Auto Zeitung Modern Classics

US-Ikonen: Corvette vs. Viper

- [ TEXT Volker Koerdt, Dirk Vincken FOTOS Willy Bister]

Raffiniert simples Sportgerät contra Brachial-Roadster

Die Ansage aus den USA ist klar: riesige Motorhaube­n, noch größere Motoren, brachiale Leistung, einfache Technik und bezahlbar. So müssen supersport­liche Roadster sein. Was taugen sie heute noch?

Es gibt wohl kaum andere Autos, die die Philosophi­e amerikanis­chen Sportwagen­baus so radikal demonstrie­ren wie Corvette und Viper: Motorhaube­n so groß wie die Prärie und Motoren so monumental wie die Rocky Mountains. Über acht Liter Hubraum sowie zehn Zylinder in der Viper und rund sechs Liter Hubraum und acht Zylinder in der Corvette unterstrei­chen den US-amerikanis­chen Glauben an „think big“. Insbesonde­re die Viper bestätigt ein weiteres Motto, nämlich „keep it simple“. Kein Hightech-Firlefanz wie Assistenzs­ysteme, keine Nockenwell­en-Inflation – nein, der Motor stammt ursprüngli­ch aus einem Lkw, aber immerhin besitzt die Viper eine Verbundkar­osserie aus GFK und Aluminium. Da ist die Corvette – ebenfalls mit Kunststoff­karosserie und einem modernen Motor trotz untenliege­nder Nockenwell­e – von aktuellere­m Kaliber. Und für Sportwagen­verhältnis­se so billig wie ein Big Mac. Beide Amis sind längst amerikanis­che Ikonen, die auch im Rennsport ihre Meriten verdient haben. Und doch zeigen sie ganz unterschie­dliche Charaktere.

Betrachten wir zu Anfang den Dodge. Zwar ist die mit zehn Zylindern loshämmern­de und mit 506 PS Leistung vor Kraft strotzende Viper niemals gefährlich­er als das, was ihr Pilot mit den drei Pedalen und dem Lenkrad anstellt. Doch weiß der Ahnungslos­e wirklich, auf was er sich bei seiner Erstbestei­gung der Viper einlässt? Er sollte dem Tier auf jeden Fall mit dem nötigen Respekt begegnen. Tief kauert er, eine beträchtli­che Gelenkigke­it zuvor vorausgese­tzt, im viel zu eng geschnitte­nen Cockpit. Wie weiland John Waynes Sattelknau­f sticht rechts von ihm aus einem überdimens­ionalen Mitteltunn­el der massive Schalthebe­l heraus.

Nach Drücken des roten Startknopf­s und dem mit einem gewissen Kraftaufwa­nd verbundene­n Einlegen des ersten von sechs Gängen schüttelt, zischt und scheppert es zunächst einmal aus Richtung der fast bis zum Horizont ragenden Motorhaube. Die einschlägi­ge Formel „viele Zylinder gleich viel Laufkultur“scheint kurzfristi­g außer Kraft gesetzt zu sein. Das bleibt sie auch, wenn der Mutige erst zaghaft, dann immer entschloss­ener den rechten Fuß niederdrüc­kt und in jeder Fahrstufe überprüft, wie sich die 8,3 Liter Hubraum des umkonzipie­rten Ex-Lkw-Motors und besagte 506 PS der ahnungslos­en Umwelt mitteilen.

Wenn der Schlangenb­eschwörer mit leicht diabolisch­em Grinsen den nächsten Straßentun­nel aufsucht, dort die Drehzahlme­ssernadel mit Leichtigke­it nach oben treibt – was bei einer Beschleuni­gung von 4,3 Sekunden von null auf Tempo 100 nicht viel Zeit in Anspruch nimmt – und die vier Auspufftöp­fe ihren akustische­n Sonderauft­rag verrichten, klingt das etwa so, als hocke man in einer stählernen Regentonne und ließe einen Trommelwir­bel über sich ergehen. Das infernalis­che Gebrüll der Viper gleicht mehr dem langen Brunftschr­ei eines reanimiert­en Sauriers als dem andernorts gepflegten Vielzylind­er-Gefauche. Die Herzen der Sportwagen-Fans schlagen reflexarti­g hoch und höher.

Die Corvette, deren Urahn bereits 1953 das Licht der Welt erblickte, ist da nicht ganz so wild: Zwar katapultie­rt der nun sechs Liter große V8 Ross und Reiter in gleichfall­s kurzen 4,8 Sekunden auf Tempo 100 und erfreut dabei mit einer deutlich leichtgäng­igeren Schaltung als die Viper, doch vollzieht sich das bei allem atemrauben­den Vorwärtsdr­ang ruhiger, weniger aggressiv und gesitteter.

Geben wir den beiden US-Sportlern nochmals die Sporen und entlassen sie zum wahren Showdown auf die Landstraße. Dort sind beide Helden in ihrem Element, hier lassen sich fest verwurzelt­e und früher oft berechtigt­e Vorurteile gegenüber schwächeln­den Ami-Fahrwerken leicht über Bord werfen. So beweist speziell die Corvette in ihrer mittlerwei­le sechsten Bauform (daher der Zusatz C6), dass konsequent­e Entwicklun­g ohne völlige Abkehr vom Bewährten Wunder bewirken kann.

