US-Ikonen: Corvette vs. Viper
Raffiniert simples Sportgerät contra Brachial-Roadster
Die Ansage aus den USA ist klar: riesige Motorhauben, noch größere Motoren, brachiale Leistung, einfache Technik und bezahlbar. So müssen supersportliche Roadster sein. Was taugen sie heute noch?
Es gibt wohl kaum andere Autos, die die Philosophie amerikanischen Sportwagenbaus so radikal demonstrieren wie Corvette und Viper: Motorhauben so groß wie die Prärie und Motoren so monumental wie die Rocky Mountains. Über acht Liter Hubraum sowie zehn Zylinder in der Viper und rund sechs Liter Hubraum und acht Zylinder in der Corvette unterstreichen den US-amerikanischen Glauben an „think big“. Insbesondere die Viper bestätigt ein weiteres Motto, nämlich „keep it simple“. Kein Hightech-Firlefanz wie Assistenzsysteme, keine Nockenwellen-Inflation – nein, der Motor stammt ursprünglich aus einem Lkw, aber immerhin besitzt die Viper eine Verbundkarosserie aus GFK und Aluminium. Da ist die Corvette – ebenfalls mit Kunststoffkarosserie und einem modernen Motor trotz untenliegender Nockenwelle – von aktuellerem Kaliber. Und für Sportwagenverhältnisse so billig wie ein Big Mac. Beide Amis sind längst amerikanische Ikonen, die auch im Rennsport ihre Meriten verdient haben. Und doch zeigen sie ganz unterschiedliche Charaktere.
Betrachten wir zu Anfang den Dodge. Zwar ist die mit zehn Zylindern loshämmernde und mit 506 PS Leistung vor Kraft strotzende Viper niemals gefährlicher als das, was ihr Pilot mit den drei Pedalen und dem Lenkrad anstellt. Doch weiß der Ahnungslose wirklich, auf was er sich bei seiner Erstbesteigung der Viper einlässt? Er sollte dem Tier auf jeden Fall mit dem nötigen Respekt begegnen. Tief kauert er, eine beträchtliche Gelenkigkeit zuvor vorausgesetzt, im viel zu eng geschnittenen Cockpit. Wie weiland John Waynes Sattelknauf sticht rechts von ihm aus einem überdimensionalen Mitteltunnel der massive Schalthebel heraus.
Nach Drücken des roten Startknopfs und dem mit einem gewissen Kraftaufwand verbundenen Einlegen des ersten von sechs Gängen schüttelt, zischt und scheppert es zunächst einmal aus Richtung der fast bis zum Horizont ragenden Motorhaube. Die einschlägige Formel „viele Zylinder gleich viel Laufkultur“scheint kurzfristig außer Kraft gesetzt zu sein. Das bleibt sie auch, wenn der Mutige erst zaghaft, dann immer entschlossener den rechten Fuß niederdrückt und in jeder Fahrstufe überprüft, wie sich die 8,3 Liter Hubraum des umkonzipierten Ex-Lkw-Motors und besagte 506 PS der ahnungslosen Umwelt mitteilen.
Wenn der Schlangenbeschwörer mit leicht diabolischem Grinsen den nächsten Straßentunnel aufsucht, dort die Drehzahlmessernadel mit Leichtigkeit nach oben treibt – was bei einer Beschleunigung von 4,3 Sekunden von null auf Tempo 100 nicht viel Zeit in Anspruch nimmt – und die vier Auspufftöpfe ihren akustischen Sonderauftrag verrichten, klingt das etwa so, als hocke man in einer stählernen Regentonne und ließe einen Trommelwirbel über sich ergehen. Das infernalische Gebrüll der Viper gleicht mehr dem langen Brunftschrei eines reanimierten Sauriers als dem andernorts gepflegten Vielzylinder-Gefauche. Die Herzen der Sportwagen-Fans schlagen reflexartig hoch und höher.
Die Corvette, deren Urahn bereits 1953 das Licht der Welt erblickte, ist da nicht ganz so wild: Zwar katapultiert der nun sechs Liter große V8 Ross und Reiter in gleichfalls kurzen 4,8 Sekunden auf Tempo 100 und erfreut dabei mit einer deutlich leichtgängigeren Schaltung als die Viper, doch vollzieht sich das bei allem atemraubenden Vorwärtsdrang ruhiger, weniger aggressiv und gesitteter.
