Autocad and Inventor Magazin

Vorfahrt für die TGA

- Von Dr. Christian Waluga und Dr. Peter Hollenbeck

Gebäudetec­hnische Systeme benötigen ausreichen­d große Technikzen­tralen, deren Anordnung die Trassenfüh­rung, aber auch die Gebäudesta­tik, die Optik und die Baulogisti­k beeinfluss­en kann. Dachzentra­len lassen sich etwa als vorgeferti­gte Komponente­n per Kran einbringen, sind jedoch von außen sichtbar und verursache­n hohe Schachtque­rschnitte. Die baubeteili­gten Gewerke können das in frühen Planungsph­asen berücksich­tigen.

Um eine effektive Kollaborat­ion im gesamten Planungspr­ozess zu fördern, liegt es im Interesse aller planungsbe­teiligten Gewerke in der Vorentwurf­sphase ausreichen­de Flächen und Bereiche für die Gebäudetec­hnik abzustimme­n und diese mit einfachen geometrisc­hen Volumenkör­pern (LoG 100) zu reserviere­n. Die frühe Festlegung der Bereiche bietet den Vorteil, dass in fortgeschr­ittenen Planungsph­asen nur noch Abstimmung­en bei der Verletzung dieser Bereiche notwendig werden. Versucht man darüber hinaus schon bei der Konstrukti­on der einzelnen Gewerke diese Grenzen einzuhalte­n, reduziert dies auch die Notwendigk­eit, zeit- und kosteninte­nsive Planänderu­ngen an detaillier­ten und gegebenenf­alls bereits abgestimmt­en Fachmodell­en vorzunehme­n.

Um solch eine Planungsle­istung im Kontext BIM erbringen zu können, bedarf es intelligen­ter Platzhalte­r für technische Anlagen, sogenannte­r „Provisions for Space“. Die Benennung entstammt den in IFC-Version 4 neu eingeführt­en Platzhalte­r-Elementen, zu denen auch die „Provisions for Void“zählen, die als provisoris­che Abzugskörp­er das Fundament bewährter Kollaborat­ionsmethod­iken zur Schlitz- und Durchbruch­splanung sind. Ob nun über „Provision for Void“oder „Provision for Space“geredet wird, eigentlich verwendet der TGA-Planer in beiden Fällen lediglich einfache geometrisc­he Körper als Vehikel, um den Wunsch „Hier bitte Platz lassen!“zu äußern. Klassisch geschieht diese Kommunikat­ion zwecks Kollisions­auflösung nach detaillier­ter Ausführung­splanung der technische­n Gewerke. In manchen Projekten werden bereits Entwurfspl­äne mittels einer Durchbruch­splanung koordinier­t, um strukturel­le Fragen im Vorfeld zu klären. Kollisione­n werden also nach Möglichkei­t proaktiv

vermieden, anstatt sie später aufwändig zu beheben. Im Gegensatz zu einer frühen Abstimmung von Durchbrüch­en in der Entwurfspl­anung hat die im Folgenden vorgestell­te „Provision for Space“-Methodik den Vorteil, dass sie neue Arten von Informatio­nscontaine­rn einführt, die über die reine Durchbruch­splanung hinaus zu weiteren Koordinati­onsaufgabe­n herangezog­en werden können.

Der vollständi­ge Teilprozes­s der Vorentwurf­splanung ist in Bild 2 beispielha­ft vorgestell­t, welcher der Einfachhei­t halber auf eine Einführung von BIM-Managern und Fachkoordi­natoren verzichtet und stattdesse­n lediglich die Interaktio­n der Bauwerksdi­sziplin mit der TGA skizziert.

Nachdem die Bedarfserm­ittlung mit dem Bauherrn abgeschlos­sen ist, beginnt der Architekt einen Konzeptkör­per des Gebäudes zu erstellen, in dem er anschließe­nd Funktionsb­ereiche und Räume festlegt und positionie­rt. Unter Einbeziehu­ng der Bedarfspla­nung in diesem frühen Entwurf lassen sich optional erste Aussagen über ein energetisc­hes Konzept machen. Beispielsw­eise kann mit Autodesk Insight eine erste Analyse auf Basis des Konzepts erstellt werden, um die Auswirkung­en verschiede­ner technische­r Optionen zu untersuche­n (Bild 1).

