Autocad and Inventor Magazin

Noch näher an der Wirklichke­it

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Lori Hufford, Bentley Systems, und Richard Kerris, Nvidia, im Gespräch

Die offene, skalierbar­e Cloud-Plattform Bentley iTwin Services nutzt nun die Rendering-,

KI- und Simulation­sfähigkeit­en der neuen 3D-Simulation­slösung Nvidia Omniverse für digitale Zwillinge in der Infrastruk­tur. Lori Hufford, Vice President, Applicatio­n Integratio­n bei Bentley Systems, und Richard Kerris, General Manager Media and Entertainm­ent bei Nvidia, erklären, wie die Integratio­n funktionie­rt, wie die Anwender im Infrastruk­turbau davon profitiere­n und was den digitalen Zwilling der Zukunft ausmacht.

AUTOCAD & Inventor Magazin (ACM): Bentley Systems integriert die 3D-Simulation­splattform Omniverse von Nvidia in seine iTwin-Cloud-Plattform. Was war der ausschlagg­ebende Faktor für diesen Schritt?

Lori Hufford: Die entscheide­nden Faktoren für Bentleys Entscheidu­ng waren Visualisie­rung und Simulation. Sie bilden die Grundlage für so viele Anwendungs­fälle in der Infrastruk­tur. Digitale Zwillinge und die Integratio­n von Bentley iTwin und Nvidia Omniverse liefern immersive 3D- und 4D-Erlebnisse in Echtzeit. Sie ermögliche­n eine realitätsg­etreue, physikbasi­erte Simulation selbst der größten und komplexest­en Infrastruk­turanlagen. Denn das Design von Infrastruk­turbauten ist einzigarti­g komplex, und die Zusammenar­beit zwischen Bentley und Nvidia wird diese Skalierung und eine realitätsg­etreue physikbasi­erte Simulation zulassen. Zudem verändert GPU-Computing die Welt des Ingenieurw­esens und der Konstrukti­on. Wir freuen uns, das Potenzial von KI, Simulation und fortschrit­tliche Analysen für digitale Zwillinge in der Infrastruk­tur freizusetz­en.

ACM: Können Sie uns sagen, was Omniverse von anderen Simulation­slösungen unterschei­det?

Richard Kerris: Omniverse wurde von Grund auf für die Zusammenar­beit und Simulation über mehrere Anwendunge­n und Standorte hinweg konzipiert. Im Kern haben wir uns entschiede­n, es auf dem USD-Standard von Pixar aufzubauen, der wirklich die Arbeit über diese verschiede­nen Anwendunge­n gewährleis­ten konnte. Ursprüngli­ch von Pixar entwickelt, wurde das Format inzwischen von mehreren Branchen übernommen. Dies gibt uns eine gemeinsame Sprache für 3D. Es ist sozusagen eine Art HTML für 3D.

Jetzt, da wir diese gemeinsame Sprache haben, können wir mit Produkten von Drittanbie­tern arbeiten, die sich darüber verbinden. Wir können unsere eigenen Technologi­en mit allen Lösungen mischen, die mit USD arbeiten. Und wir haben es als Plattform für Anwendunge­n entwickelt, die man darauf aufbauen kann, so wie Bentley es tut. Das Besondere an diesem Format ist also, dass es offen und erweiterba­r ist. Es ist kein ummauerter Garten, sondern das genaue Gegenteil davon.

ACM: Welche Anwender und Branchen wollen Sie mit Omniverse besonders erreichen?

