Wie sich der B2B-Vertrieb digitalisieren lässt
CPQ-Systeme und verändertes Kaufverhalten
Die Digitalisierung bietet Unternehmen die Möglichkeit, Interessenten und Kunden in den Vertriebsprozess zu integrieren und den Kundenbedarf durch individualisierte Produkte exakt zu treffen. Die dabei entstehende marktseitige Variantenvielfalt muss für den Vertrieb wirtschaftlich beherrschbar werden.
Um die Variantenvielfalt in den Griff zu bekommen und den Vertrieb damit zukunftsfähig zu machen, setzen immer mehr Anbieter variantenreicher Produkte auf CPQ-Systeme (Configure, Price, Quote). Eine aktuelle Umfrage des Verbands Deutscher Maschinen- und Anlagenbau ( VDMA) sieht CPQ-Systeme bereits unter den ersten Plätzen, wenn es um Top-Investitionen in IT-Systeme geht.
Kernfunktionen eines CPQ-Systems
Das CPQ-System ist eine IT-Anwendung, die den Angebots- und Vertriebsprozess digitalisiert, automatisiert und das vertriebsrelevante Produkt- und Angebotswissen zentral verwaltet. Die Kernfunktionen sind die Produktkonfiguration, die Preisermittlung und Erstellung von Angebotsdokumenten. Die Produktkonfiguration basiert auf einer geführten Bedarfsanalyse. Mit gezielten Fragen schlägt sie dem Anwender - also dem Vertriebsmitarbeiter,
Händler oder Kunden selbst - geeignete Produktvarianten vor, visualisiert diese und navigiert zur besten Lösung für den Kunden. Dabei sichern Plausibilitäts- und Vollständigkeitsprüfungen ab, dass nur technisch mögliche Produktvarianten konfiguriert werden können. Parallel zur Auslegung der Produkte ermittelt das System die Preise und Herstellkosten. Im letzten Schritt erzeugt es personalisierte Angebotsdokumente, wie die technische Beschreibung oder das kaufmännische Angebot. Der gesamte Prozess von der ersten Erstellung eines Angebots bis zur Erfassung des Auftrags im ERP-System wird automatisiert, indem die CPQ-Software über standardisierte Schnittstellen mit umgebenden Systemen, wie zum Beispiel ERP-, CRM-, CAD- PLM- oder BI-Systemen kommuniziert.
Variantenvielfalt wirtschaftlich beherrschen
CPQ-Systeme erzeugen nicht nur Variantenvielfalt durch Individualisierung.
Sie ermöglichen es gleichermaßen, diese wirtschaftlich zu beherrschen. Produkte und Anlagen werden dazu modularisiert. Über den dadurch entstehenden Variantenbaukasten lassen sich standardisierte Funktionsbaugruppen zu kundenspezifischen Produktvarianten kombinieren. Ein durchdachter Baukasten kann mit einer überschaubaren Anzahl von Komponenten und zu geringen internen Kosten eine große Zahl von Kundenvarianten erzeugen. Dieses Konzept, das die Individualisierung zum Normalfall macht, wird über den Produktkonfigurator eines CPQ-Systems zum Kunden gebracht: Er übersetzt die Kundensicht in geeignete Produkte und deren Produktmerkmale – immer unter Berücksichtigung festgelegter technischer und wirtschaftlicher Regeln.
Kaufverhalten ändert sich grundlegend
In der Vergangenheit diente das CPQ-System primär dem Vertriebsmitarbeiter als Angebotscockpit, um technisch komple
xe Produkte genauso zuverlässig, schnell und detailliert anzubieten, wie es sonst nur bei Standardprodukten möglich ist. Allerdings befindet sich das Informationsund Kaufverhalten der B2B-Entscheider im Umbruch. Erwartungen an digitale Beschaffungsprozesse werden aus dem B2C- auf das B2B-Umfeld übertragen und besonders der persönliche Kontakt zum Vertriebsmitarbeiter verliert an Bedeutung. Laut einer aktuellen McKinsey-Studie präferieren bereits heute 70 Prozent der B2B-Entscheider Remote-Kontakte und digitale Kanäle, um kaufrelevante Informationen einzuholen. Knapp 60 Prozent sind inzwischen sogar bereit technisch komplexe Industriegüter auch online zu kaufen. Als Gründe für diese Entwicklung werden unter anderem die einfache Terminierung und eingesparte Reisekosten genannt. Kontaktverbote durch die aktuelle Corona-Pandemie geben ihr einen zusätzlichen Auftrieb.
