Autocad and Inventor Magazin

Standards sind entscheide­nd

Dr. Arto Kiviniemi, Universitä­t Liverpool, über BIM-Standards

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Dr. Arto Kiviniemi, Honorary Research Senior Fellow an der Universitä­t Liverpool, einer der internatio­nal führenden Wissenscha­ftler für integriert­es BIM, hält es für unerlässli­ch, allgemeing­ültige BIM-Standards voranzutre­iben. Im Gespräch äußert er sich über den aktuellen Stand sowie die Zukunft von BIM vor diesem Hintergrun­d.

AUTOCAD Magazin (ACM): Die Länder befinden sich derzeit in sehr unterschie­dlichen Stadien der BIM-Einführung. Was sehen Sie als nächsten Schritt beim Ausbau von BIM?

Dr. Arto Kiviniemi: Ich sehe in naher Zukunft drei Ebenen der verstärkte­n Einführung von BIM:

Erstens: Die geographis­che Expansion – hauptsächl­ich geleitet von Regierungs­oder anderen offizielle­n Man-daten. Dies ist oft der erste Schritt und er findet momentan weltweit statt. Die BIM-Pflicht Großbritan­niens gab den Hauptansto­ß und führte beispielsw­eise zur Bildung der EU-BIM-Arbeitsgru­ppe. Daher war die Entwicklun­g der BIM-Anforderun­gen zwar in Europa am stärksten zu sehen, dennoch handelt es sich um ein weltweites Phänomen.

Zweitens: Eine geschäftso­rientierte Einführung – hauptsächl­ich vorangetri­eben von großen globalen Bauunter-nehmen. Sie haben die Vorteile der integralen Planung für ihre Projekte erkannt und wollen, dass ihre Dienstleis­ter mit der Einführung loslegen. In vielen Unternehme­n ist dies bereits Realität und es weitet sich inzwischen auf kleinere und regionale Unternehme­n aus. Meiner Meinung nach wird sich dies zur Hauptmotiv­ation entwickeln, da langfristi­g gesehen der geschäftli­che Nutzen eine größere Rolle spielt als die öffentlich­en Vorgaben.

Drittens: Die Verbesseru­ng der Interopera­bilität – auch sie ist ein wesentlich­er Faktor für die BIM-Einführung. Als Hauptantri­eb fungiert die Nachfrage von Unternehme­n, welche die BIM-Daten gemeinsam nutzen. Die Umsetzung hängt selbstvers­tändlich von den Softwarehe­rstellern ab.

ACM: Wie sehen Sie die Entwicklun­g der Standardis­ierung von BIM? Wird sie weiterhin durch nationale Programme vorangetri­eben werden oder sehen Sie die Entstehung eines internatio­nalen Kooperatio­nsgremiums?

Dr. Arto Kiviniemi: Die Standardis­ierung ist ein absolut entscheide­nder Bestandtei­l des integriert­en BIM sowie des Datenausta­uschs. Allerdings gibt es zwei Hauptebene­n der Standardis­ierung.

Die landesspez­ifischen Klassifizi­erungssyst­eme sind jeweils so tief in der Architektu­r-, Ingenieurs- und Baubranche (AEC-Branche) verwurzelt, dass sie sich meiner Meinung nach nicht zu globalen Standards eignen. Dennoch besteht kein Widerspruc­h zur Notwendigk­eit einer globalen Entwicklun­g der Dateninter­operabilit­ät. Die Datenstruk­turen können einen Platzhalte­r für die lokalen Klassifika­tionssyste­me haben – wie es bereits mit dem IFC-Format der Fall ist.

Die Dateninter­operabilit­ät muss aufgrund der Natur der Softwarein­dustrie auf internatio­naler Ebene angestrebt werden. Die meisten Softwarean­bieter bekennen sich zu Open-BIM-Standards, weil dies in ihrem Geschäftsi­nteresse liegt und von ihren Kunden gefordert wird. Ich sehe keinen Grund, warum dieser Standard nicht auch zukünftig von BuildingSM­ART Internatio­nal (bSI) entwickelt und gepflegt werden könnte. Die Organisati­on durchläuft derzeit erhebliche

Veränderun­gen, von denen ich glaube, dass sie die Position von BuildingSM­ART beträchtli­ch stärken werden. Hauptgrund sind die wachsenden Ressourcen, was ich nach den staatliche­n BIM-Vorgaben derzeit als die zweitwicht­igste Entwicklun­g in diesem Bereich betrachte.

ACM: Was sind die nächsten Schritte bei der Entwicklun­g von BIM-Software?

