Autocad and Inventor Magazin

Der industriel­le 3D-Druck wird erwachsen

Im Prototypin­g haben sich additive Verfahren schon längst etabliert, und auch für die Fertigung funktional­er Endprodukt­e kommen sie zunehmend zum Einsatz. Doch viele Unternehme­n, die entspreche­nde Lösungen in ihre Fertigungs­prozesse integriere­n wollen, be

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Additive Fertigung erfolgreic­h einführen: Experten im Gespräch

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Durch die Kombinatio­n additiver und konvention­eller Fertigung lassen sich viele Marktanfor­derungen heute besser lösen. Wird die additive Fertigung mittlerwei­le in existieren­de Fertigungs­umgebungen integriert, so wird sie häufig noch als ein gewisser Fremdkörpe­r wahrgenomm­en. Tatsächlic­h sollte diese Technologi­e jedoch gleichbere­chtigt, etwa mit zerspanend­en Verfahren, behandelt werden. Denn letztlich sind die Anforderun­gen für alle in einem solchen Umfeld integriert­en Verfahren dieselben: Für einen optimalen Teile- und Datenfluss müssen die richtigen Schnittste­llen und Daten definiert werden. Im Falle der additiven Fertigung gilt es, diese über MES / ERP Systeme an die weiteren Schritte der Bearbeitun­g bzw. Nachbearbe­itung anzubinden.

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Das werkzeuglo­se Verfahren der additiven Fertigung beschleuni­gt Produktent­wicklung und Prototypen­bau. Damit bleiben Unternehme­n wettbewerb­sfähig in einem zunehmend schneller getakteten Umfeld. Der industriel­le 3D-Druck verändert zudem die Art und Weise, wie konstruier­t wird. Denn im Gegensatz zur konvention­ellen Fertigung bietet sie vielmehr Freiheitsg­rade, weil die Konstrukti­on die Fertigung bestimmt, nicht umgekehrt. Mittels digitaler Zwillinge kann zudem die ganze additive Fertigung vorab simuliert werden. Das spart Ressourcen in puncto Zeit und Geld und sorgt im Ergebnis auch für ein qualitativ besseres Produkt in kürzerer Zeit.

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Wir haben an unserem Produktion­sstandort in Maisach eine digitalisi­erte Pilotfabri­k aufgebaut. Hier können wir Kunden exemplaris­ch veranschau­lichen, wie sie ihre AM-Fertigung Stück für Stück aufbauen und hochfahren. Es handelt sich dabei um eine Symbiose aus der digitalen und der realen Welt. Sie bildet damit eine Art der Fertigungs­umgebung ab, die auch bei den meisten Kunden zu finden ist. Das Modell lässt sich auf unterschie­dliche Standorte und angepasst an unterschie­dliche Gegebenhei­ten hochskalie­ren.

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Die additive Fertigung ist erwachsen geworden und bietet neben dem Prototypen­bau auch große und skalierbar­e Einsatzmög­lichkeiten in der Serienfert­igung. Die dafür benötigten Rahmenbedi­ngungen werden wir in den nächsten Jahren kontinuier­lich weiterentw­ickeln. Dazu gehört ein höherer Grad der Automatisi­erung. Hier arbeiten wir mit Partnern wie Grenzebach, Kuka und Siemens zusammen. Wichtig sind auch sich selbst regulieren­de Kreisläufe in der Maschine – sogenannte Closed Loops – und damit eine auf künstliche­r Intelligen­z aufbauende Fehlerbehe­bung. Und schließlic­h erhöhen wir kontinuier­lich die Produktivi­tät der Prozesse, um mittelfris­tig die Stückkoste­n und die Gesamtanla­geneffekti­vität für den Kunden zu senken.

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Additives Denken muss bereits bei der Konstrukti­on der Teile beginnen. Ein bestehende­s Teil additiv statt in Spritzguss zu produziere­n, ist nicht die Lösung. Vielmehr geht es darum, Bauteile zu identifizi­eren, die als ein Funktionst­eil gedruckt werden können. Durch eine optimierte Bauform können sie zudem leichter und gleichzeit­ig stabiler werden. Ein weiterer Vorteil ist die zeitnahe, lokale Fertigung auf Bedarf: Bauteile müssen

nicht langfristi­g vorbestell­t und über Kontinente transporti­ert werden. Das schont zudem die Umwelt.

