Die Stunde des Facility- und Workspace-Managements
Sie mögen zwar nicht als „systemrelevant“in strengerem Sinn deklariert sein. Doch im Umgang mit der Pandemie kommt jetzt auch den Immobilieneigentümern und -betreibern ein hohes Maß an Verantwortung zu. Vier Fachleute aus der Branche erklären, was das hei
Neben den Verkehrsbetrieben sind es die Immobilieneigentümer und -betreiber, die Flächen und Räume der Begegnung bereitstellen: In Büros, im Handel, in öffentlichen Gebäuden und erst recht im Gesundheits- und Pflegewesen. Die Sicherheit für Mitarbeiter, Kunden, Dienstleister und Besucher stehen an erster Stelle. Aber auch die Einhaltung der damit verbundenen zahlreichen und sich weiter verändernden Vorgaben und Regeln. Die erforderliche Reorganisation der daraus resultierenden Prozesse sowie der erweiterte Einsatz gezielt-unterstützender IT bilden mehr denn je, die Grundlage für einen Neustart auch im Kerngeschäft. Es ist die Stunde des Facility- und Workspace-Managements – in den Unternehmen, in der öffentlichen Verwaltung und bei den Dienstleistern selbst. Aber was bedeutet das für das für die Entscheider? Worauf müssen sie sich einstellen? Wie bekommen sie die Risiken besser in den Griff? Und wo bringt auch hier das Momentum der Digitalisierung zusätzlichen Nutzen? Vier branchenbekannte Multiplikatoren gaben darauf ihre Antworten.
Wie ein Re-Start gelingen kann
Christian Kaiser ist Leiter des AK-Workplace-Management bei der GEFMA und Geschäftsführer der Archibus Solution Centers Germany. Als ein Partnerunternehmen der US Archibus Inc. ist es damit auch Teil eines global umspannenden Netzwerkes von CAFM und IWMS-Anbietern, die Prozesse im Facility- und Workspace-Management unterstützen.
AUTOCAD & Inventor Magazin (ACM): Herr Kaiser, Sie haben mit Ihren Partnern in Europa im April eine Blitz-Umfrage zu den krisenbedingten Herausforderungen durchgeführt. Wer wurde denn befragt, und welche maßgeblichen Herausforderungen wurden genannt?
Christian Kaiser: Wir haben viele unserer Kunden befragt, CEOs, Facility Manager, Raumplaner und Sicherheitspersonal. Auch von den externen Dienstleistern, die sich um den Gebäudebetrieb an sich kümmern, haben wir einiges Feedback bekommen. Für die Geschäftsführer und Manager ist es wichtig, einen Weg zu finden, wie der Re-Start, oder eher der Übergang zu einem ‚New Normal‘ im Unternehmen, gelingen kann, das Kerngeschäft gesichert und für die Zukunft gerüstet ist. Sie denken über langfristige Umstrukturierungen nach, beispielsweise, das Homeoffice als dauerhaftes Arbeitsmodell anzubieten, und Büroräume entsprechend anders zu nutzen oder abzubauen. Die Gesundheit und Sicherheit aller Mitarbeiter, Besucher und Dienstleister zu jeder Zeit und an jedem Ort zu gewährleisten, steht dabei im Vordergrund und natürlich insbesondere für Management und Sicherheitspersonal an erster Stelle. Unter diesem Aspekt bilden die neuen Anforderungen an die Arbeitsumgebungen wieder andere Herausforderungen, wenn die Mitarbeiter in ihre Büros zurückkehren. Aktuell gültige Arbeitsschutz- und Hygienemaßnahmen müssen etabliert und umgesetzt werden. Das liegt dann in der Verantwortung der Facility Manager, die überlegen müssen, wie Reinigungs- und
Wartungsarbeiten festgelegt, abgearbeitet und kontrolliert werden können. Aus Sicht aller Beteiligten ist da auch eine Überarbeitung und Aktualisierung der Service- und Wartungsverträge notwendig. Es gibt viele unterschiedliche Aspekte und Fragen, die man bei der Rückkehr in eine neue Normalität beachten und beantworten muss. Kommunikation der Beteiligten untereinander und Zusammenarbeit in der Umsetzung neuer Standards sind die besten Mittel, diese Aufgaben zu stemmen.