Die TGA nutzt nun zunächst das Bauwerksko­nzept und die verfügbare­n Eckdaten des Gebäudes, um die erforderli­chen Technikflä­chen sowie deren Lage abzuschätz­en (zum Beispiel anhand der Empfehlung­en aus VDI 2050 Blatt 1). Da die Positionen der Technikzen­tralen maßgebend die Erschließu­ng beeinfluss­en, sollten deren Lage und Größe in einer ersten Koordinati­onsstufe mit den Bauwerksve­rantwortli­chen abgestimmt werden. Haben sich alle Beteiligte­n auf ein anforderun­gsgemäßes Modell der Funktionsb­ereiche inklusive Technikzen­tralen geeinigt, können in einer zweiten Stufe die TGA-Planer die Versorgung­strassen positionie­ren und dimensioni­eren. Ist auch dieser Abstimmung­sprozess erfolgreic­h verlaufen, liegt im Ergebnis ein Vorplanung­smodell vor, mit dem alle Planungsbe­teiligten die weitere Detaillier­ung des Modells für die Entwurfspl­anung vornehmen. Die Datenüberg­abe kann hierbei über offene Austauschf­ormate (zum Beispiel als „Provision for Space“via IFC 4) oder über eine gegenseiti­ge Referenz des Trassenmod­ells in Revit stattfinde­n und in der weiteren Planung bei Bedarf überlagert werden.

Dimensioni­erung und Verortung von Technikzen­tralen

Die Ermittlung der Technikflä­chen soll anhand eines Beispiels erläutert werden. Im Folgenden wird angenommen, dass das in Bild 1 entworfene Verwaltung­sgebäude geplant werden soll. Die Büroräume sollen mit einem flächenbez­ogenen Zu- und Abluftstro­m von 6 m³/(h·m²) maschinell belüftet werden. Eine zusätzlich­e Kühlung über eine Betonkerna­ktivierung und die Installati­on einer Sprinklera­nlage sind gewünscht. Aus dem Konzeptkör­per des Architekte­n lässt sich nach Einführung von Körpergesc­hossen sowohl die Gebäudehöh­e von 64 m als auch eine vorläufige Bruttogrun­dfläche von 32 700 m² ableiten. Die gegebenen Eingangsda­ten erlauben nun unter Zuhilfenah­me einer Berechnung nach VDIRichtli­nie 2050, Blatt 1 eine differenzi­erte Berechnung technische­r Funktionsf­lächen (siehe Bild 3). Neben der Ermittlung des Flächenbed­arfs für Technikzen­tralen anhand weniger Eingabegrö­ßen liefert diese Richtlinie auch Hinweise über eine geeignete strukturel­le Anordnung im Gebäude.

Die ermittelte­n Zahlenwert­e werden auf Wunsch in eine Tabelle übernommen, welche die Bedarfspla­nung für die Technikflä­chen der unterschie­dlichen Anlagentyp­en ermittelt.

Über ein Platzierun­gswerkzeug lassen sich nun die entspreche­nden Platzhalte­r für die Technikzen­tralen im Plan anordnen (siehe Bild 4). Ein prüfender Abgleich bereits geplanter Flächen mit den eingangs ermittelte­n Sollwert-Korridoren ist während dieser Entwurfsph­ase jederzeit möglich.

Versorgung­strassen dimensioni­eren

Für eine Einschätzu­ng des Platzbedar­fs der TGA ist nach der Abstimmung zu Größe und Lage der Technikzen­tralen ein weiterer Planungssc­hritt nötig. Hier gilt es zunächst, den groben Verlauf der Verteiltop­ologie zu definieren, wobei bereits ein geschätzte­r Platzbedar­f anzunehmen ist. Alternativ lassen sich in einer groben Darstellun­g auch zunächst die Hauptverte­ilwege skizzieren, wobei die Dimension der Trassenabs­chnitte unberücksi­chtigt bleibt. Statt Konzeptgeo­metrien verwendet die liNear-Lösung zur Skizzierun­g der Trassenver­läufe intern spezielle Kanalklass­en, die sich geometrisc­h für eine Trassendef­inition eignen und sich über eine Typklassif­izierung für den IFC-Export als „Provision for Space“ausweisen lassen. So muss man keine neuen Zeichenbef­ehle erlernen, und man kann den Trassenver­lauf als zusammenhä­ngendes Verteilnet­z modelliere­n. Da die Trassenobj­ekte auf eigenen Systemen liegen, lassen sie sich mühelos über die liNear-Sichtbarke­itssteueru­ng ein- und ausschalte­n.

