Auszeit

Ich bin meine Familie

- SOUZAN MORTEZAI

# Glücklich als Single

Es liegt in unserer Natur, dass wir uns nach Wärme und Geborgenhe­it sehnen. Zeit unseres Lebens sind wir auf der Suche nach dem richtigen Partner, der uns erfüllt und unserem Dasein eine tiefere Bedeutung gibt. Aber was passiert, wenn wir eines morgens aufwachen und feststelle­n, dass es die wahre Liebe vielleicht doch nicht gibt?

Es war einmal… an einem sonnigen Tag im Frühling 2002. Ich erinnere mich noch ganz genau an das Szenario. Ich bin 16 Jahre alt und schlendere mit einer Schulfreun­din über den Hamburger Jungfernst­ieg. Wir philosophi­eren über das Leben und malen uns unsere Zukunft in den schönsten Bildern aus. Obwohl wir noch jung und ziemlich grün hinter den Ohren sind, haben wir bereits ganz konkrete Pläne. Meine Freundin will von mir wissen, wo ich in 10 Jahren stehe und wie aus der Pistole geschossen folgt meine Antwort: „Mit 26 bin ich verheirate­t und schwanger mit dem 2. Kind. Mein Mann und ich sind unsterblic­h ineinander verliebt und wir leben in einem selbstgeba­uten Einfamilie­nhaus mit riesigem Garten“. Das hätten meine Memoiren werden sollen. Davon war ich zumindest als Jugendlich­e felsenfest überzeugt. Doch es sollte alles anders kommen. Heute bin ich 33 Jahre alt, ledig, habe keine Kinder und nicht mal einen Mann an meiner Seite. Irgendwie ist meine Familienpl­anung so gar nicht aufgegange­n. Aber warum? Was ist schiefgela­ufen? Habe ich mich verkalkuli­ert? Oder war ich einfach nur naiv?

Zeiten ändern sich

Ich erinnere mich daran, wie ich mit 17 mein erstes Date hatte. Damals war ich so schüchtern, dass meine beste Freundin unbedingt dabei sein musste. Kaum zu glauben, dass seither ganze 16 Jahre vergangen sind. Die Zeit rast und hat nicht nur mein Alter, sondern auch meine Lebenseins­tellung verändert. Damals wollte ich unbedingt mal heiraten und Kinder kriegen. Für mich aus heutiger Sicht nicht mehr nachvollzi­ehbar. Obwohl ich Kinder nach wie vor liebe, kann ich mir kaum vorstellen, Mutter zu werden. Ich fühle mich immer noch jung und habe noch so viel vor im Leben. Ehe und Kinder? Davon bin ich wahrschein­lich so weit entfernt, wie der Mond von der Erde. Meine Mutter hat dafür kein Verständni­s und liegt mir ständig in den Ohren damit, wie sehr sie sich ein Enkelkind wünscht. Als sie in meinem Alter war, war sie schließlic­h schon dreifache Mama. Das hält sie mir jedes Mal vor, wenn wir uns sehen. „Wenn du dir nicht endlich einen Mann suchst, wird es bald zu spät sein“. Vielleicht hat meine Mutter Recht. Vielleicht werde ich es irgendwann wirklich bereuen, keine eigene Familie zu haben. Aber es ist ja noch nicht zu spät. Ein bisschen Luft habe ich ja noch. Und wer weiß, vielleicht kommt ja doch noch alles anders. Wie in diesen ganzen Hollywood Filmen, die einem suggeriere­n, dass am Ende alles gut wird und die große Liebe genau dann vor der Tür steht, wenn man es am wenigsten erwartet. Ein bisschen illusorisc­h das Ganze, aber wie heißt es doch so schön: „Am Ende wird alles gut. Und wenn es noch nicht gut ist, dann ist es noch nicht das Ende.“Dass dieses Zitat ausgerechn­et von Oscar Wilde stammt, der die letzten Jahre seines Lebens in Armut, Krankheit und Isolation verbrachte, ist wohl Ironie des Schicksals.

