Alle Jahre wieder
# Weihnachtliche Tradition
Das Weihnachtsfest hat in unserer Kultur einen so festen Platz und es ist ein so starkes Ritual, dass selbst die Feierverweigerer aus ihrem Verweigern fast unbewusst genau so ein Ritual machen. Wieso ist das Fest für uns etwas Besonderes, und warum ist das gut so? Und was ist mit dem Lametta?
Eines vorweg: Ich mag Weihnachten, eigentlich. Ich gehe nicht zum Krippenspiel, aber ich kann beim Anblick eines leuchtenden Weihnachtsbaumes ins Träumen kommen. Der biblische Kontext ist für mich komplett irrelevant, doch gerade im Kreise der Familie wird mir an diesen Tagen das Herz warm, spüre ich eine Verbundenheit, die einfach da ist, und die gut tut. Und dann ist da die Sache mit den Geschenken (ja ich weiß, „Wir schenken uns alle nichts mehr!“). Ich bin jemand, der sich zumeist schwer damit tut, passende Geschenke auszusuchen. Und sie selber zu basteln, ist für mich keine Option mehr. Der wirkliche Horror beginnt aber dann, wenn ich versuche, die Geschenke einzupacken. Das Geschenkpapier gerade und in der richtigen Größe zurechtzuschneiden, ist für mich Zauberwerk, zu dem mir der passende Zauberspruch
fehlt. Dementsprechend sieht das Ergebnis aus, viel zu viel Papier, das dann irgendwie zusammengewurschtelt wird, alles muss mit Klebeband fixiert werden, damit es sich nicht schon vor dem Schleifebinden von selbst wieder auspackt. Also überlasse ich das Einpacken den Wichteln von Amazon und
Co. (eine lässliche Sünde, hoffe ich) oder den erwachsenen Beschenkten selbst. Die kennen das und nehmen es mir gerne ab, alle Jahre wieder.
Aber dann kommt der Moment, wo die Geschenke ausgepackt werden, und gerade bei den Kindern sind es die leuchtenden Augen und die roten Wangen, die mich dann selbst auch wieder lächeln lassen. Da macht es nichts, dass Schleifenband und Papier vor Aufregung in kleine Stücke geschnitten werden. Ich hab‘s ja nicht selber eingepackt …
Der ewige Speiseplan
So wie das Weihnachtsfest an sich ein großes Ritual ist, so besteht es auch selber aus vielen kleinen Ritualen, die teilweise noch viel stärker die Familie als Familie betreffen und zusammenschweißen. Denn oft sind es Rituale, die sehr speziell sind und von Familie zu Familie sehr unterschiedlich sein können. Das betrifft zum Beispiel den „Weihnachtsspeiseplan“, wie etwa den typischen Kartoffel- oder
Heringssalat zum Heiligabend, selbstverständlich nach einem uralten und keinesfalls zu ändernden Familienrezept. Oder die Feiertags-Gans, den Wildbraten und andere Gerichte, die irgendwie seit Ewigkeiten dazu zu gehören scheinen. Allerdings geht die Zeit auch daran nicht ganz spurlos vorbei. War es zum Beispiel schon immer ein kleines Ritual, dass mein Vater seine kleine eigene Schüssel mit Kartoffelsalat bekam, ganz ohne Zwiebeln, finden sich inzwischen
Und schon befinden wir uns auf einer Zeitreise, zurück "in die zumeist unbeschwerte Kindheit oder zumindest in die Zeit ihrer besseren Momente. “
neue „Angebote“auf unserem Tisch. Angebote, die dafür sorgen, dass auch die Veganer und Vegetarier in der Familie nicht hungern müssen. Inzwischen ist aber auch das schon beinahe Tradition und die peinliche Frage an den neuen Gast „Warum hast du denn nichts auf deinem Teller?“erübrigt sich.
Alle machen mit
Gerade die kindliche Freude ist die Zutat, die die Weihnachtstage so besonders macht. Und das bezieht sich nicht nur, und vielleicht auch nicht mal vordergründig, auf die Geschenke. Oft ist es den Kindern viel wichtiger, in die schon lange vorher spürbare Stimmung und in all die kleinen und großen Dinge einbezogen zu werden. Ob es das Plätzchenbacken oder die „Besorgung“des Tannenbaums ist, oder das weihnachtliche Dekorieren der Wohnung, von Advent zu Advent ein wenig mehr. Klar, die Vorfreude auf die Geschenke lässt sich nicht verleugnen, aber schön gestaltete Wunschzettel und das gemeinsame Basteln von Geschenken für die Verwandtschaft bringen zumindest eine liebevoll-kreative Note in das Ganze. Und wenn der Weihnachtsbaum geschmückt wird, sind Mitmachen und Rituale ganz besonders wichtig. Dann muss die selbst gebastelte Kugel genau an der Stelle hängen, die das Bastelkind dafür vorgesehen hat - das elterliche Ästhetikempfinden muss außen vor bleiben. Ästhetik spielt auch keine Rolle, wenn die Kleinen dem Weihnachtsmann „Oh Tannenbaum“vorsingen und vor Aufregung die Töne nicht so gut treffen, wie noch letzte Woche im Kindergarten oder beim Üben mit der Oma. Wenn die Kinder irgendwann ein wenig größer sind, legt sich die Aufregung. Aber dann wird „Oh Tannenbaum“in vielen Familien durch das berühmt-berüchtigte „Last Christmas“ausgetauscht, das Kinder und Eltern gemeinsam mit Inbrunst durch die heilige Nacht schmettern ...
