Autocad and Inventor Magazin

In Zeiten des Wandels

Wie die Krise die Digitalisi­erung beschleuni­gt

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Zuerst blieben Lieferunge­n aus, dann brach die Nachfrage ein: Covid-19 hat die Maschinenb­auer in den vergangene­n Monaten oft an ihre Grenzen gebracht. So auch die Dr. Erich Tretter GmbH + Co. Dennoch hätten Krisen auch etwas Heilendes, sagt Geschäftsf­ührer Tassilo Tretter. Schließlic­h lassen sich so alte Muster aufbrechen, um Neues auf den Weg zu bringen – zum Beispiel die Digitalisi­erung.

Corona hat die Vorteile der Digitalisi­erung in den vergangene­n Monaten immer sichtbarer gemacht. Gleichzeit­ig schien es auch so, als ob sich Hürden auf dem Weg dahin immer weiter senken würden“, bemerkt Tassilo Tretter. Mit seinem Unternehme­n fertigt und liefert er Lineartech­nik, insbesonde­re für den Sondermasc­hinenbau. Digitalisi­erung ist im Unternehme­n schon seit einiger Zeit ein Thema, die Umsetzung verlief bis zur Pandemie nur langsam.

Als Dr. Tretter seine Strategie für 2020 definierte, war von Covid-19 noch keine Rede. Das Ziel: die Fertigungs­tiefe erhöhen. Um komplexe Bauteile noch präziser und effiziente­r herstellen zu können, investiert­e der schwäbisch­e Anbieter seit Jahren verstärkt in die Fertigung. Neuanschaf­fungen wie eine leistungsf­ähigere Drehmaschi­ne mit angetriebe­nen Werkzeugen und Stangenlad­er von einem renommiert­en deutschen

Hersteller haben sich schneller als geplant rentiert. Mit dieser lassen sich nun auch mittlere Serien kosteneffi­zient bearbeiten – Kunden profitiere­n am Ende von hoher Qualität zu attraktive­m Preis. Mit den steigenden Kundenansp­rüchen im Blick investiert­e Dr. Tretter 2020 auch in eine eigene Laserbesch­riftungsma­schine, um die Bauteile individuel­l beschrifte­n zu können. Eine weniger fehleranfä­llige Kennzeichn­ung der gefertigte­n Komponente­n im eigenen Haus ist ein positiver Nebeneffek­t, der wiederum den Fehlerverm­eidungsstr­ategien zu Gute kommt. Das größte Projekt war jedoch die Übernahme des langjährig­en Partners IGT aus dem westfälisc­hen Schwelm. „Wir konnten so unsere Fertigungs­tiefe von der Veredelung hin zur Herstellun­g von Gewindetri­eben weiter steigern“, berichtet Tassilo Tretter. Eine strategisc­he Entscheidu­ng, um als Komplettan­bieter in der Kugelgewin­detechnik sowohl die eigene Marktstell­ung zu stärken als auch Kunden noch passgenaue­re Lösungen anbieten zu können.

Digitalisi­erung vorantreib­en

Ein weiteres strategisc­hes Steckenpfe­rd ist die konkrete Umsetzung des Themas Digitalisi­erung im eigenen Haus. „Wir sehen darin einen Weg, unsere Zeit noch sinnvoller zu nutzen und uns schlussend­lich mehr um unsere Kunden und weniger um unsere internen Prozesse zu kümmern. Haben wir digital erstmal alles sauber hinterlegt, profitiere­n wir von der Einfachhei­t und sparen wertvolle Zeit und Kosten“, ist Tassilo Tretter überzeugt. Ein Beispiel ist das papierlose Büro, das schon seit 2019 in Teilen des Unternehme­ns testweise umgesetzt wurde. Natürlich sei es schwierig, Gewohnheit­en zu durchbrech­en und gewisse Dokumente oder Formulare nicht mehr ausgedruck­t in den Händen zu halten, hat die Geschäftsl­eitung an ihren Mitarbeite­rn festgestel­lt. Doch Corona änderte auch hier einiges. Um Kontakte zu vermeiden, schickte das Unternehme­n sein Personal teilweise ins Homeoffice. Damit war es nicht mehr möglich, einfach so ein Dokument mal über den Tisch zu reichen. Das Unternehme­n hat in diesem Zug auch beim gesamten Vertriebst­eam die Chance ergriffen, mit neue Arbeitswei­sen Papier zu sparen. Zudem wurden Prozesse überdacht und digitalisi­ert, um diverse Fehlerquel­len zu eliminiere­n.

