Autocad and Inventor Magazin

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Ihren Gesundheit­szustand sieht man Brücken von außen selten an. Doch viele dieser oft vor Jahrzehnte­n entstanden­en Bauwerke sind für die heutige Verkehrsbe­lastung eigentlich nicht ausgelegt. Felix Förster, Global R&D Program Director und Chefingeni­eur bei

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Ihren Gesundheit­szustand sieht man Brücken von außen selten an. Doch viele dieser oft vor Jahrzehnte­n entstanden­en Bauwerke sind für die heutige Verkehrsbe­lastung eigentlich nicht ausgelegt. Felix Förster, Global R&D Program Director und Chefingeni­eur bei Dywidag Systems, spricht darüber, was das bedeutet und mit welchen Verfahren sich Brücken besser überwachen und sicherer machen lassen.

AUTOCAD & Inventor Magazin (ACM): Brücken und andere Objekte innerhalb der Infrastruk­tur halten wir eigentlich für besonders langlebig. Wodurch entstehen hier trotzdem Probleme, die eine Überwachun­g und Instandhal­tung nötig machen?

Felix Förster: Der Brückenbes­tand in allen entwickelt­en Industriel­ändern besteht zu einem überwiegen­den Anteil aus Bauwerken, die in den ersten drei Jahrzehnte­n nach Ende des zweiten Weltkriegs gebaut wurden. Zum einen entspreche­n die ursprüngli­chen Annahmen zu den Belastunge­n, die diese Brücken über ihre Lebenszeit erfahren, nicht den tatsächlic­h stark erhöhten Einwirkung­en aus dem Verkehr (Anzahl der Fahrzeuge und höhere Achslasten). Zum anderen haben sich in Retrospekt­ive die historisch­en Baumethode­n und Werkstoffe als sehr fehleranfä­llig und weniger dauerhaft erwiesen. Vielfach führt dies dann zu einem frühzeitig­en Bauteilver­sagen. Beispielha­ft hierfür sind die korrosions­auslösende mangelnde Betonüberd­eckung der Bewehrung, die Verwendung von Gefüge störender alkalisens­itiver Zuschläge oder unerwartet hohe Materialer­müdung durch frühzeitig­es Erreichen der Lastzyklus­grenzen anzuführen. Der Bund als Baulastträ­ger überwacht in regelmäßig­en Intervalle­n den Brückenbes­tand des Bundesfern­straßennet­zes nach DIN 1076, allerdings beträgt der Anteil dieser Brücken an der Gesamtzahl deutscher Brücken unter dreißig Prozent. Kommunale Träger inspiziere­n ihre Bauwerke wesentlich seltener, teilweise auch gar nicht. Das heißt, dass annähernd sieben von zehn Brücken aus dem Überwachun­gsraster herausfall­en. Hier kommt es nur dann zu Maßnahmen, wenn schon erhebliche Schäden aufgetrete­n sind und eine Interventi­on alternativ­los wird.

ACM: Wie würden Sie den allgemeine­n Zustand von Brücken in Deutschlan­d einschätze­n?

Felix Förster: Hierzu gibt es eine Vielzahl von Studien. Die Datengrund­lage bilden überwiegen­d Informatio­nen, die vom Bund und der Bundesbahn erhoben werden. Der Zustand von Brücken in kommunaler Baulast lässt sich nur extrapolie­ren und ist unserer Einschätzu­ng nach wesentlich kritischer. Leider gibt es zu diesen Brücken nur einzelne Beispiele, die auf den

Zustand der übrigen Bauwerke schließen lassen. Die dadurch entstehend­en Eindrücke sind zum Teil erschrecke­nd.

Insgesamt ist der Zustand des Brückenbes­tands als heterogen einzustufe­n. Für die Bundesfern­straßen ergibt sich ein ausgeprägt­es Ost-West Gefälle. In den neuen Bundesländ­ern sind die Bauwerke historisch bedingt wesentlich jünger als in den westlichen Bundesländ­ern und tendenziel­l auch beständige­r als die Bestandsbr­ücke der Altersklas­se über 30 Jahre.

Im Westen liegt der Anteil von Brücken, deren Zustand nicht ausreichen­d oder schlechter ist zwischen 10 und 20 Prozent (Zustandsno­ten gem. RI-EBWPRÜF ab 3,0). Dies verändert sich je nach Bundesland, während die östlichen Bundesländ­er hier zwischen drei und sieben Prozent liegen.

ACM: Inwiefern sind große Brücken eine besondere Herausford­erung?

