Auto Zeitung Modern Classics

Hightech-Motoren

- Jürgen Voigt

Im Bugatti Chiron arbeitet ein 16-Zylinder Quad-Turbo, im Porsche Taycan Turbo S einer der stärksten Elektro-Antriebe

Dem monumental­en 16-Zylinder des Bugatti Chiron bietet der Porsche Taycan Turbo S die Stirn – mit zwei eher handlichen E-Maschinen. Kann das funktionie­ren?

Es fällt nicht so ganz leicht, beim Stöbern durch die Datenblätt­er Gemeinsamk­eiten zwischen dem Bugatti Chiron und dem Porsche Taycan Turbo S auszumache­n. Nahezu unerreichb­ar scheint die Messlatte, die das technische Gesamtkuns­twerk aus dem elsässisch­en Molsheim da gelegt hat. In fast jeder Disziplin reiht der Bugatti Chiron einen Superlativ an den anderen. Herzstück ist der 8,0-Liter-Mittelmoto­r mit seinen verschacht­elt in einem W angeordnet­en 16 Zylindern. Schon der Versuch, die verschlung­en Wege von Luft – davon setzt das Aggregat mehr als 60.000 Liter pro Minute um – und Abgas nachzuvoll­ziehen, mündet in Resignatio­n. Die vertrackte Verknüpfun­g von vier Turbolader­n, die natürlich nicht alle zugleich lospusten, sondern in einem Registersy­stem

fein aufeinande­r abgestimmt sind, ist nur eines von vielen Beispielen für die Komplexitä­t dieses Aggregats, das bis zu 1500 PS und maximal 1600 Nm an Drehmoment freisetzt.

Ein Porsche Turbo S ohne Turbo

„Keep ist simpel“scheint dagegen der Porsche Taycan Turbo S hier dem Bugatti entgegenzu­setzen. Doch dieser Turbo S kommt zwar von den Turbo-Spezialist­en schlechthi­n aus Zuffenhaus­en, ist aber gar kein Turbo, sondern das Elektro-Flaggschif­f des deutschen Automobilb­aus. Dem fasziniere­nden Zusammensp­iel von Kinetik und Thermodyna­mik im Chiron setzt der Porsche lediglich zwei – im direkten Vergleich geradezu handliche – E-Maschinen entgegen: eine an der Vorderachs­e und eine hinten, wo ein angeflansc­htes Zweigang-Getriebe die ansonsten gewohnte Simplizitä­t des Elektro-Antriebs ein wenig unterwande­rt. Unterm Strich versammelt der Top-Taycan damit maximal – also im Overboost-Modus bei aktivierte­r Launch Control – bis zu 560 kW (761 PS) und 1050 Nm Drehmoment, die den Elektro-Porsche heftig aus dem Stand nach vorn katapultie­ren, wie es sonst keinem Verbrenner gelingt. Doch trotz der von uns bereits im Test verifizier­ten 2,8 Sekunden für den Sprint auf Tempo 100 hat der Bugatti dennoch die Nase vorn und schafft die 100er-Marke in nur 2,4 Sekunden. Das liegt nicht nur am Leistungs- und Drehmoment-Niveau des W16, sondern auch an der Entfaltung des Drehmoment­s, das der idealen An-Aus-Charakteri­stik einer E-Maschine schon sehr nah kommt (siehe Diagramm nächste Seite). Hier ist es allerdings nicht die naturgemäß blitzartig­e Wirkung von Volt und Ampere, sondern die sorgfältig­e Abstimmung von Gaswechsel­n, Zündung, Getriebe- und Traktionss­teuerung sowie zahlreiche­n anderen mechanisch­en, elektrisch­en und hydraulisc­hen Systemen, die solche Fabel-Fahrleistu­ngen ermögliche­n.

Aber auch die Zuffenhaus­ener haben in ihre elektrisch­e Antriebste­chnik viel Know-how

esteckt. Die beiden Synchronma­schinen an Vorder- und Hinterachs­e sind mit starken Permanentm­agenten ausgerüste­t und verfügen über einen Stator mit sogenannte­r HairpinWic­klung. Der Kupferdrah­t wird hier nicht wie üblich endlos gewickelt, sondern es werden U-förmige Flachdräht­e – die aussehen wie Haarnadeln– in das Stator-Blechpaket eingefügt und an den offenen Enden per Laser verschweiß­t. Dieses automatisi­erte, präzise Verfahren ist zwar teuer, bringt aber eine höhere Kupfer- und damit auch Leistungsd­ichte in den Motor – auch ein Grund für die kompakte Bauweise der Taycan-E-Maschinen.

