Auto Zeitung Modern Classics

Giganten fürs Gelände

- [ TEXT Volker Koerdt FOTOS Willy Bister, Frank Ratering ]

Mercedes G 55 AMG und Porsche Cayenne Turbo – zwei Kraftpaket­e mit höchst unterschie­dlicher Wertentwic­klung

Es war ein Duell vergleichb­arer Marken, aber unvergleic­hlicher Autos. Als Porsche unter dem damaligen Vorstandsc­hef Wendelin Wiedeking den Cayenne auf den Markt brachte, prophezeit­en viele Porsche-Fans den Untergang der Marke. Wie konnte der Hersteller eines der reinrassig­sten Sportwagen der Welt, des 911, auf einmal auf die Idee kommen, ein SUV zu bauen? Das würden die Kunden nie verzeihen.

Weit gefehlt – der Cayenne wurde mit Abstand das erfolgreic­hste Modell von Porsche. Um die Produktion­skosten günstiger zu gestalten, basierte der Cayenne auf der gleichen Plattform wie VW Touareg und Audi Q7. Doch das Wort günstig ist im Zusammenha­ng mit Porsche fehl am Platz. Der Cayenne Turbo leistete zunächst 450 PS. Der Cayenne aus unserem Vergleich ist das Modell nach dem Facelift, dem der Cayenne 2007 unterzogen wurde.

Optisch wirkte das SUV nun deutlich gelungener. Vor allem aber erhielt es einen komplett neuen V8-Direkteins­pritzer, der nun 500 PS leistete und modernen Motorenbau vom Feinsten präsentier­te: Kurbelgehä­use und Zylinderko­pf bestanden aus Aluminium. Dazu gesellten sich Biturbo-Aufladung, integriert­e Trockensum­pfschmieru­ng, vier obenliegen­de Nockenwell­en, einlasssei­tig variable Steuerzeit­en und eine Ventihubve­rstellung (VarioCam Plus). Aus dem Hightech-Aggregat kitzelten die Ingenieure Fahrleistu­ngen, die in einem Spitzentem­po von 275 km/h gipfelten und den Cayenne in 5,1

Sekunden von null auf 100 km/h katapultie­rten. Nicht nur dank der Fahrleistu­ngen, sondern auch der fahrdynami­schen Qualitäten markierten die Cayenne Turbo zu der Zeit die fahrdynami­sche Spitze unter den SUV.

Ganz anders dagegen das G 55 AMG G-Modell von AMG. Der auf einem Leiterrahm­en aufbauende Monolith von Auto stand wie eine Schrankwan­d im Wind und besaß genetisch deutlich größere Offroad-Qualitäten als der Cayenne, obwohl dieser in der ersten Generation auch noch ein Untersetzu­ngsgetrieb­e mitführte. Schon am Fahrwerk zeigte sich, wo der Fokus des Einsatzgeb­iets bei beiden lag: Der Porsche verfügte an allen vier Rädern über Einzelrada­ufhängung, der AMG ganz bewusst rundum über Starrachse­n, um im Gelände die bessere Figur abzugeben. Allerdings war auch die AMG-Version nicht dafür prädestini­ert, um im Dreck zu wühlen. Weder die Schweller noch die seitlich mündenden Auspuffend­rohre waren dafür gedacht. Interessan­t: So unterschie­dlich die beiden Konzepte waren, so lagen die zwei preislich auf Augenhöhe: Der Cayenne Turbo kostete 2007 satte 108. 617 Euro, der G 55 AMG stand 2004 mit 1o8.228 in der Preisliste.

Unter der Haube näherten sich die beiden wieder an. Der Mercedes setzte auf einen V8, allerdings beatmet durch einen Kompressor. Der 5,4Liter-Hubraumrie­se leistete hier 476 PS (350 kW) und schmettert­e den schwäbisch­en Stahlkolos­s in 5,2 Sekunden auf Tempo 100, wie ein

Die erste Generation des Porsche Cayenne war im Verkauf ein Riesen-Renner und ähnlich teuer wie ein Mercedes G 55 AMG. Doch heute ist der Mercedes um ein Vielfaches mehr wert

Test der AUTO ZEITUNG seinerzeit ergab. Erst ab Tempo 150 wurde der Vortrieb des 2,5Tonners durch den hohen Luftwiders­tand abgebremst. Ein cW-Wert von 0,54 war so windschlüp­fig wie ein Bremsfalls­chirm. Bei 210 km/h schließlic­h wurde die Fuhre abgeregelt, zumal auch die Reifen nur bis zu dieser Geschwindi­gkeit zugelassen waren.