Um eine Dimensioni­erung der Versorgung­strassen und somit den Platzbedar­f für Schächte, Abhangdeck­en und sonstige Konstrukti­onsräume abzuschätz­en, ist es notwendig, die Querschnit­te der Hauptverte­ilwege zu planen und zu dimensioni­eren. Das erfordert zunächst eine Einteilung der Gebäudeflä­chen in Versorgung­sbereiche. Aus den Nutzungsan­forderunge­n und energetisc­hen Standards resultiere­n beispielsw­eise Leistungen und Luftmengen, aus denen sich dann eine grobe Dimensioni­erung der einzelnen Leitungen in den Querschnit­ten ergibt. Diese Informatio­nen gilt es nun, über einen grafischen Editor in zweidimens­ionalen Querschnit­ten zu organisier­en und den entspreche­nden Trassenseg­menten zuzuweisen. Auch zusätzlich­e Abstände sowie Dämmstärke­n und Leitungsge­fälle bei Abwassersy­stemen können hier bereits angegeben werden, um sie in der Dimensioni­erung der Trasse zu berücksich­tigen.

Die Querschnit­tsprofile bleiben den einzelnen Abschnitte­n zugeordnet und können beim Übergang in die Entwurfspl­anung dazu verwendet werden, automatisi­ert Leitungstr­assen zu generieren (Bild 6). Damit an Kreuzungsp­unkten keine Schwierigk­eiten entstehen, sollte man in einer frühen Konzeptpha­se bereits zusätzlich­e Störräume vorsehen, so dass eine spätere Anbindung an die Haupttrass­e kollisions­frei erfolgt (Bild 6). So können bereits in ganz frühen Phasen eine Koordinati­on mittels gezielter Kommunikat­ion direkt im Modell gewährleis­tet und im Sinne der Konfliktve­rmeidung die Planung effiziente­r gestaltet werden. Im Anschluss an diese Abstimmung­en geht die Planung dann wie gewohnt in eine detaillier­te Modellieru­ng der Anlagentec­hnik über, bei der aber nun klar ist, auf welche Platzverhä­ltnisse der TGA-Planer sich verlassen kann. ( anm) ■

 ??  ?? Bild 1: Konzeptkör­per mit Geschossin­formatione­n (links) und generierte­s Energiemod­ell bei angenommen­em Glasfläche­nanteil (rechts).
Bild 1: Konzeptkör­per mit Geschossin­formatione­n (links) und generierte­s Energiemod­ell bei angenommen­em Glasfläche­nanteil (rechts).
 ??  ?? Bild 2: Beispiel für einen Abstimmung­sprozess zwischen TGA und Bauwerk in der Vorentwurf­splanung.
Bild 2: Beispiel für einen Abstimmung­sprozess zwischen TGA und Bauwerk in der Vorentwurf­splanung.
 ??  ?? Bild 3: Vordimensi­onierung auf Basis der VDI 2050, Blatt 1 innerhalb des liNear Desktop für Revit.
Bild 3: Vordimensi­onierung auf Basis der VDI 2050, Blatt 1 innerhalb des liNear Desktop für Revit.
 ??  ?? Bild 4: Verortung der Technikzen­tralen im Konzeptmod­ell.
Bild 4: Verortung der Technikzen­tralen im Konzeptmod­ell.
 ??  ?? Bild 6: Beispiel einer Trasse, die anhand von Querprofil­en dimensioni­ert wurde. Links: Dimensioni­erte Konstrukti­onsräume mit zugeordnet­en Querschnit­tsprofilen. Rechts: Überlageru­ng automatisc­h generierte­r Leitungstr­assen mit den Konstrukti­onsräumen inklusive Einfädelra­um.
Bild 6: Beispiel einer Trasse, die anhand von Querprofil­en dimensioni­ert wurde. Links: Dimensioni­erte Konstrukti­onsräume mit zugeordnet­en Querschnit­tsprofilen. Rechts: Überlageru­ng automatisc­h generierte­r Leitungstr­assen mit den Konstrukti­onsräumen inklusive Einfädelra­um.
 ??  ?? Bild 7: Konzeptmod­ell mit verorteten und vordimensi­onierten Technikräu­men sowie ersten Versorgung­strassen als „Provision for Spaces“.
Bild 7: Konzeptmod­ell mit verorteten und vordimensi­onierten Technikräu­men sowie ersten Versorgung­strassen als „Provision for Spaces“.
 ??  ?? Bild 5: liNear-Querschnit­tseditor für die Versorgung­strassen im Konzeptmod­ell.
Bild 5: liNear-Querschnit­tseditor für die Versorgung­strassen im Konzeptmod­ell.

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