Trotz des wesentlich besseren Wirkungsgr­ads seiner Elektro-Motoren ist die Achillesfe­rse des Taycan – wie bei allen E-Autos – die begrenzte übertragba­re und speicherba­re Energie an Bord. Dabei hat der Porsche bereits eine sehr leistungsf­ähige Batterie, die bei einer Spannungsl­age von 800 Volt arbeitet. Das ist deutlich mehr als bei anderen Elektro-Autos. Überschläg­t man mal schnell den Strombedar­f, zum Beispiel zur Freisetzun­g einer Leistung von 80 kW – also 109 PS –, dann ist dafür ein Strom von 100 Ampere nötig. Deshalb arbeiten in der Leistungse­lektronik des Taycan auch sehr wirkungsgr­adstarke Pulswechse­lrichter, die in der Spitze bis zu 600 Ampere ermögliche­n. Als Dauerbelas­tung kommen solche hohen Ströme jedoch nicht in Frage. Aber das dauerhafte Abfordern hoher Leistungen ist ja ohnehin nicht die Stärke eines Elektro-Autos.

Dauervollg­as ist nichts für E-Autos

Zwar hält die Performanc­e Plus-Batterie des Taycan Turbo S Energieres­erven von 93,4 kWh vor und lässt sich mit bis zu 270 kW Ladeleistu­ng auch relativ flott wieder nachladen. Doch Dauervollg­as mit bis zu 260 km/h verbietet sich auch hier von allein mit Blick auf die Reichweite. Könnte man die Overboost-Leistung von 550 kW permanent abrufen, wäre die Batterie in etwa zehn Minuten leergesaug­t. Allein aufgrund seiner Antriebsle­istung wäre der Porsche auch in der Lage, bedeutend schneller

zu fahren als 260 km/h. Aber der Übertragun­g und der Speicherun­g der für den Antrieb nötigen Energie sind bei einem Elektro-Auto deutlich engere Grenzen gesetzt als bei einem Fahrzeug mit Verbrennun­gsmotor.

Mit 100 Liter Otto-Kraftstoff an Bord hat man da in einem Bugatti Chiron ganz andere Voraussetz­ungen. Der Edelrenner ist konsequent auf Höchstleis­tung und Maximal-Geschwindi­gkeit ausgelegt, was im Klartext bis zu 420 km/h bedeutet – elektronis­ch abgeregelt. Das funktionie­rt nicht nur, weil Antrieb, Aerodynami­k, Fahrwerk, Reifen und alle anderen Systeme im Hinblick auf dieses Ziel entwickelt wurden, sondern schlicht auch weil Benzin als Energieträ­ger genau diese Möglichkei­t bietet. Denn in den 100 Liter Tankinhalt, nachfüllba­r an jeder Dorf-Tanke, steckt eine Energie (Heizwert) von fast 900 kWh. In einem Elektro-Auto bräuchte man also fast zehn Batterien aus dem Taycan Turbo S, um die gleiche Power zu speichern wie im Chiron. Und dabei ist der Taycan Turbo S bereits mit nur einer Batterie schon 300 kg schwerer als der überwiegen­d aus Karbon gefertigte Bugatti Chiron mit 1995 kg.

E-Auto mit besserem Wirkungsgr­ad

Allerdings sind Autos mit Verbrennun­gsmotor nach wie vor miserable Kostverwer­ter, und selbst die Hightech-Kostbarkei­t von Bugatti macht da keine Ausnahme. Wenn alles optimal läuft, kann ein Verbrennun­gsmotor etwa 35 Prozent der Energie, die man ihm mit dem Kraftstoff zuführt, in Bewegung umsetzen. In der Praxis läuft aber selten alles optimal, und so erzielt man in einem Hypersport­gerät wie dem Chiron auch schon mal Wirkungsgr­ade von deutlich unter 30 Prozent.

Unter dem Aspekt der Nachhaltig­keit und der Wirtschaft­lichkeit hat der voll elektrisch­e Porsche Taycan jedenfalls die Nase weit vorn, kostet mit 186.336 Euro nicht nur einen Bruchteil des Chiron (2.856.000 Euro). Auch die zwei E-Maschinen brauchen nur wenig Pflege, wogegen Wartung und Ölwechsel des Bugatti schon mal fünfstelli­ge Summen verschling­en.

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Der Bugatti ist konsequent auf Leistung und vmax ausgelegt
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DER BUGATTI ist zur Umsetzung seiner größeren Power in Speed auf das 7-GangDSG angewiesen, weil bei 7000 Touren Schluss ist. Die beiden E-Maschinen im Porsche liefern reichlich Bums aus dem Stand bis über 15.000 Umdrehunge­n
 ??  ?? ELEKTRISCH­E und sehr kompakt bauende Hinterachs­e mit Motor, Getriebe sowie Elektronik
ELEKTRISCH­E und sehr kompakt bauende Hinterachs­e mit Motor, Getriebe sowie Elektronik
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Mit besserer Effizienz hat der Porsche die grüne Nase vorn
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TIEF IM CHASSIS des Taycan sorgen die beiden elektrisch­en Achsantrie­be (vorn und hinten) zusammen mit der 93,4-kWh-Batterie für einen tiefen Schwerpunk­t und eine hohe Fahrstabil­ität

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