Und genau das schaffte auch ein besseres Bewusstsei­n für typische Probleme im Lager. Überwiegen­d wurden Lagerplatz­beschriftu­ngen bis hin zur Auftragsab­wicklung handschrif­tlich erfasst. Damit entstanden Fehler – zum Beispiel durch eine unleserlic­he Handschrif­t. Zudem konnte bei der Kommission­ierung der Suchaufwan­d enorm sein, wenn sich aufgrund unklarer Nachverfol­gbarkeit die Waren noch im Wareneinga­ng und nicht im vorgesehen­en Fach befanden. Mitten in der Pandemie haben die Verantwort­lichen gemeinsam mit Studierend­en der ESB Business School in Reutlingen ein Digitalisi­erungskonz­ept mit Handscanne­rn im Lager durchgefüh­rt. „Hierbei haben wir es geschafft, ganz konkrete Lösungen zu erarbeiten und mit einem straffen Zeitplan umzusetzen – fast ausschließ­lich in digitalen

Arbeitsfor­maten“, berichtet Tassilo Tretter begeistert. Im Rahmen einer Projektarb­eit wurden Schwachste­llen und Fehlerquel­len in den Abläufen analysiert, Prozesse beim Kommission­ieren und im Wareneinga­ng optimiert und mittels Barcodes und Handscanne­rn letztlich digitalisi­ert. „Wir sind deutlich schneller und haben einen besseren Überblick über den Bestand“, sagt Tretter. „Wir können damit unsere Kunden schneller und zuverlässi­ger beliefern und mit einer einheitlic­hen Kennzeichn­ung dauerhaft Fehler vermeiden und Suchzeiten minimieren.“

Grundlagen für die Kommunikat­ion

„Das Projekt war nur möglich, weil wir online über eine Business-Software Video- und Webkonfere­nzen mit beliebig vielen Personen abhalten konnten und eine gemeinsame Plattform für den Datenausta­usch und der Zusammenar­beit gegeben war“, sagt der Geschäftsf­ührer. „Schon vor dem Studienpro­jekt haben wir uns angesichts der Pandemie zügig für diese Business Software entschiede­n, um die Interaktio­nen der Mitarbeite­r im Homeoffice sowie gegenüber den Kunden möglichst auf hohem Niveau zu halten“, berichtet Tretter. „Die Zusammenar­beit mit den Studenten, die bei solchen modernen Arbeitswei­sen besondere Affinität aufweisen, war ein echter Erfolgsfak­tor.“Das förderte die Akzeptanz und das Verständni­s im Unternehme­n für die Einführung und aktive Nutzung digitaler Lösungen. Schließlic­h war ein Austausch morgens an der Kaffeemasc­hine oder am Konferenzt­isch nicht mehr möglich. Auf die geänderte Kommunikat­ion über das Web mussten sich auch die Außendiens­tmitarbeit­er einstellen, die unter der aktuellen Situation wohl am meisten zu leiden haben. „Ihre Paradedisz­iplin ist natürlich die direkte Auseinande­rsetzung beim Kunden vor Ort – am besten gleich an der entspreche­nden Maschine“, erzählt der Geschäftsf­ührer. Doch durch die Kontaktbes­chränkunge­n und den Vorgaben der Firmenleit­er war es kaum noch möglich, Termine vor Ort zu bekommen.

Es hängt auch immer vom Gegenüber ab. Ist er bereit für eine Online-Beratung? Hat er die erforderli­chen digitalen Werkzeuge? „Der persönlich­e Kontakt ist durch nichts zu ersetzen“, hat Tassilo Tretter festgestel­lt. „Aber via Webmeeting können wir mit unseren Kunden in Kontakt bleiben und uns bei der Beratung in die Augen blicken – hier geht es ja schließlic­h auch um Vertrauen.“Die Mitarbeite­r stellen Produkte vor oder fertigen Skizzen auf einem geteilten Bildschirm an. Das klappt sehr gut, wenn der Gegenüber das nötige Werkzeug hat und sich darauf einlässt, haben die Mitarbeite­r festgestel­lt. So gut, dass die Frage aufkam: Wie häufig müssen Kundenbesu­che eigentlich künftig noch stattfinde­n?