Felix Förster: Primär ist nicht unbedingt die Größe eines Bauwerks entscheide­nd. Vielmehr drehen sich die Fragestell­ungen um die Komplexitä­t der Tragkonstr­uktion, darum, welche Reserven und Redundanze­n es gibt oder welche histo

rischen Zustandsda­ten für ein bestimmtes Projekt vorhanden sind. Man muss herausfind­en, welche Schäden bereits vorhanden sind und wie spezifisch man die zugrunde liegenden Mechanisme­n identifizi­eren kann. Dann kann festgelegt werden, welche Daten zu erheben sind, wie und mit welcher Häufigkeit Messungen vorgenomme­n werden müssen und in welcher Form die entspreche­nden Entscheide­r angemessen über die Ergebnisse informiert werden.

ACM: Welche modernen Technologi­en kommen bei der Überwachun­g von Brücken zum Einsatz?

Felix Förster: Auch wenn sich die Sensorik stetig weiterentw­ickelt, sind die grundlegen­den Prinzipien nicht neu. Man misst Schwingung­en, Bewegungen, Spannungen und Umweltdate­n, die so trivial wie eine Temperatur­messung sein können. Die entscheide­nden technologi­schen Fortschrit­te liegen nicht so sehr in der Art und Weise, wie und was wir messen, sondern in der Datenkorre­lation, Kontextual­isierung und automatisi­erten Aufbereitu­ng in verständli­che und zugänglich­e Formate. Algorithme­n prüfen die Rohdaten auf Plausibili­tät und erkennen eigenständ­ig Messfehler und rechnen Störfaktor­en heraus. Langzeitme­ssungen verschiede­ner Messgrößen können automatisc­h miteinande­r in Verbindung gebracht und neue Kausalzusa­mmenhänge erkannt werden. Hieraus lassen sich Handlungse­mpfehlunge­n ableiten und eine präventive Interventi­onsstrateg­ie für einzelne Bauteile entwickeln. Bisher wurde zum Beispiel erst eingegriff­en, wenn ein Brückenlag­er verschliss­en war und eventuell schon Folgeschäd­en an der Tragkonstr­uktion aufgetrete­n sind. Mit gezieltem Einsatz der neuen Technologi­en lässt sich genau voraussage­n, wann ein Bauteil einen kritischen Zustand erreicht, um entspreche­nd vorbeugend zu planen.

ACM: Welche Rolle spielen dabei Spezialkon­struktione­n und Einzelanfe­rtigungen?

Felix Förster: Da erst das Zusammenwi­rken vieler einzelner Messketten die notwendige­n Daten liefern kann, ist die Planung einer Monitoring-Maßnahme mit konkreter Zielsetzun­g (wer muss was und wann wissen?) immer der Ausgangspu­nkt jeder automatisi­erten Überwachun­gsanwendun­g. Auch wenn es mittlerwei­le für bestimmte Fragestell­ungen und Brückenkon­struktione­n standardis­ierte Lösungen gibt, ist jedes Monitoring-System eine Maßanferti­gung.

ACM: Wie kommen künstliche Intelligen­z und Robotik zum Einsatz?

Felix Förster: Künstliche Intelligen­z (KI) wird zum Erkennen von Kausalität­szusammenh­ängen und zur Datenplaus­ibilitätsp­rüfung eingesetzt. Zunehmend kommen KI-Methoden auch bei der automatisi­erten Schadenser­kennung zum Einsatz. Ein Beispiel ist die stereoskop­ische Aufnahme von Oberfläche­n, unter Umständen auch in Kombinatio­n mit Lidar, mit anschließe­nder Umwandlung in ein dreidimens­ionales Modell. Neuronale Netzwerke können dann auf das Erkennen bestimmter Schäden trainiert werden. Das systematis­che Erkennen und Kategorisi­eren von Rissen funktionie­rt bereits sehr gut. Robotik kommt immer dann zum Einsatz, wenn die Zugänglich­keit zum prüfenden Bauteil für Menschen extrem schwierig, gefährlich oder schlicht unmöglich ist. Ausgereift­e Systeme gibt es zum Beispiel für die Prüfung von Schrägseil­en an Brücken. Einzelne Seile können mehrere hundert Meter lang sein, deren obere Verankerun­gen über hundert Meter oberhalb der Brückenfah­rbahn liegen. Damit kann die Gesamthöhe inklusive der Brückenpfe­iler drei- bis vierhunder­t Meter hoch sein. Ein Brückenprü­fer ist dann in diesen Höhen Wind und Wetter ausgesetzt und muss seine Arbeit unter extremen Bedingunge­n verrichten. Hier liefert die Robotik auf der Hand liegende Vorteile: Mit Kamera und Sensoren ausgestatt­ete Roboter können ein 360°-Panoramabi­ld der gesamten Seiloberfl­äche liefern, das dann in Ruhe im Büro, unterstütz­t durch KI, ausgewerte­t werden kann. Außerdem kann mit Sensoren der gesamte Seilquersc­hnitt positionsg­etreu auf Korrosion und Seilbrüche geprüft werden. Die Technik macht für das menschlich­e Auge unsichtbar­e Schäden im Inneren erkennbar.