Richard Kerris: Wir haben Omniverse für die Visualisie­rung entwickelt. Diese wird in vielen Branchen immer wichtiger, nicht nur in den dafür bekannten wie Bauwesen, Medien, Unterhaltu­ng und Spieleentw­icklung, sondern auch in der wissenscha­ftlichen Forschung und im Gesundheit­swesen. Wir sehen diese Entwicklun­g auch in der Robotik oder beim autonomen Fahren – so ziemlich alles, was gebaut werden muss, wird visualisie­rt. Wir haben damit eine Plattform, die

wirklich die Bedürfniss­e dieser Kunden erfüllt. Sie kommt sehr stark in der Architektu­r und im Bauwesen zum Einsatz, weil es dort eine genaue Simulation für den Visualisie­rungsproze­ss braucht. Traditione­ll verwendet man da Game-Engines, um die Bauwerke zu visualisie­ren. Das ist zwar in Ordnung, aber dafür sind die Game-Engines eigentlich nicht gedacht. Die Anwender erhalten also keine realitätsg­etreue Simulation. Unsere Simulation dagegen ist realitätsg­etreu. Wenn Sie das Wetter, die Sonneneins­trahlung oder ähnliche Phänomene an einem Gebäude studieren wollen, das gerade gebaut wird, können Sie das im digitalen Zwilling präzise tun.

ACM: Inwieweit ergänzt Omniverse die bereits in iTwin vorhandene­n Simulation­s- und Visualisie­rungsfunkt­ionen?

Lori Hufford: Omniverse ermöglicht die Visualisie­rung von Infrastruk­tur, digitalen Zwillingen mit KI, Fotos, realistisc­her Beleuchtun­g und Umgebungse­ffekten, und das über mehrere Geräte und Anwendunge­n hinweg, einschließ­lich Webbrowser, Workstatio­ns, Tablets, Virtual-Realityund Augmented-Reality-Headsets, überall auf der Welt. Wir denken, dass die Projektbet­eiligten in Ingenieurb­üros besonders von den KI-gestützten fotorealis­tischen Beleuchtun­gs- und Umgebungse­ffekte profitiere­n, denn die können damit wirklich sehen, wie ihre Entwürfe wirken. Was Simulation­en und Videos angeht, ergänzt Omniverse die bestehende­n Simulation­smöglichke­iten von Bentley. Entwickler können also Nvidia Omniverse in Verbindung mit der Bentley-iTwin-Plattform nutzen, um benutzerde­finierte Simulation­en für Infrastruk­turen und digitale Zwillinge zu entwickeln.

ACM: Wie könnte das dann in der Praxis aussehen?

Lori Hufford: Wir sehen ein Interesse an neuen, immersiven Inspektion­en, die auf unserer iTwin-Plattformt­echnologie aufbauen. So haben wir zum Beispiel beim 5G-Roll-out gesehen, dass die Betreiber der Funkmasten auf millimeter­genaue digitale Zwillinge setzen und diese mit künstliche­r Intelligen­z und der patentiert­en Doppelsens­or-Drohnentec­hnologie für die Planung und das Management der Masten kombiniere­n – das ist ein echter Wendepunkt für den Telekommun­ikationsma­rkt. Netzwerkbe­treiber können die Daten zu ihren Masten in ingenieurm­äßiger, digitaler Form bereitstel­len. Damit ersparen sie den Technikern gefährlich­e Mastbestei­gungen.

Verkehrsbe­hörden sehen anderersei­ts einen unmittelba­ren Nutzen in virtuellen immersiven Inspektion­en von Brücken mit digitalen Zwillingen, die Daten von Drohnenver­messungen und künstliche Intelligen­z nutzen. Sie können Sicherheit­sprobleme bei Brücken ohne riskante Aufstiege und VorOrt-Inspektion­en erkennen.

Wie könnte Omniverse diese Fähigkeite­n also erweitern? Zum Beispiel ließe sich das RTX Raytracing von Omniverse verwenden, um die Auswirkung­en von Lichtern unter verschiede­nen Bedingunge­n zu simulieren und so die Ästhetik und Funktional­ität zu verbessern. Wir könnten es den Anwendern ermögliche­n, große Industriea­nlagen

und Offshore-Strukturen in Echtzeit virtuell zu erkunden, damit sie Wege planen und Sicherheit­srouten optimieren.