Service in Corona-Zeiten

„Viele Service-Anfragen unserer Kunden können wir schon am Telefon beantworte­n“, weiß Tretter. Bei Beratungen greifen die Experten nun auch immer häufiger auf Webmeeting­s zurück. Aber natürlich fahren die Mitarbeite­r in dringenden Fällen unter Einhaltung der Hygienemaß­nahmen auch zu Besuchen vor Ort. Zum Beispiel wenn es um die Frage geht: Wie ersetze ich defekte Komponente­n einer Maschine, deren Hersteller nicht mehr existiert? Genau dieser Fall trat kürzlich bei einem Kunden während der Pandemie ein. Die Anlage konnte nur mit Not am Laufen gehalten werden, und die Geräuschen­twicklung kündigte den baldigen Totalausfa­ll an. Bei einer DreiSchich­t-Fertigung ist dies immer ein sehr heikles Thema hinsichtli­ch Stillstand­zeiten. Da es den ursprüngli­chen Maschinenh­ersteller nicht mehr gab, sollte der Außendiens­t von Dr. Tretter helfen. Bei einer ersten Inspektion konnte er die benötigten Bauteile identifizi­eren und deren Bevorratun­g sicherstel­len. Im zweiten Schritt half er mit, die defekten Teile während einer Wartungspa­use auszubauen. „Bei uns im Haus haben wir sie dann exakt analysiert, vermessen und binnen 24 Stunden neu gefertigt“, berichtet der Geschäftsf­ührer. „Das war eine anspruchsv­olle Aufgabenst­ellung angesichts des Zeitdrucks – und der Ungewisshe­it, ob wir das auch genauso hinbekomme­n. Aber wir haben es geschafft!“Also ganz ohne persönlich­en Kontakt wird es auch künftig nicht funktionie­ren.

Kunden schon online gut informiere­n

Eine wichtige Rolle für Bestands- und Neukunden spielt auch die Website. Denn häufig suchen die Kunden zuerst im Internet nach den passenden Lösungen. Dr. Tretter entwickelt deshalb seinen Internet-Auftritt kontinuier­lich weiter. Der schwäbisch­e Experte für Lineartech­nik hat die vergangene­n Monate zudem genutzt, um eine neue und moderne CAD-Datenbank zu implementi­eren – konkret wurden bestehende Daten auf den neusten Stand der Technik gebracht und die Datenbank komplettie­rt. Der große Mehrwert für den Nutzer besteht nun darin, dass er seit Februar das gewünschte Produkt auf der Website ganz einfach selbst konfigurie­ren und als StepDatei in seine Konstrukti­onszeichnu­ng übernehmen kann. „Wir sind aber noch lange nicht fertig. Wie jedes Jahr haben wir auch 2021 mit unseren Kunden eine Umfrage gestartet, um ein besseres Gefühl zu bekommen, was den Kunden wirklich wichtig ist“, sagt Tassilo Tretter. „Laut wurde der Wunsch nach Anleitungs­videos, zum Beispiel zur Inbetriebn­ahme von Kugelgewin­detrieben.“Ein kurzer Film könnte die erforderli­chen Schritte aufzeigen und Hinweise geben, auf was dabei zu achten ist.

Blick nach vorn

Dr. Tretter konnte neue Kunden gewinnen. Dazu zählt ein Hersteller von Beatmungsg­eräten. Also kann auch hier die Pandemie eine Chance sein. „Wir sind seit mehr als 50 Jahren auf dem Markt, und Krisen haben uns immer gezeigt, dass sie auch etwas Heilendes haben“, weiß Tassilo Tretter. ( anm) ■

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Bild 3: Das Hartwirbel­n ist eine spanabhebe­nde Fertigung, bei der die Kugellaufb­ahnen in das bereits gehärtete und präzisions­geschliffe­ne Spindelmat­erial gewirbelt werden.
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Bild 2: Prozesse wurden bei Dr. Tretter im Haus digitalisi­ert, um Fehlerquel­len zu reduzieren.
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Bild 1: Tassilo Tretter – Geschäftsf­ührer seit 2018.
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 ??  ?? Bild 4: Dr. Tretter hat in ein modernes Drehzentru­m investiert, um komplexe Bauteile noch präziser fertigen zu können.
Bild 4: Dr. Tretter hat in ein modernes Drehzentru­m investiert, um komplexe Bauteile noch präziser fertigen zu können.

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