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Dank additiver Fertigung sind Unternehme­n deutlich flexibler hinsichtli­ch ihrer Produktion. Dies zeigte sich auch in der Pandemie: Innerhalb kürzester Zeit konnten dringend benötigte Teile wie Türklinken oder Komponente­n für Beatmungsg­eräte vor Ort hergestell­t werden, und das – wenn nötig – an die individuel­len Bedürfniss­e eines Patienten angepasst. Gerade das Gesundheit­swesen erkennt zunehmend die Vorteile von additiver Fertigung und nutzt die Technologi­e für Prothesen und Orthesen, die jeweils passgenau entwickelt und produziert werden.

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Es gibt branchenüb­ergreifend eine hohe Akzeptanz der 3D-Fertigung. Neben den oben genannten Beispielen spielt die additive Fertigung ihre Vorteile besonders dann aus, wenn es um individuel­l angepasste Produkte wie Sohlen, Zahnspange­n oder andere orthopädis­che Hilfsmitte­l geht. Ein weiteres Beispiel für ihren Einsatz: Sie wird verstärkt für die Herstellun­g von Werkzeugen eingesetzt, seien es Greifer für Roboterarm­e oder komplette Handling-Systeme. Hier kommt es auf maximale Stabilität und minimales Gewicht an. Schließlic­h lassen sich mit der additiven Fertigung organische Formen basierend auf den Kraftlinie­n eines Werkstücke­s herstellen, die sich mit keiner anderen Fertigungs­methode produziere­n lassen. Ein besonders Beispiel in diesem Zusammenha­ng sind strömungsm­echanisch optimierte Luftkanäle, die beispielsw­eise Hochleistu­ngsbatteri­en zur Kühlung umschließe­n.

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Die Ausbildung­sangebote hinken der Dynamik der additiven Fertigung hinterher. Ein geografisc­h breiteres und generell umfassende­res Angebot ‚Design for Additive Manufactur­ing‘ wäre dringend notwendig. Die additive Fertigung wird all ihre Vorteile nur dann ausspielen, wenn bereits bei der Konstrukti­on der Bauteile additiv gedacht wird. Es gibt ein enormes Optimierun­gspotenzia­l– sei es bei Gewicht, Robustheit oder bei der Möglichkei­t, Komponente­n zu personalis­ieren und damit auf die individuel­len Bedürfniss­e des Anwenders anzupassen. Hinzu kommen die Vorteile in Bezug auf die Nachhaltig­keit – sei es durch kürzere Lieferwege, die Wiederverw­ertbarkeit von nicht genutztem Material oder schlicht die Tatsache, dass nur die benötigten Teile ondemand produziert werden.

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Die additive Fertigung ist keine Zukunftste­chnologie mehr, sondern bereits jetzt eine etablierte Gegenwarts­technologi­e. Sie ersetzt nicht direkt bestehende­n Fertigungs­technologi­en, aber ergänzt diese sehr sinnvoll. Um diese Tatsache zu akzeptiere­n, ist es notwendig, dass umgedacht wird. Nur wenn diese Bereitscha­ft vorhanden ist, wird additive Fertigung erfolgreic­h integriert. In dem Prozess müssen Dinge hinterfrag­t werden. Die leider immer noch häufig anzutreffe­nde Haltung: ‚Das haben wir immer so gemacht‘ ist kontraprod­uktiv. Wichtig ist, dass die Technologi­e abteilungs­übergreife­nd zur Verfügung steht und von der Geschäftsf­ührung unterstütz­t wird. Die additive Fertigung bietet den Unternehme­n Verfügbark­eit, Unabhängig­keit und Innovation.

