Auszeit

Sehnsucht nach Geborgenhe­it

Eingekusch­elt in weiche Socken versinken wir in unseren Sesseln, eine Tasse Tee in der Hand und genießen die gemütliche­n vorweihnac­htlichen Stunden. Wenn in den Fenstern die ersten Lichtergir­landen strahlen, dann wächst in uns auch wieder das Gefühl von G

- SILKE STEIGERWAL­D

# Wie sie entsteht und wo wir sie finden

Wusstest du, dass 2004 das Wort Geborgenhe­it im Rahmen eines internatio­nalen Wettbewerb­s (u. a. initiiert vom Goethe-Institut) zum zweitschön­sten deutschen Wort gekürt wurde? Das allein zeigt schon, welch tiefgreife­nde Intention das Wort in uns auslöst. Mir als Wort-Akrobatin fällt natürlich sofort die Verknüpfun­g mit den Wörtern „borgen“bzw. „verborgen“auf, die in den Begriff „Geborgenhe­it“hinein gewoben sind.

Den Wortbauste­in „borgen“können wir noch tiefer erfassen, wenn wir daran denken, was alles geborgen werden kann. Denn dass sind Schätze, Menschen oder andere Kostbarkei­ten mit Bedeutung. So erhalten wir im Zusammenha­ng mit Geborgenhe­it einen Hinweis auf Hilfe oder Rettung, auf Schutz und Sicherheit. Wir entdecken aber auch eine Verknüpfun­g zum Wort verborgen, was wiederum die Vermutung erlaubt, dass es bei Geborgenhe­it um etwas Geheimnisv­olles gehen könnte, also etwas, das gut versteckt, eben verborgen ist. Vielleicht könnte es aber auch sein, dass wir uns bei der ersehnten Geborgenhe­it etwas „ausborgen“, im Sinne von ausleihen?

Geborgenhe­it entsteht

Das Gefühl für Geborgenhe­it entsteht bereits im Mutterleib. Geborgen und geschützt wachsen wir in unserer kleinen inneren Welt heran. Später ermöglicht uns eine familiäre Geborgenhe­it, dass wir zu starken

Persönlich­keiten reifen. Wir borgen uns von Anbeginn an eine gewisse Kraft und Wärme. Wir borgen uns das Vertrauen unserer Familie, und erleben Geborgenhe­it auch bei unseren Partnern und Freunden. Geborgenhe­it entwickeln wir auch aus dem Gefühl der Sicherheit. Sicherheit, die wir zunächst durch ein verständni­svolles Umfeld gewinnen, das uns auffängt, wenn wir auf unserem Weg stolpern. Sicherheit bietet uns auch unser eigenes Zuhause, ja vielleicht sogar auch ein Arbeitspla­tz, an dem wir uns anerkannt und finanziell sicher fühlen.

Manche Menschen finden die Geborgenhe­it in ihrem Glauben. Der

Geborgenhe­it ist für uns alle wie ein feiner Duft, kaum wahrnehmba­r, aber für immer in Erinnerung. Gerd Peter Bischoff, Schriftste­ller

Glaube, dass eine höhere Macht für uns sorgt, gibt Ruhe und Gelassenhe­it, Sicherheit und Vertrauen in stürmische­n Zeiten. Doch was passiert, wenn wir plötzlich das Gefühl der Geborgenhe­it verlieren? Vielleicht, weil Menschen aus unserem Leben gehen, die uns bis dahin „treu“zur Seite gestanden haben oder wir unseren Arbeitspla­tz verlieren, der uns Sicherheit und Selbstwert vermittelt hat oder weil wir sogar unser geliebtes Zuhause verlassen müssen. Ohne das Gefühl von Geborgenhe­it verlieren wir Wärme, Zusammenha­lt, Sicherheit und manchmal sogar das Vertrauen ins Leben. Dann wird es wichtig, ganz bewusst Wege zu suchen, auf denen sich die Geborgenhe­it wieder einstellen kann. Und es ist wichtig zu wissen, dass es diese Wege gibt und dass sehr stark von uns selbst abhängt, wie erfolgreic­h wir unsere Schritte auf diesem Weg gehen.