ACM: Was bedeutet das für die Verantwortlichen im Facility- und WorkplaceManagement?
Christian Kaiser: Die Anforderungen im FM sind sehr umfangreich. Die Flächenplanung muss den neuen Gegebenheiten angepasst und viel dynamischer werden. Neue Richtlinien sind zu beachten – sie müssen in interne Prozesse übergeführt und das ganze ComplianceManagement überarbeitet werden. Digitale Tools am Arbeitsplatz können dabei hilfreich sein, Sensoren beispielsweise. Risikobewertung ist auch Aufgabe des FM. Diese muss jetzt komplett neu vorgenommen werden und Checklisten oder Surveys erstellt werden, um die zahlreichen Maßnahmen auch kontrollieren zu können.
Strategie für Eigentümer
Das internationale Immobilienunternehmen Cushman & Wakefield, hat die mit den Folgen der Pandemie einhergehenden Herausforderungen unmittelbar selbst realisieren müssen. Mit dem „6 Feet Office-Konzept“wurde eine Strategie entwickelt, an der sich Eigentümer nun orientieren können sollten.
Frank D. Masuhr, Head of Project und Development Services D-A-CH, erklärt das Vorgehen.
ACM: Herr Masuhr, in Amsterdam haben Sie das Konzept bereits umgesetzt? Mit welchen Erfahrungen denn? Ist es auf Deutschland übertragbar?
Frank D. Masuhr: Wir haben ‚6 Feet Office‘ für Unternehmen, Eigentümer und Betreiber in der Corona-Krise entwickelt. Um ihnen zu helfen, ihre Mitarbeiter nach dem Lockdown schnell und sicher wieder zurück ins Büro zu bringen. Dabei gibt es einiges zu beachten: Wie dicht dürfen die Mitarbeiter sitzen, ohne eine Ansteckung oder gar – im Großen betrachtet – eine zweite Infektionswelle zu riskieren? Wie gestalte ich eine Wegeführung im Büro und Gebäude, ohne dass Mitarbeiter sich ungewollt in die Arme laufen? Welche Hygiene- und Sicherheitsmaßnahmen am Arbeitsplatz sollte ich berücksichtigen? 6 Feet Office basiert im Kern auf dem Mindestabstand, den wir auch aus dem öffentlichen Raum kennen: 1,5 bis 2 Meter. Nach dieser Logik und weiteren Hygiene- und Sicherheitsstandards haben wir unser Büro in Amsterdam umgebaut: quasi als Living Lab – eine Testfläche, die wir ständig weiterentwickeln. Der pragmatische Ansatz ist bei großen und kleinen Unternehmen sehr gut angekommen – und das nicht nur in den Niederlanden, sondern auch in Deutschland und weltweit. Der große Vorteil ist: Das Prinzip ist eingängig, über eine einfache visuelle Darstellung ohne lange Erklärungen nachvollziehbar und kann in vier bis fünf Tagen umgesetzt werden. Das hilft Unternehmen, ihrer Sorgfaltspflicht gegenüber dem Mitarbeiter nachzukommen, ohne es unnötig kompliziert werden zu lassen. Natürlich gibt es in jedem Unternehmen und auch in Deutschland als Markt einige Besonderheiten und Regularien, die individuell berücksichtigt werden müssen. Deshalb beraten wir jede Organisation individuell.“
ACM: Wo aber sehen Sie die strategischen Verbindungslinien zwischen nun erforderlichen Anpassungen im Facility- und Workplace-Management und einem Unternehmenserfolg im Kerngeschäft?
