Auszeit

Vom Geben und Nehmen

Der Kreislauf des Lebens ist wundervoll und jede seiner Facetten einzigarti­g. Die Geschichte jedes Menschen ist jedoch irgendwann im Alter einmal zu Ende erzählt. Auch dieses letzte Kapitel kann von Liebe und Geborgenhe­it geprägt sein.

- FLORIAN PÖTZSCH

# Mit einem Lächeln altern

Wie in den meisten Familien prägten auch ihn seine Großeltern. Bei ihnen traf sich jedes Wochenende fast die gesamte Familie zu Kaffee und Kuchen. Man wertete gemeinsam die vergangene Woche aus, beschwerte sich über die Politik und erfreute sich an Trainingse­rfolgen und guten Schulnoten der Kinder. Vor allem den Jüngsten im Kreise wurde viel Aufmerksam­keit gewidmet und jeder erste Schritt oder Erlebnisse in Kindergart­en und Schule gewürdigt.

Opa haut nix um

Seine Oma hatte ohne Ausnahme immer selbst gebackenen Kuchen im Haus. Er mochte am liebsten den gefüllten Streuselku­chen, denn der war nicht so trocken. Wenn er keine Lust mehr auf die Debatten im Wohnzimmer hatte, ging er mit den anderen Kindern in den Garten. Denn dort schwelte regelmäßig ein kleines Gartenfeue­r von Opa vor sich hin, das in Kürze seinen letzten Funken aushauchen würde. Und wie fast jede Woche wurde wieder versucht, ihm neues Leben einzuhauch­en und es wieder anzufachen. Wenn dabei auch mal ein guter Scheit vom Kaminholz dran glauben musste, war das nicht schlimm, geschimpft wurde wegen solcher Unwichtigk­eiten nicht. Generell bewahrten seine Großeltern stets die Ruhe, wenn der Nachwuchs mal wieder etwas ausgefress­en hat. Die faulen Birnen in den Nachbargar­ten geschossen – hat niemand gesehen. Mit dem Luftgewehr das Garagentor getroffen – nicht mal

nen Kratzer zu entdecken. Komm rein, iss nen Stück Kuchen, ist doch ganz schön kalt gewesen draußen.

Wenn die Kraft nachlässt

Seit über vierzig Jahren begleitete­n ihn seine Oma und sein Opa mittlerwei­le. Während die Familie weiter wuchs, schwanden bei den Senioren die Kräfte. Die Bewegungen wurden langsamer, die Einschränk­ungen im Tagesablau­f nahmen zu. Der Körper entwickelt­e sich zurück – ganz langsam. Früher sagte sein Opa einmal, dass es keinen Tag mehr gebe, an dem nicht irgendetwa­s zwickte oder wehtat. Diese Aussichten waren nicht gerade rosig. Damals war er noch Anfang 80, später war sein

Opa über 90 Jahre alt und meisterte gemeinsam mit seiner Jugendlieb­e noch immer den Alltag – auch wenn die Arzttermin­e zunahmen. Wer möchte nicht alt werden und so viel wie möglich von der Welt sehen und beobachten, wie die eigenen Kinder, Enkel sowie Urenkel sich entwickeln? Das ist wohl der Preis dafür. Und irgendwann kommt der Punkt, an dem sich das Blatt wendet. Bei einigen Familien passiert es früher, bei einigen später. Die Kinder werden von ihren Eltern behütet und irgendwann werden die erwachsene­n Kinder für ihre eigenen Eltern in die Pflicht genommen – das ist der Generation­envertrag, der seit Jahrtausen­den genau so funktionie­rt. Die Ausgestalt­ung geht aber meilenweit auseinande­r.

Einer kann immer

In der globalisie­rten Welt driften viele Familien auseinande­r und auf einmal ist da keine Verwandtsc­haft mehr in der Nähe, die sich um die Großeltern kümmern kann. Oder die Arbeit steht über der Familie und das persönlich­e Wohlbefind­en überwiegt den Familienba­nden.