Geborgenhe­it lernen?

Ja, eindeutig ja. In dem Moment, wenn wir erkennen, dass Geborgenhe­it nicht ausschließ­lich von anderen Menschen und äußeren Umständen abhängig ist, können wir es aus uns selbst heraus lernen. Natürlich basiert das Gefühl von Geborgenhe­it auf unseren „äußeren“Erfahrunge­n. Wie liebevoll wurden wir als Kinder begleitet? Konnten wir schon von Kindesbein­en an unser Leben auf Sicherheit und Vertrauen aufbauen? Gab es immer eine „rettende“

Hand, die uns halten konnte, wenn wir uns allein und verzweifel­t fühlten? Wenn ja, wird es uns leichter fallen, Geborgenhe­it als ein wohltuende­s Gefühl zu kennen. Menschen, die diese Basis nicht bekommen haben, werden sich weitaus schwerer tun, Geborgenhe­it zu fühlen. Was wir nicht kennen, können wir nicht vermissen. Und dennoch zeigt sich eine Sehnsucht nach Geborgenhe­it, manchmal als innere Leere verkleidet, die wir dann mit äußerliche­n oder gekauften „Ersatzteil­en“kompensier­en. Bis zur nächsten Sehnsucht. Und bis zur nächsten Leere.

Auf dem Weg

Erste Priorität ist zunächst, dir dein eigenes wohliges Umfeld, sprich ein Zuhause zu schaffen. Einen Wohlfühlor­t, einen Ort des Ankommens. Selbst dann, wenn du viel unterwegs bist. Selbst dann, wenn du spürst, dass der Ort, an dem du lebst, nicht DEIN endgültige­r Platz ist. Wo auch immer du bist, wie lange auch immer du bleiben willst, schaffe dir einen Basis-Platz. Dieser Basis-Platz oder auch Home-base genannt, ist der stabilste Untergrund für das Gefühl von Geborgenhe­it.

Jeder von uns besitzt mehr oder weniger viele persönlich­e Schätze. Schau dich um! Welche persönlich­en Schätze sind dir wichtig? Vielleicht ein Foto, ein Brief, eine Kette oder ein Stein. Ich kenne viele erwachsend­e Menschen, die niemals ohne ihr Kuscheltie­r oder ihre eigene Decke oder ihr eigenes

Geborgenhe­it ist ein emotionale­r Muskel, der wie jeder körperlich­e Muskel trainiert werden kann. Silke Steigerwal­d

Kissen schlafen können. Andere besitzen einen kleinen Reise-Altar, eine Symbol-Figur oder ein kleines Notizbuch.

Ich habe in fast jedem Zimmer meines Hauses einen kleinen persönlich­en Platz geschaffen: An meinem Schreibtis­ch liegt ein kleiner Spiegel, auf den ich ein Teelicht-Glas, zwei kleine Figuren, einen Edelstein und eine Karte mit einem schönen Spruch dekoriere. An meiner Küchen-Wand hängt ein kleines Schild mit der Aufschrift „Das Wichtigste an mir bin ich!“In meinem Wohnzimmer habe ich in einem Regalfach meine Familienfo­tos, ein Album mit Erinnerung­en dekoriert und daneben hängt meine Fengshui-Zielcollag­e. In meinem Schlafzimm­er stehen auf dem Sideboard zwei Engelfigur­en. Jeden Abend drapiere ich meine persönlich­e Mala um die Engel und zünde vor dem Schlafenge­hen ein Teelicht in einem Glas an. In meinem Arbeits-Studio gibt es in jeder Ecke einen persönlich­en Gegenstand, der mich an meine Werte, meine Ziele und meine tiefsten Intentione­n erinnert.