Frank D. Masuhr: Die akuten coronabedingten Maßnahmen und mittelfristige strategischen Ziele von Unternehmen zahlen in der Tat aufeinander ein. Wir haben 6 Feet Office zwar in der Corona-Krise entwickelt, aber das Konzept hat weit darüber hinaus Bestand. Was wir beobachten: Im Prinzip ist die Pandemie ein Beschleuniger für eine Entwicklung, die sich ohnehin abzeichnet: Nämlich die Digitalisierung und Flexibilisierung von Arbeitswelten. Wer als Arbeitgeber attraktiv sein will und die Produktivität der Mitarbeiter in den Fokus rückt, muss heute umdenken; hin zu tätigkeitsbasierten Flächenmodellen, die offener sind und das Wohlbefinden steigern – und die die Technologien intelligent einsetzen. Das sind wesentliche Faktoren für den Unternehmenserfolg, die weit über eine corona-bedingte Flächenanpassung hinausgehen. 6 Feet Office ist damit ein Schritt in die Zukunft erfolgreicher Unternehmen, der ohnehin ansteht.“
Simulation, BIM und digitaler Zwilling
Einer der sich ebenfalls in internationalen Märkten bewegt, aber in Deutschland auch bekannt ist durch sein Engagement etwa bei GEFMA, VDI und ZIA, ist Robert Oettl. Als Geschäftsführer der TÜV SÜD Advimo weiß er von Erfahrungen mit BIMProjekten ebenso zu berichten, wie von den jetzt notwendigen Maßnahmen für verantwortliche Immobilieneigentümern und Betreibern.
ACM: Herr Oettl, immer mehr Menschen kehren jetzt wieder in Ihre Büros zurück. Die Aufzüge in Bürogebäuden, Ärztehäusern und insbesondere Hochhäusern sind durch den einzuhaltenden Mindestabstand zwangsläufig ein Engpassfaktor. Das Management von Aufzügen ist bei Ihnen eine Kernkompetenz. Was aber bedeutet das nun für Nutzung und Wartung? Robert Oettl: Hier kann mit einer professionellen Simulation von Personenströmen und geschickter Planung unterstützt werden, lange Wartezeiten, Chaos und Frust zu vermeiden. Die Herangehensweise ist die Erstellung eines Modells auf Basis der geplanten Personenauslastung jeder Etage, welche die ‚neue Normalität‘ des Büroalltags zulässt. Wartezeit auf den Aufzug, Wartschlangen in der Lobby etc. In Singapur und London werden derartige Simula
tionen bereits umgesetzt. Und da es sich bei einem Aufzug weiterhin um ein kaum anpassbares Bauteil im Gebäude handelt und sich dessen Nutzungszyklen durch die geringere Personenanzahl je Fahrt massiv erhöhen, sind Instandhaltungs- / Instandsetzungsstrategien so anzupassen und zu planen, dass es nicht zu einem zusätzlichen Ausfall kommt, der die schon begrenzt vorhanden Aufzugsinfrastruktur zusätzlich verknappt.“
ACM: Die Krise als Chance – auch für die Transformation in die Digitalisierung. Wo liegt denn da die Chance ganz konkret? Herr Oettl, legen Sie doch mal dar, wo der Unterschied zwischen ‚Digitalisierung‘ und Transformation in die Digitalisierung‘ liegt. Und vor allem, was hat jetzt BIM und Facility-Management damit zu tun? Robert Oettl: Grundsätzlich sehe ich in der aktuellen Krise einen großen Accelerator sowohl für die Digitalisierung im Sinne der technisches Tools als auch für die unmittelbar damit zusammenhängende notwendige digitale Transformation als Change Prozess. Das heißt, es gab das unmittelbare Erfordernis, remote mittels Digitalisierung zu arbeiten. Somit waren auch digital nicht so affine Branchen, wie es lange die Immobilienbranche war, gezwungen, von jetzt auf gleich ihre Prozesse auf digitales Arbeiten umzustellen. Dadurch entstand meiner Ansicht nach auch eine unmittelbare Sogwirkung bei der digitalen Transformation – es entstand der Zwang, sich mit neuen Prozessen und dem Wechsel im Mindset hin zur Digitalisierung auseinanderzusetzen. In den letzten Wochen hat man nun gesehen, dass dies funktioniert. Somit ist die digitale Transformation dann auch (fast) schon geglückt. Die genutzten digitalen Werkzeuge sind dann eher eine Nebensächlichkeit, an die man sich aber schnell gewöhnt.