Geben wir den beiden US-Sportlern nochmals die Sporen und entlassen sie zum wahren Showdown auf die Landstraße. Dort sind beide Helden in ihrem Element, hier lassen sich fest verwurzelte und früher oft berechtigte Vorurteile gegenüber schwächelnden Ami-Fahrwerken leicht über Bord werfen. So beweist speziell die Corvette in ihrer mittlerweile sechsten Bauform (daher der Zusatz C6), dass konsequente Entwicklung ohne völlige Abkehr vom Bewährten Wunder bewirken kann.
So fährt sich die zwar nur mit Querblattfedern ausgerüstete, doch sichtlich und erfahrbar gereifte C6 ganz unproblematisch, lenkt spontan ein und begeistert mit weit reichender Neutralität im hoch angesiedelten Grenzbereich. Gaswegnahme im Kurvenscheitelpunkt oder be
Unter den Hauben verstecken sich ein riesiger V10 und ein kompakter V8
Die Corvette ist eine US-Ikone mit einem der überzeugendsten Sportwagenmotoren
wussten Leistungseinsatz an gleicher Stelle quittiert sie mit leichtem Eindrehen oder jederzeit kontrollierbarem Drift. Über ein in zwei Stufen abschaltbares ESP kann sich der CorvetteEleve auf geeigneter Strecke an die Grenzen herantasten. Hat er davon genug, nehmen er und sein Rücken den bei ziviler Fahrt für einen Supersportwagen erstaunlich hohen Federungsund Abrollkomfort zur Kenntnis.
Kürzer und kompakter als ihre Vorgängerinnen tritt die Corvette, die nun nicht mehr unter
Kein Sound of Silence: Die Auspuffendrohre spielen brachiale Sportwagen-Arien
dem Markennamen Chevrolet läuft, auf und unterbietet mit 1490 Kilogramm die Viper um exakt einen Zentner. Wie Clint Eastwood seinen Schlapphut ins bärtig-grimmige Gesicht, so zieht sie ihre Motorhaube tief und flach herunter – als wolle sie verbergen, dass unter der Haube ein 404-PS-Motor steckt. An der vergleichsweise einfachen Machart der Maschine mit nur einer Nockenwelle und nur zwei Ventilen pro Zylinder gibt es nichts auszusetzen, denn in der Praxis wartet das drehfreudige Triebwerk nur darauf, seine 546 Nm maximales Drehmoment auf den Asphalt und alle Unkenrufer damit zum Schweigen zu bringen.
Die technisch ähnlich konzipierte Viper kontert mit nicht weniger als 711 Nm, was sich der Vorstellungskraft der meisten Automobilisten entzieht. Dass das züngelnde Blechtier, kundige Hände an der Kandare vorausgesetzt, mit überragenden Kurventempi, renntauglich exaktem Bremsdruckpunkt und ab mittlerem Einschlag mit direkter und präziser Lenkung erfreut, nehmen wir mehr als glücklich zur Kenntnis. Dass ein ESP selbst für mehr als eine Handvoll Dollar nicht zu bestellen ist, könnte man wohlwollend als Purismus bezeichnen. Wir nennen es, sagen wir, zumindest fragwürdig, bei Nässe schlicht unverantwortlich.
Doch eins ist klar und unterstreicht die Sonderstellung dieses Autos: Die Dodge Viper SRT-10 existiert, weil sonst ein anderer ihren Platz einnehmen würde. Niemand fragt bei ihr ernsthaft nach Sinn oder Vernunft. Deshalb sehen wir dem US-Boliden auch seinen nicht erwähnenswerten, weil nicht vorhandenen Abrollkomfort und seine Spurrinnen-Empfindlichkeit nach, die uns auf ausgefahrenen Autobahnen mal nach links, mal nach rechts ziehen will. Auch verzeihen wir ihm seine Geräuschkulisse, die jenseits von 180 km/h einfach ohrenbetäubend ist.
Als akustische Erholung geht da der häufige Weg zur Tankstelle durch, denn mit 21,8 Liter Super Plus pro 100 Kilometer legt die Viper üble Trinksitten an den Tag. Die Corvette hält sich mit 13,2 Liter Super dagegen sehr zurück. Da brauchen manche Kompaktsportler mehr. n
FAZIT: Sofern sich Vernunftmaßstäbe in dieser hochemotionalen Klasse überhaupt anlegen lassen, geht die Corvette als klarer Sieger aus diesem Vergleich hervor. Als preisgünstigster 300-km/h-Sportler räubert sie ohnehin in allen möglichen Klassen potenter Autos. Anders die Viper: Sie brüllt, hechelt und bahnt sich muskelprotzend ihren Weg durch den Verkehr, sie stellt sich und ihren Fahrer unablässig zur Schau. Dieses kaum verkappte Rennmobil wird stets ein aufsehenerregender Außenseiter bleiben. Und genau deshalb ein Klassiker für sich.