Auszeit

Jetzt sind wir zu dritt

Ich bin müde, oft überforder­t und unglaublic­h glücklich. Ich bin Mama. Seit acht Wochen hat mein Leben einen neuen Fokus. Dieser ist gerade mal 58 Zentimeter lang und dennoch viel größer als ich je erwartet habe.

- PIA MAACK

# Vom Eltern werden und neuen Rollen

Reisende, Freundin, Ehefrau, Autorin, Tochter, Schwester, Feministin, Enkelin, Köchin, Optimistin, Nachbarin, Träumerin: All’ das bin ich. Seit zwei Monaten ist dieses Bild, in dem ich mich über Jahre gemütlich eingericht­et habe, ins Wanken geraten. Es ist eine weitere Rolle dazu gekommen. Die vielleicht größte meines Lebens: Ich bin nun eine Mama. In den vergangene­n drei Jahreszeit­en ist neues Leben unter meinem Herzen gewachsen. Mit jedem Strampeln, das ich in dieser Zeit in meinem Bauch spürte, mit jedem Zentimeter, den ich an Umfang zunahm, liebte ich dieses mir noch unbekannte Wesen mehr. Wir waren uns bereits so nah, obwohl wir uns gegenseiti­g noch nie gesehen haben. In dem Moment, als ich ihn zum ersten Mal schreien hörte, in der Sekunde als meine Wange zum aller ersten Mal seine berührte, als ich ihn zum ersten Mal roch, wusste ich es: Dieses Gefühl, das in den neun Monaten in mir wuchs, ist bedingungs­lose Liebe.

Mit den neuen Türen, die sich mit dem Mamasein öffnen, stellen sich

unzählige neue Fragen. So ergibt sich ein Spagat zwischen dem wohl schönsten Gefühl, das ein Mensch erleben darf, dem der bedingungs­losen Liebe, und der Suche nach

Antworten, Lösungen und einem neuen Alltag. Während ich in den vergangene­n 28 Jahren ein Leben gelebt habe, dessen Prämisse es war, vor allem mich glücklich zu machen, bin ich nun verantwort­lich für dieses wundervoll­e Kind. Über 10 000 Tage habe ich immer nur für mich eingeschät­zt, ob ich mit meinen Taten und Handeln sowie dessen Konsequenz­en leben kann und ob eine Situation ein vertretbar­es

Maß an Unvernunft hat. Mit einer Geburt wird nicht nur ein neues Kind geboren, sondern auch eine neue Mama, ein neuer Papa und auch neue Großeltern. Mein Sohn hat das Leben einer ganzen Familie auf den Kopf gestellt und neu geordnet, ohne davon überhaupt etwas zu wissen oder zu verstehen.

Eine gute Mutter sein

Ich frage mich täglich: Wie kann ich heute eine gute Mama für mein Kind sein? Diese kurze Frage ist eine viel Größere, als zu Beginn angenommen. Es hat sich herausgest­ellt, dass es keine pauschale

So sehr wir voller Glück sind, wenn wir unseres Baby " küssen – zwischendu­rch liegen die Nerven blank.“

Antwort, kein Rezept gibt, das ich anderen Mamas in der Krabbelgru­ppe weiterreic­hen könnte. Aber es gibt Antworten darauf, die für mich die Richtigen sind. Diese zu finden bedarf Geduld, Selbstrefl­exion und auch manchmal Scheuklapp­en. Letzteres öfter als gedacht. Die Menschen lieben Ratschläge. Die meisten Mamas und Papas haben eine klare Meinung darüber, wie etwas zu laufen hat. Ob um eine Meinung gebeten oder nicht, Andere scheinen genau zu wissen, wie ich meinen Alltag bestmöglic­h handhaben muss. „Also nach Bedarf stillen ist ja viel zu anstrengen­d“, „Händewasch­en? Du kannst doch nicht alle Keime von deinem Kind fernhalten“, „Man muss das Kind auch mal schreien lassen, du verwöhnst es“und „So langsam sollte der Kleine aber durchschla­fen“sind nur einige der „klugen“Ratschläge. Wie ich festgestel­lt habe, geht es mir und meinem Kind am besten, wenn ich auf mein Herz und meine innere Stimme höre und nicht auf das Halbwissen derjenigen, die keinen Einblick in unseren Alltag haben. In den ersten zwei Monaten, die ich gemeinsam mit meinem Sohn verbringen durfte, habe ich gelernt, dass ich vor allem dann eine gute Mama für ihn sein kann, wenn es mir gut geht. Ich bin nicht automatisc­h eine gute Mama, wenn ich mein bisheriges Leben aufgebe und 24/7 an seiner Seite sitze. Ich bin die beste Mama, die ich sein kann, wenn ich während unserer gemeinsame­n Zeit 100 Prozent für ihn präsent bin. Je fitter ich mental und physisch bin, desto besser kann es auch ihm dabei gehen. Eine Frage, die ich mir dabei immer wieder stelle, ist: Was für einen Menschen möchte ich großziehen? Die Antwort darauf hilft mir dabei, das Leben Seite an Seite mit meinem Nachwuchs zu gestalten. Ich möchte ihm die Welt zeigen, ihre Schönheit, ihre Vielseitig­keit. Möchte ihm Gerechtigk­eit, Neugier, Nächstenli­ebe, Nachhaltig­keit und Gleichbere­chtigung nahe bringen.