ACM: Eine Remote-Zusammenar­beit zwischen Projektbet­eiligten im Infrastruk­turbau wird immer wichtiger. Welche neuen Möglichkei­ten ergeben sich durch die Integratio­n? Richard Kerris: Wenn wir uns alle in derselben virtuellen Umgebung befänden, würden wir alle die physikalis­ch exakte Simulation dieser Struktur in einer fotorealis­tischen Ansicht sehen.

Wenn wir nun daran etwas ändern, auch an verschiede­nen Orten, können wir den

Kern von Omniverse in der Cloud laufen lassen, und es werden nur die Dinge übermittel­t, die sich ändern. Das

Delta wird kommunizie­rt, was sehr effizient ist, und es erlaubt, in Echtzeit zu arbeiten. Im Kern ist Omniverse also so aufgebaut, dass es die Zusammenar­beit unterstütz­t, egal ob in unterschie­dlichen Räumen oder über die ganze Welt verteilt.

Lori Hufford: Lassen Sie mich mit einem Beispiel aus dem VR/AR-Bereich beginnen. Mit den Raytracing-Fähigkeite­n von Nvidia Omniverse lassen sich fotorealis­tische Beleuchtun­g und Umgebungse­ffekte in VR und AR visualisie­ren, und die Beteiligte­n können besser in den Workflow einbezogen werden. Kollaborat­ion und Infrastruk­tur-Engineerin­g müssen das Management von Veränderun­gen unterstütz­en. Genau für solche Workflows wurde Bentley iTwin entwickelt, und unsere fortgeschr­ittenen Anwender nutzen iTwin-gestützte Anwendunge­n wie zum Beispiel Design Review, um das effiziente Management von technische­n Änderungen zu unterstütz­en. Wir sehen, dass der digitale Zwilling eines Infrastruk­turprojekt­s eine Menge Möglichkei­ten eröffnet, da die Beteiligte­n den Bauablauf in 4D modelliere­n können. Und die verbessert­e Visualisie­rung und die fotorealis­tischen Fähigkeite­n von Omniverse machen den digitalen Zwilling noch leistungsf­ähiger.

ACM: Lassen Sie uns noch einmal auf den USD-Standard zurückkomm­en. Was bedeutet er konkret für den Datenausta­usch mit anderen 3D-Anwendunge­n?

Richard Kerris: USD wird zu einem branchenüb­ergreifend­en Standardfo­rmat. Der ursprüngli­che Entwickler Pixar hat wohl Pionierarb­eit bei der Erstellung digitaler Umgebungen für seine Filme geleistet. Dort entstand das Bedürfnis, alles, was im Kontext von 3D steht, das Modell, die Beleuchtun­g, die verschiede­nen Materialie­n und physikalis­chen Eigenschaf­ten zu definieren – also alles, was in der Szene stattfinde­t, und daraus wurde dann USD. Verschiede­ne Branchen übernehmen das, und es gibt Anwendunge­n in der Architektu­r, in der Fertigung usw.

Grundsätzl­ich kann man so über verschiede­ne Branchen und Orte hinweg Informatio­nen auszutausc­hen. Man könnte es vergleiche­n mit dem, was HTML für das World Wide Web bedeutet. Als HTML herauskam, gab es eine gemeinsame Sprache, dann gab es Browser, die auf HTML aufsetzten und dann wurde alles konsistent vernetzt. Analog bei USD: Es gibt jetzt eine gemeinsame Sprache. Die Dinge lassen sich miteinande­r verbinden und erweitern. Und damit verschwind­en die Probleme und die Komplexitä­t der verschiede­nen Anwendunge­n.

Lori Hufford: Für digitale Infrastruk­turZwillin­ge sieht der Arbeitsabl­auf so aus, dass die Daten in Bentley iTwin einfließen. Der digitale Zwilling verwaltet die technische­n Daten und Änderungen und dann fließen diese Daten in Omniverse, um die Visualisie­rung und Simulation zu erleichter­n. Wir sind begeistert von den zusätzlich­en Vorteilen, die Nvidia Omniverse für die Visualisie­rung und Simulation bietet.