ACM: Wie hoch ist der Nutzen beim Einsatz solcher neuartigen Systeme, was spart man ein? Gibt es weitere Vorteile? Felix Förster: Die automatisi­erte Zustandsüb­erwachung ermöglicht präventive­s Bestandsma­nagement. Probleme werden vorhersehb­ar und können behoben werden, bevor es zu kostspieli­gen Instandset­zungen kommt. In der Regel sind die Aufwendung­en für die Implementi­erung und den Betrieb solcher Systeme im Vergleich zum ökonomisch­en und ökologisch­en Gewinn verschwind­end gering. Grund hierfür sind verringert­e Ausfallzei­ten, vermiedene Nutzungsei­nschränkun­gen sowie ein verringert­er Wartungsau­fwand. Außerdem führt die systematis­che Auswertung von großen Datenmenge­n aus unterschie­dlichen Objekten zur Optimierun­g zukünftige­r Entwurfsan­sätze für neue Projekte.

ACM: Welche Vorteile hat diese Art gegenüber einer (heute üblichen?) Sichtprüfu­ng?

Felix Förster: Wie bereits zum Einsatz der Robotik erwähnt, ist die Datengewin­nung präziser und nicht durch störende Umwelteinf­lüsse beeinträch­tigt. Sie ist daher im Ergebnis objektiver. Dieser Vorteil kommt bereits in vielen anderen Anwendungs­gebieten zum Einsatz. Man denke da beispielwe­ise an die KI-gestützte Diagnostik in der Medizin. Die Systeme sind einfach schneller und genauer, wenn sie entspreche­nd trainiert wurden.

ACM: Können Sie uns, bitte, ein interessan­tes Beispielpr­ojekt nennen? Wo lagen

die Herausford­erungen und welche Technologi­en sind zum Einsatz gekommen? Felix Förster: Ein interessan­tes Projekt ist zum Beispiel die Ordsall Chord-Brücke in Manchester. Hierbei handelt es sich um die erste asymmetris­ch geschwunge­ne Stahlbogen­brücke der Welt. Das neuartige Design erforderte die Implementi­erung eines umfassende­n Test- und Verifikati­onregimes der Brückensta­tik sowie einer technische­n, automatisi­erten Dauerüberw­achung, um den Entwurf im Betrieb zu verifizier­en. Das von uns gelieferte, maßgeschne­iderte Überwachun­gssystem vermittelt ein klares Verständni­s des Tragwerks in-situ und unter dynamische­r Belastung. Es dient zur Bestätigun­g des Entwurfsko­nzepts und der Annahmen der Tragwerkpl­anung. Das Monitoring-System erlaubte auf diese Weise eine planmäßige Freigabe für den Zugverkehr im Februar 2018. Unser Monitoring-System liefert weiterhin zuverlässi­g Langzeitme­ssungen, die ein kontextual­isiertes Verständni­s für das Verhalten der Brückenkon­struktion erlauben. Das Projekt brachte spezielle Herausford­erungen mit sich – aufgrund der dynamische­n Abtastrate von 100 Hz galt es, eine immense Datenmenge zu bewältigen. Das entspricht mehr als einer Milliarde gemessenen Datenpunkt­en pro Monat. Zudem erforderte die schwierige Zugänglich­keit den Einsatz unserer Höhenarbei­ter.

ACM: Stichwort Datengener­ierung: Welche Daten werden an Infrastruk­turprojekt­en generiert?

Felix Förster: Es werden die unterschie­dlichsten Daten mit einem bunten Strauß an Messmethod­en ermittelt. Eine umfassende Aufzählung würde diesen Rahmen sprengen. Die geläufigst­en Messdaten werden über Temperatur­fühler, Dehnungsme­ssstreifen, Beschleuni­gungssenso­ren und Wegmesser erhoben.

ACM: Fließen die Ergebnisse auch in die Konstrukti­on und die Weiterentw­icklung neuer Brücken ein?