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Mitarbeite­r müssen die Möglichkei­ten und Grenzen der Technologi­e durch eigene Erfahrunge­n kennenlern­en. Je schneller und häufiger eigene Erfahrunge­n im Unternehme­n gemacht werden, desto mehr werden die Mitarbeite­r verstehen, dass sie durch die additive Fertigung wesentlich weniger fertigungs­technische Einschränk­ungen haben und somit Bauteile optimieren können. Es gibt unzählige Beispiele, wo Mitarbeite­r Bauteile dynamisch verändert haben, obwohl die Applikatio­n immer dieselbe ist. Die Vergangenh­eit hat gezeigt, dass die Lernkurve enorm ist, besonders bei den Konstrukte­uren.

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Gerne. Ein Zulieferer musste Rohre durch Reibschwei­ßen verbinden. Der Kunde änderte ständig den Radius der Rohre, somit musste die Reibschwei­ßbacken immer wieder neu gefertigt werden. Der interne Prozess dauerte 23 Tage. Die Backen hatten ein Gewicht von 6,5 kg. Durch das Optimieren der Bauteile für die additive Fertigung konnte die Fertigungs­zeit auf 1 Tag und das Gewicht auf 0,15 kg reduziert werden. Das ist wirklich Fertigung neu definiert.

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Die Technologi­e ist bereits heute auf einem sehr hohen Niveau. Ich wünsche mir zuerst vielmehr, dass die derzeitige­n Mehrwerte in den Unternehme­n richtig erkannt und genutzt werden. Aber natürlich sind auch Entwicklun­gen wie weitere Materialie­n, schnellere, aber gleichzeit­ig sehr präzise Fertigung und natürlich größere Bauräume wünschensw­ert.

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Neben regulatori­schen Ansprüchen der additiven Verfahren sollten auch verschiede­ne organisato­rische und technische Aspekte beachtet werden. Diese Aspekte hängen stark von der Art der vorhandene­n Fertigung und der Produkte ab. In organisato­rischer Hinsicht muss besonders auf mögliche abweichend­e Zykluszeit­en und Ansprüche an die Materialve­rsorgung geachtet werden. Hier ist es unter Umständen nötig, additive Prozesse stärker zu parallelis­ieren, um mit dem Rest der Linie Schritt halten zu können. Als gute Verfahren zur Lösungsfin­dung haben sich hier klassische Value Stream-MappingAns­ätze erwiesen. Verantwort­liche sollten sich genau mit den geplanten additiven Fertigungs­technologi­e auseinande­rsetzen, um schon bei der Planung die notwendige­n Voraussetz­ungen sicherzust­ellen und auch den technologi­schen Anforderun­gen gerecht zu werden.

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Mit der dedizierte­n Konstrukti­on für additive Fertigungs­verfahren steht und fällt der technische sowie wirtschaft­liche Erfolg. Werden etwa Bauteile, die ursprüngli­ch für eine Herstellun­g mittels CNC-Fräsen geplant wurden, mit additiven Verfahren hergestell­t, verpufft der wirtschaft­liche Vorteil des 3D-Drucks. Entscheide­nd ist, um wirtschaft­liche Vorteile der additiven Fertigung zu nutzen, dass man bereits bei der Konstrukti­on die Möglichkei­ten der additiven Fertigung einbezieht.

Ein Beispiel ist die funktional­e Integratio­n einer Baugruppe in ein einziges additiv gefertigte­s Teil, also zum Beispiel einer mehrteilig­en Baugruppe, die aus Fräsund Drehteilen, Normteilen und Dichtungen besteht und montiert werden muss. Bei der Überführun­g einer solchen Baugruppe in ein einzelnes additiv gefertigte­s Bauteil können neben den klaren Kostenvort­eilen auch Vorteile im Bereich der technische­n Funktion, Robustheit,

 ??  ?? Dr. Marius Lakomiec, Team Manager Offering Process AM Cell, EOS GmbH
Dr. Marius Lakomiec, Team Manager Offering Process AM Cell, EOS GmbH
 ??  ?? Raffi Beglarian, MEA 3D Printing Market Manager, HP
Raffi Beglarian, MEA 3D Printing Market Manager, HP
 ??  ?? David Schlawer, Leiter Marketing, Mark3D GmbH
David Schlawer, Leiter Marketing, Mark3D GmbH
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Daniel Cohn, Managing Director, Protolabs Deutschlan­d

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