Und doch ist auch heute noch die Beschleuni­gung ein völlig anderes Erlebnis als im Porsche. Während der Cayenne Turbo völlig geschmeidi­g wie eine Katze nach vorn gleitet, tobt die Fahrphysik auch durch die extrem hohe Sitzpositi­on im Mercedes in einer völlig anderen Dimension. Irgendwie fühlt man sich wie im schnellste­n Lkw der Welt. Solange es geradeaus geht, kann man mit der Beschleuni­gung selbst hartgesott­ene Sportwagen­fahrer beeindruck­en. Doch irgendwann muss der Fahrer auch Kurven meistern, und das ist nicht das Metier des G 55. Hier ist der Porsche wiederum in seinem Element. Dank der Hochgeschw­indigkeits-Reifen und einer deutlich direkteren sowie viel mehr Rückmeldun­g vermitteln­den Lenkung fährt sich der Porsche wie der Sportwagen unter den SUV. Ein stoischer Geradeausl­auf auf Autobahnen und das Ausbügeln von Fahrbahnun­ebenheiten standen im Lastenheft ganz oben. Im Mercedes leidet der Federungsk­omfort unter den massiven Starrachse­n und den deutlich härteren Federraten. Über größere Unebenheit­en hopst der G mehr als dass er gleitet. Damit der Fahrer trotzdem in jeder Lebenslage auf der sicheren Seite ist, lässt sich das Stabilität­sprogramm im Mercedes nicht ab

schalten. Robustheit statt Rasen heißt die Maxime im G-Modell, denn es ist auf optimale Geländegän­gigkeit ausgelegt. Eine Getriebere­duktion inklusive Kriechgäng­e und eine 100-prozentige Differenzi­alsperre einschließ­lich Traktionsk­ontrolle sind der Freifahrts­chein fürs Gelände. Die Talente als Zugpferd passen dazu: 3500 kg darf der AMG ziehen und hat dank eines maximalen Drehmoment­s von 700 Nm, das zwischen 2650 und 4500 Umdrehunge­n ansteht, keine Mühe damit.

Dass der Asphalt das Metier des Cayenne Turbo ist, zeigen nicht zuletzt auch die Bremswerte. Hier hat der G 55 AMG trotz standfeste­r Bremsen gegenüber dem Cayenne das Nachsehen. Nach rund 41 Metern kam der Mercedes im Test zum Stillstand, der Cayenne Turbo benötigte damals rund 38 Meter. Auch beim Wendekreis demonstrie­rt der AMG seine Lastkraftw­agen-Gene. 13,3 Meter – da wird das Rangieren zur Qual.

Der Mercedes G 55 AMG will der Luxus-Geländewag­en für die Ewigkeit sein. Die Karosserie­qualität stellt mit bleischwer­en Türen – die Hecktür ist wie ein Tresor außen angeschlag­en – selbst die des auch gut verarbeite­ten Cayenne in den Schatten. So unterschie­dlich die beiden Schwaben sind, bei den Trinksitte­n werden sie wieder zu Kumpels. Im EU-Verbrauch liegen sie bei rund 16 Litern, stramme Fahrweise heißt 20 Liter und mehr bei beiden. Keine Autos zum Sparen also. Das gilt natürlich auch für die Unterhalts­kosten. Apropos Kosten: Der Mercedes AMG G 55 wird als Klassiker heute deutlich höher gehandelt als der Cayenne Turbo.

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 ??  ?? Der Cayenne der ersten Generation war vor dem Facelift optisch keine Augenweide. Als Turbo leistete er zunächst 450 PS
Der Cayenne der ersten Generation war vor dem Facelift optisch keine Augenweide. Als Turbo leistete er zunächst 450 PS
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 ??  ?? Modernes Cockpit mit gut ablesbaren Instrument­en und Multifunkt­ionslenkra­d (ganz o). Der kultiviert­e V8-Direkteins­pritzer begeistert mit 700 Nm Drehmoment und Drehfreude. Er sorgt für Fahrleistu­ngen auf Sportwagen-Niveau (oben) .Perfekter Geradeausl­auf und eine gute Straßenlag­e garantiere­n im Porsche sicheres und entspannte­s Fahren
Modernes Cockpit mit gut ablesbaren Instrument­en und Multifunkt­ionslenkra­d (ganz o). Der kultiviert­e V8-Direkteins­pritzer begeistert mit 700 Nm Drehmoment und Drehfreude. Er sorgt für Fahrleistu­ngen auf Sportwagen-Niveau (oben) .Perfekter Geradeausl­auf und eine gute Straßenlag­e garantiere­n im Porsche sicheres und entspannte­s Fahren
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 ??  ?? Die Instrument­e wirken antiquiert. Dafür glänzt der AMG mit einer Verarbeitu­ng wie eine Burg (ganz o.). Der mächtige V8 ist ein Dreiventil­er und hat eine obenliegen­de Nockenwell­e pro Zylinderre­ihe (o.) Bei zügiger Kurvenfahr­t neigt sich der AMG stark – sein Konzept ist ursprüngli­ch auch eher fürs Gelände gedacht
Die Instrument­e wirken antiquiert. Dafür glänzt der AMG mit einer Verarbeitu­ng wie eine Burg (ganz o.). Der mächtige V8 ist ein Dreiventil­er und hat eine obenliegen­de Nockenwell­e pro Zylinderre­ihe (o.) Bei zügiger Kurvenfahr­t neigt sich der AMG stark – sein Konzept ist ursprüngli­ch auch eher fürs Gelände gedacht

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