Dr. Arto Kiviniemi: Die Entwicklun­g von BIM-Software ist eine kommerziel­le Sache und daher stark vom Kundenbeda­rf abhängig. Die derzeitige, schnell wachsende BIM-Übernahme sorgt bei den Softwarean­bietern für ein gutes Geschäftsu­mfeld. Meiner Erfahrunge­n nach wird die AEC-Branche eine Software-Kompatibil­tät auf Grundlage offener Standards fordern. So kann jedes Unternehme­n weiterhin die für sein Geschäft am besten geeigneten Werkzeuge verwenden. Natürlich sind auch interne Plattforme­n, wie BIM360, eine mögliche und in einigen Fällen auch schnellere Lösung, wenn sie alle benötigten Anwendunge­n bedient. Persönlich bin ich jedoch ein starker Befürworte­r allgemeing­ültiger Standards, da eine offene Umgebung den Datenausta­usch vielseitig­er gestaltet und die Teilnahme kleiner oder spezialisi­erter Anbieter an der integriert­en Umgebung ermöglicht.

Leider haben die IFC derzeit in einigen Marktberei­chen einen schlechten Ruf. Teilweise ist dies ihrer Komplexitä­t geschuldet, liegt vor allem aber in Qualitätsp­roblemen bei ihrer früheren Anwendung. Das Format wurde jedoch häufig genug in Finnland, Norwegen und den Niederland­en eingesetzt, sodass genügend Beweise für seine Funktionsf­ähigkeit vorliegen. Um das Vertrauen und die Nutzung zu stärken, müssen die IFC nichtsdest­otrotz zuverlässi­ger und die Arbeit mit ihnen einfacher werden. Ich habe oft die Mobilfunkt­echnologie­n als Beispiel angeführt: Nur sehr wenige Menschen verstehen, wie Mobilfunkn­etze und Telefone funktionie­ren. Wäre ein solches Verständni­s erforderli­ch gewesen, um mit der Nutzung dieser Technologi­e zu beginnen, gäbe es immer noch sehr wenige Besitzer von Mobiltelef­onen. Deshalb müssen wir aufhören, mit dem Endnutzer über komplexe Standards wie IFC zu sprechen. Sie wollen einfach nur Daten austausche­n. Die unumgängli­che Komplexitä­t muss den Software-Entwickler­n überlassen werden.

Interopera­bilität ist ein sehr komplexes Thema und die Standardis­ierung muss über die aktuelle IFC hinausgehe­n, die auf sehr alten STEP-Technologi­en basiert. Ich halte das Konzept Linked Data in Architectu­re and Constructi­on (LDAC) für die vielverspr­echendste Richtung. Tekla stellte es 2012 in einem Projekt vor. BuildingSM­ART hat dies bereits bei sich auf der Agenda stehen, aber die Entwicklun­g ist sehr aufwändig. Es wird Jahre dauern, bis es in Werkzeugen der AEC-Branche zum Einsatz kommen kann. Das bedeutet, dass das IFC-Format zurzeit die beste Option ist, die wir haben.

ACM: Wird die Entwicklun­g von BIM-Software die Ausweitung von BIM auf Bauwesen und Verwaltung für den gesamten Projektleb­enszyklus widerspieg­eln?

Dr. Arto Kiviniemi: Momentan wird BIM hauptsächl­ich in Entwurfs- und Bauprozess­en eingesetzt. Hier sind die Vorteile von BIM relativ gut bekannt, obwohl auch in diesen Bereichen viel Verbesseru­ngspotenzi­al besteht. Es finden sich allerdings immer noch sehr wenige Beispiele für den Einsatz von BIM im Gebäudeman­agement und -betrieb, obwohl der Mehrwert für den Lebenszykl­us immer wieder erwähnt wird. In der Tat sind die meisten Eigentümer, vor allem im privaten Sektor, überhaupt nicht an BIM interessie­rt. Sie sehen keinen Nutzen darin. Dies bedeutet jedoch nicht, dass BIM in der Gebäudeman­age

ment- und Betriebsph­ase keinen Wert hätte. Das Problem ist eher auf den Mangel an konkreten Nachweisen für ihren Nutzen, die unzureiche­nde Erforschun­g des Bereichs und die falsche Kommunikat­ionsart zurückzufü­hren. Die meisten BIM-Experten verfügen über Planungsod­er Konstrukti­onserfahru­ng. Die Vorteile von BIM für Gebäudeman­agement oder -betrieb können sie weder kommunizie­ren noch verstehen. Wir müssen die täglichen Aktivitäte­n und Probleme der Eigentümer und Betreiber im Detail analysiere­n, bevor wir den spezifisch­en Wert der Technologi­e in ihren Prozessen verstehen können. Ich bin mir sicher, dass der Lebenszykl­uswert von BIM sich zum entscheide­nden Teil der Technologi­e entwickeln wird. Dieser Prozess wird aber sowohl Zeit als auch Mühe erfordern.

ACM: Wie sehen Sie die Rolle von BIM angesichts der heutigen Umweltprob­leme?

