Porsche 911 Targa
Targa – so hieß seinerzeit das härteste Straßenre Nnen der Welt
Auf? Zu? Oder halb offen? Seit 55 Jahren lebt Porsches Sicherheits-Cabriolet vergnügt unter falschem Namen. Autor Johannes Riegsinger spürt einem Geniestreich nach
Irgendwie weiß der Porsche Targa nach über 55 Jahren immer noch nicht so recht, was er sein möchte: Cabriolet für Warmduscher? Coupé für Sommer-Optimierer? Oder vielleicht doch ein zufälliger Geniestreich?
Neunzehn Sekunden Spektakel. So lange dauert es, bis sich am aktuellen Porsche 911 Targa 4S die riesige Glaskuppel gelupft hat, das schmale Stoff-Verdeck über dem Cockpit an langen Gestänge-Spinnenfingern ins Heck gezirkelt und die Kuppel saugend und Mechanik-knirschend zurück in die Dichtungen gerutscht ist. Wobei: „Stoff-Verdeck“, das trifft die Angelegenheit nicht ganz, es handelt sich eher um ein Hightech-Sandwich aus Magnesium-Struktur samt textilem Überzug, der „Verdeck“-Anteil ist sozusagen beinahe vernachlässigbar.
19 Sekunden also. Man steht solange mit gedrücktem Knöpfchen andächtig still, anstatt wie in einem modernen Cabriolet während des Klappvorgangs schon einmal loszufahren. Die schwere Glaskuppel, die komplexe Mechanik – das alles rotiert mit großem Pathos und ingeniöser Dramatik. Du schaust den Transformer-mäßig dahinwirbelnden Bauteilen hinterher, wunderst dich fast, dass Porsche keinen Walzer vom
Band dazu spielt, und natürlich müssen die Bauteile am Ende ihrer Umlaufbahn millimetergenau landen, damit nix spannt, sperrt, verzieht. Und deshalb: Stillstand. Keine FahrtwindBrise und auch keine ChassisVerwindung dürfen dem Mechanik-Wunderwerk jetzt in die Quere kommen. Macht natürlich gar nichts, denn so hat man jedes Mal beim Öffnen oder Schließen genug Zeit, um sich ein paar Gedanken über diesen wunderlichen Elfer zu machen, den Porsche ausgerechnet Targa genannt hat. Einen unpassenderen Namen gibt es in 135 Jahren Automobil-Historie nämlich nicht, das muss nun auch einmal gesagt werden. Denn schließlich hat Porsche den Targa 1965 für die immer schon etwas sonderbaren Amerikaner erfunden, die einerseits auf das Recht auf halbautomatische Sturmgewehre bei Kindergeburtstagen pochen, sich andererseits aber wegen eines heißen Kaffees im Pappbecher oder Meerschweinchen in Mikrowellen verklagen. Mitte der 1960er-Jahre war es wieder einmal soweit: Die USA hatten Angst vor einem Massensterben der Cabrio-Fahrer, es musste überrollgebügelt und crashgesichert werden – und diese Aussicht spielte keiner Firma so sehr in die Karten wie diesem Familienbetrieb aus Süddeutschland: Porsche.
Der offene 356 war nach 17 Jahren reif fürs Museum, ein Nachfolger musste her, aber sie hatten vergessen, dafür zu sorgen, dass die 911-Karosse nicht zusammenklappte, wenn man ihr das Dach abschnitt: Ergo bekam der erste offene 911 genau das, was die Amis wollten, einen stabilisierenden Bügel, den man metallisch glänzend in den Mittelpunkt des neuen „Sicherheitscabriolets“stellte. Dahinter folgte eine durchsichtige Plastikplane zum Einzippen, davor ein großes Tablett zum Einschnappen.
Jetzt musste ein griffiger Name her, denn „Sicherheitscabriolet“? Na ja … Wir wissen nicht, was im Rahmen der Namensfindung konsumiert oder gedacht wurde, aber am Ende bekam die gebügelte Safety First-Version des offenen 911 den Namen Targa – nach der Targa Florio, dem seinerzeit gefährlichsten Straßenrennen der Welt, bei dem filigran wie Vogelkäfige gebaute 300-PS-Rennwagen in der sizilianischen Bergwelt an Kilometersteinen zerschellten, während vor Glück und Aufregung weinende Kinder im Straßengraben lagen und
Unter 911 GT3-Fahrern hast du Spaß – aber unter Targa-Fahrern hast du Freude
Hühner das Eierlegen vergaßen. Das Pendant zu einer Kneipenschlägerei in Glasgow also, nur mit Wein statt Whisky, und den Namen dieser Autoeskalation erhielt nun Porsches „Sicherheitscabriolet“, um dem Überrollbügel fürderhin etwas Frivolität einzuhauchen. Vermutlich aber vor allem, weil Targa eben recht gut zu Carrera passt… Marketing kann manchmal unfassbar pragmatisch sein.