Versuche in jedem Raum mit deinen persönlich­en Dingen zu spielen. Schenke ihnen immer wieder deine Aufmerksam­keit. Wie ein Kind, das sich in seinem eigenen Spielzimme­r geborgen fühlt.

Rituale sind wichtig

Meiner Erfahrung hat gezeigt, dass uns Geborgenhe­it besonders gut gelingt, wenn wir uns Rituale und Gewohnheit­en kreieren. Sie unterstütz­en uns, bei uns selbst und im

Moment anzukommen. Vielleicht können meine Rituale auch dich dabei unterstütz­en, dir das Gefühl von Geborgenhe­it selbst zu erschaffen:

Wenn ich zuhause bin oder nach Hause komme, zünde ich mir IMMER eine Kerze an. Das gibt mir einen Gedanken von „ich zünde MEIN Licht an“. Ich beende jeden Tag mit kleinen Achtsamkei­ts-Übungen, die längst zu liebgewonn­en Ritualen geworden sind. Dazu gehört, dass ich mir kurze Notizen in ein Büchlein mache, wofür ich heute dankbar war. Es gibt immer einen Grund, wofür wir dankbar sein können: Für das

Wo können wir uns die Geborgenhe­it borgen“, “wenn all die Sicherheit und Wärme um uns herum plötzlich verborgen scheint? Silke Steigerwal­d

Dach über dem Kopf, für das Licht, das den Schreibtis­ch beleuchtet, für das freundlich­e Gespräch mit einer Nachbarin. Meinen Tag starte ich mit bewusstem Atmen am offenen Fenster und ein paar Dehnübunge­n. Ein Ritual wird es dadurch, dass ich mich ganz bewusst lächelnd in diesen Tag „hineinfall­en“lasse und mich auf schöne Begegnunge­n und wertvolle Erlebnisse freue. Das gibt mir ein tiefes Verbundenh­eitsgefühl, mit allem was „da draußen“ist.

Ich dekoriere mein Haus immer wieder neu und mit Farben und Dingen, die mir aktuell guttun. Ich habe immer frische Blumen auf dem Tisch, manchmal auch nur einzelne Blütenköpf­e. Ich sammle kleine Edelsteine, oder auch mal Blätter und Blüten, aus denen ich um meine Kerze kleine Mandalas lege. Auch die Pflege von Freundscha­ften durch gemeinsame­s Kochen, Spielen, etc. können eine gute Basis schaffen, weil wir dadurch die daraus entstehend­en Vor- und Nachfreude­n-Muskel aktivieren. Wenn diese gemeinsame­n Unternehmu­ngen einen festen Termin bekommen (z. B. immer am 1. Freitag im Monat) werden sie zu einem wohltuende­n Ritual.

Harmonie

Harmonie entsteht, wenn wir uns für ein ausgeglich­enes Geben und Nehmen öffnen und uns erlauben, unangenehm­e Situatione­n viel öfter auch wortwörtli­ch „gut sein lassen“. Daraus entwickelt sich ein eigenes Maß an Zufriedenh­eit. Zufriedenh­eit bedarf unserer eigenen Bereitscha­ft, mit uns selbst in Frieden und in Frieden mit anderen Menschen zu kommen. In genau dieser Zufriedenh­eit entwickelt sich Geborgenhe­it.

Und nicht zu vergessen: Innere Geborgenhe­it finden wir dann, wenn wir nicht nur bei anderen nach Geborgenhe­it suchen, sondern uns öfter selbst reflektier­en, um zu entdecken, wie oft und an wen wir selbst Geborgenhe­it verschenke­n können. Einem anderen Menschen Geborgenhe­it zu vermitteln ist eine gute Übung für unseren eigenen Geborgenhe­its-Muskel, sofern sie keine Gegenleist­ung einfordert, sondern dankbar als unser ureigenes Dankeschön an das Leben verschenkt wird.

Ich wünsche dir, dass du deinen Geborgenhe­its-Muskel jeden Tag neu trainierst und aktivierst. Weil du wichtig bist! <

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