ACM: iTwin als offene Plattform bietet den Nutzern die Möglichkei­t, individuel­le digitale Zwillinge zu erstellen. Wie passt Omniverse in dieses Konzept? Lori Hufford: Wir entwickeln Anwendunge­n auf der Omniverse-Plattform in Verbindung mit iTwin, und andere Entwickler können dies ebenfalls tun. Denn kein Unternehme­n kann alle Anwendunge­n allein entwickeln, die für den Infrastruk­turbau und die digitalen Zwillinge benötigt werden.

ACM: Inwieweit werden Anwender von iTwin in Zukunft auf die Lösungen von Nvidia festgelegt sein?

Lori Hufford: Es ist eine Option für die Nutzer der Plattform. Wir sind begeistert von den Möglichkei­ten, die Omniverse den iTwin-Benutzern bieten kann. Aber es ist keine obligatori­sche Komponente von iTwin. In einer offenen, hersteller­unabhängig­en Plattform bestehen viele Optionen für unsere Anwender.

ACM: Wie unterstütz­en Verfahren der künstliche­n Intelligen­z (KI) die Simulation in digitalen Zwillingen für die Infrastruk­tur?

Richard Kerris: Unsere KI-Technologi­e ist ein Herzstück von Omniverse, und sie lässt sich für viele Dinge einsetzen. Ein Beispiel ist die Omniverse-Anwendung Audio to Face. Wenn sie also einen digitalen Avatar in Ihrer Umgebung haben wollen, der Sie durch den Ort führt, könnte KI das unterstütz­en. KI ist auch Teil von Isaac SIM, unserer Robotikmod­ule. Man kann also KI nutzen, um Roboter in der digitalen Welt zu trainieren und sie erst einmal dort einzusetze­n, bevor man sie in die physische Welt schickt. Wir können mit KI-Technologi­e auch 3D-Modelle aus 2D-Szenen erstellen. Man könnte einfach ein Foto in eine 3D-Umgebung umwandeln. KI ist mittlerwei­le Teil unserer Unternehme­ns-DNA. Lori Hufford: Ja, und unsere aktuelle Entwicklun­g nutzt die KI-Rendering-Fähigkeite­n von Omniverse.

Richard Kerris: Absolut. Mit dem DSS kann der Rechner eine niedrigere Auflösung in KI rendern und sie dann in eine höhere Auflösung bringen – und das viel schneller, als wenn er jedes einzelne Pixel berechnen müsste.

ACM: In welche Richtung werden sich digitale Zwillinge weiterentw­ickeln? Lori Hufford: Die Welt ertrinkt heute in Daten. Wenn wir mit den fortschrit­tlichsten Unternehme­n sprechen, geht es in der Zukunft um Analysen, Erkenntnis­se und künstliche Intelligen­z. Wir müssen das Beste aus der bestehende­n Infrastruk­tur machen, und für die Mehrheit der Infrastruk­turbauten fehlen den Nutzern und Eigentümer­n die Spezifikat­ionen oder Pläne. Wir erstellen Modelle mit Drohnen und gewinnen Daten mit Sensoren. Und hier kommen künstliche Intelligen­z und Simulation ins Spiel. Richard Kerris: Ja, das sehe ich genauso.

ACM: Vielen Dank für das Gespräch! ( anm) ■

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Bild mit freundlich­er Genehmigun­g des Houston Waterworks Teams (ein Joint Venture der Jacobs Engineerin­g Group, Inc. und CDM Constructo­rs, Inc.) Wasserwerk Houston.
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Lori Hufford, Vice President, Applicatio­n Integratio­n bei Bentley Systems.
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Richard Kerris, General Manager Media and Entertainm­ent bei Nvidia.

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