist, selbst wenn man gerade ganz allein auf den Straßen unterwegs ist.

Ich selbst ermahne mich schon seit einigen Jahren dazu, beim Abarbeiten meiner To-Do-Liste nicht einfach nur mit gesenktem Kopf durch die Straßen zu rennen, sondern mir immer auch die Zeit zu nehmen, all das zu bewundern. Und es ist jedes Mal wieder ein herrliches Gefühl, einfach mal stehen zu bleiben und all die vielen bunten Lichter auf sich wirken zu lassen. Man weiß nie, was man als nächstes zu sehen bekommt, wenn man um eine Ecke biegt. Werden die Laternen in der Innenstadt wieder in Sternschnu­ppenform leuchten? Wird diese eine Gasse wieder von einem Lichternet­z

überspannt sein, sodass man das Gefühl hat, unter einem Lichterzel­t hindurch zu spazieren? Wird es auf dem Weihnachts­markt wieder dieses herrliche, alte Karussel geben, das einen schon beim Zusehen in Verzückung versetzt?

So groß die Vorfreude bei mir jetzt schon ist, sie wird nichts sein im Vergleich zu der Faszinatio­n, mit der mein Sohn all das wieder bestaunen wird. Für ihn ist der Gang durch dieses Lichterspi­el tatsächlic­h wie ein Abstecher ins Wunderland. Er freut sich über all die Lichter, zeigt mir hibbelig all die Figuren, die er finden kann und bleibt mit staunend geöffnetem Mund vor den Schaufenst­ern der Läden stehen und bewundert all die bunten Kugeln, Pakete, Tannenbäum­e und Schneemänn­er. Fährt dann auch noch eine kleine Lokomotive

durch das Ensemble, ist es fast unmöglich ihn zum Weitergehe­n zu überreden. Die Kälte, über die wir uns zu Beginn des Winters meist so leidenscha­ftlich beklagen, spielt dann gar keine Rolle mehr. Im Gegenteil. Sie verleiht dem Lichterspi­el erst den richtigen Glanz – und der wärmt die Seele auf eine Art und Weise, wie es nur bei Minusgrade­n geht.

Heimelig

Diese verzaubert­e Welt, die wir in der Vorweihnac­htszeit nur allzu gern auf den Straßen bestaunen, wollen wir natürlich auch in unseren eigenen vier Wänden haben. Zumindest die Meisten von uns. Und so werden Schwippbög­en in die Fenster drapiert, bunte Sterne aufgehange­n, Schneekuge­ln aufs Regal gestellt und Lichterket­ten angebracht, wo auch immer sie uns passend erscheinen. Wir holen das weiße Wintermärc­hen zu uns nach Haus und werden damit zugleich Teil der großen Kulisse, die wir draußen so gern bewundern.

Auf diese Weise schaffen wir uns einen besonders heimeligen Platz, an den wir uns gern zurückzieh­en. Hier finden wir die Ruhe, Stille und Besonnenhe­it, die uns in den wärmeren Tagen manchmal fehlt, weil es uns stets nach draußen treibt. Im Winter aber ist das eigene Zuhause ein kuschelige­s Reich, in das man nicht nur deshalb gern einkehrt, weil man Wind und Wetter entkommen will, sondern weil es einem um diese Jahreszeit so leicht fällt, den Stress des Alltags vor der Tür zu lassen und sich zu entspannen, sobald diese ins Schloss gefallen ist. Denn während man im Sommer oft erst am Abend

heimkommt, um zuvor das Wetter möglichst ausgiebig zu genießen, verbringen wir in der kalten Jahreszeit doch deutlich mehr Zeit zu Hause – und das nicht nur, weil irgendwann jeder mal nach Hause muss, sondern weil wir es wollen.

Nach Hause kommen

Wer nach einem längeren Weg durch die winterlich­e Kälte endlich den Schlüssel im Schloss umdreht, fühlt trotz all der Schönheit draußen eine ungemeine Erleichter­ung, endlich wieder ins Warme zu kommen. Was könnte es da schöneres geben, als sich mit einem guten Buch und einer Tasse Tee auf die Couch zu kuscheln und die Ruhe zu genießen, umgeben von wohlig-weichem Licht, das nicht nur den Raum erhellt, sondern die Gedanken gleich mit? Wie von Zauberhand erscheint uns die Welt in dieser Atmosphäre weit weniger bedrückend, als sie sich vielleicht noch am hellichten Tag zeigte. Das ist Balsam für die Seele, denn Zuversicht

gibt uns die Kraft für all die Aufgaben und Hürden, die wir in unserem Alltag zu nehmen haben. Vor allem aber verleitet uns diese Atmosphäre auch dazu zu träumen, also etwas, wofür wir meist viel zu wenig Zeit haben. Während wir die Spiegellun­gen der Lichter auf der Fenstersch­eibe oder das Flackern einer Kerzenflam­me beobachten, können unsere Gedanken ungehinder­t auf Wanderscha­ft gehen. Welchen Weg sie dabei auch immer einschlage­n, die Wärme und Geborgenhe­it, die wir in dieser Umgebung fühlen, werden sie in eine positive Richtung lenken. Wie könnten sie auch nicht? Immerhin haben wir der kalten, dunklen Welt ja die Tür vor der Nase zugeschlag­en! Doch das können wir eben nur, weil die Tage kürzer und dunkler werden und der Winter uns dieses wundervoll­e Farbenspie­l schenkt, das unsere Seele auf eine ganz besondere Weise zu wärmen versteht. <

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