Weitere 17 Jahre später entstand doch noch eine wirklich offene 911-Variante, als Cabriolets nach abgeklungenen Sicherheitsbedenken des Amerikaners im Allgemeinen und Besonderen rehabilitiert wurden. Es ist ein kleines Wunder, dass der Targa dennoch bis heute überlebte. Könnte man zumindest denken, denn er sitzt auf den ersten Blick schon ein wenig zwischen allen Stühlen. Cabrio? Coupé? Sportwagen? Cruiser? Eher offen oder eher zu? Auf den zweiten Blick ist der Targa aber einfach ein Auto für besondere Menschen. Man kann vermutlich auch Gläser immer halb voll sehen, wenn man im Targa den sinnvollsten, genialsten 911 erkennt – und es geht, es gibt diesen besonders optimistischen Menschenschlag. Zur Einordnung wagen wir uns also an eine besondere These: Unter 911 GT3-Fahrern hast du viel Spaß, aber unter Targa-Fahrern hast du reine Freude. Da geht es nicht um den Speed, sondern ums Unterwegssein, es geht nicht ums Jemand-Sein, sondern allein ums Sein. Wen wundert es, dass der Targa immer schon die polarisierendste 911-Variante war: von Fans innig geliebt und vom Mainstream unverstanden.
Selbst bei Porsche haben sie zwischendurch kalte Füße bekommen, weil ihnen der Targa zu sehr „Mercedes“gewesen sein muss mit dem Bügel und so. Der 993 Targa ab 1995 wurde per beweglichem Panorama-Glasdach auf Hightech umgestrickt, beim 996 Targa (2001) kam gar eine Glas-Heckklappe dazu, und im 997 Targa (2006) durfte man sich per einziehbarem Rollo unter dem Glasdach vor zu viel Sonne schützen. Alles sehr hilfreich, aber kein bisschen sexy und noch weniger Targa. Erst mit dem Typ 991 war der Targa tatsächlich ein Targa: abnehmbares Top, feststehender Überrollbügel, einteilige Heckscheibe. Hach! Und noch hacher beim aktuellen Typ 992, der den Vogel abschießt, so Retro-detailverliebt und herrlich aufwändig ist er gemacht.
Und jetzt sind 19 Sekunden um, 55 Jahre sind bedacht, alles sitzt völlig knack- und klapperfrei, nun sieht man im Licht des Tages auch die Freudentränen, die dir über die Wangen laufen, weil dich diese „Heritage Design Edition“des neuen Porsche 911 Targa 4S so vollkommen fertig macht. Ja, man muss Targa-Liebhaber sein, um die goldenen Schriftzüge am Heck und am
Überrollbügel gut zu finden, so rotzfrech nostalgisch sind sie. Und wunderschön. Genau wie der Lack in Cherry-Metallic und – festhalten – ein Cordsamt-Interieur in Atacamabeige. Das gibt es auch etwas weniger schwelgerisch, aber wir finden ja nach so vielen Jahren Ratio-Targa: Wenn schon, denn schon. Volles Nostalgieprogramm, bitteschön, samt Startnummernaufklebern und Bicolor-Cockpit, dass einem die Augen tränen. Wir können einfach nicht genug bekommen, saugen den guten Stoff, die herrliche Atmosphäre dieses Autos auf. Tusch, Humpatäterä, und die Pauke knallt. Die „Heritage Design Edition“ist auf 992 Exemplare limitiert, und immer wenn bei Porsche etwas limitiert ist, ist es auch gleich schon nicht mehr – weil dann bereits weg. Freundlicherweise findet man wenigstens das Heritage Interieur ganz normal in der 911-Preisliste und darf sich nur nicht über den Preis wundern, der mit 13.339 Euro ebenfalls ziemlich Humpatäterä ist. Aber Porsche-Kunden sind in dieser Hinsicht ja einigen Kummer gewöhnt.