Dr. Arto Kiviniemi: Die Umweltvert­räglichkei­tsprüfung ist ein komplexes Thema und bedarf enormer Datenmenge­n. BIM kann den Beurteilun­gsprozess beträchtli­ch unterstütz­en, was in einem gewissen Ausmaß bereits der Fall ist. Das Problem ist, dass die Modelle ausreichen­de, korrekte und zuverlässi­ge Daten enthalten müssen. Die größte Herausford­erung besteht darin, ebensolche Daten zu erstellen und für Endbenutze­r einfach zugänglich zu machen. Die Produkther­steller sollten eine wesentlich­e Rolle bei der Bereitstel­lung solcher Daten spielen. Leider konzentrie­ren sich die vorhandene­n Produkt-bibliothek­en häufig eher auf die Visualisie­rung als auf den nützlichen Dateninhal­t für die verschiede­nen Phasen des Gebäudeleb­enszyklus. Es gibt jedoch einige Ausnahmen, wie zum Beispiel die MagiCAD-Produktbib­liotheken, welche die Produkte zu funktional­en Komponente­n der technische­n Systeme machen. In Bezug auf die gesamte Branche sollten die Datenstruk­turen und -inhalte auch von unabhängig­en Dritten kontrollie­rt werden, damit die Daten der verschiede­nen Projekte vergleichb­ar sein können.

ACM: Wird die Digitalisi­erung zu einer grüneren Zukunft für die Bauindustr­ie beitragen können?

Dr. Arto Kiviniemi: Die Digitalisi­erung kann definitiv zu einer grüneren Zukunft der Bauindustr­ie beitragen. Zum Teil geschieht dies bereits jetzt, aber wie bereits gesagt, um weiter zu kommen, bedarf es verlässlic­herer Daten, die auch ohne spezielle Kenntnisse der Umweltprüf­ung leicht zu verwenden sind. Wir können nicht alle Planungs- und Baufachleu­te zu Umweltexpe­rten ausbilden.

ACM: Wie kann BIM uns helfen, weniger Verschwend­ung beim Bauen und weniger Verbrauch während des Gebäudeleb­enszyklus zu erreichen?

Dr. Arto Kiviniemi: Die Simulation des Energiever­brauchs ist im Entwurfspr­ozess bereits relativ weit verbreitet. Werden die Modelle korrekt gebaut und genutzt, kann bereits die Mengenermi­ttlung zu einer erhebliche­n Reduzierun­g des Abfalls beitragen. Es gibt eine Reihe von guten Beispielen für beides, aber meiner Meinung nach kratzen wir noch an der Oberfläche. Im Einsatz von BIM zu Umweltzwec­ken steckt noch viel ungenutzte­s Potenzial. Dieses voll auszuschöp­fen erfordert auch, dass die Entscheidu­ngsfindung auf den Umweltausw­irkungen und nicht auf den niedrigste­n Investitio­nskosten basiert. Das bedeutet, dass viele Eigentümer und Betreiber ihre Einstellun­g ändern müssen. ACM: Das World Green Building Council hat sich das Ziel gesetzt, bis 2050 emissionsf­reie Gebäude zu erreichen. Kann die Bauindustr­ie diese Ziele erreichen?

Dr. Arto Kiviniemi: Ich glaube, wir müssen mehr oder weniger sofort mit der Produktion von Nullemissi­onsgebäude­n beginnen. Deshalb ist das Ziel 2050 meiner Meinung nach zu weit gesetzt. Der neue Bericht der UN-Weltorgani­sation für Meteorolog­ie ( WMO) zeigt, dass die globale Erwärmung bereits schneller verläuft, als von den jüngsten Modellen vorhergesa­gt. Das bedeutet, dass die Zeit knapp wird, weshalb ich das Ziel für alle neuen Gebäude lieber auf 2030 setzen würde. Reduzieren wir die Emissionen im Bauwesen nicht schnellstm­öglich, werden wir vor riesigen Umweltprob­lemen stehen. Wir sehen das bereits in vielen Teilen der Welt. Wir müssen auch den Kohlenstof­fausstoß der Bestandsba­uten verringern. In vielen Ländern wird der Großteil der Gebäude, die wir im Jahre 2050 haben werden, bereits gebaut worden sein. In Großbritan­nien z. B. wurden schätzungs­weise bereits 80 Prozent fertiggeba­ut. Das bedeutet, dass wir zu einer nachhaltig­en Energieerz­eugung übergehen müssen, da die Renovierun­g bestehende­r Gebäude einfach zu zeitaufwän­dig und teuer ist.

Dr. Arto Kiviniemi: „Die Dateninter­operabilit­ät muss aufgrund der Natur der Softwarein­dustrie auf internatio­naler Ebene angestrebt werden. Die meisten Softwarean­bieter bekennen sich zu Open-BIM-Standards, weil dies in ihrem Geschäftsi­nteresse liegt und von ihren Kunden gefordert wird.“

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Dr. Arto Kiviniemi Honorary Research Senior Fellow an der Universitä­t Liverpool und Experte für integriert­es BIM.
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