De Tomaso Guarà
Selbst Sportwagenversierte Betrachter kommen beim Guarà ins Grübeln
Im Schatten seines unsterblichen Bruders Pantera war dem Guarà trotz BMW-Vierliter-V8 nur wenig Erfolg beschieden
Er ist der ganz große Unbekannte aus Modena: Der De Tomaso Guarà hätte es verdient gehabt, aus dem Schatten seines unsterblichen Bruders Pantera zu treten. So aber war er nur ein letzter kleiner Lichtblick in der Firmenhistorie von Alejandro de Tomaso
Was ist das denn? Selbst der Sportwagen-versierteste Betrachter kommt beim Anblick der Flunder mit den Schlafaugen ins Grübeln. Dieses Stämmige, Untersetzte deutet auf einen Lotus Elan M100 hin. Nein, es ist kein Lotus, dieser Roadster hier wirkt viel breiter. Und dann diese vergrillten Rücklichter, die wie pures 80er-Jahre-Ferrari-Design aussehen, versehen mit Sonderwünschen irgendeines Scheichs. Aber vom Ferrari-Pferd keine Spur. Dann wieder, aus anderen Blickwinkeln, könnte der Sportler glatt als Bugatti EB 110-Studie durchgehen. Oder nicht?
Wer es noch nicht geblickt hat, dem verraten letztlich die Schriftzüge zwischen den Radhäusern die Identität des Sportgeräts: De Tomaso Guarà steht da. Für Otto-Normalsportsfreund macht das die Sache indes auch nicht viel klarer. Theoretisch war der De Tomaso Guarà als Nachfolger für den Pantera gedacht, jener Sportwagen-Ikone mit Ford V8-Antrieb, auf die Elvis Presley seine Knarre hielt und abdrückte, nur weil ihn der Anlasser nervte. Und Mötley Crüe-Sänger Vince Neil schrottete seinen Pantera sogar – natürlich im ganz gewöhnlichen durchalkoholisierten RockstarAllüren-Vollrausch.
War der Pantera der Joker der Modeneser Sportwagen-Haute Couture, optional mit Automatik für den dauerentspannten Poser, machte eher der Zufall den Guarà zu einem Pantera-Ersatz. Denn in der Po-Ebene zwischen Mailand und
Bologna sehnte sich Alejandro de Tomaso – ein durch und durch seriöser Mensch – vor allem nach mehr Respekt seitens der Ferrari-Fraktion. Um die gewünschte Akzeptanz zu bekommen, kehrte de Tomaso zurück zu seinen Wurzeln und besann sich auf nette, kleine Sportsracer in der Art, wie er sie schon früher auf die Straße gebracht hatte.
Auf dem Genfer Salon 1993 wurde der Guarà präsentiert. Die Nomenklatur – Guarà ist eine bissfeste argentinische Jagdhunde-Rasse – schloss sich nahtlos an die der De Tomaso-Modelle wie den Cobra-Killer Mangusta (Mungo) und den Pantera (Panther) an.
Motor aus dem BMW 840
Bald sollte das neue Modell seine Marktreife erreichen - als Coupé, Roadster und Barchetta. Zuvor machte sich de Tomaso auf die Suche nach einem geeigneten Motor, der einerseits als tragendes Bauteil fungieren, anderseits dem teuren Spaceframe-Chassis und der aufwendigen Kohlefaser-Karosserie gerecht werden sollte. BMW rückte bereitwillig den 4,0-Liter-V8 aus dem 840 heraus und spendierte diverse schicke Interieur-Innereien, um das Gefühl qualitativer Hochwertigkeit zu vermitteln. Ein maßgeschneidertes, gerade verzahntes Getrag-Getriebe tat sein Übriges. Insgesamt erinnerte die Technik des Guarà eher an jene des von der Formel 1 inspirierten Ferrari F50 als an die des offensichtlicheren Guarà-Rivalen Ferrari 355. Anders als das unkultivierte, ölige Knurren, das einen Pantera-Fahrer beim Starten begrüßt, spürt man beim Anlassen des Guarà eine astrein kontrollierte, metallische Explosion, die sich schnell in einen starken, bassigen Leerlauf wandelt. Ist erst einmal der erste Gang im nicht nur soundmäßig einzigartigen Getrag-Getriebe eingelegt, erhebt sich die Bassnote zu einem industrialistischen Drill-Tremolo. Darüber ertönt das außerirdische Heulen dieses massiven,
Es ist die Agilität des Guarà, die am meisten verblüfft
ohrenbetäubenden, fast schon berauschenden Sechsgang-Getriebes, das hinter dem BMWTriebwerk angeordnet ist. Die 286 PS bei 5800 Touren und das Fahrzeug-Gewicht von rund 1200 Kilogramm saugen den Fahrer beim Sprint geradezu in das enge, edle Sitzpolster.
