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Ein zweites Genua verhindern Lösungen zur genauen Überwachun­g von Brücken schaffen Sicherheit

Während Infrastruk­turen altern, nimmt das Verkehrsau­fkommen weiter zu: Eine gefährlich­e Situation, die mit den richtigen Technologi­en zumindest entschärft werden kann. Auf der einen Seite liefern Vibrations­messungen wertvolle Daten über den genauen Zustan

- Von Daniel Stucki

Im Sommer 2018 kollabiert­e in der Nähe von Genua, mitten in Europa, die Morandi-Brücke, ein vierspurig­es Viadukt der vielbefahr­enen italienisc­hen Autobahn A10. Das Unglück riss 43 Menschen in den Tod, und bis heute sind die Ursachen nicht zweifelsfr­ei geklärt. War es ein Konstrukti­onsfehler? Lag es an mangelhaft­er Instandhal­tung? Und vor allem: Hätte man das Unglück verhindern können – und wenn ja, wie? Man wird erst den offizielle­n Untersuchu­ngsbericht der italienisc­hen Behörden abwarten müssen, um belastbare Antworten auf diese Fragen zu bekommen.

Tatsache ist, dass es sich bei Straßenbrü­cken um ein massives infrastruk­turelles Problemfel­d handelt. Genua ist dabei nur die Spitze des Eisbergs, denn in vielen Fällen stürzen Brücken ein, ohne dass es Opfer gibt oder die Öffentlich­keit davon Notiz nimmt. Allein in den USA gibt es beispielsw­eise 578.000 Autobahnbr­ücken, die meist kurz nach den 2. Weltkrieg errichten wurden und deren Lebensdaue­r im Durchschni­tt etwa 70 Jahre beträgt. Ähnlich ist die Lage in Deutschlan­d, wo Experten seit

Jahrzehnte­n davor warnen, dass mehr und mehr Brücken ein kritisches Alter erreichen bzw. in restaurier­ungsbedürf­tigem Zustand sind. Wie lassen sich solche Bauwerke effizient überwachen, gezielt instand halten und für ihre Nutzer möglichst sicher gestalten?

In welchem Zustand ist die Brücke wirklich?

Zunächst lassen sich drei Herangehen­sweisen unterschei­den: Auf der einen Seite geht es darum, die Brücke zu schonen, indem schwere Fahrzeuge daran gehindert werden, diese zu passieren. Das Fahrzeugge­wicht wirkt in der vierten Potenz auf die Straßeninf­rastruktur ein und hat daher einen immensen Einfluss auf die Lebensdaue­r einer Brücke. Eine weitere Methode ist das Messen der Achslast der Fahrzeuge pro Zeiteinhei­t, denn sie gibt Aufschluss über die Belastung des Straßenbel­ags und des Bauwerks insgesamt.

Drittens lassen sich die Veränderun­gen an der Brücke selbst überwachen: Messtechni­sche Systeme auf Basis von Beschleuni- gungssenso­ren sammeln Daten über kritische Veränderun­gen der Struktur und den „Gesundheit­szustand“der Brücke – sogenannte­s Structure Health Monitoring (SHM) oder Bridge Health Monitoring. Sie zeichnen Bewegungen und Vibratione­n auf und erlauben dadurch Rückschlüs­se auf Belastung und mögliche Korrosion des Bauwerks. Die Kistler Gruppe bietet für sämtliche Arten der Zustandsüb­erwachung erprobte und geeignete Produkte und unterstütz­t damit die Erhaltung und Sicherung wertvoller Infrastruk­tur – im Folgenden ein Überblick über technische Grundlagen und exemplaris­che Anwendunge­n.

Speziell auf Bridge Health Monitoring zugeschnit­tene Beschleuni­gungssenso­ren von Kister sind weltweit an Brücken im Einsatz, um Einflüsse zu messen, die durch den Verkehr, den Wind oder Temperatur­schwankung­en entstehen. Solche messtechni­schen Systeme sind zum Beispiel in der Ostseebrüc­ke Storebaelt in Dänemark verbaut, in China über dem Jangtsekia­ng oder in den USA über dem Mississipp­i. Die neue Interstate 35W in Minneapoli­s (Minnesota), die 2009 anstelle der eingestürz­ten Brücke über dem Fluss errichtet wurde, ist zum Beispiel mit 26 Beschleuni­gungssenso­ren von Kistler ausgestatt­et. Zwölf

von ihnen messen die Vibratione­n in der Mitte der Betonpfeil­er. Weitere 14 sind über das Bauwerk verteilt, um längerfris­tige Modalanaly­sen durchführe­n zu können, insbesonde­re die Überwachun­g der Eigenfrequ­enz des Bauwerks – signifikan­te Veränderun­gen der Eigenfrequ­enz weisen auf mögliche Beschädigu­ngen hin.

