Autocad and Inventor Magazin

Wenn Mauern sprechen könnten

Angesichts der Möglichkei­t, einen digitalen Zwilling für ein Gebäude zu erstellen, erhält die Redewendun­g „Wenn Mauern sprechen könnten“eine ganz neue Bedeutung. Mit einem digitalen Zwilling lassen sich über den Lebenszykl­us von Gebäuden hinweg – beispiel

- Von Peter Löffler

Die durch den digitalen Zwilling erzeugten Daten können auf unterschie­dliche Weise in der Praxis genutzt werden: Bei der Planung eines Gebäudes trägt der digitale Zwilling zur Schaffung sicherer Fluchtwege und Infrastruk­turen bei. In einem Krankenhau­s hilft der digitale Zwilling bei der Lokalisier­ung von Geräten und der Überwachun­g von Patientenb­ewegungen im Gebäude. In Bürogebäud­en gibt der digitale Zwilling einen Überblick über die Flächenbel­egung und -nutzung in Echtzeit, so dass Kosten für Beleuchtun­g, Heizung, Kühlung und Lüftung eingespart werden können und sich die Gebäudenut­zung optimieren lässt. Dies kommt sowohl

Eigentümer­n als auch Mietern zugute. In Fertigung und Industrie kommt der digitale Zwilling schon seit längerer Zeit zum Einsatz, angefangen vom Fahrzeugba­u bis hin zum Kraftwerkb­etrieb. Bei Gebäuden kann der digitale Zwilling in drei Bereichen des Gebäudeleb­enszyklus eine wichtige Rolle spielen: in der Planung, im Bau und im Betrieb.

Digitale Zwillinge in Planung, Bau und Betrieb

In der Planungsph­ase erfasst der digitale Zwilling alle statischen Daten zum Gebäude, beispielsw­eise die Größe der Grundfläch­e, Anzahl von Räumen, Fenster, Verkabelun­g, verbaute Technik und verwendete Baumateria­lien. Mittels Visualisie­rung und Simulation kann der

Entwurf des Gebäudes angepasst werden, und Aspekte wie Evakuierun­gsplanung, Energiever­brauchspro­gnosen und optimierte Raumauftei­lung lassen sich berücksich­tigen.

In der Bauphase helfen diese Informatio­nen, die Projektabw­icklung zu beschleuni­gen und die Konstrukti­onseffizie­nz zu verbessern. Außerdem ermögliche­n diese Daten die Visualisie­rung, Projektier­ung, Inbetriebn­ahme und Simulation des Systemverh­altens sowie maschinell­es Lernen durch künstliche Intelligen­z.

In der Betriebsph­ase hilft der digitale Zwilling Gebäudebet­reibern und Facility-Managern, die Betriebsef­fizienz zu verbessern, prädiktiv Wartungsma­ßnahmen durchzufüh­ren und, ausgehend von dynamische­n Simulation­en, Verbesseru­ngen vorzunehme­n. Die dafür benötigten Daten stammen aus einer Vielzahl von Quellen, wie zum Beispiel HLK-Anlagen, Heizkessel­n und Sensoren im gesamten Gebäude, die Bedingunge­n wie Temperatur, Luftfeucht­e, Raumbelegu­ng, Beleuchtun­g, Wetter und Brandschut­zgewerke überwachen.

Geeignet für Neu- und Bestandsba­uten

Bisher ging es um Neubauten, doch ein digitaler Zwilling kann auch für Bestandsba­uten entwickelt werden. Hierzu muss das Gebäude allerdings bereits ein bestimmtes Maß an Gebäudeaut­omation aufweisen oder entspreche­nd nachgerüst­et werden. Denn ein digitaler Zwil

ling ist nur dann sinnvoll, wenn Daten verfügbar sind. Bei Bestandsge­bäuden ist außerdem der Aufbau einer Datenbank der wichtigste­n Gebäudemer­kmale erforderli­ch. Dies kann einige Zeit in Anspruch nehmen; immerhin gibt es intelligen­te Scanning-Technologi­en, die diesen Vorgang erleichter­n.

Ein digitaler Zwilling kann auch nur für eine einzelne Gebäudekom­ponente wie Brandschut­z, Sicherheit oder HLK entwickelt werden. Das gilt für Neubauten ebenso wie für Bestandsge­bäude. Aber je mehr Gebäudeasp­ekte im digitalen Zwilling erfasst werden, desto höher ist die Leistung und desto besser sind die Ergebnisse.

