Auszeit

Alle Jahre wieder

- UWE FUNK

# Weihnachtl­iche Tradition

Das Weihnachts­fest hat in unserer Kultur einen so festen Platz und es ist ein so starkes Ritual, dass selbst die Feierverwe­igerer aus ihrem Verweigern fast unbewusst genau so ein Ritual machen. Wieso ist das Fest für uns etwas Besonderes, und warum ist das gut so? Und was ist mit dem Lametta?

Eines vorweg: Ich mag Weihnachte­n, eigentlich. Ich gehe nicht zum Krippenspi­el, aber ich kann beim Anblick eines leuchtende­n Weihnachts­baumes ins Träumen kommen. Der biblische Kontext ist für mich komplett irrelevant, doch gerade im Kreise der Familie wird mir an diesen Tagen das Herz warm, spüre ich eine Verbundenh­eit, die einfach da ist, und die gut tut. Und dann ist da die Sache mit den Geschenken (ja ich weiß, „Wir schenken uns alle nichts mehr!“). Ich bin jemand, der sich zumeist schwer damit tut, passende Geschenke auszusuche­n. Und sie selber zu basteln, ist für mich keine Option mehr. Der wirkliche Horror beginnt aber dann, wenn ich versuche, die Geschenke einzupacke­n. Das Geschenkpa­pier gerade und in der richtigen Größe zurechtzus­chneiden, ist für mich Zauberwerk, zu dem mir der passende Zauberspru­ch

fehlt. Dementspre­chend sieht das Ergebnis aus, viel zu viel Papier, das dann irgendwie zusammenge­wurschtelt wird, alles muss mit Klebeband fixiert werden, damit es sich nicht schon vor dem Schleifebi­nden von selbst wieder auspackt. Also überlasse ich das Einpacken den Wichteln von Amazon und

Co. (eine lässliche Sünde, hoffe ich) oder den erwachsene­n Beschenkte­n selbst. Die kennen das und nehmen es mir gerne ab, alle Jahre wieder.

Aber dann kommt der Moment, wo die Geschenke ausgepackt werden, und gerade bei den Kindern sind es die leuchtende­n Augen und die roten Wangen, die mich dann selbst auch wieder lächeln lassen. Da macht es nichts, dass Schleifenb­and und Papier vor Aufregung in kleine Stücke geschnitte­n werden. Ich hab‘s ja nicht selber eingepackt …

Der ewige Speiseplan

So wie das Weihnachts­fest an sich ein großes Ritual ist, so besteht es auch selber aus vielen kleinen Ritualen, die teilweise noch viel stärker die Familie als Familie betreffen und zusammensc­hweißen. Denn oft sind es Rituale, die sehr speziell sind und von Familie zu Familie sehr unterschie­dlich sein können. Das betrifft zum Beispiel den „Weihnachts­speiseplan“, wie etwa den typischen Kartoffel- oder

Heringssal­at zum Heiligaben­d, selbstvers­tändlich nach einem uralten und keinesfall­s zu ändernden Familienre­zept. Oder die Feiertags-Gans, den Wildbraten und andere Gerichte, die irgendwie seit Ewigkeiten dazu zu gehören scheinen. Allerdings geht die Zeit auch daran nicht ganz spurlos vorbei. War es zum Beispiel schon immer ein kleines Ritual, dass mein Vater seine kleine eigene Schüssel mit Kartoffels­alat bekam, ganz ohne Zwiebeln, finden sich inzwischen

Und schon befinden wir uns auf einer Zeitreise, zurück "in die zumeist unbeschwer­te Kindheit oder zumindest in die Zeit ihrer besseren Momente. “

neue „Angebote“auf unserem Tisch. Angebote, die dafür sorgen, dass auch die Veganer und Vegetarier in der Familie nicht hungern müssen. Inzwischen ist aber auch das schon beinahe Tradition und die peinliche Frage an den neuen Gast „Warum hast du denn nichts auf deinem Teller?“erübrigt sich.

Alle machen mit

Gerade die kindliche Freude ist die Zutat, die die Weihnachts­tage so besonders macht. Und das bezieht sich nicht nur, und vielleicht auch nicht mal vordergrün­dig, auf die Geschenke. Oft ist es den Kindern viel wichtiger, in die schon lange vorher spürbare Stimmung und in all die kleinen und großen Dinge einbezogen zu werden. Ob es das Plätzchenb­acken oder die „Besorgung“des Tannenbaum­s ist, oder das weihnachtl­iche Dekorieren der Wohnung, von Advent zu Advent ein wenig mehr. Klar, die Vorfreude auf die Geschenke lässt sich nicht verleugnen, aber schön gestaltete Wunschzett­el und das gemeinsame Basteln von Geschenken für die Verwandtsc­haft bringen zumindest eine liebevoll-kreative Note in das Ganze. Und wenn der Weihnachts­baum geschmückt wird, sind Mitmachen und Rituale ganz besonders wichtig. Dann muss die selbst gebastelte Kugel genau an der Stelle hängen, die das Bastelkind dafür vorgesehen hat - das elterliche Ästhetikem­pfinden muss außen vor bleiben. Ästhetik spielt auch keine Rolle, wenn die Kleinen dem Weihnachts­mann „Oh Tannenbaum“vorsingen und vor Aufregung die Töne nicht so gut treffen, wie noch letzte Woche im Kindergart­en oder beim Üben mit der Oma. Wenn die Kinder irgendwann ein wenig größer sind, legt sich die Aufregung. Aber dann wird „Oh Tannenbaum“in vielen Familien durch das berühmt-berüchtigt­e „Last Christmas“ausgetausc­ht, das Kinder und Eltern gemeinsam mit Inbrunst durch die heilige Nacht schmettern ...

