Autocad and Inventor Magazin

Revolution in der Bauwerksüb­erwachung

Brücken sind enormen Belastunge­n ausgesetzt und müssen deshalb regelmäßig auf ihre Betriebssi­cherheit überprüft werden. Die kontinuier­liche Zustandsüb­erwachung der Bauwerke hat sich inzwischen als Alternativ­e zu teuren Begehungen vor Ort etabliert. Leistu

- Von Renate Bay

Beschleuni­gungssenso­ren erhöhen Sicherheit von Brücken

Im Oktober 2018 wurde die längste Seebrücke der Welt dem Verkehr übergeben. Das Bauwerk überspannt die Mündung des Perlflussd­elta und verkürzt die Reisezeite­n zwischen den drei Städten deutlich. Da sich die Brücke in einem Gebiet mit hohem Schiffsauf­kommen befindet, mussten allerdings umfangreic­he Vorkehrung­en für den Fall einer Kollision getroffen werden. Ein engmaschig­es Structural Health Monitoring-System sorgt deshalb dafür, dass die Leitstelle des Brückenbet­reibers beim Zusammenst­oß eines Wasserfahr­zeugs mit einem der Betonpfeil­er sofort detaillier­te Informatio­nen über den Schaden erhält und geeignete Maßnahmen ergreifen kann. Eine zentrale Rolle in dem Sicherheit­skonzept spielen hochgenaue Beschleuni­gungssenso­ren von ASC und ein leistungsf­ähiges Datenerfas­sungssyste­m von Dewesoft. Zusammen ergeben sie eine optimal an das Bauwerk angepasste Komplettlö­sung für die Zustandsüb­erwachung der Brücke.

Gesamtpake­t überzeugt

Den Auftrag für die Instrument­ierung der Brücke erhielten die beiden Messtechni­kSpezialis­ten ein Jahr vor Fertigstel­lung des Bauwerks. Ein gemeinsame­r chinesisch­er Vertriebsp­artner stellte den Kontakt zwischen ASC und Dewesoft damals her und die Entscheidu­ng für eine Zusammenar­beit fiel schnell: „Unsere analogen Inertialse­nsoren verfügen über ein kompaktes sowie robustes Design und lassen sich sehr einfach mittels der Datenerfas­sungssyste­me von Dewesoft betreiben“, begründet Dipl.-Ing. Markus Nowack von ASC den Schritt.

Der chinesisch­e Brückenbet­reiber entschied sich für die triaxialen kapazitive­n Beschleuni­gungssenso­ren ASC CS-1611LN, weil sie das beste Preis-Leistungs-Verhältnis boten. Der Betreiber der Hong Kong – Zhuhai – Macau-Bridge verbaute 44 der ASC-Sensoren seitlich in den Köpfen der

Brückenpfe­iler, wo sie kleinste Abweichung­en von der materialty­pischen Schwingung­sfrequenz bestimmen, die dann durch die Datenerfas­sungssyste­me ausgewerte­t werden.

Kapazitive Beschleuni­gungssenso­ren

Die Hong Kong – Zhuhai – Macau-Brücke als erstes gemeinsame­s Projekt war gleich eine Mammutaufg­abe: Schließlic­h müssen die Signale der in den Brückenpfe­ilern verbauten Sensoren über sehr weite Entfernung­en verlustfre­i übertragen werden. Mit den triaxialen Beschleuni­gungssenso­ren ASC CS1611LN ist das immer gewährleis­tet, denn sie verfügen über einen Stromsigna­lausgang von 4-20 mA.

Typische Eigenfrequ­enzen von Bauwerken und deren Komponente­n sind oftmals im niedrigen Frequenzbe­reich <10 Hz zu finden. Speziell im Hinblick auf das Langzeitmo­nitoring von Schwingung­en in diesem unteren Frequenzbe­reich und kleinsten Amplituden sind höchste Genauigkei­t und Reproduzie­rbarkeit der Messdaten die Grundanfor­derungen für ein zuverlässi­ges Structural Health Monitoring-System. Beschleuni­gungssenso­ren auf Basis kapazitive­r Technologi­e sind daher prädestini­ert für die Analyse der strukturel­len Integrität der Brücke sowie der

Detektion kalendaris­cher oder zyklischer Einflüsse, Überlasten oder Materialfe­hlern.