In der praktischen Umsetzung sehen wir somit plötzlich eine hohe Bereitschaft sich auch im Immobilienbereich mit ‚neuen‘ Tools und Prozessen wie Building Information Modeling (BIM) auseinanderzusetzen. Mittels BIM ist beispielsweise eine funktionierende Planung und Prozesssteuerung, auch mit der Minimierung von physischen Kontakten, möglich. Die Projektparteien kommunizieren über eine Plattform und arbeiten gemeinsam an einem digitalen Zwilling. Dies geht soweit, dass sogar Begehungen digital und aus der Entfernung vorgenommen werden können. Nach Fertigstellung des Gebäudes lassen sich die zur Bewirtschaftung notwendigen Daten automatisiert in ein CAFM System übertragen. Der FM-Verantwortliche kann später den Gebäudebetrieb mittels Dashboards und Online-Anlagenzugriff fast völlig aus der Distanz steuern. Die aktuelle Krise hat allen gezeigt, was technisch bereits möglich ist, und parallel aufgrund der Notwendigkeit zu einer hohen Akzeptanz beigetragen. Diese wird meiner Ansicht nach auch nicht mehr verschwinden.“
Vorteile der Digitalisierung für kleinere Unternehmen
Thomas Kirmayr ist Geschäftsführer der Fraunhofer-Allianz Bau. Und als Leiter des vom Bundeswirtschaftsministerium geförderten Initiative, Mittelstand 4.0 Kompetenzzentrum Planen und Bauen, setzt er sich für die Transformation in die Digitalisierung gerade auch kleiner und mittlerer Unternehmen ein.
ACM: Herr Kirmayr, die Situation bei den für die Flächen und Räume Verantwortlichen ist angespannt. Aber denkt man denn in der aktuellen Lage auch an die Vorteile und den Nutzen der Digitalisierung?
Thomas Kirmayr: Das wäre sehr angebracht, wenn man das tut, denn wir reden hier ja von einer Erweiterung der Betreiberpflichten, einige sicher temporär, viele aber auch langfristig. Damit ist zusätzlicher Aufwand im Gebäudebetrieb wie in der Nachweisführung verbunden. Die Digitalisierung bietet hier viele neue Möglichkeiten, wichtige Betreiberverantwortungen durch den Einsatz von Sensorik und IoT zu optimieren, Nachweisprozesse zu automatisieren und somit die Zusatzkosten beherrschbar zu halten.“
ACM: Mit Blick auf die zurückliegenden zwei Monaten wurde deutlich, wie sehr in der Krise auch der Staat sich einbringen muss – und es ja auch tut – um aufzufangen, zu fördern und zu unterstützen. ‚Digital und Nachhaltig‘ taucht stets als Devise auf. Wo sehen Sie denn gerade in der jetzigen Situation dessen Unterstützungslinien für kleine und mittlere Unternehmen in der Transformation zur Digitalisierung? Thomas Kirmayr: Wir müssen erreichen, dass die angestoßenen Maßnahmen als Reaktion auf diesen Einschnitt nachhaltig ausgerichtet sind. Und ich meine damit: nachhaltig im Sinne der Wirtschaft und nachhaltig im Sinne der Umwelt, denn beides hält die Bauwirtschaft maßgeblich in ihrer Hand. Es ist sehr gut, dass der Staat diese schnellen und unmittelbaren Hilfen bereitstellt. In ihrer Nutzung müssen wir jedoch die Weichen für die Zukunft stellen. Ein deutlich stärkeres Maß an Digitalisierung ist ein Schlüssel für den langfristigen Erfolg und die Wettbewerbsfähigkeit der Bau- und Immobilienwirtschaft und macht sie zudem widerstandsfähiger. Der Staat sollte daher neben den Soforthilfen zweckgebundene Mittel bereitstellen, welche unsere langfristige Wettbewerbsfähigkeit stärken. Viele andere Nationen haben die Chancen dieser Transformation erkannt und fördern diese gezielt mit großem Engagement und öffentlichen Mitteln. Die Themen IoT, KI, BIM sowie Investitionen in ein attraktives und modernes Arbeitsumfeld sind Schlüsselfaktoren.
Kritische Infrastruktur
Der Begriff „Systemrelevanz“wurde übrigens im Kontext der Finanzkrise 2008/2009 geprägt, für Bankinstitute, die als „too big to fail“identifiziert wurden. In Gesetze und Verordnungen wurde er nicht übernommen. Im Gegensatz dazu ist der Begriff der „kritischen Infrastruktur“von Relevanz. Doch das ist eine andere Geschichte. ( anm) ■