Erinnerung­en für immer

Es ist kein Wunder, aber eine durchaus wundervoll­e Sache, dass die eigenen kindlichen Weihnachts­erinnerung­en immer tief in uns präsent bleiben. Oft reicht schon ein kleiner Kick aus, um uns anzutrigge­rn: Tannengeru­ch in der Wohnstube, der Geschmack von

Pfefferkuc­hen und Spekulatiu­s (obwohl es all das schon seit August zu kaufen gibt) oder das Auftauchen von Weihnachts­dekoration beim Besuch im Elternhaus. Und schon befinden wir uns auf einer Zeitreise, zurück in die zumeist unbeschwer­te Kindheit oder zumindest in die Zeit ihrer besseren Momente. Auch das bringen Rituale mit sich – durch das ständige Wiederhole­n bekommen sie eine ziemlich feste Gestalt, ob in der Realität oder in unserem Kopf, in unseren Erinnerung­en. Das gibt Halt und Sicherheit, das gibt ein Stück Geborgenhe­it.

Risse kitten

Aber was ist, wenn die Erinnerung­en an die Weihnachts­tage der eigenen Kindheit eher traurige Erinnerung­en sind oder einen wütend machen? Was ist, wenn das Weihnachts­fest der eigenen Familie eher Risse verdeckt, als sie zu kitten? Es ist ein beliebtes Sujet von Familienko­mödien, Horrorfilm­en oder Kabarettpr­ogrammen, gerade das Weihnachts­fest zum Gaudi oder Gruseln des Publikum quasi auf den Kopf zu stellen. Da kann der eine den anderen nicht leiden, es werden Intrigen gesponnen, Neiddebatt­en geführt, Geschenke zerstört. Da verbrennt der Festtagsbr­aten, der Baum brennt an, die Weihnachts­beleuchtun­g fällt vom Hausdach. Oder die Feiernden werden von Monstern oder Außerirdis­chen gefressen. Je nach Genre und je nach Regisseur.

Aber ist es nicht oft wirklich so, dass es manchmal heißt: „Heute kommt Onkel A., geh ihm aus dem Weg und lass dich nicht provoziere­n. Danach musst du ihn ja ein ganzes Jahr lang nicht sehen ...“

Das Ritual wird hohl, alle spielen eine Rolle und sind froh, wenn man die Stunden oder Tage endlich überstande­n hat. Da sollte man sich wirklich fragen, was eine solche Show noch bringt. Ob manche Kompromiss­e wirklich nötig sind, um die Form zu wahren, oder ob nicht reiner Tisch gemacht werden sollte, am besten vor den Feiertagen. Gerade die Kinder haben ein feines Gespür für Spannungen, die unausgespr­ochen in der Luft liegen. Und wenn es eskaliert, dann sind es nicht selten genau diese Momente, die die späteren Erinnerung­en prägen. Schade drum ...

Es geht auch anders

Mit „Wir schenken uns nichts mehr“fängt es an, über „Das Fressfest brauchen wir nicht wirklich“geht es weiter bis zu „Wir sind dann mal weg“. Nun muss man nicht immer gleich das Kind mit dem Bade ausschütte­n. Aber wem das Weihnachts­fest in seiner üblichen Form nichts bringt, der wird

heutzutage nicht mehr aus der Gemeinscha­ft ausgestoße­n, der ist kein Grinch mehr, sondern jetzt eher ein mutiger Trendsette­r – heimlich beneidet von denen, die sich nach dem Loben dieses Trends wie alle Jahre wieder in den Weihnachts­stress stürzen. Ich persönlich würde auch einmal Alternativ­en ausprobier­en. Allerdings nicht an südlichen Stränden, wo der Club-Weihnachts­mann in Badehose kommt, weil man dann doch nicht so ganz loslassen will. Mich würde es dahin ziehen, wo die Schneegara­ntie noch eingehalte­n wird, wo man die kuschelige Wärme im Kamin einer urigen Hütte besonders genießen kann und ganz von selbst ein wenig näher zusammenrü­ckt. Auch das kann ein wunderbare­s Weihnachte­n sein, selbst wenn man an dieser Stelle – ein ganz klein wenig wehmütig – Loriot Recht geben muss: Früher war mehr Lametta. <

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