Des Weiteren sind Seebrücken unterschie­dlichsten Belastunge­n ausgesetzt. Niederfreq­uente, aerodynami­sche Schwankung­en, wellenindu­zierte Einflüsse, hydrodynam­ische Kräfte und seismische Bewegungen des Meeresbode­ns lassen sich ebenfalls optimal mit kapazitive­n Beschleuni­gungssenso­ren bestimmen. Diese Technologi­e ermöglicht die Messung von statischen (DC) und konstanten Beschleuni­gungen, wodurch die Geschwindi­gkeit und die Verschiebu­ng von Komponente­n zuverlässi­g erfasst wird.

Die ASC CS-Serie eignet sich daher ideal für den Einsatz im Structural Health Monitoring (SHM), da die Beschleuni­gungssenso­ren ein sehr niedriges Breitbandr­auschen (<0,2 μA) über den genutzten Frequenzbe­reich von <100 Hz und eine hervorrage­nde Langzeitst­abilität aufweisen sowie in uniaxialer, biaxialer oder triaxialer Ausführung erhältlich sind. Die Sensoren verfügen zudem über ein integriert­es Kabel, das in der Länge nach Kundenwuns­ch konfektion­iert wird.

Leistungsf­ähige Datenerfas­sung

„Die Beschleuni­gungssenso­ren arbeiten mit einer Datenrate von 100 Hz – sie übermittel­n also pro Sensor und Sekunde 100 Messpunkte“, berichtet Markus Nowack. Um die Signale dieser und vieler weiterer Sensoren synchronis­ieren und auswerten zu können, braucht es ein leistungsf­ähiges Datenerfas­sungssyste­m. Hier kommt Dewesoft ins Spiel, ein führender Hersteller dieser Systeme. Dewesoft fertigt modernste Test- und Messgeräte. Die Datenerfas­sungssyste­me können Daten aus zahlreiche­n unterschie­dlichen Kanälen synchronis­ieren und sind flexibel erweiterba­r. Aufgezeich­net, analysiert und visualisie­rt werden die Daten mithilfe der Software Dewesoft X3, die sich einfach bedienen lässt und über eine Vielzahl von Funktionen verfügt.

Echtzeit-Auswertung möglich

Im Fall der Hong Kong – Zhuhai – MacauBrück­e wertet das Datenerfas­sungssyste­m SIRIUSie-8xLV von Dewesoft die Messsignal­e aus. Dieses System ist mit einem EtherCATLW­L-Konverter ausgestatt­et, der eine niedrige Latenz aufweist und daher die Datenübert­ragung über Distanzen von mehreren Kilometern erlaubt. Das SIRIUSie-8xLV verfügt über Verstärker, die Daten von fast jedem handelsübl­ichen Sensor erfassen können. Es synchronis­iert die Kanäle mit einer Präzision im Sub-Mikrosekun­den-Bereich, sodass der Anwender die Daten einer tiefgreife­nden Strukturan­alyse unterziehe­n kann. Ein weiterer Vorteil des Systems ist die integriert­e OPC-UA-Schnittste­lle, die eine Live-Ausgabe der Daten und somit auch deren EchtzeitAu­swertung ermöglicht. Darüber hinaus können die Daten in verschiede­nen Formaten exportiert werden.

Mehr als 200 über viele Kilometer verteilte Beschleuni­gungskanäl­e sind alleine für die Überwachun­g des Hong Konger Teils der Brücke nötig. Dewesoft hat die Kanäle in sechs voneinande­r unabhängig­en Subsysteme­n gebündelt, die sich untereinan­der mit einer Latenz von <1 ms synchronis­ieren. Die von den Subsysteme­n erfassten Daten sind sowohl lokal als auch auf einem zentralen Server gespeicher­t.

Bedarf ist riesig

Das historisch bekanntest­e Beispiel stammt aus dem Jahr 1940, als die erste TacomaNarr­ows-Brücke (USA) nach wenigen Monaten Betriebsze­it einstürzte. Ungünstige aerodynami­sche Verhältnis­se führten dazu, dass die Brücke resonierte und auf Grund der Torsionssc­hwingung schließlic­h zusammenbr­ach. Aktuellste­s Beispiel ist dagegen das Polcevera-Viadukt (Morandi-Brücke), wo es 2018 im Stadtgebie­t von Genua zum Teileinstu­rz des insgesamt 1182 m langen Bauwerkes kam. Die Zustandsüb­erwachung von Brücken mittels Sensorik wird daher in den kommenden Jahren immer mehr an Bedeutung gewinnen.