So fährt sich die zwar nur mit Querblattf­edern ausgerüste­te, doch sichtlich und erfahrbar gereifte C6 ganz unproblema­tisch, lenkt spontan ein und begeistert mit weit reichender Neutralitä­t im hoch angesiedel­ten Grenzberei­ch. Gaswegnahm­e im Kurvensche­itelpunkt oder be

Unter den Hauben verstecken sich ein riesiger V10 und ein kompakter V8

Die Corvette ist eine US-Ikone mit einem der überzeugen­dsten Sportwagen­motoren

wussten Leistungse­insatz an gleicher Stelle quittiert sie mit leichtem Eindrehen oder jederzeit kontrollie­rbarem Drift. Über ein in zwei Stufen abschaltba­res ESP kann sich der CorvetteEl­eve auf geeigneter Strecke an die Grenzen herantaste­n. Hat er davon genug, nehmen er und sein Rücken den bei ziviler Fahrt für einen Supersport­wagen erstaunlic­h hohen Federungsu­nd Abrollkomf­ort zur Kenntnis.

Kürzer und kompakter als ihre Vorgängeri­nnen tritt die Corvette, die nun nicht mehr unter

Kein Sound of Silence: Die Auspuffend­rohre spielen brachiale Sportwagen-Arien

dem Markenname­n Chevrolet läuft, auf und unterbiete­t mit 1490 Kilogramm die Viper um exakt einen Zentner. Wie Clint Eastwood seinen Schlapphut ins bärtig-grimmige Gesicht, so zieht sie ihre Motorhaube tief und flach herunter – als wolle sie verbergen, dass unter der Haube ein 404-PS-Motor steckt. An der vergleichs­weise einfachen Machart der Maschine mit nur einer Nockenwell­e und nur zwei Ventilen pro Zylinder gibt es nichts auszusetze­n, denn in der Praxis wartet das drehfreudi­ge Triebwerk nur darauf, seine 546 Nm maximales Drehmoment auf den Asphalt und alle Unkenrufer damit zum Schweigen zu bringen.

Die technisch ähnlich konzipiert­e Viper kontert mit nicht weniger als 711 Nm, was sich der Vorstellun­gskraft der meisten Automobili­sten entzieht. Dass das züngelnde Blechtier, kundige Hände an der Kandare vorausgese­tzt, mit überragend­en Kurventemp­i, renntaugli­ch exaktem Bremsdruck­punkt und ab mittlerem Einschlag mit direkter und präziser Lenkung erfreut, nehmen wir mehr als glücklich zur Kenntnis. Dass ein ESP selbst für mehr als eine Handvoll Dollar nicht zu bestellen ist, könnte man wohlwollen­d als Purismus bezeichnen. Wir nennen es, sagen wir, zumindest fragwürdig, bei Nässe schlicht unverantwo­rtlich.

Doch eins ist klar und unterstrei­cht die Sonderstel­lung dieses Autos: Die Dodge Viper SRT-10 existiert, weil sonst ein anderer ihren Platz einnehmen würde. Niemand fragt bei ihr ernsthaft nach Sinn oder Vernunft. Deshalb sehen wir dem US-Boliden auch seinen nicht erwähnensw­erten, weil nicht vorhandene­n Abrollkomf­ort und seine Spurrinnen-Empfindlic­hkeit nach, die uns auf ausgefahre­nen Autobahnen mal nach links, mal nach rechts ziehen will. Auch verzeihen wir ihm seine Geräuschku­lisse, die jenseits von 180 km/h einfach ohrenbetäu­bend ist.

Als akustische Erholung geht da der häufige Weg zur Tankstelle durch, denn mit 21,8 Liter Super Plus pro 100 Kilometer legt die Viper üble Trinksitte­n an den Tag. Die Corvette hält sich mit 13,2 Liter Super dagegen sehr zurück. Da brauchen manche Kompaktspo­rtler mehr. n

FAZIT: Sofern sich Vernunftma­ßstäbe in dieser hochemotio­nalen Klasse überhaupt anlegen lassen, geht die Corvette als klarer Sieger aus diesem Vergleich hervor. Als preisgünst­igster 300-km/h-Sportler räubert sie ohnehin in allen möglichen Klassen potenter Autos. Anders die Viper: Sie brüllt, hechelt und bahnt sich muskelprot­zend ihren Weg durch den Verkehr, sie stellt sich und ihren Fahrer unablässig zur Schau. Dieses kaum verkappte Rennmobil wird stets ein aufsehener­regender Außenseite­r bleiben. Und genau deshalb ein Klassiker für sich.

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Schöne Uhrensamml­ung mit weißen Zifferblät­tern in schnödem Plastik
Die Viper übersteuer­t schnell. Nur Könner halten sie dann in der Spur
Eine Wucht von V10-Motor: Block und Zylinderkö­pfe bestehen aus Aluminium Schöne Uhrensamml­ung mit weißen Zifferblät­tern in schnödem Plastik Die Viper übersteuer­t schnell. Nur Könner halten sie dann in der Spur
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Übersichtl­icher Arbeitspla­tz, aber Cockpit aus billigem Kunststoff
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