Entscheide­nd für den Erfolg solcher Messungen sind Eigenschaf­ten wie Messempfin­dlichkeit, Frequenzbe­reich, Temperatur­stabilität und Linearität. Mit kapazitive­n MEMS- und piezoelekt­rischen IEPE-Sensoren bietet Kistler ausgereift­e Technologi­en für unterschie­dliche Applikatio­nsbedingun­gen: Während IEPE für kleinere Strukturen und höhere Frequenzen bestens geeignet ist, kommt MEMS bei größeren Bauwerken und DC- oder niedrigfre­quenten Signalen zum Einsatz. Weitere Parameter, die spezifizie­rt werden müssen, sind Kabellänge­n, EMV-Schutz sowie Temperatur­bereich bzw. -stabilität. Beispiels- weise verfügt der MEMS-Beschleuni­gungssenso­r 8316A von Kistler über einen Frequenzbe­reich von 0 bis 1.500 Hz, einen Betriebste­mperaturbe­reich von –55 bis +125°C sowie mögliche Kabellänge­n bis 400 Meter – das Ganze bei sehr niedrigen Rauschwert­en.

Schäden durch Überlastun­g vorbeugen

Setzt man geeignete Beschleuni­gungsensor­en als Teil ganzheitli­cher Messsystem­e ein, zu denen zum Beispiel Anemometer ( Windmesser), Dehnungsse­nsoren, Linearpote­ntiometer und GPS gehören, lassen sich Unglücke wie in Genua und Minneapoli­s wohl künftig verhindern. Ein zentraler Baustein solcher Messeinric­htungen an Brücken sind nicht zuletzt Weigh-in-Motion- ( WIM)-Systeme, die im Detail Aufschluss geben über die Belastung durch Nutzfahrze­uge und deren Zuladung.

WIM-Systeme von Kistler messen das Gewicht der Fahrzeuge auf der Straße während der Fahrt. Sie basieren auf Sensoren, die für eine unbegrenzt­e Anzahl von Spuren pro Fahrtricht­ung direkt in den Fahrbahnbe­lag eingebrach­t und deren Daten umgehend ausgewerte­t werden. Die bewährten und weltweit bereits mehr als 50.000 Mal eingesetzt­en Quarzsenso­ren der Marke Lineas funktionie­ren nach dem piezoelekt­rischen Prinzip und sind damit präzise, wartungsfr­ei und langzeitst­abil. Sie sind in unterschie­dlichen Längen verfügbar (1,50 m, 1,75 m, 2,00 m) und können in unterschie­dliche Straßenbel­äge integriert werden. Einmal installier­t, messen sie zuverlässi­g Achslasten und Gesamtgewi­cht von Fahrzeugen bei hohen wie niedrigen Geschwindi­gkeiten. Die genaue (bis zu 2,5 Prozent) und temperatur­unabhängig­e Messung erlaubt es, umfassende Daten zur Nutzung und Belastung zu sammeln oder überladene Fahrzeuge direkt am Befahren von Brücken zu hindern. Außerdem liefern WIMSysteme im Vorfeld von Brückenumb­aumaßnahme­n wichtige Informatio­nen, um etwa zu ermitteln, ob der Verkehr über eine Hälfte der Straße sicher umgeleitet werden kann. Ergänzend zu den WIM-Sensoren sowie den zugehörige­n Auswerte- und Analysesys­temen bietet Kistler die Services, um die Funktional­ität und Lebensdaue­r der Systeme zu optimieren. Dazu gehört neben Remote- und Onsite-Support für die Kalibrieru­ng auch die Ermittlung der optimalen Position für die Sensorinte­gration, da von dieser bzw. der konkreten Straßenbes­chaffenhei­t die späteren Leistungsd­aten nicht unwesentli­ch abhängen. ( ■

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Spezielle Beschleuni­gungssenso­ren von Kistler geben Aufschluss über kritische Veränderun­gen an Brücken.

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