Erinnerungen für immer
Es ist kein Wunder, aber eine durchaus wundervolle Sache, dass die eigenen kindlichen Weihnachtserinnerungen immer tief in uns präsent bleiben. Oft reicht schon ein kleiner Kick aus, um uns anzutriggern: Tannengeruch in der Wohnstube, der Geschmack von
Pfefferkuchen und Spekulatius (obwohl es all das schon seit August zu kaufen gibt) oder das Auftauchen von Weihnachtsdekoration beim Besuch im Elternhaus. Und schon befinden wir uns auf einer Zeitreise, zurück in die zumeist unbeschwerte Kindheit oder zumindest in die Zeit ihrer besseren Momente. Auch das bringen Rituale mit sich – durch das ständige Wiederholen bekommen sie eine ziemlich feste Gestalt, ob in der Realität oder in unserem Kopf, in unseren Erinnerungen. Das gibt Halt und Sicherheit, das gibt ein Stück Geborgenheit.
Risse kitten
Aber was ist, wenn die Erinnerungen an die Weihnachtstage der eigenen Kindheit eher traurige Erinnerungen sind oder einen wütend machen? Was ist, wenn das Weihnachtsfest der eigenen Familie eher Risse verdeckt, als sie zu kitten? Es ist ein beliebtes Sujet von Familienkomödien, Horrorfilmen oder Kabarettprogrammen, gerade das Weihnachtsfest zum Gaudi oder Gruseln des Publikum quasi auf den Kopf zu stellen. Da kann der eine den anderen nicht leiden, es werden Intrigen gesponnen, Neiddebatten geführt, Geschenke zerstört. Da verbrennt der Festtagsbraten, der Baum brennt an, die Weihnachtsbeleuchtung fällt vom Hausdach. Oder die Feiernden werden von Monstern oder Außerirdischen gefressen. Je nach Genre und je nach Regisseur.
Aber ist es nicht oft wirklich so, dass es manchmal heißt: „Heute kommt Onkel A., geh ihm aus dem Weg und lass dich nicht provozieren. Danach musst du ihn ja ein ganzes Jahr lang nicht sehen ...“
Das Ritual wird hohl, alle spielen eine Rolle und sind froh, wenn man die Stunden oder Tage endlich überstanden hat. Da sollte man sich wirklich fragen, was eine solche Show noch bringt. Ob manche Kompromisse wirklich nötig sind, um die Form zu wahren, oder ob nicht reiner Tisch gemacht werden sollte, am besten vor den Feiertagen. Gerade die Kinder haben ein feines Gespür für Spannungen, die unausgesprochen in der Luft liegen. Und wenn es eskaliert, dann sind es nicht selten genau diese Momente, die die späteren Erinnerungen prägen. Schade drum ...
Es geht auch anders
Mit „Wir schenken uns nichts mehr“fängt es an, über „Das Fressfest brauchen wir nicht wirklich“geht es weiter bis zu „Wir sind dann mal weg“. Nun muss man nicht immer gleich das Kind mit dem Bade ausschütten. Aber wem das Weihnachtsfest in seiner üblichen Form nichts bringt, der wird
heutzutage nicht mehr aus der Gemeinschaft ausgestoßen, der ist kein Grinch mehr, sondern jetzt eher ein mutiger Trendsetter – heimlich beneidet von denen, die sich nach dem Loben dieses Trends wie alle Jahre wieder in den Weihnachtsstress stürzen. Ich persönlich würde auch einmal Alternativen ausprobieren. Allerdings nicht an südlichen Stränden, wo der Club-Weihnachtsmann in Badehose kommt, weil man dann doch nicht so ganz loslassen will. Mich würde es dahin ziehen, wo die Schneegarantie noch eingehalten wird, wo man die kuschelige Wärme im Kamin einer urigen Hütte besonders genießen kann und ganz von selbst ein wenig näher zusammenrückt. Auch das kann ein wunderbares Weihnachten sein, selbst wenn man an dieser Stelle – ein ganz klein wenig wehmütig – Loriot Recht geben muss: Früher war mehr Lametta. <