Gewicht in der Mitte konzentriert
Aber es ist die Agilität des Guarà, die am meisten verblüfft. Und dass die Lenkung ohne Servo-Unterstützung auskommen muss, juckt angesichts der superleichten Karosserie aus Kohlefaser – mit komplett aufklappbarem Front- und Heckteil – praktisch niemand. Man muss eben fest zupacken können. Dank des Zentralrohrrahmens ist ein Großteil der mechanischen Masse um die Mitte konzentriert, während die Räder so weit und so breit wie möglich aus den Radhausern quellen. Alles zusammen sorgt für top Qualitäten bei Richtungswechseln. Wegen seiner fetten BremboBremsscheiben – identisch mit denen des Ferrari F40 – und der dicken Hinterräder lässt sich der Guarà kaum aus der Ruhe bringen.
Ein reduzierter Autobahn-Racer mit krawalliger Soundkulisse ist der Guarà aber nicht, denn diese erstaunliche Agilität kann durchaus für Nervosität sorgen: Mit entwaffnend rudimentärer Lenkung und einem Getriebe, das sämtliche Fahreindrücke dominiert, ist die Erfahrung mit ihm beruhigend und gruselig zugleich. Jedes Herunterschalten erfordert die kaum noch bekannte Fahrkunst des präzisen Zwischengas-Gebens, der Schaltwechsel benötigt erheblichen körperlichen Aufwand – zumal auch das Timing exakt passen muss. Vor allem jedoch ist der Guarà ein Auto, das man kapieren muss. Er ist kein glatter Selbstläufer á la Honda NSX oder Porsche 968CS. Der De Tomaso will respektiert werden, seine Verhaltensweisen sind gewöhnungsbedürftig.
Leider kam die Guarà zur völlig falschen Zeit. Der Markt der Supersportwagen hatte sich während der späten 80er-Jahre bis 1994 deutlich gewandelt. Ein Auto wie der NSX sandte Schockwellen durch die kleine Nische dieser Exoten, und eine neue Generation von Besitzern kümmerte sich nur wenig um schnelle Rundenzeiten oder das perfekte Timing der Gangwechsel. Man erkannte, dass man auf cooles Design, hohe Leistung und sicheres Handling von Supersportwagen zugreifen konnte, ohne sich um die Wartung anfälliger Technik oder ein mörderisches Handling kümmern zu müssen. Ferrari folgte alsbald mit dem F355, der 964 von Porsche erhielt eine Option mit Allradantrieb, und der Lotus Esprit bekam eine Servolenkung. Eine neue Ära brach an– der Guarà passte da einfach nicht mehr rein.
Sieben zähe Produktionsjahre mit Verkaufszahlen im einstelligen Bereich erzwangen die Rückkehr zu älteren, billigeren Produktionswegen: Der BMW-Motor wurde im Jahr 2000 zugunsten eines Ford V8 wie einst im Pantera abgelöst, bevor der Guarà drei Jahre später sein Produktionsende fand - kurz bevor Alejandro de Tomaso selbst starb.