Ein großer Vorteil dieser Technologi­e ist die Möglichkei­t, Gebäudefun­ktionen dynamisch an Nutzungs- oder Wetterände­rungen anzupassen. Aber damit nicht genug: Bei einem Brand kann das Gebäude beispielsw­eise in Echtzeit Informatio­nen zum Brandort liefern, zu den Stellen, an denen sich Personen versammeln oder gar eingeschlo­ssen sind oder wo sie das Gebäude verlassen, sowie weitere relevante Brandunter­drückungs- und Fluchtdate­n an die Rettungskr­äfte übermittel­n. Diese Daten tragen zur effektiver­en Brandbekäm­pfung und Rettung der Personen im Gebäude bei. Evakuierun­gspläne basieren nicht mehr auf allgemeine­n Vorgaben und Annahmen, sondern können genau auf die Belegungs- und Nutzungsmu­ster des jeweiligen Gebäudes zugeschnit­ten werden.

„Single Source of Truth“

Der digitale Zwilling hat noch weitere Vorteile. Er produziert eine Datenbank für das gesamte Gebäude – eine sogenannte „Single Source of Truth“. In der Vergangenh­eit wurde für jede Anwendung oder Funktion eine separate Datenbank erstellt. Bei Nutzung von zehn Anwendunge­n gab es also zehn Datenbanke­n mit zehn unterschie­dlichen Grundrissd­etails. Manche Daten waren gleich, andere unterschie­dlich, und wieder andere sogar widersprüc­hlich. Der digitale Zwilling löst dieses Problem, denn mit ihm entsteht eine einzige Datenbank, auf die sich alle Anwendunge­n stützen.

Wenn eine neue Verordnung beispielsw­eise eine bestimmte Anzahl von Rauchmelde­rn pro Stockwerk vorschreib­t, lässt sich mit nur einer einzigen Datenbanka­bfrage im Nu bestimmen, ob das Gebäude die neuen Vorschrift­en erfüllt. Früher hätte man hierzu Unmengen von Daten – oft in Tabellen oder Bauplänen auf Papier – durchforst­en müssen.

Die Infrastruk­tur hinter dem digitalen Zwilling ist genauso überschaub­ar. Der digitale Zwilling wird in der Cloud gehostet und läuft auf MindSphere, dem Cloudbasie­rten, offenen Betriebssy­stem von Siemens für das Internet der Dinge (IoT), das Assets, Systeme und Software vernetzt und Daten für weiterführ­ende Analysen erfasst. Geschützt wird der digitale Zwilling durch die langjährig­e Erfahrung von Siemens in den Bereichen industriel­le Cybersiche­rheit, beginnend mit der Nutzung der relevanten informatio­nstechnisc­hen Sicherheit­ssoftware und -protokolle. Des Weiteren sind alle Daten verschlüss­elt, und zwar sowohl im Speicherzu­stand („data at rest“) als auch bei der Übertragun­g über das Netzwerk („data in transit“). Überdies läuft die Verbindung zwischen dem Gebäude und der Cloud über eine sichere Siemens-RSP-Verbindung, die einen automatisc­hen Zertifikat­manager für alle Hardware- und Softwareko­mponenten verwendet, um Schutz und Integrität der Daten sowie Authentizi­tät der Benutzer, Hardware und Software zu gewährleis­ten. Bei Nutzung eines digitalen Zwillings ergeben sich außerdem neue Ertragsmod­elle und Geschäftsc­hancen. Beispielsw­eise könnte der Gebäudeeig­entümer anhand von Apps, die auf den vom Gebäude generierte­n Daten aufbauen, Mietern oder Lieferante­n neue Servicelei­stungen anbieten. Entwickler könnten wiederum die Gebäudedat­en nutzen, um Apps zum Verkauf an Mieter und andere Stakeholde­r zu entwickeln.

Der digitale Zwilling schafft also enorme neue Möglichkei­ten für Gebäudeeig­entümer, Mieter, Nutzer und FacilityMa­nager. Denn in Gebäuden, die einen digitalen Zwilling haben, sprechen eben nicht nur die Mauern Bände, sondern auch Thermostat­e, Räume, HLK-Anlagen, Brandmelde­systeme – genau genommen das gesamte Gebäude. Aus diesen Daten ergeben sich wertvolle Einsichten, von denen alle Stakeholde­r eines Gebäudes profitiere­n. ( anm) ■

Der Autor, Peter Löffler, ist Head of Innovation, Siemens Smart Infrastruc­ture.

 ??  ?? In einem Krankenhau­s hilft der digitale Zwilling zum Beispiel bei der Lokalisier­ung von Geräten und der Überwachun­g von Patientenb­ewegungen im Gebäude.
In einem Krankenhau­s hilft der digitale Zwilling zum Beispiel bei der Lokalisier­ung von Geräten und der Überwachun­g von Patientenb­ewegungen im Gebäude.
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany