Du hast es in der Hand
# Von Genen und der Epigenetik
Wir haben keinen Einfluss darauf, welche Gene wir von unseren Eltern erben. Diese Tatsache wird oft zum Anlass genommen, unser Schicksal so hinzunehmen, wie es ist. Dabei sind wir unserer Veranlagung nicht machtlos ausgeliefert. Die Wissenschaft der Epigenetik gewährt uns eine neue Sichtweise.
Wie oft haben wir den Wunsch, etwas Grundlegendes im Leben zu ändern? Und doch scheitern wir kläglich allein bei dem Versuch. Es scheint, als hätte man uns bereits bei der Geburt Grenzen auferlegt, die starrsinniger sind als jede Mauer dieser Welt.
Aber ist das wirklich so? Lass uns zu Beginn ein kleines Gedankenexperiment durchführen. Stell dir vor, du hättest sämtliche Ressourcen dieser Welt zur Verfügung, um zu sein, wer immer du sein möchtest. Wer genau wärst du dann? Der gleiche Mensch, der du heute bist? Oder würdest du etwas an dir und deinem Lebensstil ändern? Sei es der besser bezahlte Job, der passendere Lebenspartner, ein gesünderer Lifestyle oder ein liebevollerer Umgang mit dir selbst, wenn du morgens in den Spiegel blickst. Es trifft wohl auf die meisten von uns zu, dass wir in unserer Fantasie ein anderes Leben führen als in der Realität. In unserer Vorstellung sind wir nahezu grenzenlos und verfügen über ein unerschöpfliches Potenzial, das uns ein Dasein außerhalb der Komfortzone ermöglicht. Aber was genau hält uns eigentlich davon ab, eine bessere Version von uns selbst zu sein? Etwa unsere Lebensumstände? Gar unser Schicksal? Lass uns ein bisschen
tiefer in die Materie eintauchen und über den Tellerrand hinausschauen. Ich würde gerne eine kleine Reise mit dir unternehmen. Eine Expedition, die uns in die abenteuerliche Welt der Wissenschaft katapultiert und uns beeindruckende Ergebnisse liefert.
Darwin und wir
Erinnerst du dich noch an den Biologieunterricht in der Schule? Ich weiß noch genau, wie entsetzt ich war, als uns die radikale Evolutionstheorie von Charles Darwin eingebläut wurde und wir Schüler nüchtern feststellen mussten, dass das Leben ein unausweichlicher Kampf ist. Für Darwin war der „Kampf ums Überleben“zwangsläufig und instinktiv in der Natur aller Lebewesen verankert. Der evolutionäre Fortschritt war seiner Ansicht nach nur dann gewährleistet, wenn der Schwächere durch die permanente Abfolge von Schlachten ausgemerzt wird, während der Stärkere überlebt und seine prädestinierten Gene an die Nachkommenschaft weitergibt. Welch grausames Weltbild! Gott sei Dank wissen wir heute, dass Darwin sich in vielen Punkten geirrt hat. Seine Thesen wurden zum Teil
revidiert und wissenschaftlich widerlegt. Mittlerweile ist bekannt, dass die Evolution sehr wohl auf eine kooperative Interaktion zwischen Organismen und ihrer Umgebung zurückgreift. Bruce Lipton - einer der bekanntesten Zellbiologen weltweit - stellt in seinem Buch „intelligente Zellen“eine ganze Reihe von „symbiotischen Beziehungen“in der Natur vor. Darunter zum Beispiel einen Einsiedlerkrebs, der bei der Nahrungssuche im Wasser eine Seeanemone auf dem Rücken trägt. Sobald sich Feinde nähern, die dem Einsiedlerkrebs auf die Pelle rücken, schießt die Seeanemone giftige Pfeile ab, die den Gegner abschrecken und verscheuchen.
Die kriegerische Seeanemone hat natürlich auch etwas davon, denn sie ernährt sich im Gegenzug von den Überresten der gesammelten Beute. Mittlerweile gibt es diverse Beispiele für diesen Kooperationsmechanismus, der nicht nur in der Tier-und Pflanzenwelt existiert, sondern auch in uns selbst. Ja, du hast richtig gelesen! Wir Menschen bestehen nämlich aus einer Gemeinschaft von über 50 Billionen Zellen. Das ist eine Zahl mit 13 Nullen hintendran. Und weißt du was diese Zellen den ganzen lieben Tag lang so machen? Sie arbeiten fleißig und sorgen dafür, dass dein gesamter Organismus funktioniert und in Schach gehalten wird! Diese Zellen in dir sind nämlich ausgesprochen intelligent und anpassungsfähig. Sie tauschen sich aus, organisieren sich, und spielen sich gegenseitig Aufgaben zu,
während du nichts
ahnend diese Zeilen liest. Ohne diese äußert klugen Zellen in uns, würden wir gar nicht existieren und doch wurden sie lange Zeit enorm unterschätzt. Bis zur Jahrtausendwende nahm die Wissenschaft an, dass 98 Prozent unserer DNA nutzlos und unbrauchbar ist: sogenannte „Junk-DNA“. Erst im Jahr 2001 gab es einen elementaren Sinneswandel, der als Meilenstein in die Geschichte der Wissenschaft einging. Im Rahmen des sogenannten „Humangenomprojektes“wurde das menschliche Erbgut entschlüsselt. Zur Überraschung aller stellte sich heraus, dass das Genom - also die menschliche DNS – gerade einmal aus 20 000 bis 25 000 Genen besteht. Also aus etwa 10000 Genen weniger als ein mikroskopisch kleiner Wasserfloh. Die Experten standen vor einem großen Rätsel, zumal der Mensch in seiner Beschaffenheit wesentlich komplexer ist als ein Wasserfloh. Die Wissenschaft musste ihre Theorie über das menschliche Genom neu überdenken und anerkennen, dass der Großteil unseres Erbguts eben doch kein Müll ist, sondern von bedeutender Relevanz.
Genetik und Epigenetik
Ich habe eingangs ja erwähnt, dass unsere Gene steuerbar sind und wir einen erheblichen Einfluss auf sie haben. Diese Regulation der Gene bezeichnet man übrigens als Epigenetik. Die Wissenschaft der Epigenetik wird erst seit einigen Jahren intensiv erforscht, und es ist nicht weit hergeholt, dass sie der deterministischen Biologie gerade ein umfassendes Update verpasst. Denn das, was die Quantenphysik im 19. Jahrhundert für die Physik war, scheint die Epigenetik heute für die Biologie zu werden: eine einschneidende Zäsur, die unser bisheriges Denken komplett auf den Kopf stellt. Aber jetzt möchte ich endlich erläutern, warum die Erkenntnisse dieser neuen Wissenschaft so bedeutsam für uns sind. Versetz dich bitte noch einmal in den Biologieunterricht zurück. Damals wurde uns eingetrichtert, dass wir das genetische Abbild unserer Eltern und Vorfahren sind. Klingt einleuchtend, zumal wir gewisse visuelle Merkmale, wie zum Beispiel Augen, Nase oder Haarstruktur, von unseren Eltern übernommen haben. Das Prinzip der Genetik – so lehrte man uns – gilt aber auch für die Veranlagung von negativen Eigenschaften, Neigungen und Krankheiten. Man hat uns vermittelt, dass
„Was die Quantenphysik im 19. Jahrhundert für die Physik war, könnte die Epigenetik heute für die Biologie werden: eine einschneidende Zäsur, die unser bisheriges Denken komplett auf den Kopf stellt.“
unsere Gene bereits vor der Geburt festgeschrieben und damit unveränderbar sind. Kurzum: dass unser Schicksal einzig und allein in den Händen unserer Gene liegt. Dieses Dogma wurde zur obligatorischen Grundlage der heutigen Medizin. Doch wie wir bereits feststellen durften, sind wissenschaftliche Forschungsergebnisse nicht immer das Maß aller Dinge. Im Grunde genommen hat jede Theorie nur so lange Gültigkeit, bis jemand sie nachweislich widerlegen kann. Und genau das ist mithilfe der Epigenetik passiert. In den letzten Jahren haben Molekularbiologen herausgefunden, das unsere Gene gar nicht so starr und festgefahren sind, wie man ursprünglich angenommen hat.
Zudem spielen die Proteine, in die unsere DNA eingebettet ist, eine wesentliche Rolle. Sie entscheiden in einem größeren Ausmaß darüber, ob und welche Gene abgelesen werden. Diverse Laborstudien haben bestätigt, dass unsere Zellen flexibel sind und stark auf die Reize ihrer Umgebung reagieren. Dieser Mechanismus hat zur Folge, dass unsere Zellen sich fortwährend verändern und sich an ihre Umwelt anpassen.
Jetzt fragst du dich vielleicht, wer oder was die Umgebung dieser Zellen ausmacht? Die Antwort ist ganz einfach: DU selbst!
Du hast es in der Hand
Es sind DEINE Lebensgewohnheiten, die zum Großteil darüber entscheiden, welchen „Nährboden“deine Zellen für ihre Entwicklung erhalten. Deine Essgewohnheiten, deine Körperaktivität (Bewegung/ Schlaf) aber auch deine Gedanken und Gefühle (Mindset), haben neben anderen Umweltfaktoren einen unmittelbaren Einfluss darauf, wie deine Gene abgelesen werden. Dabei hast du unglaublich viel Gestaltungsspielraum, wenn es darum geht, ein Leben ganz nach deinen Vorstellungen zu führen.
Du musst dir lediglich bewusst machen, dass DU der Regisseur deines eigenen Drehbuches bist. Du dirigierst und leitest deine eigene Geschichte, kein anderer! <