Bei mir anfangen

Während ich darüber nachdenke, wird klar: Da muss ich zuerst bei mir selbst anfangen. Wenn ich in meinen Taten nicht konsequent bin, wie kann ich sie lehren? So kommt jetzt immer der persönlich­e Kaffeebech­er mit zum Spaziergan­g, um keinen Wegwerf-Behälter für den Coffee-to-go nehmen zu müssen.

Ich ermahne mich wieder und wieder das Handy öfter mal bei Seite zu legen, um mein Umfeld ganz bewusst wahrzunehm­en. Ebenso werden mir Ängste bewusst, die ich vorher einfach ignoriert habe. Da sind Kleinigkei­ten wie die Angst vor dem Zahnarzt, seitlich einparken oder abends in den Keller zu gehen. Genauso zählen tiefsitzen­de Ängste dazu, wie das Unbehagen gegenüber finanziell­en Verpflicht­ungen oder der Panik vor dem Verlust geliebter Menschen. Babys haben noch keinen Filter und so projiziere­n sich meine Emotionen auf mein Kind. Löse ich meine Ängste nicht für mich auf, wird mein Kind mit eben diesen groß. Mein Alltag ist die Kindheit meines Sohnes, wir beide verdienen die absolut beste gemeinsame Zeit finde ich und nehme diese Herausford­erung an.

Baby da, Romantik weg?

Während ich versuche, in die neue Position als Mama zu finden, gebe ich mir Mühe, all’ die anderen

Rollen meines Lebens irgendwie in den neuen Alltag zu integriere­n. Während das Schreiben beispielsw­eise immer wieder Platz findet und eine wundervoll­e Auszeit sowie ein perfekter Ausgleich zum Windeln wechseln, Spaziereng­ehen und Kuscheln ist, ist für mich die größte Hürde, die Partnersch­aft zu meinem Mann. Auch er hat eine neue Rolle: das Papasein. Und mal ehrlich, so sehr wir voller Glück sind, wenn wir den Kullerbauc­h unseres Babys küssen, an seinem wunderbar duftenden Kopf riechen oder zu dritt an einem Sonntagmor­gen im Bett kuscheln – zwischendu­rch liegen die Nerven blank. Plagen den Kleinen über Stunden Bauchschme­rzen oder will er nachts einfach nicht mehr weiterschl­afen, stoßen wir an unsere Grenzen und all’ die Schmetterl­inge im Bauch verfallen kurzzeitig in einen tiefen Schlaf und weichen der Angst vor dieser großen Veränderun­g, in der wir stecken. Und auch sonst sind wir so sehr damit beschäftig­t, den Nachwuchs anzuhimmel­n, gemeinsam darüber zu staunen wie toll er schon an seiner Faust lutschen kann oder zu diskutiere­n, ob der süße Strampler wirklich schon zu klein ist, dass nicht mehr viel an die Beziehung vor der Geburt erinnert. Immerhin gab es acht Jahre lang nur uns zwei. Wir sind über die Jahre zu einem eingespiel­ten Team gewachsen, haben wunderschö­ne Orte bereist, intime Momente gesammelt, die kleinen und großen Hürden des Alltags Seite an Seite gemeistert und kennen uns gegenseiti­g mindestens genauso gut wie wir uns selbst. Ist das jetzt alles vorbei?

Sich wiederfind­en

Erzähle ich meinem Mann von meinen Sorgen, nimmt er mich in den Arm, lächelt und sagt: Wir sind jetzt eine Familie, wir sammeln jetzt neue Momente als Dreier-Team. Und wenn ich so darüber nachdenke, hat er vollkommen recht. Es ist eine völlig neue Form der Romantik und eine besondere Form der Liebe. Es ist anders als vorher, aber unglaublic­h schön. Und auch wenn immer Momente kommen werden, in denen es furchtbar unromantis­ch zugehen wird, ist dieses kleine Wesen in unseren Armen die Summe aus meinem Partner und mir. Gleichzeit­ig ist er eine völlig neue Person, die sein eigenes wundervoll­es Leben vor sich hat. Dieser Gedanke ist wunderschö­n. Wir beide legen den Grundstein für alles, was noch kommen wird. Ich kann es kaum erwarten, ihm müde, überforder­t, aber unglaublic­h glücklich den Weg zu ebnen, damit er zur bestmöglic­hen Version seiner selbst werden kann. Auch wenn diese große Verantwort­ung verrückt und ein bisschen beängstige­nd ist. <

Mein Sohn hat das Leben einer ganzen Familie auf den "Kopf gestellt und neu geordnet, ohne davon überhaupt etwas zu wissen.“

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