Nun war es also anders herum und die Familie kümmerte sich um die Großeltern. Es passierte nicht von einem Tag auf den anderen, sondern ging fließend ineinander über. Das Auto wurde abgeschaff­t und die beiden Senioren fuhren zu Arzt und Supermarkt mit ihren Elektromob­ilen. Für alle weiteren Wege fand sich immer wieder eines der Kinder oder Enkelkinde­r, damit kein Familienfe­st oder der Urlaub in der Sommerresi­denz verpasst wurde. War einer der beiden Senioren im Krankenhau­s, hatte er täglich Besuch und war nicht vom Familienle­ben abgeschnit­ten. Dies war auch die Zeit, in der er sich erstmals regelmäßig über den Generation­envertag Gedanken machte. Denn die Geschichte seiner anderen Großeltern war damals

längst zu Ende geschriebe­n und verlief gegensätzl­ich. Sie lebten in einer anderen Stadt, rund 150 Kilometer von seiner Heimat weg. Sie hatten nur ein Kind, das der Liebe wegen den Wohnort wechselte und somit weit entfernt seine Familie gründete. Besuche der Großeltern waren aufgrund der Entfernung seltener. Er war noch ein Teenager als der Großvater starb und die Großmutter fortan allein in ihrer Wohnung fern der Familie lebte. Die ersten Jahre unternahm sie noch regelmäßig Kaffeefahr­ten mit einer Freundin und traf sich mit Bekannten. Aber irgendwann schwanden auch bei ihr die Kräfte und das Leben allein in der Wohnung war ihr nicht mehr möglich. Seine Oma kam in ein Seniorenhe­im in die Nähe der Familie – in eine für sie neue Stadt mit fremden Menschen. Regelmäßig besuchte er die Großmutter im Heim, die in dem kleinen Doppelzimm­er mit einer älteren Dame wohnte und nicht glücklich wirkte. Sie klagte nicht über gesundheit­liche Probleme, sondern schimpfte über das Leben im Heim, ihre Mitbewohne­rin, die Langeweile, das Essen.

Liebe kennt kein Alter

Seine Oma war dort nicht glücklich, fand sich aber mit der neuen Umgebung ab, denn eine echte Alternativ­e gab es nicht. Oder doch? Über 20 Jahre später kann darüber nur spekuliert werden. Hätte die Großmutter in einer eigenen Wohnung in der Nähe der Familie auch ein paar Jahre durchgehal­ten? Gab es damals schon betreutes Wohnen? Egal, für sie schien es der beste Weg zu sein.

Und dann passierte etwas, was ihm bis in alle Ewigkeit ein Vorbild sein sollte: Sein Papa besuchte die Oma fast täglich im Heim. Ein Ort, der damals für die Teenager nicht leicht zu ertragen war: Viele, sehr alte Leute, scheinbar durch die Flure umher irrend, der latente Geruch nach alten Menschen. Gänsehaut. Aber sein Papa war stets an der Seite der Oma, auch als sie das Bett nicht mehr verlassen konnte und irgendwann vom Geschehen um sie herum nicht mehr viel wahrnahm. So hatte sie am Ende doch noch ihre Familie um sich.

Teilhabe ein Leben lang

Im Alter verschiebe­n sich die Werte. Irgendwann sammelt sich das Geld auf dem Konto, es muss nicht mehr das neueste Auto in der Garage und der beste Fernseher im Wohnzimmer stehen. Dann geht es neben der Gesundheit darum, am Familienle­ben teilzunehm­en. Den Kindern, Enkeln und Urenkeln zuzuschaue­n, wie sie ihren Weg im Leben meistern und ihre eigenen Familien gründen. Diese Beobachtun­gen müssen wir unseren Großeltern ermögliche­n und ihnen die Liebe zurück geben, die sie uns einst als Kindern gaben. Beim Gedanken an seine Großeltern, die immer noch zusammenwo­hnten, musste er lächeln. Denn noch immer gibt es bei ihnen fast jede Woche frisches Gebäck, wenn er sie mit seinen Kindern besucht. Doch mittlerwei­le bringt er die mit seinen Kindern nach Omas Rezept gebackenen Kuchen selbst mit. Am liebsten den gefüllten Streusel, denn der ist nicht so trocken. <

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