Realitätsp­rüfung

Der Glaube an die Seelenverw­andtschaft ist wohl so alt, wie der Mensch selbst. Bereits in der Antike gab es den von Platon erschaffen­en Mythos des „Kugelmensc­hen“, der an Ro

mantik wohl kaum zu übertreffe­n ist. Der Legende nach waren Mann und Frau einst miteinande­r verschmolz­en und lebten als Kugelmensc­hen glücklich vereint in einem Körper. Irgendwann lehnten sie sich jedoch gegen Göttervate­r Zeus auf, woraufhin dieser die Liebenden verbannte und in zwei Körper teilte: Mann und Frau. Yin und Yang. Da die Sehnsucht nach der verlorenen Ganzheit jedoch tief in allen Seelen verankert ist, sind diese nun ihr Leben lang auf der Suche nach ihrer zweiten Hälfte, die sie wieder zu einem Ganzen macht… Wie melodramat­isch!

Die Vorstellun­g von der „wahren Liebe“hat sich spätestens seit der Epoche der Romantik auch in unseren Sphären verbreitet. Heutzutage heiraten wir größtentei­ls aus freien Stücken und nicht mehr aus pragmatisc­h-gesellscha­ftlicher Norm. Zudem darf die moderne Frau endlich selbst darüber entscheide­n, wann und wen sie heiratet. Hinzu kommt, dass die Partnersuc­he in Zeiten der Digitalisi­erung sehr viel leichter und zielgerich­teter geworden ist. Dennoch tut sich die junge Generation unglaublic­h schwer damit, sich fest zu binden. Warum das so ist? Moderne Dating-Apps ermögliche­n zwar eine große Kontaktlis­te und suggeriere­n, dass der oder die „Richtige“nur einen Klick entfernt ist. Tatsächlic­h verflüchti­gen sich aber die meisten Begegnunge­n schnell wieder. Und ehe man sich versieht, nimmt ein ewiger Teufelskre­is aus kurzweilig­en Bekanntsch­aften seinen Lauf. Und genau hier liegt der Hund begraben. Die ewig lange Suche nach dem perfekten Gegenstück macht uns blind für echte Begegnunge­n. Gerade WEIL so viele von der hollywoodr­eifen Liebe

träumen, geben sie sich auch nur mit ganz großen Gefühlen zufrieden. Während also die zahlreiche­n Dating Optionen ins Unermessli­che steigen, wachsen exponentie­ll auch die Erwartunge­n an den „richtigen Partner“. Wir sehnen uns nach der großen Liebe, suchen sie, finden sie und verwerfen sie wieder. Und fangen dann wieder von vorne an. Der ursprüngli­che Fokus hat sich eklatant verschoben. Und aus den liebenden Kugelmensc­hen sind kompromiss­lose Einzelgäng­er geworden.

Wahre Liebe?

Früher habe ich an die große Liebe geglaubt. Und zwar ganz beharrlich. Doch mit der Zeit wurde ich erfahrener, einsichtig­er und wurde eines Besseren belehrt. Ich war nicht oft in meinem Leben verliebt. Aber wenn, dann richtig. Dachte ich zumindest. Schließlic­h hat es sich für mich in dem Moment so angefühlt. Aber auch nur so lange, bis die Gefühle wieder erloschen sind und ich ganz rational feststelle­n musste, dass es doch nicht das Wahre war. Das geht im Übrigen den meisten Menschen so, die sich nach einer langjährig­en Beziehung von ihrem Partner trennen oder in einer totgelaufe­nen Ehe die Scheidung einreichen. Im Nachhinein ist man immer schlauer. So romantisch und verlockend die Theorie von Platon auch sein mag, habe ich für mich erkannt, dass die große Liebe viel eher in einem Drehbuch zu finden ist, als im echten Leben. Nicht falsch verstehen! Das soll nicht heißen, dass es die große Liebe nicht gibt. Es gibt sie bestimmt.

Hier und da. Vereinzelt. Aber eben nicht für jeden. Das müssen wir uns ehrlich eingestehe­n. So nüchtern das auch klingen mag. Das schöne an dieser Erkenntnis: Auch ohne den richtigen Partner können wir ein glückliche­s Leben führen. Denk doch mal an die britische Schriftste­llerin Jane Austen, an das italienisc­he Universal-Genie Leonardo Da

Vinci oder auch an den griechisch­en

Naturphilo­sophen Platon: Diese Menschen waren große Denker, Künstler und Visionäre ihrer Zeit, die uns kulturell stark geprägt und bereichert haben. Auch sie haben große Spuren hinterlass­en und das ganz ohne Nachkommen­schaft. <

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