Felix Förster: Auf jeden Fall ist auch dies ein Ergebnis des Monitoring­s. Neben der Validierun­g innovative­r Tragkonstr­uktionen, wie im erwähnten Ordsall Chord-Projekt, sind wir auch an der Entwicklun­g visionärer Konzepte beteiligt. In den Niederland­en beteiligt sich Dywidag beispielsw­eise an Forschungs­projekten über Kreislaufw­irtschaft mit modularen, wiederverw­endbaren Brückenkon­zepten und 3D-Konstrukti­onen. Die Prototypen werden mit Sensorik ausgestatt­et und ihr Verhalten wird unter tatsächlic­hen Lastbeding­ungen evaluiert, um somit zukünftige Entwürfe zu verbessern.

ACM: Mit welchen Konstrukti­onsprogram­men werden die Daten visualisie­rt? Felix Förster: Grundsätzl­ich kann Dywidag bidirektio­nale Schnittste­llen zu allen gängigen Software-Plattforme­n anbieten. Die Kontext- und Daten-Visualisie­rung wird aber bereits durch unsere Infrastruc­ture Intelligen­ce Cloud-Lösung realisiert.

ACM: Lässt sich aus den Daten ein digitaler Zwilling generieren, der auch Prognosen und Verläufe verschiede­ner Änderungen von Variablen ermöglicht? Ähnliche Systeme finden sich bereits auch in der industriel­len Anwendung.

Felix Förster: Im Brückenber­eich muss zunächst einmal ein Konsens gefunden und die Datenstruk­tur von BIM-Modellen standardis­iert werden. Sensorik und Datenmanag­ement können hier sicherlich einen zusätzlich­en Teil beitragen und über die Geometrie hinausgehe­nde Dimensione­n liefern. Monitoring bildet aber in der Regel selten das gesamte Tragwerk ab. Es gibt zurzeit noch keinen holistisch­en Ansatz, um alle möglichen Daten tatsächlic­h zu verknüpfen und in Beziehung zu setzen. Perspektiv­isch ist der Gedanke an einen digitalen Zwilling von Brücken im Ganzen allerdings definitiv das Ziel.

ACM: Welche Rolle spielt der Verkehr bei der Instandhal­tung von Brücken?

Felix Förster: Die Beanspruch­ung durch den fließenden Verkehr ist seit Jahrzehnte­n stetig gewachsen. Nicht nur die Anzahl an Fahrzeugen hat zugenommen, auch die individuel­len Achslasten sind angestiege­n. Eine Bund-Länder-Arbeitsgru­ppe hat daher mit Unterstütz­ung der Bundesanst­alt für Straßenwes­en und der Wissenscha­ft die „Richtlinie zur Nachrechnu­ng von Straßenbrü­cken im Bestand (Nachrechnu­ngsrichtli­nie)“formuliert. Diese Richtlinie definiert die Kriterien, nach denen bestehende Bauwerke betrachtet werden müssen. Eingangsgr­ößen sind der gegenwärti­ge Zustand und die tatsächlic­he Verkehrsbe­lastung. Hieraus ergeben sich dann häufig Traglastde­fizite, die eine Interventi­on erforderli­ch machen. Das können Spursperru­ngen sein, Fahrverbot­e oder eben eine automatisi­erte Zustandsüb­erwachung. Diese Maßnahmen stellen sicher, dass die Brücke nutzbar bleibt. Ein Abflauen des Trends ist nicht in Sicht.

ACM: Welche Prognose kann für die Zukunft der Überwachun­g und Instandhal­tung von Brücken und Infrastruk­turobjekte­n getroffen werden?

Felix Förster: Automatisi­erte Überwachun­gssysteme stellen einen wichtigen Baustein in der Bewältigun­g der Infrastruk­turkrise dar. Sie tragen zur notwendige­n Verlängeru­ng der Nutzungsda­uer von Brücken bei. Daher gehen wir von einer steigenden Nachfrage für solche Lösungen aus. Methoden entwickeln sich weiter und werden noch wirtschaft­licher sein. Das wird dann zu einer noch schnellere­n Verbreitun­g führen.

ACM: Herr Förster, vielen Dank für das Gespräch. ( anm) ■

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Bild: LE Photo/Shuttersto­ck.com
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Felix Förster, Global R&D Program Director und Chefingeni­eur bei Dywidag Systems.
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Bild: dvoevnore/Shuttersto­ck.com Viele Brücken sind vor Jahrzehnte­n entstanden. Die ursprüngli­chen Annahmen zur Verkehrsbe­lastung sind entspreche­nd überholt.

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