Und sobald die Überweisung an den PorscheHändler raus ist, hört der Kummer eh auf – dann macht so ein neuer Neunelf einfach nur alles richtig. Ja, das gilt auch für die aktuelle Generation, die den Harten im Garten beinahe schon etwas zu perfekt und zivilisiert ist, was die Targa-Version natürlich hervorragend überspielt. Wie früher liegt der Zündschlüssel links vom Lenkrad – auch wenn es nun ein fixer Start-Stummel ist und der eigentliche Schlüssel Codes-funkend im Cupholder liegt und sich dabei in feinstem Etui-Leder wichtig macht. Knarzröchelknurr, sagt der Dreiliter-Biturbo-Sechszylinder-Boxer zum Start, und du weißt bereits jetzt, dass ihr ganz dicke Freunde sein werdet. Dann schlenzt er den samt serienmäßigem Allradantrieb und Targa-Lustbarkeiten fast 1700 Kilogramm schweren Elfer so dreckig vorwärts, dass dir das „Hossa“-Brüllen eine Weile lang nicht mehr ausgeht – bis du herausfindest, dass man einen Targa ja überhaupt nicht so fahren muss. Sondern ganz amtlich cruisen darf, ohne dass einen besorgte Polizisten aus dem Verkehr ziehen und nach dem werten Befinden fragen. Targa-Fahrer haben es leicht, ganz ohne Leistungsdruck.
Samtig tigert der Targa, zieht sein auskomponiertes Porsche-Ding durch. Wirkt wach und präsent und direkt, ohne stressig zu sein, vermittelt in nahezu allen Fahrsituationen, dass genau diese bereits von Ingenieuren durchgespielt wurden. Bewusstsein und Know-how durchströmen dieses Auto, die Lenkung zirkelt
Cherry-Metallic und Cordsamt: Nostalgie-Programm
auf den Punkt, die Dämpfer kontrollieren jeden Millimeter Federweg mit fürsorglicher Genauigkeit. Selbst wenn so ein Targa-Rad mal in ein Schlagloch fallen würde, täte es das mit nur sanftem Ploppen und sofort wieder zurück, wäre direkt wieder am Abtasten der Fahrbahnoberfläche, alles servil rückmeldend in Fahrerhände und -hintern – aber nicht ohne vorher überflüssige Härten herausgefiltert zu haben. Logisch, dass man es dann doch noch einmal wissen will, die Granate zünden möchte, um schmunzelnd und lässig am Abflug entlangzufegen. So ein Targa 4S ist eben eine Macht. Ein Sportwagen, ganz klar – nur für den Fall, dass das einen Moment lang unklar gewesen wäre. Was will man mehr?
Vielleicht die wahre „Heritage Edition“? Das Original der späten 1960er? Das steht auf einem Parkplatz im Wald, ist gegen den neuen Elfer ganz klein und zierlich, aber es lockt und zieht unwiderstehlich. Porsche 911 Targa von 1967, die allererste Ausgabe mit Plastik-Heckfenster, das in der warmen Frühlingssonne leichte Wellen schlägt. Drei gebrochene Finger später haben wir den festen Reißverschluss überredet, auch den letzten Rest von Dach loszulassen, jetzt ist nur noch der Bügel übrig. Und eine stille, kurvige, grobe Straße im Wald. Der
luftgekühlte Zweiliter-Boxer kräht hell und metallisch, der lange Schalthebel sortiert mit etwas Spiel, aber der ersten Ahnung von späterer Knackigkeit die Gänge, ein gut dosiertes Zwischengas hilft dabei. Nach dem direkten Umstieg aus der aktuellen Elfer-Generation dauert das Ankommen im Ur-911 etwas, doch nach wenigen Kilometern sitzt der Gangwechsel-Rhythmus, läuft das große, dünne Lenkrad durch die Hände, als hätte es nie etwas anderes getan. Und plötzlich spürst du die Energie des Motors, der mit seinen lediglich 130 PS ja auch nur 1080 Kilogramm bewegen muss. Kernig tritt er an, bleibt ganz bei der Sache, hat kein Problem mit fordernden Drehzahlen. Dieser Kumpel drückt sich ganz bestimmt nicht vor Herausforderungen. Und er passt perfekt zum Fahrwerk, das mit seinem kurzen Radstand herrlich flüssig in die Kehren schnappt. Handfeste Traktion beim Herausbeschleunigen und ein Heck, das in zuziehenden Kehren ganz offensichtlich mit Überholgedanken spielt: Elfer-Fahren eben. Herzhaft und ehrlich.
Und dann ist man auch schon mit dem großen, alten Klassiker verwachsen, versteht, wie aus diesem unspektakulären Automobil einer der Greatest Hits des Auto-Rock ’n’ Roll werden konnte. Ganz besonders als Targa. Luft und Licht im Raum, das Fahren unter dem Bügel – das ist eben die reine Freude.