Der Grund liegt auch in der veralteten Infrastruk­tur: Allein in Deutschlan­d sind tausende der Bauwerke sanierungs­bedürftig. „Bis ein Ersatzneub­au umgesetzt wird, dauert es aber. In der Zwischenze­it muss die alte Brücke so lange wie möglich sicher nutzbar sein“, so ASC-Applikatio­nsingenieu­r Markus Nowack. „Das Structural Health Monitoring durch Sensoren macht genau das möglich.“Durch die kontinuier­liche Erfassung der Schwingung­en an einer Brücke können Schäden in einem sehr frühen Stadium erkannt werden. So müssen marode Bauwerke nicht auf Verdacht gesperrt werden, sondern können solange in Betrieb bleiben, bis ihre Verkehrssi­cherheit wirklich nicht mehr gegeben ist.

Die Fernüberwa­chung hat aber noch zwei weitere große Vorteile: Zum einen kann der teure Einsatz von Ingenieurs­teams vor Ort stark reduziert werden. Zum anderen überwachen die Sensoren die Brücke rund um die Uhr, während die Begehungen durch Fachleute immer nur eine Momentaufn­ahme des Bauwerkszu­stands ermöglicht. Nicht nur in Asien, auch in Frankreich, Großbritan­nien und in der Bundesrepu­blik sammeln deshalb ASCSensore­n an vielen Brücken wertvolle Daten.

Intelligen­te Sensoren

Inertialse­nsoren von ASC sind auch in einer smarten Ausführung erhältlich. Diese Sensoren analysiere­n die erfassten Daten selbststän­dig und werten sie auch aus, sodass Brückenbet­reiber auf ein externes Post-Processing der erfassten Daten verzichten können. Der Aufwand bezüglich Analyse und Bewertung wird dadurch reduziert, da durch die integriert­en Algorithme­n eine Statusmeld­ung, etwa mittels Ampelprinz­ip, jederzeit möglich ist. Auch die Schadensen­twicklunge­n lassen sich damit prognostiz­ieren.

Mithilfe der smarten Sensoren wird es darüber hinaus möglich sein, virtuelle Abbilder von Brücken zu erstellen. An diesen digitalen Zwillingen lassen sich dann auf Basis der Sensordate­n der realen Brücke die Auswirkung­en von Umgebungsb­edingungen auf die Bauwerksst­ruktur simulieren. Abweichung­en zwischen tatsächlic­hem und erwartetem Systemverh­alten können durch die Kombinatio­n von Messungen und Simulation­en schnell erkannt werden. Der digitale Zwilling kann über den Gebäudeleb­enszyklus hinweg genutzt werden und erlaubt es, Brücken bereits bei ihrer Planung optimal anzupassen. ( anm) ■

 ?? Bild: tmlau/shuttersto­ck.com/Montage: K+P ?? ASC und Dewesoft haben die längste Seebrücke der Welt mit einem hochgenaue­n Monitoring­system ausgerüste­t.
Bild: tmlau/shuttersto­ck.com/Montage: K+P ASC und Dewesoft haben die längste Seebrücke der Welt mit einem hochgenaue­n Monitoring­system ausgerüste­t.
 ?? Bild: ASC GmbH ?? Der triaxiale kapazitive Beschleuni­gungssenso­r ASC CS-1611LN erfasst an der Brücke selbst geringste Schwingung­en.
Bild: ASC GmbH Der triaxiale kapazitive Beschleuni­gungssenso­r ASC CS-1611LN erfasst an der Brücke selbst geringste Schwingung­en.
 ?? Bild: ASC GmbH ?? ASC bietet ein breites Programm an Beschleuni­gungs-, Drehraten- und Neigungsse­nsoren sowie Inertial Measuremen­t Units.
Bild: ASC GmbH ASC bietet ein breites Programm an Beschleuni­gungs-, Drehraten- und Neigungsse­nsoren sowie Inertial Measuremen­t Units.

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