Headless CPQ
Moderne CPQ-Systeme ermöglichen deshalb dem Kunden die Angebotserstellung als Self-Service. Die CPQ-Lösung wird dazu in die Unternehmens-Website, eine Portallösung oder den OnlineShop integriert. Da nicht die komplette CPQ-Anwendung zu sehen ist, sondern lediglich auf die Funktionen des Systems zurückgegriffen wird, etabliert sich in der Praxis zunehmend der Begriff des sogenannten Headless CPQ. Mittels GuidedSelling und 3D-Visualisierung ermöglicht die Software eine intuitive Produktkonfiguration und macht selbst die Konfiguration technisch komplexer Produkte zum Kundenerlebnis. Das Regelwerk stellt zu jedem Zeitpunkt sicher, dass die Konfiguration technisch korrekt ist und berechnet simultan Kosten und Preise. Der Kunde erhält ad hoc alle für ihn relevanten Informationen.
Customer Journey als neue Herausforderung
Eine zentrale Herausforderung dieser neuen Form des digitalen Vertriebs besteht darin, dass nicht mehr der Vertrieb, sondern der Kunde selbst entscheidet, wann er welche Information haben möchte. Deshalb rückt das Modell der Customer Journey zur Steuerung des Informationsangebotes in den Mittelpunkt. Über CPQSysteme wird das Modell realisiert. Sie sorgen dafür, dass der Detaillierungsgrad von Angebotsinformationen an den individuellen Informationsbedarf des Interessenten angepasst wird: Von den ad hoc bereitgestellten Erstinformationen und dem Budgetangebot steigern sie den Detaillierungsgrad schrittweise bis zum verbindlichen Angebot.
CPQ im Einsatz: Praxisbeispiele
Haver & Boecker ist spezialisiert auf Maschinen und Anlagen für das Abfüllen von Schüttgütern, die bei der Verpackung und Aufbereitung von Zement, Baustoffen und Mineralien, Chemikalien und Lebensmitteln zum Einsatz kommen. Für jedes Einsatzszenario muss die Packmaschine individuell konfiguriert werden. Das Unternehmen hat sich für die CPQLösung von Camos entschieden und die Vertriebsmitarbeiter erstellen seit ihrer Einführung die passende Maschine über einen Produktkonfigurator. Sobald sie alle Komponenten ausgewählt haben, generiert das System automatisch das Angebot mit sämtlichen Preisen und beschreibenden Texten. Statt wie früher zwei Tage, nimmt das nur drei Stunden in Anspruch. Über eine SAP-Schnittstelle wird der Auftrag nach Bestätigung direkt an das ERPSystem weitergegeben. Die Mitarbeiter im Vertrieb nutzen die gewonnene Zeit, um neue Kunden zu gewinnen und so den Umsatz zu steigern.
Die gleiche CPQ-Lösung wird auch vom Antriebsspezialisten Maxon eingesetzt – wenngleich sich der Use Case grundlegend vom vorherigen unterscheidet. Denn das Unternehmen lässt seine Kunden auch selbst Präzisionsantriebe über das Internet konfigurieren und setzt dabei auf das Modell der Customer Journey: Der Kunde kann im Konfigurationsprozess den Detaillierungsgrad der Informationen flexibel steuern und für ihn relevante Zusatzinformationen einfach über Info-Buttons einund ausblenden. Auf Wunsch kann er alle technischen Spezifikationen, Zeichnungen sowie Informationen zu Lieferzeiten und Preisen für alle Optionen direkt auf der Webseite sehen oder sein Konfigurationsergebnis im 3D-Model anschauen. Unmittelbar nach seiner Online-Bestellung erhält er die Auftragsbestätigung vom CPQ-System. Zeitgleich übermittelt dieses alle nötigen Daten, um einen Fertigungsauftrag zu starten. Das ist möglich, weil das Regelwerk des Konfigurators die Baubarkeit von Kundenspezifikationen prüft.
So optimieren CPQ-Systeme den Vertrieb
Unterm Strich werden durch CPQ-Systeme die Abläufe im Vertrieb um bis zu 50 Prozent effizienter, weil Routinearbeiten wie zum Beispiel Abstimmungen zur technischen Realisierbarkeit durch automatisierte Plausibilitätsprüfungen ersetzt oder Freigabeprozesse durch regelbasierte Workflows beschleunigt werden. Aber auch eine qualitative Verbesserung geht mit dem CPQ-System einher. Denn das Produktwissen wird in einem zentralen Regelwerk verankert, sodass Vertriebsmitarbeiter immer den Überblick über das technisch mögliche bzw. das unter Marktgesichtspunkten angebotene Variantenspektrum behält. Dabei gilt der Grundsatz: Je komplexer, variantenreicher und erklärungsbedürftiger die Produkte sind, desto höher der Nutzen des CPQ-Systems. ( anm) ■